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Der Tag an dem ich kündigte

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08.07.2005
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Der Tag an dem ich kündigte

Der Tag, an dem ich kündigte

Der Tag an dem ich kündigte

Obwohl es alles andere als eine schöne Erinnerung ist, kommt sie fast täglich in mir hoch, kocht tief in mir und zu genau den falschen Momenten schwappt sie wellenschlagend über und quält mich mit siedend heißen Schmerz. Genau wie jetzt.
Ich weiß es alles noch ganz genau. Alle Schüler standen auf und verließen rasch den Raum, ihn aber hielt ich auf und stellte ihn zur Rede. Seine langen dürren Hände schoben eine Strähne seiner hellen, ungekämmten Haare hinter ein Ohr und dann hob er sein blasses Gesicht langsam mit einem fragenden Blick zu mir. Sein Kinn und seine Oberlippe waren unrasiert und der lichte, blonde Flaum saß wolkenhaft und unregelmäßig auf seiner weißen, schimmernden Haut, die den platten kleinen Mund umgab. Zwischen zwei gefährlich hervorstechenden Wangenknochen ragte eine lange, schmale Nase aus seinem Kopf, an deren Wurzel sich die Augenbrauen verdichteten. Die fettigen Strähnen, die seine Stirn verdeckten, hingen ihm in seinen unfassbar müden Augen, mit den großen schwarzen Pupillen, die nie still hielten.
Ich sprach ihn zum wiederholten Male auf die fehlenden Atteste für die nachmittags stattfindenden Sportkurse an, versuchte ihm den Ernst der Lage kühl und ohne Anteilnahme darzubringen, wie es von mir in meinem Job erwartet wurde. Doch schon als ich die ersten Worte an ihn richtete, wurde mir klar, dass es dieses Mal anders werden würde als die ganzen letzten Male. Sein Gesicht entglitt nicht sofort wieder meinen strengen Blicken, es hielt ihnen stand mit den müden, dunklen Augen und dem farblosen Mund. Er hörte sich mein Reden an ohne auch nur einmal seinen gequälten Blick von mir zu wenden.
Abschließend sagte ich etwas wie: „Ich werde dich nicht für’s Abitur zulassen, wenn ich nicht in den nächsten Tagen die Atteste vor mir habe!“
Und ich glaube dann sagte er diese Worte, die mich in jedem Traum verfolgen, die sich tief in mir vergruben wie schändliche Parasiten, die nicht daran dachten irgendwann wieder zu verschwinden, die sich mit trauriger Gier an meiner Seele nährten, sie zerfraßen und in Stücke rissen. Mit seiner tiefen, langsamen Stimme sprach er:
„Ich habe kein einziges Attest. Sie werden kein Attest bekommen.
Ich kann nicht zum Sport kommen, weil ich suchen muss. Ich muss meine kleine Schwester finden. Ich suche sie jeden Nachmittag. Meine Mutter erlaubt mir nicht sie morgens zu suchen, weil sie will, dass ich das Abitur schaffe, weil sie denkt, dass es nicht schwer für mich wäre. Doch zum Sport gehe ich nicht, ich will sie finden. Wie jeden Tag bis in den Abend. Sie wurde ja entführt, von Unbekannten. Vor zwei Monaten kam sie einfach nicht mehr von der Schule. Die Polizei findet sie nicht, sie ist in irgendeinem gottverdammten Keller, bei einem Perversen eingeschlossen. Ich weiß was er mit ihr macht, er bringt sie zum Schreien, er schlägt sie, er vergewaltigt sie.“ Er kam jetzt ganz nah an mein Gesicht und flüsterte, wobei sein heißer Atem in meiner Nase brannte.
„Und immer, wenn ich am Donnerstag Nachmittag nach ihr suche, denke ich mir: ‚Der Perverse dreht deiner kleinen Schwester grade ein Kabel um den Hals`, und dann stelle ich mir die Frage: ,Suchst du sie, oder gehst du zum Sport?‘. Und jedes Mal gebe ich mir die gleiche Antwort. Also fragen Sie bitte nicht mehr nach einem Attest.“
Ich versuchte die Fassung zu wahren, doch je mehr ich es versuchte, desto weiter schnürte sich meine Lunge zu. Seine schwarzen, müden Augen waren noch immer fest in meinen, sein Schmerz, seine Verzweiflung, seine Hoffnungslosigkeit, all das lag tief in ihnen und brannte sich in mir ein. Dieser Junge enthüllte seine Ängste, die ihn jede Nacht plagten und seinen Schlaf raubten und entgegnete sie meiner lächerlichen Strenge. Ich war gebrochen. Dieses Feuer in meiner Brust versengte all meine Glieder, bis sie erschlafft herunterhingen. Mein Mund war geöffnet, doch kein Lufthauch bewegte sich zwischen meinen stummen Lippen. Aus meinen Augen quollen Tränen, die ich nicht spürte und in meinem Hals lagen verklumpte Schreie, die ich nicht schrie.

 

Hallo Michabel,

zunächst eine Frage: Hat er gekündigt, wegen dieses Vorfalls? Wenn ja, dann geht dies nur aus deiner Überschrift hervor.
Übrigens kommt da nach dem Wort Tag ein Komma.

Ich finde deine Geschichte nicht schlecht. Besonders gut ist dir die Beschreibung des Jungen gelungen. Ich konnte mir ein Bild von ihm machen. Das gilt auch für die Gefühle, die du am Schluss der Geschichte geschrieben hast.
Nur an der Stelle von

Seine schwarzen, müden Augen waren noch immer fest in meinen, sein Schmerz, ...

würde ich vorschlagen Seine schwarzen, müden Augen waren mir noch fest in Erinnerung zu schreiben.

Die stete Wiederholung des Wortes "suchen" im vorletzen Absatz hat mich etwas gestört. Vielleicht ist es aber auch von dir gewollt, da du wohl die Ernsthaftigkeit der Suche betonen wolltest. Aber meiner Meinung nach hört es sich nicht so gut an.

„Und immer, wenn ich nachmittags am Donnerstag nach ihr suche, denke ich mir: ‚Der Perverse dreht deiner kleinen Schwester grade ein Kabel um den Hals, suchst du sie, oder gehst du zum Sport?‘ und jeden Donnerstag Nachmittag gebe ich mir die gleiche Antwort. Also fragen Sie bitte nicht mehr nach einem Attest.“

Besser
„Und immer, wenn ich Donnerstag nachmittag nach ihr suche, denke ich mir: ‚Der Perverse dreht deiner kleinen Schwester grade ein Kabel um den Hals. Und dann stelle ich mir die Frage: 'Suchst du sie, oder gehst du zum Sport?‘ Und jedes Mal gebe ich mir die gleiche Antwort. Also fragen Sie bitte nicht mehr nach einem Attest.“

Hier fällt die Wiederholung von "Donnerstag nachmittags" weg.

Was meinst du mit "verklumpte Schreie"?

Vielleicht besser .... und in meinem Hals stauten sich Schreie, die ich nicht schrie.

Eine Frage noch zum Schluss:
Ist dein Prot denn nie auf die Idee gekommen, dass die Entschuldigung des Schülers auch eine sehr gut erfundene Ausrede sein könnte. Ich weiß nicht, ob ich als Lehrer meinem Schüler diese Geschichte glauben würde, ohne sie nachzuprüfen.
Und ist das ein Grund für einen Lehrer seinen Beruf an den Nagel zu hängen? Ist er zu sensibel für den Job?

Das war es schon von meiner Seite. Vielleicht kannst du den ein oder anderen Vorschlag von mir berücksichtigen.

Viele Grüße
bambu

 

danke für deine kritik bambu.

