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Der taube Hort.
Er tauchte so plötzlich auf wie ein verschwommener Scheinwerfer im nächtlichen Nebel.
Irgendwo fernab hinter den hohen Bäumen der Allee, eine unscheinbare schwarze Gestalt die mit hinkenden Schritten, von einer Seite zur anderen wiegend wie ein Seekranker, wie eine einsame Laterne die im Wind schwingt.
Der Junge konnte ihn nur unscharf ausmachen, mußte seine Augen so weit zusammenkneifen bis schon Nebelschwaden zwischen seinen Lidern zuckten dicht und undurchdringlich wie der Nebel selbst der ihn umhüllte, der die gesamte Stadt einlullte, eine bauschige, graue Decke die sich geschmeidig an die Häuserdächer schmiegte und beobachtete was zwischen ihnen vorging.
Was verbarg das Grau?
Welch dunkle Gestalt verbarg sich in seinem Schatten?
Der Junge setzte weiterhin maschinell einen Fuß vor den anderen, fuhr wie von selbst durch den Nebel der Stadt, den Kopf gesengt, die Hände vor der Kälte vergraben.
Ein zweiter Schatten wuchs neben dem fernen Mann, ließ sein Schwarz durch die Schwaden gleiten und gesellte sich dazu, ein etwas kleinerer, unscheinbarer Schemen der sich schnurgerade durch den Nebel zwängte und mit ruhiger Bahn neben den regelmäßigen Schwenkern seinen Weg fortsetzte den er im Nichts begonnen hatte.
Dem Jungen rieselte eine Gänsehaut den Rücken hinunter als er den Kopf hob.
Durch enge Schlitze stierte er den beiden Schatten entgegen, versuchte eine kleine Unregelmäßigkeit in ihrem Schwarz auszumachen, etwas anderes als das gleichmäßige Schlenkern und den ruhigen Punkt daneben.
Langsam aber sicher wuchsen die Punkte an, nicht nur in Größe, auch gröbere Einzelheiten wurden langsam sichtbar.
Es war ein Mann in schwarzen Mantel gehüllt, seine bleiche Haut hob sich kaum von der Farbe des Nebels ab, schien mit ihm zu verschmelzen und seine Augen standen scheinbar frei schwebend in der Luft.
Langsam tauchten Gesichtszüge hinter den Nebelschwaden hervor, ein alter Mann stand vor ihm, mit eingefallenen Wangen, einem schwarzen Schlapphut und einem wehenden schwarzen Mantel der sich mit jedem Windstoß aufbauschte wie ein Segel im Wind.
Knapp hinter ihm pfiff ein keuchender Atem durch den Nebel, benagelte Pfoten die über den Asphalt klapperten.
Doch daneben standen unscheinbare, wispernde Geräusche die sich verzerrt an den Ohren des Jungen mengten, dumpf und heißer als hätten sie sich jeden Zentimeter durch den dichten Nebel hart erkämpfen müssen, wie ein Schwarm Fliegen die sich durch zähen Honig zerren müssen und im Angesicht der hoffnungslosen Anstrengung wehklagend vor sich hin summten.
Doch diese Geräusch ähnelte vielmehr einer Handvoll Nägel die langsam über Glas kratzten wenn doch etwas menschliches darin lag, etwas rationales das dem Klang einer menschlichen Stimme glich oder eher einem ganzen Chor halbtoter Sänger deren Hälser vom Kehlkopfkrebs zerfressen waren.
Keuchend tapste die Kreatur die hinter dem alten Mann hergegangen war hinter dem Fremden hervor, rasselnd, mit einem Atem aus dem Krankheit sprach.
Und als das Tier schließlich von Nebel entblößt vor ihm stand, trafen sich ihre Blicke und entfachten ein unsichtbares Feuer in der feuchten Luft.
Die Augen des schwarzen Hundes schienen hervorzutreten, förmlich in ihren Höhlen zu explodieren, ausbrechen zu wollen vor glühender Gier, der winselnde Chor der bis jetzt nur aus dem Hintergrund leise vor sich hin flüsterte, stieg plötzlich und mit einem Mal wie ein Messerstich hervor, unmenschliches Geschrei unbekannter Stimmen kreischte durch die Luft, zerpeitschte die kühle Stille.
