Was ist neu

Der Tunnel

Mitglied
Beitritt
22.01.2002
Beiträge
342
Zuletzt bearbeitet:

Der Tunnel

Nach außen hin, für alle sichtbar, warst du stets das Stehaufmännchen. Jeder Tiefschlag, so schien es, hat dich ein kleines bisschen stärker gemacht.
Wer die Mauer jedoch wahr nahm, die du mühsam um dich gebaut hast, konnte erkennen, dass es doch nur eine brüchige Fassade war hinter der du versuchtest dich zu verstecken.
Jene Menschen die um dich gekämpft haben, hast du mit Füßen getreten. Und doch ließen sie dich niemals fallen.
Jeder, der dich geschlagen hat, war dein Freund. Der Schmerz gab dir das Gefühl noch am Leben zu sein. Und letztendlich suchtest du Zuflucht im Alkohol, um die Schmerzen überhaupt noch ertragen zu können.
Du warst Freundin, Lebensgefährtin, Schwester, Mutter und Tante. Für jeden stelltest du das dar, was gerade verlangt wurde. Dich selbst hast du dabei vergessen, weil du es allen recht machen wolltest. Und alles nur, um geliebt zu werden, um auf dich aufmerksam zu machen.
„Jeder der dich liebt oder gern hat, versucht auf dich und deine Probleme einzugehen. Und genau das ist es, was du nicht ertragen kannst“, sagte ich vor langer Zeit einmal zu dir. Deinen vernichtenden Blick habe ich bis heute nicht vergessen. Die Wahrheit konntest du noch nie ertragen, was du dadurch noch verdeutlichtest, indem du immer neue Lügen von dir gegeben hast.

Tag für Tag , Nacht für Nacht, stehst du mir gegenüber. Ich sehe deine Augen, die vor Lebensfreude nur so strahlen und doch deinen Kummer erahnen lassen, höre deine Worte, die nur Lügen beinhalten, und trotzdem die Wahrheit nicht verbergen können.
Du bist kein Stehaufmännchen mehr, wie du vielleicht noch immer von dir behauptest. Du bist am Ende. Am Ende des Tunnels, an dessen Ende ich schon seit langem auf dich warte.
Den Entzug in der Therapie hast du nur neun Tage lang durchgehalten. Ent-zug, wie falsch sich das in meinen Ohren anhört. End-Zug wäre wohl das passendere Wort, was auf dich zutrifft. Es ist der letzte Zug auf den du aufspringen konntest. Selbst wenn du nur den letzten Wagon erwischt hättest, den ganz am Ende der Reihe. Es wäre das Ticket in die Freiheit für dich gewesen.
Der Zug wäre durch den Tunnel gefahren, um dich in ein neues, besseres Leben zu bringen. Du hast die Chance nicht wahr genommen und balancierst nun waghalsig auf den Gleisen in die falsche Richtung.

Ich stehe am Ende des Tunnels, sehe in die Dunkelheit hinein, erkenne ein schwaches Licht am anderen Ende und warte auf dich. So, wie ich es schon die letzten zwei Jahre getan habe, nur um endlich ein Lebenszeichen von dir zu erhalten.

 

Hallo Lady,
ich habe über Deinen Text nachgedacht und überlegt, was ich darüber schreiben könnte.
Tausend Gedanken kommen und sie würden Seiten füllen. Ich denke, es liegt daran, daß ich in Teilen viele Menschen, die ich kenne, wiedererkannt habe und ein Bischen wohl auch mich selbst.
Sich der eigenen Situation zu stellen kostet Kraft und sie zu ändern oft noch mehr.
Wohl auch deshalb, weil Erkenntnis etwas mit Schmerz zu tun hat.

Sind nur so Gedanken, die mir zu Deiner Geschichte kamen. Eigentlich ja keine richtige Kritik.
Sie hat mir sehr gefallen, was Du ja wohl schon gemerkt hast.