Seine schwarzen, müden Augen waren noch immer fest in meinen, sein Schmerz, ...
würde ich vorschlagen Seine schwarzen, müden Augen waren mir noch fest in Erinnerung zu schreiben.
ich glaube hier hast du dich etwas vertan, ich meinte nicht, dass sie sich noch genau an seine augen erinnern kann, sondern dass er sie immernoch eindringlich und "fest" anschaute.

der vorletzte absatz ist echt voller suche, ist mir garncht aufgefallen. ich werde versuchen dort was zu ersetzen.

den satz mit dem donnerstag abend werde ich auch von dir übernehmen, danke =)


ja, der prot.kündigt aufgrund dieses vorfalls. und ja, das geht nur aus der überschrift hervor, aber ich denke eine überschrift kann auch ruhig eine funktion im text haben. ich mag das.

mit dem komma in der überschrift war ich mir nie so sicher ^^ danke für die aufklärung

hm, wenn der prot deswegen kündigt, ist er echt zu sensibel, aber sowas ist doch schon ziemlich harter tobak ;)

 

Hallo Michabel,

diese Geschichte von dir gefällt mir, weil sie nicht das Leiden der kleinen Schwester in den Mittelpunkt stellt, sondern das des Bruders, der sich den lächerlichen Erziehungsversuchen seines Pädagogen erwehren muss.
Schade finde ich nur die Reaktion. Anstatt zu lernen, die Prioritäten neu zu verteilen, herz zu zeigen und Ausnahmen von den Regeln zuzulassen, deutest du mit der Überschrift an, dass der Lehrer den Job quittiert. Dabei ist es doch gerade die ERfahrung mit solchen Situationen, die aus einem Lehrer einen guten Lehrer machen kann.
Vielleicht hat er aber auch gekündigt, weil er selbst nach dieser Offenbarung seines Schülers nicht in der Lage war, kompetent zu agieren, seinen Schüler vielleicht in den Arm zu nehmen, ihm Unterstützung anzubieten oder vielleicht eine Suchaktion durch die Schule zu organisieren.
Der Möglichkeiten wären da viele gewesen und wenn der Lehrer nicht mal am nächsten Tag auf solche Ideen kommt, ist es vielleicht besser, er gibt auf.
Eine unbedeutende Frage nur aus Interesse: Warum war es dir so wichtig, den Schüler so unsympathisch erscheinen zu lassen?

Und einige Details zur Korrektur:

und quält mich mit dem siedend heißen Schmerz.
Eine schlichte Frage des Stils. Hier würde ich auf den Artikel verzichten und schreiben: quält mich mit siedend heißem Schmerz.
der lichte, blonde Pflaum
Flaum (ohne P)
Zwischen zwei gefährlich hervorstechenden Wangenknochen
In wiefern gefährlich? Ragen sie durch die Haut?
an wessen Wurzel sich die Augenbrauen verdichteten.
an deren Wurzel (geht ja um die Nase)
desto weiter schnürte sich meine Lunge zu.
mE Lungen
Seine schwarzen, müden Augen waren noch immer fest in meinen
Nein. Hier ist zwiscehn Blick und Augen zu unterscheiden. Es waren ja nicht die Augen, die in den anderen Augen waren, sondern der Blick, der auf den anderen Augen lag.

Lieben Gruß, sim

 

danke für die kritik sim.
die fehler werde ich bei gelegenheit korrigieren.

Warum war es dir so wichtig, den Schüler so unsympathisch erscheinen zu lassen?
ich finde ihn garnicht unsympathisch. was genau wirkt denn auf dich unsympathisch? vielleicht ist es ja ansichtssache, aber unsympathisch sollte er nicht erscheinen. würd mich interessieren, was dich auf den gedanken brachte.

lg, michael

 

du weist ständig daraufhin, wie ungepflegt er ist, das ist auch okay, dsenn er ist bestimmt fix und fertig mit der Welt, aber als er sich zu dem Lehrer beugt und du den stinkenden Atem erwähnst, da dachte ich, das ist mir zu viel.

 

hm, an dem stinkenden atem hat sich schon jemand gestoßen. vielleicht nehme ich es raus, denn meine sympathie zum prot sollte dadurch nicht ausversehen eingeschmälert werden.

lg, michael

 

Zwischen zwei gefährlich hervorstechenden Wangenknochen
In wiefern gefährlich? Ragen sie durch die Hau
gefährlich insofern, dass er dürr aussieht, gefährlich dürr.

 

dann stehen sie nur hervor, stechen aber nicht.

 

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