Was ist neu

Der Tunichtgut vom Grindelwald

Mitglied
Beitritt
30.04.2009
Beiträge
12
Zuletzt bearbeitet:

Der Tunichtgut vom Grindelwald

Vor Zeiten lebte, tief im Grindelwald, ein rechter Tunichtgut.

Holz und Reisig waren knapp, der Winter jedoch bitter, und als die Beeren aufgebraucht, der Nüsse nur noch wenige, trat seine Frau, gebeugt und gram, des Abends in die Hütt' und sprach: "Ach!", womit diese Episode ihren Abschluss gefunden haben soll, zumal sich die Ereignisse andernorts förmlich überschlugen.

Sören Hagedorn-Wolff, zum Beispiel, war ein gemachter Mann.

Seit er vor zwei Jahren Eisen Wolff übernommen hatte, sprühte er nur so vor Ideen - durch die Einführung der von ihm im Alleingang entwickelten polierten Vollgusszwicke, die sich als echter Verkaufsschlager erwies, da sie anderen Zwicken gegenüber den Vorteil besaß, poliert und aus einem Guss zu sein, waren die Gewinne in siebenstellige Bereiche vorgedrungen. Er besaß eine Jugendstilvilla bei Hannover, fuhr einen Aston Martin und aß gern fränkische Spezialitäten.

Aufgrund einer Raum-Zeit-Anomalie wachte er eines Morgens in dem kleinen Örtchen Birnbach des Jahres 1508 auf, was er, im Gegensatz zum auktorialen Erzähler, natürlich nicht wusste, (aus seiner Sicht hätte er sich auch im Freilichtmuseum Molfsee befinden können, obwohl er dieses noch nie gesehen hatte, aber dasselbe traf selbstverständlich und erst recht auf das kleine Örtchen Birnbach des Jahres 1508 zu).

Nun verhielt es sich mit der erwähnten Raum-Zeit-Anomalie so, dass sie eine von der besonders tückischen Sorte war, man könnte auch von einer unerhörten Raum-Zeit-Anomalie sprechen, denn sie versetzte SHW nicht nur an einen anderen Ort und in eine andere Zeit sondern gar in eine andere Zeitlinie, was zur Folge hatte, dass er sich zwar im Örtchen Birnbach des Jahres 1508 befand, jedoch in einem Örtchen Birnbach des Jahres 1508, in welchem elektrische Bohrmaschinen bereits ebenso zur Grundausstattung eines gut organisierten Haushaltes gehörten wie Fernbedienungen für High End Receiver, wobei Letztgenannte interessanterweise noch unbekannt waren. Darüber hinaus war Neuseeland bereits entdeckt und ein beliebtes Urlaubsziel für den solventen Reisenden.

SHW erlebte Tage der Verzweiflung, an denen er ziellos durch unbekannte Wiesen und Wälder, wie etwa den Grindelwald, jaha, lieber Leser, so schließt sich der Kreis, was, oder, jaha, Scheiße, alter Nörgler, es haut nämlich doch hin, irgendwie, wie, streifte, Hunger und Durst litt und sich nach einer gewissen Jungfer Lise sehnte, die ihm, kurz nach seiner Ankunft, einen Laib Brot und ein Krüglein Ziegenmilch gereicht hatte, um dann spurlos aus dieser Geschichte zu verschwinden. Vor einem Wirtshaus namens "Die goldene Amsel" machte er Halt und lauschte dem Stimmengewirr, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde und zwei junge Burschen ausspie, die sich eifrig händelten. Während der eine mit einer elektrischen Bohrmaschine, deren Netzstecker nutzlos durch die Gegend baumelte, auf den anderen einzustechen versuchte, schlug dieser mit einer High End Receiver-Fernbedienung nach jenem, und zwar unter den wüstesten Beschimpfungen, wobei "Nimm das, Schurke!" noch zu den harmloseren zählte. SHW sprang flink aus der Reichweite der Raufbolde, doch wurde er, noch im Sprunge, von einem Gegenstand am Kopf getroffen und mit unwiderstehlicher Macht von den Beinen geholt. Reflexartig griff er nach dem Geschoss, bekam es zu fassen und betrachtete es ungläubig: Es war ein Apfel, rot und grün, auf dem ein kleines Schildlein mit der Aufschrift "Braeburn New Zealand" klebte.