Ein kleiner Fehler ist mir aufgefallen:
---------
Für jeden stelltest du das dar, war gerade verlangt wurde.
---------was.

Viele Grüße
Manfred

 

Guten Morgen!
Schöne, traurige Geschichte. Das Bild, das du herausbeschwörst, ist sehr gut, es sagt viel aus - der Tunnel und der/die Wartende.
Und obwohl mir eigentlich die "du"-Perspektive nicht so ganz gefiele - hier passt sie genau. Nun ja,

Schönes Wochenende wünscht
Marana

 

@Manfred: Danke für deinen Gedankengang zu meiner Geschichte. Es muß ja nicht immer eine "richtige Kritik" sein, wie du es so schön formuliert hast. Ich freu mich auch darüber, wenn mir jemand auf solch eine Art mitteilt wie er die Story fand.
Habe den kleinen Fehler beseitigt, den du gefunden hast.

@Marana: Es freut mich, daß auch dir meine Geschichte gefallen hat, trotz der "du" -Perspektive.

Gruß
LoC

 

Was mir an Deiner Geschichte besonders gut gefällt ist, dass da jemand auf sie wartet. Immer noch. Und voller Hoffnung für die im Tunnel feststeckende ist. Sie kann sich sicher sein, sollte sie jemals auf den Zug aufspringen uns nach draussen gelangen, wird sie nicht alleine sein. Das ist mehr, als die meisten Menschen haben.

 

Hallo L.o.C.
Mir fiel noch ein kleiner Fehler auf. Waggon schreibt sich mit zwei "g".
Ansonsten steckt viel wahres in dieser Beobachtung.
Gruß
Lord

 

@leonie: Danke fürs lesen und dein Kommentar dazu.

@Arion: Du hast schon recht mit dem Waggon. Allerdings hat mein Rechtschreibprogramm auf die neue Schreibweise reagiert, und somit schreibt man heutzutage Wagon mit einem *g*. Werde es also so stehen lassen wie es ist.
Trotzdem danke fürs aufmerksame lesen. ;-)

LoC

 

Guten Abend, Lady of Camster!

Ein sehr eindringlicher, zum Nachdenken anregender Text ist Dir gelungen. Kompliment!

Du warst Freundin, Lebensgefährtin, Schwester, Mutter und Tante.
Richtig. Auch Frauen können abstürzen. Eine unterschätzte Tatsache, die in Statistiken wenig Beachtung findet und oft genug zu Tragödien führt. Gute Bearbeitung!


Ciao
Antonia

 

Hallo Antonia

Danke für dein Lob.

Die Tatsache, daß Frauen ebenso wie Männer abstürzen können, ist bekannt.
Ich denke es ist häufiger der Fall, daß Männer in den Statisiken wegen ihres Alkoholproblems aufgezählt werden, weil es ein allgemeines Klischeedenken gibt. Ein Mann, der von einer Alkoholabhängigen Frau verprügelt wird, schämt sich eher dies zuzugeben.

Gruß
LoC

 

Hi Lady of Camster!
Was ist den ein Stehaufmännchen? Und was ist ein Ent-zug?
Diese Geschichte rührt einen richtig zu Tränen. Gut beschrieben ist sie auserdem auch.
Viele Liebe Grüße
Anaid (Schwester)

 

Hallo Schwester Anaid!
Oha, da hat jemand eine alte Geschichte von mir ausgegraben.

Wenn jemandem im Leben immer und immer wieder was Schlimmes passiert (ob durch eigenes oder fremdes Verschulden), und diese Person trotzdem nie aufgiebt und weiterkämpft, dann nennt man das unter anderem ein Stehaufmännchen.
Du kennst doch bestimmt die kegelförmigen Spielzeugfiguren. Wenn man sie umstösst dann richten sie sich immer wieder auf, weil sie von ihrer geometrischen Form her gar keine andere Wahl haben.

Ent-zug: Das ist eine Wortspielerei mit dem Bindestrich dazwischen. Das Ende schreibt man mit einem d. Was ein Zug ist weißt du ja.
Und das Wort Entzug bedeutet soviel wie, von etwas entwöhnt werden. Z.B. ein Alkoholiker macht einen Entzug, wenn er vom Alkohol wegkommen will. Oder auch jemand der raucht ist auf Entzug, wenn er damit aufhört.
Aus: das Ende des Zuges (also der letzte Waggon) wird demnach Entzug. Beides hat mit dem Ende von Etwas zu tun.

Lieben Gruß
LoC

 

Hallo Lady of Camster,

einen schön geschriebenen, mitreissenden Text hab ich da lesen dürfen!
Wie du dir vielleicht denken kannst, hab ich durchaus Freude an "du"-Texten, in in diesem Rahmen besonders!

Mir gefällt das Bild, das du zeichnest. Ist ja gewissermassen "typisch", aber du veranschaulichst es nochmal sehr eindringlich und mit schönen Worten ("End-Zug" mag ich gern! Ich hätte den ersten "Ent-zug" allerdings nicht getrennt, sondern gemeint, das wird ohnehin klar, aber das ist nur persönlicher Geschmack. ;) )!
Eine Sache, die mir erst als etwas unschlüssig ins Auge stach, sich dann aber zumindest inhaltlich schnell erklärt, ist diese hier:

Lady of Camster schrieb:
Jene Menschen die um dich gekämpft haben, hast du mit Füßen getreten. Und doch ließen sie dich niemals fallen.
Jeder, der dich geschlagen hat, war dein Freund.
Der Widerspruch ist mir zwar nach dem Zuendelesen klar als gewollt, aber vielleicht könntest du ja einen Parallelismus draus machen, oder irgendwie anders den Gegensatz klarer als gewollt heraustellen (Das "Und doch [...] gab für mich eine kleine Irritation, weil mir am Anfang zum Einordnen das Wissen fehlt - oder du läßt den Satz ganz weg, a) wird ohnehin schnell deutlich, daß die/der Erzählende ganz entschieden zu ihr hält/hielt, b) bricht der ein bißchen mit dem Nachsatz. Naja, im Zweifel ist natürlich auch das Geschmacksache ;) ).
Deinen vernichtenden Blick habe ich bis heute nicht vergessen. Die Wahrheit konntest du noch nie ertragen, was du dadurch noch verdeutlichtest, indem du immer neue Lügen von dir gegeben hast.
Schön!
Ich habe den Text gerne und gespannt gelesen, und ich finde, du hast gut formuliert, was viele kennen - sei es die Freundin, der Liebste, die Tante, .... , die/der sich nicht mehr retten lassen will und schließlich nicht mehr kann.

Danke für das Ende - ein bißchen Hoffnung bleibt! :)

Alles Liebe,
Ghost

 

Hallo Ghost

Erst mal vielen Dank für Deine Kritik. Ich rechne eigentlich gar nicht damit, dass zu älteren Geschichten überhaupt noch Kommentare/Rückmeldungen kommen. Um so mehr hab ich mich darüber gefreut.
Woher ich mir jedoch denken kann, dass du Freude an Texten aus der „du“ Perspektive hast, ist mir ein Rätsel. Bestimmt hab ich schon Kritiken (und eine Geschcihte auf jeden Fall) von dir gelesen, aber auf so was nicht geachtet. Ischt ja aber auch wurscht, denn es war interessant für mich, dass ich verschiedene Rückmeldungen zu dieser Schreibweise erhalte.

Ent-Zug hab ich absichtlich mit einem Bindestrich an dieser Stelle geschrieben. Für mich sollte zum Einen der klare Unterschied „End- und Ent-„verdeutlicht werden, zum Andern kann man es meiner Meinung nach dadurch viel besser betonen. Ließ doch mal laut beide Wörter, und betone ganz speziell jeweils nur die Silbe vor dem Bindestrich.
Beim schreiben hab ich mir vorgestellt, die Erzählerin (spielt auch keine Rolle ob man es als Erzähler sieht) sagt das etwas trotzig/angriffslustig/provozierend.
Deshalb lass ich es so stehen. Aber deine Meinung ist deshalb ja nicht verkehrt, da es eben, wie du so schön sagst „persönlicher Geschmack“ ist.

