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Der Tod zu Weihnachten
Sie hatte es, wenn schon nicht gewusst, aber doch geahnt, dass es heute Nacht passieren würde, in dieser Nacht der Geburt und Veränderung, die nun also zu einer Nacht des Todes wurde, in der er, ihr über Alles geliebter Seelenverwandter und Beschützer, ihr Herzensgemahl und Herzensmotor, nun endlich die Reise aller Reisen antreten würde, die Metamorphosis absoluta, allein und hinausgestossen ins Unendliche, ins Überendliche aller Daseinsformen, die Reise, die ihr noch bevorstand, diese letzte aller Expeditionen, sie war nun Wirklichkeit für ihn geworden, und er hatte sie vorausgesehen, aber nicht so, wie sie jeder voraussehen könnte, da sie als Geburtsmal in unsere Seele eingebrannt ist, sondern er hatte sie fühlend gewusst, wissend gefühlt, bereitwillig empfangen und letztendlich vorangetrieben, weise und fest entschlossen hat er die letzten Schritte der Vorbereitung gesetzt und befohlen, hatte sie zu sich ans Bett gerufen und ihr die Lebensbeichte gewährt, nicht dem Priester, sondern ihr, die von allen irdischen Wesen, die seine war, die Gefährtin vor Gott, die und nur die das Recht auf Wahrheit, seine Wahrheit, hatte und hatte alles, was noch gesagt werden musste, gesagt und offenbart, keine Frage blieb unbeantwortet, sodass die Vergebung die seine wurde, die, die ihm Kraft für seinen weiteren Weg geben sollte, und sie hatte vergeben, obwohl es nichts zu vergeben gab, aber sie erfüllte ihm diesen letzten Wunsch, diese irdische Abbitte, die ihm offensichtlich auf der Seele lastete, und er gab ihr dafür den letzten Rest seines Herzens, einen Rest, den sie zwar verdient, aber eigentlich nicht gewollt hatte, aber sie nahm den Rest und nahm ihm alles ab, was für ihn auf dieser ihm bevorstehenden Reise nur beschwerlich wäre, und er musste doch leicht, federleicht wie das atomare Nichts sein, um dorthin zu gelangen, wo es ihm von Anfang an bestimmt war, wo er auch hingehörte, wo er, und nur er allein, sein musste, um sein Schicksal nun endlich zu erfüllen, und sie nahm ihm daher alles ab, was sie nehmen konnte, aber es wurde ihr schwer dabei, sowohl ums Herzen als auch auf der Seele, denn der Abschied fällt den irdisch Verhafteten, den irdisch Liebenden nicht leicht, sondern ist wie der Anker schwer und in die Tiefe hinabziehend, aber sie gehorchte, und sie tat noch mehr und rief ihre Kinder, seine Saat herbei, um auch ihnen die Möglichkeit des Abschiedes zu gewähren, um auch ihnen einen Teil seiner Schwere zu übertragen, damit der Vater die Letztreise vollends antreten konnte, und sie kamen sofort herbei, kamen bereitwillig, als ob sie es vorausgeahnt hätten und nahmen die ihnen zugedachten Herzensteile des Vaters entgegen, und auch sie gaben ihm, ihrem Erzeuger und Erzieher, die ihm gebührende Hochachtung und gewährten ihm auf seinen Wunsch hin die Abbitte, die sie, im Gegensatz zu ihr, nicht verstanden, aber sie erahnten wohl den Sinn und daher leisteten sie vorab, was auch deren Spross ihnen hoffentlich einmal vorableisten wird, und nachdem sie die Pflicht erfüllt, ließen sie den Vater die letzten Vorbereitungen alleine treffen und nur noch einmal wurde dieser gestört, durch den Arzt, der nun doch nichts mehr machen konnte, als zu gewähren und aufzugeben, denn diesen Kampf konnte auch er nicht mehr gewinnen, denn es gab ja nichts zu verlieren, sodass dieser den Aufbrechenden bald auch wieder verließ, damit die Reisevorbereitungen in Ruhe durchgeführt werden konnten, und so nahm es seinen Lauf, diese Abfolge von Momenten, nahm einen Anlauf, um dem entgegen zu springen, von dem alles abstammt, von dem alles seinen Ursprung nimmt und zu dem alles wieder wird, und so ließ er es geschehen, lächelte noch einmal, warf die Träne als letztes Gewicht von Bord, ihr entgegen, winkte schwach, versuchte sie nochmals zu fassen, verfehlte und glitt hinweg