Dann schwanden ihm die Sinne.

Während seiner Ohnmacht machte die Raum-Zeit-Anomalie wieder auf sich aufmerksam, und zwar dergestalt, dass SHW in sein Bett in der Jugendstilvilla bei Hannover zurückversetzt wurde - unserer Tage, es war früher Nachmittag -, und nach einigen Minuten verwirrt aufwachte.

"Was für ein beschissener Traum", knurrte er, drehte sich kopfschüttelnd zur Seite und ging, soweit möglich, in Gedanken die jüngsten Bilanzen durch.

Wir jedoch, die wir nun Einblick haben in die wahren Begebenheiten, atmen tief und bedächtig, und unser wissendes Lächeln wird zart umspült von Melancholie und dem Schauder der Ehrfurcht vor den Dimensionen.

 

Hey Blechfuchs,

das ist grober Unfug, aber es ist wunderhübsch. Den Schlußsatz würde ich sofort heiraten, wenn er im Cadillac durch die Wand gefahren käme. Er ist die perfekte Verschwendung: Verschwenderisch aus dem Vollen geschöpft und lässig an diese Geschichte verschwendet. Sowas geht mir ans Herz.

Lieben Gruß!
Makita.

 

Hallo Blechfuchs,

hat was, irgendwie.Vollkommen sinnentleert, dafür aber in angenehmer Sprache verpackt. Dazu herrlich absurd, sodass man Freude beim Aufnehmen deiner Ideen empfinden kann. Und das Ende, das könnte man glatt als rund bezeichnen.
Insgesamt für mich zu richtungslos und daher ein wenig verschenkt, aber ich habe mich für den Augenblick gut unterhalten gefühlt.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Blechfuchs,

das ist herrlich! Besser als Monty Python. Science Fiction ist es kaum, obwohl zweimal das Wort "Raum-Zeit-Anomalie" vorkommt. ;)

absolute Lieblingsstelle:

Vor einem Wirtshaus namens "Die goldene Amsel" machte er Halt und lauschte dem Stimmengewirr, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde und zwei junge Burschen ausspie, die sich eifrig händelten. Während der eine mit einer elektrischen Bohrmaschine, deren Netzstecker nutzlos durch die Gegend baumelte, auf den anderen einzustechen versuchte, schlug dieser mit einer High End Receiver-Fernbedienung nach jenem, und zwar unter den wüstesten Beschimpfungen, wobei "Nimm das, Schurke!" noch zu den harmloseren zählt.

Ein Gleichnis für unsere Zeit. :)

Freundliche Grüße,

Berg

 

Salü Blechfuchs,

nun denn, also! Als durchaus wohlfeil und artig möcht ich Dein Geschichtlein loben, wenngleich ich mit einigem Bedauern der verschwindenden Jungfer nachtrauere, die doch eine nicht ganz unwesentliche, sozial bedeutungsvolle Handlung vollführt. Jedoch beuge ich mich geflissentlich der Entscheidung des Erzählers und überantworte mich dem Geschenk der schauerlichen Ehrfurcht in die Dimensionen seiner und somit auch Deiner auktorialen Phantasien. Wobei ich nicht verhehlen möchte, dass die Achse Grindelwald/Hannover mir zusätzlich Vergnügen bereitete.

Mit wohllöblichen Grüszen,
Gisanne

 
Zuletzt bearbeitet:

>"Nimm das, Schurke!"<,

wie kann er nur solch' Fischart(iges) schreiben,

unerhört,

gleichwohl

grüß Dich, Blechfuchs, und willkommen hierselbst!

Schon die Einleitung wollte mich halten, bis ich mit einem "Och" mich durchboxte & mit den Augen fortfuhr: romantische Ironie pur, dass der Schädel lacht und das Herzchen springt ...

Dem Tunichtgut vom Grindelwald ein gepflegter Gruß vom sinnfreien Taugenichts & dem Friedrich Richter,

hab's Lesen nicht bayreuth.

Gruß

Friedel

 

Freut mich, wenn's gefällt.
Vielen Dank für's Wohlwollen und Gruß in die Runde.

B.

 

Hallo Blechfuchs!

Ich bin großer Fan dieser Geschichte und weiß jetzt schon, sie ist eine der wenigen hier, die ich immer wieder gern lesen würde/werde! Der absurde Inhalt ist das Eine, das mir Spaß macht, aber am meisten ist es das Spiel mit der Form, das Brechen von Tabus und natürlich der gute Schreibstil. Willkommen!

Gruß
Kasimir

 

Moin,

"das ist grober Unfug" - womit Makita recht hat, meines Wissens nach sollte das dem Autor jedoch egal sein, da "grober Unfug" schon länger keinen Straftatbestand mehr darstellt. Ein sehr schöner Text.

Gestolpert bin ich nur über die "plötzlich" aufgestoßene Wirtshaustür. Ist eine Tür, die ich nicht selber aufstoße, nicht immer plötzlich aufgestoßen? Andererseits wirkt der Satz ohne "plötzlich" nicht ganz vollständig. Einen Kaffee und ein wenig Grübelei für mich. Schön.

Vielen Dank für dieses kleine Juwel.

Snord

 

Hallo Blechfuchs,

als ich den Titel zu Deiner Geschichte das erste Mal gelesen habe, dachte ich "was ist denn das für'n Quatsch?". Das hat sich nach dem Lesen auch bestätigt, aber nicht unbedingt negativ. Einen Sinn konnte ich zwar nicht wirklich erkennen, aber das Lesen war durchaus mit einem gewissen Vergnügen verknüpft, auch wenn ich mich nicht in der Lage sehe, in Worte zu fassen, worin dieses Vergnügen genau besteht. Aber ich denke, dass es Dir darauf auch nicht ankommt, der Unterhaltungswert zählt allemal.

Deshalb gerne gelesen.

LG
Giraffe :)

 

Besten Dank auch an Kasimir (auch für die Empfehlung), snord und Giraffe.

Ist eine Tür, die ich nicht selber aufstoße, nicht immer plötzlich aufgestoßen?

Ich denke, das "plötzlich" ist verzichtbar, aber dem Sprachfluss zuliebe würde ich es nur ungern rausschmeißen. Im Nachhinein bereiten mir an dem Satz "…als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde und zwei junge Burschen ausspie …" eher die Burschen Kopfzerbrechen, die von der Tür ausgespieen werden. Schiefes Bild, das so wahrscheinlich nicht hinhaut.

Noch ein Gruß in die Runde,

B.

 

Hallo Blechfuchs,

wahrlich, kurzweiliger Nonsens, eine Ausstellung wilder und wirrer Ideen un eines Knäuels an roten Fäden und nicht genutzter Spannungsbögen. Hat Spaß gemacht, ich mag solchen Wirrsinn ja zugebenermaßen gerne, solange er interessant oder gut geschrieben oder wenigstens ausgereift ist.
Was auf diesen Text zutrifft, insofern hat's mir gefallen.

Textkram :

Sören Hagedorn-Wolff, z. B., war ein gemachter Mann.
zum Beispiel, soviel Zeit muss sein
wobei "Nimm das, Schurke!" noch zu den harmloseren zählt.
zählte, oder, um in der Sprachmelodie des Textes zu bleiben : zu zählen wäre
Während seiner Ohnmacht machte die Raum-Zeit-Anomalie wieder auf sich auf-merksam,
aufmerksam

Grüße
C. Seltsem

 

Nochmal drübergebügelt. Der Trennstrich war ein übersehenes Relikt aus der Word-Datei.

Danke, Herr Seltsem, und einen schönen Abend.

Gruß

B.

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom