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Der ungarische Moment

Monster-WG
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10.09.2014
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Der ungarische Moment

„Hier, mein Freund, probier mal. Ganz was Feines, Geheimrezept. Egal, ob du keinen mehr hochkriegst, oder total besoffen warst, oder zu fett gegessen hast – die helfen bei jedem Problem.“ Er nimmt den grünen Kunststoffdeckel ab und lässt ein größeres Stück im seinem Rachen verschwinden. „Mann, könnt mich reinsetzen.“ Dann hält er mir das Glas unter die Nase.
In der trüben Lake von Knoblauch, Sauerteigbrot und Dill treiben Gurkenspalten. Zur abträglichen Optik gesellt sich ein stechender, säuerlicher Geruch.
„Nein, vielen Dank“, sage ich, „ein andermal vielleicht. Hab noch nicht gefrühstückt.“
„Nein, nein, gerade jetzt! Grad zum Frühstück schmecken die am besten!“
Eine schreckliche Vorstellung, dieses unappetitliche Zeug essen zu müssen.
„Nándor“, sag ich, „es geht wirklich nicht. Selbst wenn ich keinen mehr hochbekäme.“

Das geht seit zwanzig Jahren so. Damals übernahmen meine Frau und ich ein malerisches Anwesen am Dorfrand, allerdings in einem elenden Zustand. Um diesen verlotterten Laden wieder instandzusetzen, brauchte ich Hilfe. Zufällig lernte ich Nándor kennen. Er war wesentlich jünger als ich, freundlich und hilfsbereit. Anfangs brauchte ich ihn für Aufwendiges. Für Arbeiten mit der Motorsäge, für das Ausbessern von Treppen und gerissener Gewölbe. Und je mehr ich in die Jahre kam, desto öfter musste ich ihn um Hilfe bitten, nun auch für leichtere Arbeiten.

Jetzt, wiederum nach vielen Jahren, kommen sie zu zweit – Nándor und seine Frau Anouka. Die hilft im Haus, ich bin mit Nándor im Gelände. Nur letzten Monat gab es eine leichte Verstimmung. Ich konnte ihre Einladung nicht annehmen zum Geburtstag des ältesten Sohnes. Mit aller Höflichkeit erklärte ich, weswegen in Corona-Zeiten ein alter Knabe wie ich besonders vorsichtig sein sollte, zumal niemand Mundschutz trägt.

In Budapest, im Fernsehen, ja, da laufen alle ‚mit’ herum, so wie überall auf der Welt. Im Dorf begrüßt man sich weiterhin mit Handschlag und Umarmung. Mir ist das zu locker, auch weil Nándor kräftiger Raucher ist und immer schon mehr hustete als andere.
Anouka hat Verständnis für meine Situation, nur ihr Mann ist ein wenig beleidigt. Sein Sohn wird achtzehn, und ich komme nicht zum Feiern – wegen Corona! Mag sein, dass anderswo gefährliches Pflaster ist, aber doch nicht in Felsöösükösd! Jeden hier kennt er, und nicht einer hat Corona, Punkt.
Und ich kenne meinen Nándor, Punkt. Er wird sich die Hucke vollsaufen, schöne Lieder singen – ‚Komm mit nach Varasdin, solange noch die Rosen blüh’n’, alle küssen und auch mir um den Hals fallen.

Kein Bild. Fernbedienung, Kabel – alles okay. Aber die Satellitenschüssel! Die Nussbäume vorm Haus sind noch höher geworden, richtige Mammuts, großartig. Leider kein Signal, der Bildschirm bleibt schwarz.
Der Monteur kommt aus der Stadt, trägt Mundschutz, studiert die Lage und findet die Lösung. Er will die Schüssel auf die benachbarte Scheune versetzen, dort ist der Himmel frei. Nur allein kann er das nicht.
Es ist Freitagmittag, Pfingstwochenende. Überall schon Feierabend. Ob ich nicht jemanden wüsste?
Da muss ich nicht lange überlegen. Ich ruf ihn an. Werde auf Distanz achten, Mundschutz sowieso.

Nándor freut sich. „Na, da sehen wir uns doch, trotz der Pest“, sagt er. „Bin gleich da.“
Er kommt mit dem Rad, wie ein Schiff am Horizont zieht er eine bläuliche Fahne hinter sich her. Auf dem Gepäckträger hat er die Gurken vertäut, die hat er immer dabei. Er packt sie mit seinen Wurstfingern und kommt mit freundlichstem Gesicht auf mich zu, ich weiche entsetzt zurück. „Nee, nee, nee, mein Lieber“, wehre ich ihn ab, „bisschen Abstand müssen wir schon halten!“
Sein Gesicht wird frostig. „Dann eben nicht “, sagt er steif und fügt hinzu: „Guten Tag, der Herr.“
„Jetzt sei nicht so ein Kindskopf, ist doch nur zur Sicherheit, verdammt noch mal!“
„Selber Kindskopf, verdammt noch mal.“
Ich wechsle die Tonart und sage brav: „Liebster Nándor, alter Gauner, bitte hab Erbarmen und hilf mir in der Not.“
„Ich helfe gerne, aber dieses Mal solltest du die Gurken probieren! Ist nur zu deinem Besten.“
Er streckt sie mir entgegen, die Blechzange steckt im Glas.
„Nein, Nándor, bitte. Sei mir nicht bös, ich kann beim besten Willen nicht.“
Er schaut mich durchdringend an, wie ein Stabsarzt. „Woffang“, sagt er streng, „mit dir stimmt was nicht. So gutes Zeug kann man nicht einfach ablehnen. Das kann Leben retten! Besonders jetzt.“
Ich habe meinen bockigen Tag, sage: „Ein Atemschutz kann das besser“, doch Nándor winkt verächtlich ab. „Lumpen und Lappen“, sagt er, „was können die schon helfen? Das muss von innen kommen!“ Er hält das Gurkenglas vor die Brust und angelt für mich ein Stück heraus. Ich kneife die Augen zu und presse die Lippen zusammen, er hat’s wohl erwartet und verschlingt es selbst mit rollenden Augen.

Gott sei Dank kommt der Monteur mit ihm zurecht. Nándor holt die lange Leiter, verheddert sich in den Glyzinien und nimmt das Kabel beim Aufsteigen mit. Das zieht er durch die Einfluglöcher der Schwalben. Leider werden die von Jahr zu Jahr weniger, aber das ist ein anderes Thema.
Dass meine Gedanken vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen, passiert immer öfter. Doch vielleicht werde ich, ohne es zu wollen, zum Chronisten. Zu einem, der sich an die Sommer erinnert, als Dutzende Schwalben im rosa Abendlicht Flugkunststücke bei der Mückenjagd zum Besten gaben. Nur hatten wir keine Hand frei zum Applaudieren wegen Weinglas und Käsestrudel.

Unterdessen hat Nándor das Gebälk im Scheuneninnern erklommen und verschiebt die Schindel, um sich einen Durchschlupf aufs Dach zu verschaffen; der TV-Spezi ist mit dem Abmontieren der Schüssel beschäftigt. Plötzlich splittert es, etwas kracht. Nándor schreit wie am Spieß, immer lauter und knallt vor meinen Füßen auf Holzscheite und Kleinholz. „Oh, mein Gott, oh mein Gott!“
Ich versuche, ihn auf Heu und Stroh zu ziehen, der Kerl wiegt um die zwei Zentner. Das kostet Kraft. Ich reiße meinen Mundschutz vom Gesicht, weil die Luft knapp wird. Es ist mir egal.
Nándor wimmert, hustet und flucht gleichermaßen, ich hocke mich neben ihn, lege den Arm unter seinen Kopf und sag, dass es mir so leid tut, ich schuld an diesem Unglück sei, weil ich nicht bis Dienstag oder Mittwoch warten wollte mit der Scheißfernseherei, der gottverdammten. Ist sonst aber auch nix los in unserem Kaff.
„Ach“, sagt Nándor schwach, „du müsstest Enkel haben. Da hättest du Sehnsucht nach einem stillen Ort wie diesem. Übrigens ha...“ Er stöhnt und hält mir seine Hand hin: „Zieh mich mal bisschen hoch, da klemmt was.“
Während der Monteur dem Notarzt meine Adresse beschreibt, weil es in der Puszta keine Straßennamen gibt, versuche ich, Nándor aufzurichten. Da schreit er vor Schmerz auf.
„Was ist?“, frage ich erschrocken.
„Weiß nicht. Ich glaub, das hat sich wieder eingerenkt“. Er dreht sich zum Monteur: „Keinen Notarzt. Brauch ich nicht!“
Der schaut irritiert: „Eben waren Sie doch halbtot ...?“
„Ich versteh’s auch nicht“, sagt Nándor, „jetzt ist es weg.“ Dabei packt er mich an der Schulter und schaut mich herzig an: „Mein Freund hier hat unglaubliche Fähigkeiten.“

Das ist der ungarische Moment. Die Hirne werden umgeschaltet auf Gleichstrom. Eine Schnapsflasche erscheint mit drei Gläsern. Ich schenke ein. Auf die Gesundheit! Wunderbare Eintracht. Es gibt etwas kalten Braten dazu und Wein. Der Monteur sucht sich auf Nándors Drängen ein kleines Gurkenstück heraus, erinnert sich aber einer Flasche Aprikosenbrand, die er schon länger im Auto spazieren fährt, und die Montage wird auf morgen verschoben.
Gegen Mitternacht zeige ich ihm das Gastzimmer, Nándor versucht, aufs Fahrrad zu steigen und ich nicke im Fernsehsessel ein.

 

Hallo @josefelipe !

Deine kleine Ungarn-Geschichte habe ich gerne gelesen, eine schöne Geschichte. Aber schade, dass sie so kurz ist! Deine Figuren sind so "plastisch", eigentlich verdient Felsöösükösd und seine Bewohner eine längere Geschichte.

Ein paar Anmerkungen!

Anouka hat Verständnis für meine Situation, nur ihr Mann ist ein wenig beleidigt. Sein Sohn wird zwanzig, und ich komme nicht zum Feiern – wegen Corona! Mag sein, dass anderswo gefährliches Pflaster ist, aber doch nicht in Felsöösükösd! Jeden hier kennt er, und nicht einer hat Corona, Punkt.

Ich las das Tragen eines Mundschutzes und das Einhalten von Abstand in deiner Geschichte auch als eine Art "Trennmittel" zwischen dem weltabgewandten Felsöösükösd und der großen, weiten Welt, die (via Budapest) nach Felsöösükösd hineinstürzt. Dein Protagonist achtet die Regeln, dann gibt es die, die Verständnis zeigen (Anouka, ein sehr, sehr schöner Name :-) und die, die das Nicht-Umarmen als Beleidigung auffassen (Nándor). Das scheint mir eine Linie, um die sich deine Figuren gruppieren.

Die Wirkung deiner Geschichte hängt mMn stark vom Verhalten des Protagonists in der "Moment"-Szene ab. Ich habe mich beim Lesen mehrfach gefragt, warum es mir so plausibel erscheint, dass dein Prot den Mundschutz abnimmt und Nándor berührt. Aber, Plausibilität ist subjektiv, nimm es mal als Anmerkung an und nicht als "Gemecker" oder übertiefes Nach-Fehler-Bohren. Ich versuche es mal "aufzudröseln":

Erstens: Dein Protagonist hat Angst vor Corona. Er hält sich an die Abstandsregeln. Hätte er sehr große Angst, würde er seine Wohnung nicht mehr verlassen. Warum muss er an der Scheune sein? Nándor ist sein Freund, kann der das nicht mit dem Monteur selber regeln? Okay, dein Protagonist hat also weniger Angst. Je weniger Angst, desto leichter wird er aber den Mundschutz abnehmen.
Das schwächt mMn die dramaturgische Wirkung ab. Außerdem: Warum trägt dein Protagonist keine Handschuhe oder Plastiktüten um die Hände? Immerhin kommt ja ein fremder Monteur zu besuch ...

Zweitens: Nándor fällt. Ein Notarzt muss gerufen werden, dein Protagonist hat also eine subjektiv interpretierte Notfallsituation vor sich. Adrenalin, akuter Stress. Mir erscheint es logisch, dass er in dieser Stresssituation den Mundschutz abnimmt, vielleicht sogar vergisst. Da liegt ja sein Freund!

Aus meiner Sicht kann die "Moment-Szene" einfach länger sein. Aus dieser Szene schöpft deine schöne Geschichte ihre Kraft. Ah, die wundersame Zauberheilung, die Menschlichkeit, das ist der ungarische Moment! Übrigens, das Ende finde ich richtig gut, das hinterlässt ein wohliges Gefühl. Du beschreibst ja zu beginn die Weiden und die Birnbäume sehr atmosphärisch, warum nicht auch die Gliedmaßen? Verdrehtes linkes Bein ... (oder ist das albern? :-D)

Apropos ...

Ungarn!

Anfangs brauchte ich Nándor nur für Aufwendiges. Für Arbeiten mit der Motorsäge, wenn einer der knorrigen Birnbäume immer schwärzer und schütterer wurde, oder eine der Weiden, die unglaublich verdreht wachsen und schwierig zu zerlegen sind. Auch bei Trockenmauern, weil er einen Blick hat für jeden Steinbrocken und ihn an der richtigen Stelle einsetzt. Und je mehr ich in die Jahre kam, desto öfter musste ich ihn um Hilfe bitten, nun auch für leichtere Arbeiten.

Als ich deine Geschichte gelesen habe, fragte ich mich: Schön, aber sie könnte auch in Rehbach spielen. Rehbach ist ein kleines Dorf im südwestlichen Leipziger Stadtgebiet. Auch ein bisschen isoliert von der "Reststadt". Dorfanger, Imkerei, Buswendekreis, Corona? - Wir doch nicht. Oder sie spielt im ländlichen Polen. Oder sie spielt im ländlichen Rumänien. Vielleicht bin ich mit deiner Geschichte auch viel zu streng, aber ich fragte mich: Was ist das ungarische deiner kleinen Geschichte? Die Trockenmauern, die Namen? Vielleicht ist dir das aber auch nicht wichtig, der ungarische Moment konzentriert sich auf die Wunderheilung.

Lieber @josefelipe, das war jetzt viel zu viel Gemecker für deine kleine, melancholische Geschichte. Vielleicht kannst du etwas mit den Anmerkungen anfangen.

lg
kiroly

 

Hola @joycec,

meinen Dank für Deinen Post. Du findest immer liebe Worte, um einen alten Herren aufzuheitern – und solange das funktioniert, besteht kein Anlass für ein griesgrämiges Gesicht (meinerseits).

joycec schrieb:
Da die Flusenlese schon hinreichend erfolgt ist, muss ich mich auch nicht unbeliebt machen.

Muss mich das nachdenklich machen? Ich tue doch immer so, als ob ich erfreut wäre und es schätzte, wenn man mir Mängel im Text nachweist. Hier, z. B.:
Übrigens ha ...“
Kann mir nicht vorstellen, dass ich auf den berechtigten Hinweis auf eine Leerstelle ohne Existenzberechtigung unwirsch reagieren könnte. Ich meine, das ist zwar so verdammt kleinlich bis zum Gehtnichtmehr, aber trotzdem kann ich mich ja korrekt bedanken, oder? Möchte doch auch dazugehören:
Und jetzt ahne ich, was du mit "liebenswerten Männern" meinst.
Wir sind liebenswert – da gibt es gar keine Diskussion! Obwohl: Ein bisschen Verschnitt ist immer:D.
Gern gelesen. Das Pulver scheint ja noch zu zünden.

Ja – noch. Hab den letzten Rest jetzt umgefüllt in eine Kaffeedose aus der Raumfahrt. Total hermetisch, da hält es sich noch paar Wochen.

Liebe joycec, trotz möglicher koronöser Imponderabilien wünsche ich Dir schöne Sommertage!