Jene Menschen die um dich gekämpft haben ........ Jeder, der dich geschlagen hat ....Ich hab mir Stelle nun nochmals einige male durchgelesen, ob oder wie ich es deiner Aussage zufolge ändern könnte.
Da ich es auf jeden Fall stehen lassen will vom Sinn her, ist mir keine andere Formulierung eingefallen, die letztendlich weiterhin zum gesamten Textbild passt.
Aber wieso meinst du, „er bricht mit dem Nachsatz“? Zuerst wird doch beschrieben, dass sie alle von sich stößt, die ihr helfen wollen. Aber alle haben zu ihr gehalten.
Und dann wird klar, dass sie nur die Menschen um sich wirklich akzeptiert, die nicht ständig auf sie einreden dass sie sich ändern soll.
Aber auch hier geht es tatsächlich eben um Geschmackssache.
Hat mich gefreut, dass dir meine Geschichte trotzdem gefallen hat.

In diesem Sinne
danke fürs lesen und die Kritik.

LG
LoC

 

Hallo Lady of Camster!

Schön, daß meine Kritik dich gefreut hat (wär aber auch zu schade um manche alte Geschichten, wenn sie vollends in der Versenkung verschwänden ;))

Lady of Camster schrieb:
Woher ich mir jedoch denken kann, dass du Freude an Texten aus der „du“ Perspektive hast, ist mir ein Rätsel.
*lach* Ich war wohl zu grössenwahnsinnig! Du hattest ne "du-Perpektive" von mir kommentiert, daher kam ich auf die Idee... ;)

@ Entzug oder Ent-Zug:

Beim schreiben hab ich mir vorgestellt, die Erzählerin (spielt auch keine Rolle ob man es als Erzähler sieht) sagt das etwas trotzig/angriffslustig/provozierend.
So leuchtet mir das völlig ein (war bloß selbst nicht auf die Idee gekommen *schaem*).
Aber wieso meinst du, „er bricht mit dem Nachsatz“? Zuerst wird doch beschrieben, dass sie alle von sich stößt, die ihr helfen wollen. Aber alle haben zu ihr gehalten.
Mhm, ich bin echt nicht die Göttin der klaren Aussagen, au weia. Also, für mein Empfinden wäre die Wirkung irgendwie größer, wenn beide Umstände (die, die sie von sich stößt vs. die, die sie halten wollen) in einen - vielleicht auch nur für mich klareren ;) - Gegensatz gesetzt würden, deshalb mein Vorschlag zum parallelen Satzbau.

Alles Liebe,
Ghost

 

Sapperlot noch mal. Ständig schreib ich Beiträge, und die verschinden dann im Datennirvana.
Also noch mal, in der Kurzvariante:

Du solltest dich ins Eck stellen und schämen, ganz richtig. Wie kannst du meine Aussagen in der Geschichte nur so falsch interpretieren? :D
Mal im Ernst: Mach Dir keine Gedanken darüber. Du hast es eben als Leser aus einer anderen Perspektive wahrgenommen. Deine Meinung darüber ist daher also nicht falsch.--> in Bezug auf "Ent-zug" und "End-zug!"

Mhm, ich bin echt nicht die Göttin der klaren Aussagen, au weia.
Tröste dich, ich auch nicht. Da haben wir was gemeinsam.

Nun möchte ich noch kurz erwähnen, daß ich mich über jede Rückmeldung freue. Die Geschichte jedoch werde ich nun nicht mehr ändern.
Ganz lieben Dank, Ghost, daß du mich noch auf ein paar Kleinigkeiten aufmerksam gemacht hast, die ich evtl. in anderen Geschichten als Hilfe verwenden kann.

LoC

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom