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Der Sonntag
Die Lichter in den Häusern wurden von ihren Bewohnern langsam aber bestimmend ausgeknipst. Die Stadt legte sich schlafen und ich saß auf dem höchsten Punkt der Umgebung, um all das zu beobachten. Es war seltsam, das Gefühl zu haben, als einzigster auf der ganzen Welt noch wach zu sein und alle schlimmen Gedanken zu spüren.
Stille umschloss die ganze Landschaft; ab und zu hörte man ein Rascheln aus dem weiten Wald. Ich saß auf einer Anhöhe, auf der ein kleiner Tempel aufgebaut war. Hier war an schönen Tagen ein Treffpunkt für viele Jugendliche, doch heute war kein schöner Tag und ich konnte sicher sein, dass mir niemand begegnen würde. Meine Augen blickten allerdings nicht auf den Tempel oder den dunklen Wald, nein, sie waren direkt auf die Stadt gerichtet. Die Straßenlaternen bildeten einen Pfad durch die Dunkelheit der kleinen und großen Häuser. Manchmal meinte ich, dass man ein Herz oder einen Stern als Gebilde der Laternen am Boden erkennen konnte, aber diese Vorstellungen waren zu diesem Zeitpunkt so absurd, dass ich mich gar nicht darum kümmern konnte. Es war so still. Diese Stille war einzigartig. Oftmals wollte ich einfach, dass alles um mich herum still und leise ist, ohne auch nur ein Geräusch von sich zu geben. Diese Situation erschien mir als einzige Rettung, nach so vielen Qualen und Unsicherheiten in meinem Leben. Doch jetzt hatte ich diese Ruhe vor den Anderen, die Ruhe vor mir selbst blieb mir aber verwehrt. Ich versuchte meinen Kopf von all meinen Gedanken zu befreien, schloss die Augen und konzentrierte mich auf das Nichts, was mich umschloss. Doch ich konnte nur feststellen, dass gerade dieses Nichts mich nicht loslassen wollte. Es band mich an sich, wie als ob eine große Metallkette um meine Füße gespannt wäre, ich stand einfach nur da und konnte nicht entfliehen. Ich schaffte es schließlich unter große Anstrengung aufzustehen, drehte mich und blickte nun doch auf den Tempel. Auf den Wald. Auf den Weg, den ich hier her gekommen war. Auf alles, was durch Leben geschaffen wurde. Leben. Ist Leben Ruhe? Wie sollte ich Ruhe haben, wenn alles um mich herum, von Unruhe umgeben war? Ruhe ist nicht nur ein Zustand, in dem man nichts hören muss. Nein Ruhe ist Ruhe vor den Gedanken, die man sich macht. Man muss sich nicht mit ihnen auseinander setzten, man kann einfach nur daliegen und an Nichts denken. Aber hier war es dann schon wieder, dieses Nichts. Gerade darüber machte ich mir doch Gedanken, dass mein Leben aus diesem Nichts zu bestehen schien.
Ich wurde verrückt. Mein Kopf schmerzte mehr, als er es vor meiner Suche nach Ruhe getan hatte. Ich begriff die Welt nicht mehr. Wollte ich mir nicht eigentlich etwas Gutes damit tun, wenn ich vor meinen bösen Gedanken fliehen wollte? Ich glaubte langsam daran, dass Gott mich dazu verdammt hat, immer und immer nur dieses tiefe Gefühl von Einsamkeit in mir zu haben. Verzweiflung und tiefe Sehnsucht nach Freiheit kamen in mir auf. Freiheit.
Ich stand nun nicht mehr auf dem Boden, sondern auf einem steinernen Altar, der direkt vor dem Platz des Tempels stand. Was machte solch ein Gebilde hier? Für was wurde es gebaut? Meine Gedanken ließen mich nicht los. Ich dachte immer wieder nach, wollte mir immer wieder bewusst machen, dass ich mir doch keine Sorgen zu machen brauche. Die Welt. Die Dinge. Die Sorgen. Es schien mir gar, als ob ohne meine Fürsorgen keine Welt existieren würde. Aber da, genau zu diesem Zeitpunkt durchbrach mich wieder mein Wunsch, diese Gedanken zu verbannen. Nur warum? Wieso konnte ich mich nicht damit zufrieden geben, dass ich einfach fürsorglich bin, ich einfach Dinge im Leben anderer unterstützen will. Drei Uhr, an einem stürmischen Sonntag, kann das wahr sein? Alle schlafen? Niemand spürt mehr die Gedanken, die ihn quälen, da er in seinen Träumen in weite Fernen flüchtet und dort vielleicht am Strand von Hawaii einen leckeren Cocktail schlürft?
Ich stieg von dem Altar und lief den Weg, den ich gekommen war, in Richtung Stadt. Es war bezaubernd, dass die Gassen leer waren, ich meinte, ich könnte den Kampf gegen meine Gedanken gewinnen. Doch da sah ich ein Auto, aus weiter Ferne. Es hatte grelle Scheinwerfer, ich war geblendet. Ich taumelte und schloss meine Augen. Ich sah mich wieder auf dem Altar stehend. Ich war einfach nur noch geblendet von der Freiheit, auf einmal die Möglichkeit zu haben, von einem Ort an dem ich mich befand, zu einem anderen zu schweben, an das Nichts denkend Ich war einfach nur glücklich, in diesem Moment nur an mich denken zu müssen, an mein Leben, als an das Nichts.
Wollte ich das nicht die ganze Zeit? Ja, natürlich. Doch als ich den Schmerz spürte, als das Auto mich erfasste, war ich wie zurück geholt auf den Boden. Ich wusste auf einmal, dass ich es niemals gewollt habe. Ich hätte mehr für mich sein müssen, ich hätte früher fliegen sollen, weg vor meinen Ängsten und vor meiner eingeschränkten Freiheit der Gedanken. So hätte ich früher begriffen, dass Ruhe nichts mit dem Nichts zu tun hat. Denn jetzt war Nichts. Nun war ich wirklich nichts. Und es war zu spät. Leider...