José

 

... Chuzpe des Balkans, der exsowjetdominierten (Isegrims:schiel:) ländlichen Gegenden, dem starken Gemeinschaftssinn als Korrektiv zu dem Wahnsinn der Städte. (Na ja so ähnlich).

Schon sind wir bei den im WC versteckten amerikanischen Dollars Deines sowjetischen Generals. Das macht ja total Sinn! Trotzdem ist das ein heilloses Durcheinander auf der Welt!


Hola @Isegrims,

unangefochten vom Chaos um uns herum verweilen wir in Ungarn, jedoch auch hier nix Optimales:

Isegrims schrieb:
Was du mit dem Stoff anstellst, finde ich in derzeitigem Textzustand noch nicht rund.
Ich wusste es!

Isegrims schrieb:
Da fehlt's mMn auch an sprachlichem Schliff.
Ich bin geknickt. Wie allerdings miserabler Textzustand und fehlender sprachlicher Schliff zu dieser Deiner Bewertung führen können, ist mir ein ganz großes Rätsel:
Gerade weil die Figuren so lebendig und prall und ehrlich wirken.

Doch leider hat Schönheit keinen Bestand, und Charaktere ändern sich.
Isegrims schrieb:
wirklich?
Wenn Du mich so fragst, komme ich zuerst ans Grübeln und dann weiß ich’s:
Es ist umgekehrt! Charaktere haben (wenn keine großen Summen geboten werden) Bestand, doch Schönheit ändert sich – meine Herz-Dame ist seit Jahrzehnten schön, jetzt in der Schönheit des Alters.

unter Mammuts verstehe ich Urelefanten
Ich dachte eher an Kalifornien – korrekt ausgeschrieben Mammutbäume.

das Ende finde ich gelungen, schönes Bild
So soll es sein! Wenn’s harmoniert, nach anfänglichen Hakeleien, gibt’s einen ungarischen Moment. Nur bitte keinen Zirben:xxlmad:!

Lieber Isegrims, meide die Coronösen, auf dass wir noch lange miteinander hakeln können! Und Dankeschön für Deinen Besuch.

José

 

Hallo @josefelipe,

Werde mich mehr aufs Lesen und Kommentieren verlegen und das Schreiben Leuten mit Power überlassen.

Leuten mit Power ... Na hör mal. Ich frag mich, was da in dir vorgeht. Willst du mehr Kommentare unter deinen Geschichten sehen, mehr Beifall? Dabei bist du doch einer, dem Bauchstreichelei gegen den Strich geht. Aber gut anfühlen tut sich das trotzdem, oder, besser als Kritik, auch wenn die mehr hilft, das wissen wir beide, aber man ist ja ein Genießer ... Jedenfalls, lass dir das mal gesagt sein, meine gute Oma ist ziemlich genau so alt wie du, und wie sehr wünschte ich mir bei der manchmal das Feuer zu verspüren, das du hier teilweise verspuckst - na ja, in Teilen. Wenn ich deine Geschichten lese, habe ich definitiv nicht den Eindruck, dass dir die Power flöten gegangen ist, ich finde es bewunderns- und erstrebenswert, dass du das immer noch so wie nebenbei erscheinen lässt, den anderen Jungspunden :D hier zeigst, wie unverkrampftes - zumindest wirkt es so - Erzählen funktioniert. Erzählen, um zu erzählen, nicht um zu gefallen, so was ähnliches hast du unter meine Geschichte geschrieben, und bitte nimm dir das zu Herzen und belaste deinen Kopf nicht mit Ich-bin-nicht-mehr-gut-genug-Gedanken. Du kannst immer noch besser werden, ja, aber das mit dem Ruhestand vergiss mal wieder.

Ach ja, die Geschichte.

Mit aller Höflichkeit erklärte ich, weswegen in Corona-Zeiten ein alter Knabe wie ich besonders vorsichtig sein sollte, zumal niemand Mundschutz trägt.
In Budapest, im Fernsehen, ja, da laufen alle ‚mit’ herum, so wie überall auf der Welt. Doch im Dorf begrüßt man sich weiterhin mit Handschlag und Umarmung.
Mir ist das zu locker, zumal mein lieber Nándor kräftiger Raucher ist und immer schon mehr hustete als andere.

Das kriegst du bestimmt geregelt.

Hilfe! Jetzt will er mich doch umarmen, leider steh ich schon mit dem Rücken zur Wand. Ich tauche unter seinen Armen hinweg und bringe mich in Sicherheit.

Der Nándor ist aber auch echt schwer von Begriff. Herz größer als Hirn.

Leider werden die von Jahr zu Jahr weniger, aber das ist ein anderes Thema.

Wie praktisch, gleich mal eine Vorschau auf die nächste Geschichte eingeflochten. Freu mich drauf.

Dass meine Gedanken vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen, passiert immer öfter. Doch vielleicht werde ich, ohne es zu wollen, zum Chronisten. Zu einem, der sich an die Sommer erinnert, als Dutzende Schwalben im rosa Abendlicht Flugkunststücke bei der Mückenjagd zum Besten gaben. Nur hatten wir keine Hand frei zum Applaudieren wegen Weinglas und Käsestrudel.

Super.

mit der Scheißfernseherei, der gottverdammten. Ist sonst aber auch nix los in unserem Kaff.

:D

Ja, hat mir sehr gut gefallen, der kurze Ausflug, amüsant, aktuell, ohne Zeigefinger - Gott sei Dank. Hat mich aber nicht vom Hocker gerissen, du bist also gescheitert, wenn das dein alleiniger Anspruch ist.
Wenn du aber damit einverstanden bist, dass das nicht sein muss, das nicht jedes Werk epochal sein muss, dass manch einem eine sanfte Brise besser gefällt als ein Tornado, dann kannst du zufrieden sein. Danke dafür!

Bas

 

Hola @linktofink,

Du hast meine Geschichte noch einmal gelesen und dann auch noch die Zeit aufgebracht, mir zu schreiben. Dafür meinen herzlichen Dank.

Es wäre nun meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, wenigstens einige Deiner Vorschläge in die Tat umzusetzen. Lass gucken, was da wäre:

... die Geschichte würde auch ganz ohne die beiden ersten Absätze funktionieren.
Ja, das könnte sie wohl. Ich müsste allerdings befürchten, dass der kurze Text noch kürzer wird – und dabei hab ich schon wie ein Weltmeister gekürzt.

Überhaupt fand ich ja, die Geschichte könnte etwas mehr atmen und durch das Einflechten von ungarischem Colorit würde sich das Setting auch so nach und nach zusammensetzen.
Keine Widerrede. Es gab solche ‚Colorit’-Absätze, doch die hätte ein anderer Kommentator als redundant verteufelt.

Ibolya und die Kinder spielen keine Rolle für die Geschichte und auch warum der Prota dort gelandet ist, muss ich nicht wissen.
Ich dachte, das wäre brauchbar zur Abrundung. Sonst könnte man annehmen, der Prota ist selbst Dörfler und dann wiederum wäre es snobby, Atemschutz zu tragen und eine ausgestreckte Hand auszuschlagen. Überhaupt wäre der Plot hinfällig, oder?

Wichtig ist doch nur das Verhältnis zwischen Prota und Nándor und da möchte ich dir ans Herz legen, den Text durch weitere kleine, feine Details und Beobachtungen anzureichern. Z.B. ...
... irgendeine ungarische Spezialität, die Nándor zu jedem Arbeitseinsatz mitbringt, weil der Prota anfangs aus Höflichkeit sagte, sie wäre lecker, aber jetzt kann er sie nicht mehr sehen, traut sich aber nicht, das zu sagen. Weißt, so was.

Ein Vorschlag, der in die Welt passt! Es gibt hierzulande eingelegte Gurken (mit Sauerteigbrot und Knoblauch vergoren), die sollte man nur anschauen statt zu essen. Die sind so furchtbar, dass ihnen ein literarisches Denkmal zusteht. Einem echten Ungarn schmecken die schon zum Frühstück gut. Oder sind die nur Begründung für den ersten Schnaps des Tages?

Letztlich sind es doch ihre Schrulligkeiten, die sie liebens- und lesenswert machen. Also kurz gesagt: Bei der Figurenzeichnung könntest du noch einen Tacken drauflegen, ...
Ganz ohne Frage, lieber linktofink. Vielleicht hab ich an den falschen Stellen gekürzt.

Und jetzt sehe ich mich mit Deiner seherischen Vermutung konfrontiert:

Aber ich kann natürlich verstehen, wenn du darauf keinen Bock mehr hast.

Das will ich nicht abstreiten. Im Kopf ist der Text abgehakt. Doch da ist noch der Bauch! Denn meine Abscheu vor diesen grausligen Gurken ist so gewaltig, dass sie eventuell als Motivation taugt. Mal gucken.

Doch mein größtes Problem zuletzt:

linktofink schrieb:
... damit der Text durch mehr Breite verlangsamt wird.

Da ist mir mein Hasenherz im Wege; weiß nicht, ob das der Leserschaft gefällt. Höre schon ‚langweilig’ und ‚gähn’. Jedenfalls hätte ich die Antwort schon parat: ‚Der linktofink isset schuld!’ Und ich bin fein raus.

Lieber Schreibkamerad, ich danke Dir für Deine Nachgedanken und finde Dein Engagement im Forum ganz toll.
José

 

Lieber José, wie könnte das hier:

Es gibt hierzulande eingelegte Gurken (mit Sauerteigbrot und Knoblauch vergoren), die sollte man nur anschauen statt zu essen. Die sind so furchtbar, dass ihnen ein literarisches Denkmal zusteht. Einem echten Ungarn schmecken die schon zum Frühstück gut. Oder sind die nur Begründung für den ersten Schnaps des Tages?
jemand langweilig und zum Gähnen finden? Meine Stimme für das Denkmal hast du!
Peace, ltf.

 

Hola @kiroly!

Ich nehme an, das Befinden ist gut. Nach Deinem freundlichen Komm an mich hab ich nun auch Deinen neuen Text gelesen. Da könnte ich durch einen Gegenbesuch dem Prinzip der Ausgewogenheit gerecht werden.
Allerdings überkamen mich Zweifel. Dein Text ist für mich zu kompliziert, zu vieles ist für mich unklar. Und bevor ich Dich kränke durch Fehlinterpretationen und Unverständnis, lass ich besser die Finger davon.
Was ich aber ganz groß herausstreichen möchte, das ist Dein schriftstellerisches Können (z. B.: Und der Junge schwieg, als breche ein Schweigen etwas, eine Flüssigkeit, die dünn gefriert, bis sie in tausend Teile bricht.
Große Klasse!


kiroly schrieb:
... gerne gelesen, eine schöne Geschichte. Aber schade, dass sie so kurz ist!
Stimmt, und ob allein in der Kürze die Würze liegt, ist unbewiesen. Denn eigentlich hab ich’s gerne bisschen beredter, nur finden das nicht alle Leser ersprießlich.

kiroly schrieb:
Ich las das Tragen eines Mundschutzes und das Einhalten von Abstand in deiner Geschichte auch als eine Art "Trennmittel" zwischen dem weltabgewandten Felsöösükösd und der großen, weiten Welt, ...
Aber ja! Genau – man ist nicht Stadt. Hier auf dem Lande werden die Werte geschaffen, von denen die Städter schmarotzen!

kiroly schrieb:
Ich habe mich beim Lesen mehrfach gefragt, warum es mir so plausibel erscheint, dass dein Prot den Mundschutz abnimmt und Nándor berührt.
Der vorm Prota aufschlagende Nándor ließ kein Abwägen zu, dem musste man einfach helfen. Dazu noch das schlechte Gewissen, Nàndor quasi ‚angestiftet’ zu haben.

kiroly schrieb:
Nándor ist sein Freund, kann der das nicht mit dem Monteur selber regeln?
Nee, auch der Sozialismus konnte Klassenunterschiede nicht wegbügeln – ebenso wenig wie der Kapitalismus: Monteur/Stadt/Auto – Nàndor/Dorf/Fahrrad. Der Monteur könnte nicht mit einem Hilfsarbeiter auf Augenhöhe verhandeln, es sei denn, der wäre zahlender Kunde.

kiroly schrieb:
Hätte er sehr große Angst, würde er seine Wohnung nicht mehr verlassen.
Diese Folgerung finde ich übertrieben. Man ist auf dem Lande, mehr Abstand geht ja gar nicht.

kiroly schrieb:
Okay, dein Protagonist hat also weniger Angst.
Nein, wieso? Er hat nicht ‚weniger Angst’, er verhält sich lediglich ‚normal’.

kiroly schrieb:
Je weniger Angst, desto leichter wird er aber den Mundschutz abnehmen.
Du suchst eine dünne Stelle, doch weswegen?
Ich meine, der Text schildert doch klipp und klar, wie’s lief – was sollen wir dann noch herumpörkeln?

kiroly schrieb:
Das schwächt mMn die dramaturgische Wirkung ab.

Hast ja auch gezielt darauf hingearbeitet ;).

kiroly schrieb:
Warum trägt dein Protagonist keine Handschuhe oder Plastiktüten um die Hände? Immerhin kommt ja ein fremder Monteur zu besuch ...

Warum sollte er? Es kommt ja keiner aus einem anderen Sonnensystem. Außerdem trägt der Monteur Mundschutz.
Und Plastiktüten um die Hände – aufm Dorf? Mach keine Witze!

kiroly schrieb:
Zweitens: Nándor fällt. Ein Notarzt muss gerufen werden, dein Protagonist hat also eine subjektiv interpretierte Notfallsituation vor sich.
Ich hasse Schwulst wie das Fette. Es ist ein Notfall – fertig.

kiroly schrieb:
Du beschreibst ja zu beginn die Weiden und die Birnbäume sehr atmosphärisch, warum nicht auch die Gliedmaßen? Verdrehtes linkes Bein ... (oder ist das albern? :-D)
Wäre wort-technisch kein Problem:D.

kiroly schrieb:
Als ich deine Geschichte gelesen habe, fragte ich mich: Schön, aber sie könnte auch in Rehbach spielen.
Oder am Fuße des Kilimandjaro ... logo. Eben überall, wo Menschen sind.

kiroly schrieb:
... ich fragte mich: Was ist das ungarische deiner kleinen Geschichte?
Das müsste sich herausfinden lassen: Wir ersetzen Felsöösükösd durch Rehbach, schon ist es eine deutsche Geschichte und der Schwindel ist aufgeflogen.

Lieber kiroly, Deine kleinen Spitzfindigkeiten in allen Ehren – unterm Strich lese ich, dass Du mit der Geschichte – trotz einiger Einschränkungen:hmm: – doch so einigermaßen klargekommen bist. Da bin ich schon zufrieden. Und besten Dank für Deinen Besuch!

José

 

Hola @Bas,

möchte mich pflichtschuldigst für Deinen Kommentar bedanken, insbesondere fürs Mutmachen in der Alterskrise. Obwohl – so richtig kriselt es Gott sei Dank (noch) nicht; ich sehe nur, dass meine Geschichten vor drei Jahren oder so mehr Substanz hatten.
Kein Problem, kürzere Texte können ja auch gefallen, wenn sie ordentlich gemacht sind.

Hat mich aber nicht vom Hocker gerissen, du bist also gescheitert, ...
Das ist ja mein Dilemma! Doch ich lese weiter, die Sonne geht zum zweiten Mal auf, denn Bas schreibt auch:
Wenn du aber damit einverstanden bist, dass das nicht sein muss, das nicht jedes Werk epochal sein muss, dass manch einem eine sanfte Brise besser gefällt als ein Tornado, dann kannst du zufrieden sein.

Ich merke schon, Du hast bei Deiner Oma gründlich trainiert. Aber ernsthaft: Ich freue mich sehr über Deine persönlichen Worte, und recht hast Du allemal. So schnell werde ich das Handtuchden Rechner nicht werfen.

