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Der Schwitzmolch
»Mann, ich schwitze wie ein Schwein«, sagte der fette Mann und fuhr sich mit einem handtuchgroßen Taschentuch über die Stirn.
Er schwitzte tatsächlich ziemlich stark.
Aber eigentlich weiß niemand so genau, ob Schweine wirklich so stark schwitzen, dass dieser Vergleich erlaubt ist.
Ein anderes Tier erfüllt dieses Kriterium schon eher.
Der Schwitzmolch lag in der Sonne und schwitzte.
Tatsächlich gibt es auf dem ganzen Planeten kein einziges Tier, das derartig viel schwitzt.
Die hellrote Zunge des Schwitzmolchs hing aus seinem geöffneten Mund und er röchelte ganz erbärmlich dabei. Eine kleine Wasserlache hatte sich auf dem Stein gebildet, auf dem er saß.
röchel... schwitz... röchel... schwitz... röchel. So ging es die ganze Zeit.
Und niemand, nicht einmal der Schwitzmolch selbst, ahnt, wie wichtig er für das Wohl aller Menschen ist.
röchel... schwitz...
Sahara, mittags.
»Du musst ohne mich weiter ziehen, mein Sohn, ich habe keine Kraft mehr.«
»Aber Vater, nimm einen Schluck aus deiner Wasserflasche und besinn dich. Wir haben nur noch ein paar Kilometer, dann sind wir an der rettenden Oase.«
»Mein Sohn, mein Wasserbeutel ist leer, seit Tagen schon. Es ist aus.«
»Nein, warte, nimm...«
röchel... röchel... röchel...
»Was ist das? Es scheint zu zerfließen in meiner Hand...«
röchel... röchel... röchel...
»Es ist ein Schwitzmolch, Vater. Man sagt, dass sein hypotoner Schweiß schon so manchen Wanderer gerettet hat.«
röchel... röchel... röchel...
»Köstlich! Es belebt meine Sinne! Komm, auf mein Sohn, wer zuerst an der Oase ist, hat gewonnen!«
»Nicht so schnell, Vater!«
röchel... röchel... schwitz...
»Tja, so spielt das Schicksal, Mr. Bund«, sagte Blondfeld in einem sonoren, leicht arroganten Tonfall, während er seinen kleinen Schwitzmolch kraulte. »Eben noch sah es so aus, als ob Sie in unserem perfiden Schachspiel des Geistes die Oberhand behalten würden, es wirkte, als ob Sie im letzten möglichen Moment die Zerstörung der Erde im Allgemeinen und Ihrer eigenen Person im Speziellen aufhalten könnten, aber Dank meinem brillanten Verstand (1), der jedem menschlichen Geist aufs Hundertfache überlegen ist, ist es mir gelungen, Sie zu überlisten und die Welt liegt in meiner Hand - ebenso wie mein kleiner Schwitzmolch hier.«
röchel... röchel... schwitz...
»Blondfeld, ich bitte Sie, wenn Sie den Doppel-Woll-Tranformator aktivieren, wird nichts mehr so sein wie es war!«
röchel... röchel... schwitz...
»Eben das ist es, was ich will, Mr. Bund, ich muss nur noch eben zu der Maschine gehen und diesen Knopf... Ahhh! Nein, ist das rutschig... ich... Ahh... Argh!«
»Er ist auf der Schweißpfütze des Molchs ausgerutscht und hat sich das Kreuz gebrochen! Die Welt ist gerettet!«
röchel... röchel... schwitz...
»Ich hasse dich, du Arsch!«
»Nein, ich hasse dich, du Troglodyt!«
»Rektalkrabbler!«
»Affenarsch!«
»Was ist denn das?«
»Was...? Keine Ahnung, ich seh es zum ersten Mal...«
röchel... röchel...
»Es sieht ganz erbärmlich aus, finde ich, man kriegt richtig Mitleid mit dem armen Ding. Die eigenen Probleme erscheinen einem plötzlich ganz sinnlos.«
»Ja, du hast Recht. Dieses arme Tier hier leidet Höllenqualen und wir streiten uns über Nichtigkeiten.«
röchel... röchel... schwitz...
»Komm, wir vertragen uns wieder.«
»Komm in meine Arme! Du bist übrigens kein Troglodyt, du gehst nur etwas gebückt...«
Und so noch vielerorts...
»Himmel! Mitten in der Wüste und das Kühlwasser ist uns ausgegangen...«
röchel... röchel...
»Mama? Haben wir noch Mineralwasser im Haus?«
röchel... röchel...
»Oh Gott! Die Fenster sind schon wieder so schmutzig und kein Regen in Sicht!«
röchel... röchel...
»Papa, im Swimmingpool ist schon wieder kein Wasser mehr!«
röchel... röchel...
»Oh nein, mein Kontaktlinsenmittel ist ausgegangen und die Läden haben schon zu!«
röchel... röchel...
Und so:
Der fette Mann hatte sich im Stadtcafé einen Platz im Schatten gesucht, aber der Schweiß wollte nicht von Stirn, Achseln und Rücken weichen. Immer wieder wischte er sich mit seinem weißen monogrammierten Seidentaschentuch übers Gesicht und keuchte schwer.
Mineralwasser wurde geordert, aber auch das kalte, eisgekühlte Getränk brachte ihm keine Erlösung.
Ich schwitze doch eher wie ein Schwitzmolch, dachte er bei sich.
Der Schwitzmolch hat sich inzwischen übrigens ein anderes Plätzchen gesucht.
Im Schatten.
(1) Hier entlarvt sich, dass Dr. Blondfeld Bayer war. Und wie alle Bayern kannte er den Genitiv nur in der Theorie.