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Der schwarze Planet
1
Nachdem sie aus dem Raumgleiter ausstiegen waren, schaute er sich um. Die dunklen Industrieschlote, die überall aus dem Boden schossen, ließen ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Sie gehörten zu den unterirdischen Fabriken, in denen die Ureinwohner versklavt wurden. Egal, an welcher Stelle man landete: es sah überall gleich aus.
Vor ihm ragte die Vorderfront des Palastes dem Himmel entgegen. Dieses Bauwerk erinnerte ihn ein wenig an eine gigantische Orgel, die man mit Teer übergossen hatte.
Während seine Kollegen Fabius und Kees die Ausrüstung aus dem Schiff holten, sah er Hannos untergehen. Eine rotglühende Scheibe, die sich hinter der dichten Wolkendecke auf den Horizont zu bewegte.
Der Boden unter seinen Füßen sah aus wie Vulkanasche und fühlte sich porös an, während er ein paar Schritte in Richtung Palast unternahm - auch wenn er es durch seinen schweren Schutzanzug hindurch nur abgeschwächt spüren könnte. Auf seinem Sichtfeld lagerten sich schon nach kurzer Zeit winzige Rußpartikel ab und hier und da traten ockerfarbene Dämpfe aus der Erde hervor, die ihm die Sicht erst recht erschwerten. Er verspürte nicht den geringsten Drang, hier länger als nötig zu bleiben und seine beiden Begleiter teilten sein Unbehagen. Das spürte er, als er sie flüchtig scannte.
Die unterirdischen Fabriken, dachte er, dort hat er sie untergebracht. Die natürlichen Bewohner dieses Planeten, eingepfercht wie Hühner, nur dazu da, eine monotone Tätigkeit nach der anderen auszuführen, bis sie irgendwann keine Kraft mehr haben und durch die nächste Generation ersetzt werden. Er schauderte bei dem Gedanken.
Doch heute hatte er die Chance, dies ein für allemal zu beenden.
“Es geht los“, sagte Kees plötzlich. „Fabius bringt gerade den Sprengsatz an. Vergiss nicht, dich sofort auf dieses Ding zu konzentrieren, sobald wir drin sind. Leg es lahm. Mit seinen Wachen werden wir schon irgendwie fertig. Alles, was wir dann noch tun müssen, ist, das Gift zu injizieren.“
„Alles klar“, sagte er, obwohl er natürlich genau wusste, was er zu tun hatte und wohl wissend, dass der Orimar, oder ‚das Ding’, wie Kees es zu nennen pflegte, ihn ebenso gut zuerst ausschalten konnte. Die Chancen standen fifty-fifty. Schon jetzt musste er ein großes Maß an Anstrengung aufbringen, um sich und seine Gefährten vor den manipulativen Geisteskräften, die vom Palast ausgingen, zu schützen. Dieselben Kräfte gegen die sich die Geschöpfe die hier lebten, als der Orimar vor Jahrhunderten auf dem Planeten landete, nicht zur Wehr setzen konnten. Und das hatte sich bis zu diesem Tag nicht geändert.
Er sah, wie sich Fabius von der Tür des Palastes entfernte und in Deckung ging.
„Der Orimar muss sich da drin ziemlich sicher fühlen. Andernfalls hätte er das Gebäude unterirdisch errichten lassen“, bemerkte Kees und brach damit die Ruhe vor dem Sturm.
Der Palast war mit den Fabriken und deren Athmosphärenwandlern verbunden. Man konnte ihn zwar zerstören, aber dann würden kurze Zeit später die Maschinen stillgelegt werden und das giftige Gasgemisch von der Planetenoberfläche würde aufgrund der größeren Dichte in die unterirdischen Fabriken eindringen.
Aber es musste doch noch einen anderen Weg geben.
„Wieso hat man nicht versucht, unsere Telepathen in die Fabriken einzuschleusen?“, fragte er Kees.
„Es gibt zu wenig.“
Das hätte er sich eigentlich auch selbst beantworten können. Wenn die Organisation für interstellaren Frieden schon ein Jahrzehnt suchen muss, um einen Telepathen wie ihn zu finden, der stark genug war, den Orimar für einige Minuten zu blockieren: wie lange sollte es dann erst dauern ein- oder zweitausend davon zu finden?
Es folgte eine heftige Explosion und nach einer Weile betraten die drei Männer den Palast.
2
Ich hatte mir das irgendwie anders vorgestellt, kam ihm in den Sinn, als er den Hauptraum betrat, der von einer großen, allerdings undurchsichtigen Kuppel überspannt wurde. Der weiße Baustoff, der hier überwiegend verwendet worden war, stand im krassen Gegensatz zum Rest des Palastes. Ein flüchtiger Blick zurück, den Gang entlang, zeigte die toten Körperhälften der Wachen. Gegen die Nanofaserwaffen hatten sie wie erwartet nichts auszurichten gehabt.
In der Mitte der Halle befand sich das Behältnis, das sich der Orimar als Wohnung ausgesucht hatte. Vor mehr als vierhundert Jahren.
Es sah ein wenig aus wie ein riesiger, stählerner Eierbecher, der mit einer Haube aus Panzerglas überspannt war. In ihm befand sich die rötliche Masse, die als Orimar bekannt war.
Aber warum griff er noch nicht an?, fragte er sich und erkannte gleichzeitig, dass sein Gegner ähnliche Gedankengänge haben könnte. Umso näher er an ihn herankommen konnte, desto größer war die Chance für ihn, das Wesen beim ersten Versuch auszuschalten. Alle geistigen Prozesse des Orimars würden dann für einen Moment zum erliegen kommen und ihnen Zeit geben zu handeln. Das Gleiche traf jedoch auch umgekehrt zu – nur würden sie sich dann wohl ein Leben lang in dieser Starre befinden. Oder er würde sie auch willenlos machen und als Sklaven für sich arbeiten lassen. Das war weitaus wahrscheinlicher, wie ihm schnell klar wurde, als er nur einen Moment darüber nachdachte.
Sie schritten unbeirrt weiter auf den Thron zu und er kam sich dabei vor wie ein Duellant im Wilden Westen. Hinter sich hörte er die Schritte von Kees und Fabius. Sie gingen fast im Gleichschritt. Der Thron war nun noch zwanzig Meter entfernt. Er konnte nun deutlich die wabernde, rote Masse sehen. Nur die Tentakel blieben ihm noch verborgen. Natürlich hatte er noch nie einen echten Orimar gesehen, aber seine Anatomie war der Wissenschaft weitestgehend bekannt. Daher wusste er auch, dass das Geschöpf fünf Augen haben musste. Vier kleinere und ein extrem großes in der Mitte.
Ob er der letzte seiner Art ist?, überlegte er. Oder gab es noch andere von diesen Wesen, die von einem Stern zum anderen flogen und nach bewohnten Planeten Ausschau hielten, die sie nach Strich und Faden ausbeuten konnten.
Nun waren sie am Thron angekommen. Thron? Innerlich lachte er auf. Wie konnte man diese Imitation einer Badewanne eigentlich als Thron bezeichnen? Wir werden schon bald einen besseren bauen.
Überhaupt hatte er doch im Moment ganz andere Probleme. Schließlich musste er einen König stürzen. Wieder konnte er sein Gelächter kaum in Zaum halten. Wahrscheinlich hörten es die anderen beiden nun auch. Er sah ihnen dabei zu, wie sie etwas unentschlossen den Laserschneider und den Behälter mit dem Gift aus dem Koffer hervor holten. Ein Tentakel wuchs währenddessen aus einer seitlichen Öffnung des ‚Thrones’ heraus und nahm ihnen die Gerätschaften ab.
Sicher war er ein wenig besorgt darüber – schließlich gefährdete es ja ihren Auftrag – doch im Endeffekt kam es nur auf ihn an. Jetzt musste er den Orimar ausschalten. Es war High Noon.
Er konzentrierte alle seine Gedanken auf das Wesen, das ihn ein klein wenig an eine Kuh erinnerte, die von innen nach außen gestülpt wurde – und mindestens zehn ihrer Artgenossen verspeist hatte.
Doch er schaffte es nicht. Wie sollte er sich denn auch konzentrieren, wenn diese beiden Idioten ihm dabei zuschauten.
Hinter dem Thron öffnete sich eine Tür im Boden und Sekunden später schnellte eine Aufzugsplattform aus der Tiefe hervor.
Die fährt bestimmt bis hinunter in die Fabriken, dachte er. Es würde sicher das Beste sein, wenn sie die Sache fürs Erste abblasen und es später noch einmal versuchen würden.
Dort unten gab es sicher viel zu tun und er wollte seine Zeit ungern noch länger an der Oberfläche verschwenden.
Kees und Fabius sahen das anscheinend genau so und folgten ihm auf die stählerne Plattform.
Langsam fuhren sie hinab und waren sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Würden sie hart genug arbeiten, könnte vielleicht auch irgendwann ein besserer Thron für ihren Meister gebaut werden.
3
In gewisser Weise spürte Matt die Anwesenheit des Jungen in seinem Kopf. Schon kurz nachdem sie in die Raumfähre eingestiegen waren, hatte er die Präsenz eines fremden Bewusstseins wahrnehmen können. Und nun, während der Planet auf dem Sichtfenster immer größer wurde, konnte er es erst recht fühlen.
Das war ihm bisher bei keiner einzigen Mission, bei der er einen Telepathen dabei hatte, passiert. Dieser Kevin aber war angeblich so stark wie kein anderer auf seinem Gebiet. Und das trotz seiner geistigen Behinderung und der Tatsache, dass er nicht sprechen konnte oder wollte.
Die Mission würde ein Erfolg werden, egal wie stark der Orimar mittlerweile geworden war. Sie würden die Fehlschläge der Vergangenheit vergessen machen. Für ihn war das jedenfalls nicht nur ein Auftrag wie jeder andere. Bei dem letzten Versuch vor zwölf Jahren war immerhin sein damaliger Ausbilder Fabius Clayton beteiligt gewesen. Vielleicht war er immer noch am Leben.
„Wir treten jetzt in die Atmosphäre ein“, sagte Harlan.
„Da unten gibt’s ein paar Turbulenzen“, meinte Matt, „so was hat die Welt noch nicht gesehen, sag ich dir. Schnall ihn mal an. Sonst fliegt der uns noch weg.“
„Scheißdreck. Er will anscheinend nicht. So ein Idiot.“ Kevin wehrte sich mit Händen und Füßen gegen Harlans Versuche, ihn festzuschnallen.
„Na dann eben nicht. Du wirst schon sehen, was du davon hast“, sagte Harlan resigniert.
„Warte mal…ich glaube er hätte auch nichts davon gehabt.“
„Aber du hast doch eben noch gesagt, dass…“
Die Wolkendecke vor ihnen riss auf und gab den Blick auf eine Landschaft frei, die fast eben so dunkel und trist war, wie die Frontscheibe nur einen Moment vorher.
„Ich verstehe das nicht“, grübelte Matt. „Die Instrumente arbeiten einwandfrei. Normalerweise hätten wir die atmosphärischen Störungen deutlich spüren müssen. Aber das Schiff hat nur ein wenig vibriert.“
„Denkst du das, was ich denke?“, fragte Harlan.
Matt sah zuerst zu Kevin, dann zu seinem Kollegen: „Ich will gar nicht wissen, was der Bengel sonst noch alles kann.“
Matt fand, dass es ausgesprochen einfach gewesen war, in die Haupthalle des Palastes zu kommen. Nur eine klapprige Tür, die aufgesprengt werden musste, danach stand ihnen der Weg frei. Er nahm an, dass es der Orimar nicht mehr für notwendig hielt, hier irgendwelche Wachen zu postieren. Das Einzige, was an die alte Verteidigungstruppe aus genetisch aufgewerteten Ureinwohnern erinnerte, waren dutzende Skelette auf dem Boden.
Na egal, dachte sich Matt, dann brauche ich wenigstens die Nanofaserpistolen nicht aufzuladen, wenn wir wieder zurück sind.
An der Türschwelle zur Haupthalle, blieben sie stehen. Hier waren sie auf sicherer Distanz zu den Tentakeln und Matt nutzte die Chance um sich die Umgebung genauer anzusehen. Der Sitz des Orimars sah opulenter aus, als er es sich vorgestellt hatte. Er residierte in einer massiven Glasröhre, die vom Boden bis zur Decke reichte und dort in eine Stahlkuppel überging. Der wuchtige Körper selbst befand sich in der Mitte der Säule und mit den Armen hielt er sich an zahlreichen Streben fest, die, zusammen mit zahllosen Schläuchen, unter der Decke entlangliefen.
Die Säule des Wahnsinns, kam ihm in den Sinn.
„Na dann mal los, Kleiner. Leg ihn lahm. Machen wir diesem Irrsinn ein Ende.“
Der Junge schloss die Augen.
In diesem Moment wurde ein riesiges Auge in der Mitte der Glassäule sichtbar. Als ob etwas unsagbar Altes nach Jahrtausenden aus seinem Schlaf gerissen wurde. Matt ahnte aber, dass er schon lange vorher von ihrer Ankunft gewusst hatte.
Harlan öffnete seinen Koffer und aktivierte die kleine Drohne, die, mit Präzisionslaser ausgerüstet, ein Loch in das Panzerglas schneiden sollte.
Der Junge zupfte Matt am Ärmel. Das war das Zeichen, dass sie vereinbart hatten. Er hatte den Orimar unschädlich gemacht. Die Tentakel, die sich noch oben an den Stangen festhielten, lösten sich und fielen einer nach dem anderen herunter. Schließlich fiel dann auch der schwere Körper hinab auf den Grund der Säule. Durch den Aufprall vibrierte der Boden unter ihren Füßen.
Harlan schickte daraufhin die Drohne los. Sie flog in einer geraden Bahn zu ihrem Einsatzort und verrichtete dort ihre Arbeit. Als sie sahen, dass die sie dabei nicht gehindert wurde, machten sie sich selbst auf den Weg zur Säule, um den letzten Teil ihres Auftrages zu erfüllen. Der wahrscheinlich letzte Orimar in dieser Galaxie war bewusstlos. Daran bestand kein Zweifel mehr.
Matt injizierte das Gift in den unförmigen Körper, dessen letzte Stunde nun endgültig geschlagen hatte. Er schoss mehrere Male, bis die erforderliche Dosis erreicht war. Ein paar Sekunden würde es dauern, mehr nicht. Die tödliche Kettenreaktion würde dann nicht mehr zu stoppen sein.
Nach und nach löste sich das Zellgewebe auf. Schaum wallte aus winzigen Körperöffnungen hervor und Augenblicke später platzten auch größere Hautpartien auf. Organe unbekannter Funktion quollen heraus und fielen unspektakulär zu Boden. Der Orimar fiel in sich zusammen und auseinander.
Matt fand das Geräusch grässlich: Knack, knack, knack. Es erinnerte ihn an platzende Luftballons. Ihm wurde speiübel.
„Raus hier“, sagte Harlan und sprach damit das aus, was der andere gerade dachte.
Bevor Matt irgendetwas darauf antworten konnte, begann der Boden zu zittern.
„Scheiße, was ist das? Ein Erdebeben?“, brüllte Matt.
„Keine Ahnung. Möglicherweise ein Selbstzerstörungsmechanismus. Wir müssen hier sofort weg. Lass den verdammten Koffer hier, den brauchen wir nicht mehr. Komm endlich.“
Als sie hinaus rannten, bebte der Boden nun regelrecht. Betonähnliche Bausegmente lösten sich aus der Decke und brachen beim Aufprall auf dem Boden auseinander.
Kurz nachdem sie das Gebäude verlassen hatten, hörten sie, wie die große Kuppel der Haupthalle zusammen fiel. Die Glassäule war möglicherweise als einziges Einrichtungsstück der ganzen Anlage noch intakt.
„Wo ist unser Schiff?“, rief Harlan zu Matt. Wieder bebte der Boden. Diesmal konnte sich keiner von ihnen auf den Beinen halten.
„Verdammt, ich kann nichts sehen. Es ist so dunkel hier. Und wo kommt auf einmal dieser ganze Rauch her?“
„Aus dem Boden“, meinte Harlan, „Da!“ Er zeigte auf eine Erdspalte nicht weit von ihm und zog Kevin ein Stück weiter zu sich heran.
„Was meintest du mit dem Schiff? Es muss doch irgendwo da hinten sein.“
„Da war es aber nicht“, Harlan klang verzweifelt, „Ich weiß noch genau, wo es stand. Das Schiff ist verschwunden. Es muss in eine dieser…Spalten hineingefallen sein.“
In diesem Moment öffnete sich der Boden direkt unter ihnen.
„Weg da!“, schrie Matt und Harlan und Kevin retteten sich mit einem Sprung zur Seite.
Matt sah für einen Moment hinunter in den Abgrund der neuen Spalte, aus der nun schweflige Dämpfe emporstiegen. Dort erkannte er die gleiche rötliche Masse, aus der der Orimar bestand. Nur war sie eindeutig nicht mehr am Leben und zeigte Auflösungserscheinungen. Die Wirkung des Gifts.
Nun sah es auch Harlan.
„Er ist überall. Direkt unter der obersten Erdschicht. Wahrscheinlich ist er inzwischen selbst zu diesem Planeten geworden.“
Der Orimar muss wegen seines enormen Nahrungsbedarfs nach und nach den gesamten Planeten aufgezehrt haben, erkannte Matt. Nun ist er der Planet.
Ist es das, was er wollte? Wir hätten nicht herkommen brauchen. Wahrscheinlich hätte es sowieso nicht mehr lange gedauert. In ein paar Jahren wäre er von selbst zu Grunde gegangen.
Über ihnen verfinsterte sich der Himmel immer stärker. Es regnete in Strömen. Schwarzes Wasser.