Der Spiegel
Betrunken saß er auf dem Beifahrersitz und jauchzte vor körperlicher Begeisterung. Seine Sinne waren betrübt und gut gelaunt. Der Fahrer fuhr viel zu schnell, sang mit, wenn es sein musste, scherzte mit übertrieben gekehrten Lenkmanövern.
Sein Beifahrer kurbelte plötzlich das Fenster runter, streckte seinen Kopf hinaus und jubilierte in apokalyptischer Fröhlichkeit. Der Wind pfiff durch seine Haare und ließ sein Gesicht verzerrt aussehen. Mit Mühe hielt er seine Augen offen, seine Zunge drückte er mit betäubter Kraft gegen den Wind.
Als er scheinbar nicht genug seines Körpers in Freiluft bewegt hatte, der Fahrer nicht genug enge Kurven schlingerte, begann er, seinen Oberkörper ganz aus dem Fenster zu beugen und saß schließlich nach anstrengenden Haltungen auf dem geöffneten Fenster. Er war auf dem Höhepunkt seiner Fröhlichkeit, die geifernde Geilheit war Herr über diesen verarmten, Sinnverlorenen Körper.
Der Fahrer schnallte sich ab, begann das Lenkrad in beide Hände zu nehmen und sein betrübter Blick wurde wässrig. Ab und zu sah er zu seinem Kollegen, welcher trunken seine Beine auf dem Sitz abstützte.
Der schwarze Bus kam überraschend schnell aus dem Nichts. Er war leise und hoch. Der Beifahrer drehte in seinem kreischenden Delirium seinen Kopf, sah die Gefahr und riss seine Zugedröhnten Augen auf. Er sah den großen Rückspiegel, rasend aus dem Nichts kam er auf ihn zu und kurz vor der Kollation verzog der Spiegel sein Plastikgesicht, als würde er sich auf den, nicht Verhinderbahren grausigen Aufprall freuen.
Der Spiegel drückte sich in das Gesicht des verdutzten Jungen, schmiegte sich an seine Wangen, brach seinen kompletten Vorderschädel. Es krachte im Innern seines Kopfes, er spürte gleitende Stiche, spürte wie sich sein Gehirn vermalen in den hintersten Winkel verkroch und sich aus dem Hinterschädel zu drücken versuchte.
Doch der Spiegel war groß und genoß die Wärme in seinem Gesicht, er wollte sich nicht befreien. So vergrub er sich tiefer in des Beifahrers Haupt und riss den Rumpf wie einen noppigen Schlauch aus dem Auto. Er schleifte ihn entlang des Wagens, die Beine verdrehten sich unnatürlich, als sie wie von einem Staubsauger aus dem Fahrzeug gerissen wurden. Der Spiegel liebkoste den verdrückten Matsch aus Sehnen, Blut und Knochen mit seiner starren Kälte und nahm anschließend Abschied von diesem kurzen Zusammensein. Der leblose Mensch sank in die Luft und flog wie eine gefallene Marionette auf den harten Asphalt. Dieser empfang ihn mit heller Freude, ließ ihn mehrmals durch die Luft wirbeln, bevor er den Saft des toten Jungen in sich aufnahm.
Dies alles war eine Parade von wenigen Sekunden. Der Fahrer war im Rausch der Geschwindigkeit, merkte von dem tödlichen Aufeinandertreffen nichts. Der Tunnelblick machte ihm zu schaffen, die Markierunkstreifen auf der Straße brannten in seinen geweiteten Pupillen.
Als er kurz vor der Hauseinfahrt seines Beifahrers stand und nach rechts sah, um nach dem Zustand seines Freundes zu schauen, staunte er. Er war nicht mehr da. Er schüttelte den Kopf. Er wunderte sich, wie er hätte glauben können, dass sein Kollege als Beifahrer neben ihm saß. Und dann auch noch zu ihm nach Hause fuhr. Scheiß Alkohol, murmelte er und lenkte wieder auf die Hauptstraße. Die schmutzig dunkelrote Blutspur, welche entlang des Wagens ihren Weg bahnte und ihre Furchen in alle Richtungen auf dem hellen Lack verteilte, würde er erst morgen entdecken. Nachdem ihn die Klingel seiner Haustüre wecken würde. Zum letzten Mal für ihn schellen wird.