Und neben all diesem akustischen Wirrwarr stand unberührter als ein Berg der alte Mann und stierte in den Nebel als suche er nach irgendetwas.
Der Hund fletschte seine Zähne und weitere Fragmente des säuselnden Chores klagten zwischen seinen Zähnen hervor, glasige Augen saßen darüber und leuchteten dem Jungen mordlüsternd entgegen.
Hoch darüber hing der knochige Kopf des Mannes und drehte sich langsam dem Boden entgegen, fleischige Poren schienen aus ihren Fugen zu geraten und bewegten sich taumelnd im Rhythmus der wimmernden Totenklänge.
Das schlaffe Fleisch um seine Wangen dehnte sich um ein bösartiges Totengrinsen und der Junge stellte mit zitterndem Entsetzen das langsam und sauer in ihm hochstieg fest, dass seine Augenbrauen wie die Augen darunter fehlten und nackte Löcher unter der Stirn des Fremden klafften.
Faulige Zähne ragten wie Grabsteine aus verrottetem Zahnfleisch und modriger Geruch von Verwesung sickerte durch den dichten Nebel.
Es war der Geruch von löchrigen Pestleichen die in längst vergessenen Gruften und Gruben ihre Körpersäfte den kriechendem Getier zur Nahrung preisgaben.
Der Mann öffnete seine zerfressenen Lippen und mit einem Mal schwoll der säuselnde Chor an und peitschte dem Jungen entgegen, heulender Wind stieß ihm entgegen, er hielt seinen Ärmel schützend vor sein Gesicht, doch die dünnen Arme des kleinen Sturmes huschten durch jede Lücke, Zähne wie von hunderten winzigen Nagetieren schienen alles zu zerkratzen und zu zerkauen was sie erreichen konnten.
Der Junge ächzte, vergrub sich von dem fliegenden Schmerz, hielt sich die Ohren zu vor dem schrecklichen Gesang, der jetzt heimtückisch und triumphierend klang.
Er wurde zu einem winselnden gequälten Knäuel das auf der Straße kauerte, ein Haufen zitternden Stoffes.
Es schien als hätte der Junge keine Beine, keine Gliedmassen, so sehr verkroch er sich in sich selbst, Blut sickerte an unbekannten Stellen aus dem Stoff hervor und wurde sofort vom Wind fortgetragen, rötlich fuchtelten Schlieren durch den Nebel, wie der Saft den sein Schmerz hervorbrachte, so verloren sich die Schreie des Jungen im Wind.
Scheinbar fern konnte er zwei Gestalten auf sich zukommen, die grauen Wände lichteten sich und er konnte seine Eltern Arm im Arm als strahlende Helden auf ihn zulaufen sehen.
Seine Kehle brannte erneut als er sie anschrie, sie sollten ihm helfen, sollten all die unbekannten Gefahren die über ihn hereingebrochen waren vertreiben, doch es war vergebens.
Sein eigen Fleisch und Blut, der Hort von Zuneigung und Schutz wanderte unbesonnen und plaudernd an ihm vorbei.
Sie sahen weder auf den Boden, noch beeindruckte sie die faulige schwarze Gestalt und der grausige Chor.
Weiter nagte der Sturm als sie langsam verschwanden.
Verschwommen und fern lachte der Mann.
Er schien versuchen zu sprechen, doch alles was hervorkam war ein gurgelndes Röcheln und Krächzen, als sich das Fleisch von den jungen Knochen löste, die Haut zerfetzt vom Wind zerrieben wurde, und nichts übrigblieb unter dem Haufen Stoff, der eben noch Leben enthalten hatte.
Die Schreie waren kaum verstummt als alles lebendige aus ihm verschwand und der Wind erstarb.
Das Säuseln flüsterte wieder um den Kopf des alten Mannes, und wenn man genau hinhörte, konnte man die Stimme des kleinen Jungen vernehmen.