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Der Schulweg
„Hey, ihr Saubande...“, tönt es von oben von einem der Balkone, „ich hab alles gesehen...“.
Über den nassen Asphalt verteilt sich der Inhalt des Müllsacks quer über die Kreuzung.
Die Kinder rennen aufgeregt weiter die Häuserwände entlang. Micky genießt die verstörte Bewunderung der anderen, „jetzt seid ihr aber dran“.
Er spürt den Skrupel der Freunde und glaubt sich rechtfertigen zu müssen. „Hey, der Arsch ist da einfach drübergefahren, ich hab den Sack nur gekickt“.
Am Ende der Straße funkelt ein Regenbogen unter der abziehenden Gewitterwolke.
Eine junge Frau schiebt ihren Kinderwagen weiter geradeaus und schüttelt gedankenverloren den Kopf.
„Ich zeig euch alle an...“, hallt die Stimme des Rentners aus dem Nirgendwo.
Zwei Häuserblocks weiter biegt der blaue Mercedes in die Durchgangsstraße.
„Folgen Sie dem Straßenverlauf bis zur nächsten Unterführung“, tönt es aus dem Navigationssystem. Der Zigarettenanzünder schnalzt mit einem Plop aus der Buchse.
„Wetten?“, hört Schwanhuber Meier2 aus dem Nachbarraum rufen. „Polizeirevier Mitte, Schwanhuber“, meldet sich Schwanhuber am Telefon.
„Im weiteren Verlauf links halten“, säuselt die Frau aus dem Navi. Jetzt darf aber wirklich nichts mehr dazwischenkommen. „Scheiß Präsentationstermin“, denkt der Mercedesfahrer und drückt das Gaspedal kräftiger durch. Und am Abend muß er daran denken, einmal die Stoßstange einer ausgiebigen Inspektion zu unterziehen.
Micky kickt den anderen eine Bierdose zu. Gelbe Säcke auf Kreuzungen kicken, das hat er von seinem Bruder gelernt. Diese Kleinkinder aus seiner Schulklasse, die raffen das aber noch nicht. Jonas will jetzt mit ihm Hand in Hand gehen während Gabi in jede Pfütze springt. Gemeinsam erreichen sie die U-Bahn-Station.
„War ja klar“ sagt Schwanhuber und raschelt mit dem Butterbrotpapier. „Der Opa aus Mitte spielt wieder Blockwart“. "War der nicht mal einer von uns?", lehnt Meier2 sich in die Tür. "Sicherheitsdienst, am Bahnhof, aber vor meiner Zeit" schmatzt Schwanhuber zurück. "Wir haben ja hier auch sonst nichts zu tun", hebt er die Augenbrauen, "ich hab ihn erstmal beruhigt".
Mit einem Plop zerplatzt eine leere Milchtüte übertönt vom Motorengeräusch des darüberfahrenden Kleintransporters. Die nachfolgenden Fahrzeuge walzen alles immer mehr platt. Nach ein paar Stunden stellt das Ganze kaum noch ein Hindernis mehr dar. Nur zwischendurch entsteht mal eine brenzlige Situation, als ein Fahrradkurier einer umherwirbelnden Plastikfolie ausweicht und gerade noch rechtzeitig die Raviolidose sieht. "Hopla", denkt er und fügt einen kurzen Slalomschwung ein.
Die Hinterlassenschaften der Zivilisation verbreiten sich in den folgenden Wochen langsam in Richtung Rinnstein.