Lieber Bas, Dir meine besten Wünsche, und dass Deine Leser immer zahlreicher werden, denn Deine Geschichten sind immer etwas Besonderes. Ich freue mich auf Deine nächste, auch wenn ich weiß, dass Gutes seine Zeit braucht.

José
PS:

Leider werden die (Schwalben) von Jahr zu Jahr weniger, aber das ist ein anderes Thema.
Bas schrieb:
Wie praktisch, gleich mal eine Vorschau auf die nächste Geschichte eingeflochten. Freu mich drauf.
Wenn Du Dich da mal nicht verspekulierst. Hab ja selbst noch keine Ahnung.

 

Hola @Manlio,

mit so viel Lob schaffst Du es, einen älteren Herrn erröten zu lassen. Nachdem sich mein Teint nun aber beruhigt hat, kann ich sachlich werden:

Du liebst es, ein wenig auszuholen. Streng genommen ist der komplette Anfang für die Episode nicht relevant - Ibolya erscheint (wenn ich recht sehe) nicht, die Kinder nicht, dem Anwesen kommt auch nur eine Nebenrolle zu.

Stimmt. Das bekam ich auch von anderer Seite zu hören. Ich hab deswegen etwas verändert, und das Überflüssige ist teilweise verschwunden. Trotzdem sehr großzügig von Dir, zu sagen:

Es ist wohl halt dein Ansatz, zu erzählen: Bitte nicht zu karg, den Leser reinnehmen. Wie ein Hausherr, der die Tür öffnet und sagt: Bitte sehr! Das ist meine Welt. Schau dich um.

Jose, ich habe dich früher hart kritisiert, komme aber langsam dazu, deine Geschichten zu mögen.

Das sollte mich freuen! Allerdings weiß ich von Kollegen, die einen stolzen Michelinstern haben, dass das Verteidigen, das Bewahren dieser Auszeichnung, beinahe anstrengender ist als ihn zu erobern. Sie müssen einen Dauerzustand schaffen, in dem es nur Löbliches gibt. Ein Knochenjob.

Also werde ich mich nur ‚halb’ freuen, dann tut ein nach unten gerichteter Daumen nicht ganz so arg weh. Denn das könnte schon bei der nächsten Geschichte passieren:Pfeif:.

Jedenfalls besten Dank, Manlio, für diesen Honig-Sahne-Kommentar. Tut schon gut.

José

 
Zuletzt bearbeitet:

@Carlo Zwei, @linktofink, @wegen, @AWM, @Kanji, @Fliege, @kiroly, @khnebel, @Bas, @Isegrims, @joycec, @Manlio

Hola, Ihr Teuren, einmalig Netten und wild zum Kampf für bessere Texte Entschlossenen!

In mehreren Kommentaren las ich, dass die Geschichte hier und dort noch einer Nachpolitur bedarf. Ein origineller Vorschlag kam von linktofink:

linktofink schrieb:
Wichtig ist doch nur das Verhältnis zwischen Prota und Nándor und da möchte ich dir ans Herz legen, den Text durch weitere kleine, feine Details und Beobachtungen anzureichern. Z.B. irgendeine ungarische Spezialität, die Nándor zu jedem Arbeitseinsatz mitbringt, weil der Prota anfangs aus Höflichkeit sagte, sie wäre lecker, aber jetzt kann er sie nicht mehr sehen, traut sich aber nicht, das zu sagen. Weißt, so was.

Da hat er völlig recht. Hab’s mit eingelegten Gurken versucht. ‚Endemische’ ungarische Gurken werden mit altem Sauerteig, Dill, gut Knofel und Senfkörnern in die Sonne gestellt, bis ... der gewünschte Wohlgeschmack erreicht ist.

Bei Google unter ‚kovászos uborka’. Aber bitte nicht nachmachen! Sie sind schrecklich.

Bitte betrachtet diese Info nicht als verkappte Nötigung, meinen Text noch einmal zu lesen (weil sich auch nicht sehr viel verändert hat). Aber die Kommentatoren sollen wissen, dass ich ihre Tipps ernst nehme. Besten Dank nochmals!

Schöne Grüße in die fabelhafte Runde!

José

 

Hola josé,
wollte dir nur einen kurzen Eindruck zur neuen Version dalassen. Der Text hat für mich zwei Hälften, die erste hab ich gerne gelesen, die zweite fand ich richtig klasse. Ab "Nándor freut sich …", wo du auf konkrete Handlung umschaltest, funktioniert der Text für mich sehr gut. Auch das schrullige Gurkendings, das jetzt immer wieder auftaucht, ist eine Bereicherung, finde ich. Highlight:
„Lumpen und Lappen“, sagt er, „was können die schon helfen? Das muss von innen kommen!“ Toll!
Klar, die Absätze davor leiten das Geschehen ein und verorten die Geschichte, aber sie sind im Vergleich nicht so lebendig. Weiß aber auch keine Abhilfe.

Zum ersten Absatz hab ich noch einige Anmerkungen:
Ein tausendjähriges Rezept. Komischer Sound für direkte Rede. Was würde ich sagen? "Machen wir seit tausend Jahren so" vielleicht.
Baahh, könnt mich reinsetzen. Bah heißt ja eigentlich: schmeckt nicht, igitt, deshalb irritiert mich das. Erwarten würde ich sowas wie: "Mann, da könnte ich mich reinsetzen" und dann leckt er sich die Finger ab, holt noch einen Schnitzen raus und hält mir das Glas unter die Nase. "Hm?"
Mich würgt bei der Vorstellung. Mich deucht das ist antiquiert formuliert.
Eine Frage noch, ist der "Woffang" richtig? Kann Nándor den Namen nicht aussprechen, oder stehe ich auf dem Schlauch?

Peace, ltf.

 

Ich schon wieder, lieber @josefelipe

„Hier, mein Freund, probier mal. Ganz was Feines, Geheimrezept. Egal, ob du keinen mehr hochkriegst, oder total besoffen warst, oder zu fett gegessen hast – die helfen bei jedem Problem.“ Er nimmt den grünen Kunststoffdeckel ab und lässt ein größeres Stück im seinem Rachen verschwinden. „Mann, könnt mich reinsetzen.“ Dann hält er mir das Glas unter die Nase.
In der trüben Lake von Knoblauch, Sauerteigbrot und Dill treiben Gurkenspalten. Zur abträglichen Optik gesellt sich ein stechender, säuerlicher Geruch.
„Nein, vielen Dank“, sage ich, „ein andermal vielleicht. Hab noch nicht gefrühstückt.“
„Nein, nein, gerade jetzt! Grad zum Frühstück schmecken die am besten!“
Eine schreckliche Vorstellung, dieses unappetitliche Zeug essen zu müssen.
„Nándor“, sag ich, „es geht wirklich nicht. Selbst wenn ich keinen mehr hochbekäme.“
Angesichts der bekannten (Vor-)Geschichte fügt sich das gut ein und rundet die Sache insgesamt sicher ab. Aber ist das ein guter Einstieg? Ich hätte weitergelesen, weil dein Name über der Geschichte steht und eine gewisse Erwartungshaltung bei mir weckt, aber ein Hallo-wach-Satz am Anfang sieht anders aus, oder? An späterer Stelle wäre das eine schöne Anekdote in einer schönen Anekdote.

Das hier:

Das geht seit zwanzig Jahren so. Damals übernahmen meine Frau und ich ein malerisches Anwesen am Dorfrand, allerdings in einem elenden Zustand. Um diesen verlotterten Laden wieder instandzusetzen, brauchte ich Hilfe. Zufällig lernte ich Nándor kennen. Er war wesentlich jünger als ich, freundlich und hilfsbereit. Anfangs brauchte ich ihn für Aufwendiges. Für Arbeiten mit der Motorsäge, für das Ausbessern von Treppen und gerissener Gewölbe. Und je mehr ich in die Jahre kam, desto öfter musste ich ihn um Hilfe bitten, nun auch für leichtere Arbeiten.
ist für mich ein perfekter Einstieg. Da bin ich sofort dabei.

Das hier:

Nándor freut sich. „Na, da sehen wir uns doch, trotz der Pest“, sagt er. „Bin gleich da.“
Er kommt mit dem Rad, wie ein Schiff am Horizont zieht er eine bläuliche Fahne hinter sich her. Auf dem Gepäckträger hat er die Gurken vertäut, die hat er immer dabei. Er packt sie mit seinen Wurstfingern und kommt mit freundlichstem Gesicht auf mich zu, ich weiche entsetzt zurück.
wäre für mich eine gelungene Stelle für den Einschub und Ausflug.

Im Gegensatz zu mir pflegst du ja nicht allzu gehetzt zu schreiben, also ist für derlei Seitenblicke immer Zeit und Raum. Es bedarf aber - aus meiner Sicht - der anfänglich erworbenen Sympathie für die Charaktere, um den Gurken ihren verdienten Platz zu schaffen.

Auch ein zweites Mal gern gelesen!
Liebe Grüße
Joyce

 

Hola @linktofink,

nochmals meinen Dank für Deine Zeit.

... die Absätze davor leiten das Geschehen ein und verorten die Geschichte, aber sie sind im Vergleich nicht so lebendig. Weiß aber auch keine Abhilfe.

Ich will den Text jetzt so stehen lassen. Ist ein Schwank, mit Deiner Hilfe noch ein bisschen launiger, aber insgesamt gibt’s eine Handlung mit menschlichem Bezug und ein hinnehmbares Ende. Vielen hat’s einigermaßen gefallen und auch ich geb mich jetzt zufrieden.

Zum ersten Absatz hab ich noch einige Anmerkungen:
Ein tausendjähriges Rezept. Komischer Sound für direkte Rede.

Off topic: Die Ungarn machen wie die Italiener viel Gewese um ihre traditionellen Rezepte, und ehrlich gesagt: Tausend Jahre ist ja was, oder?
Aber hast recht und der Leser kann’s nicht wissen, also hab ich’s geändert.

Baahh, könnt mich reinsetzen.
Bah heißt ja eigentlich: schmeckt nicht, igitt, deshalb irritiert mich das. Erwarten würde ich sowas wie: "Mann, da könnte ich mich reinsetzen"

Hehe, da hab ich Bah falsch verwendet. Ich kenn’s vom Niederrhein, da wird es unterschiedlich eingesetzt. Hab jetzt Deinen Vorschlag angenommen.

Mich würgt bei der Vorstellung.
Mich deucht das ist antiquiert formuliert.

Deucht mich auch so. Heißt jetzt:
Eine schreckliche Vorstellung, dieses unappetitliche Zeug essen zu müssen.

Eine Frage noch, ist der "Woffang" richtig? Kann Nándor den Namen nicht aussprechen, oder stehe ich auf dem Schlauch?
No Schlauch. ‚Heinrich’ könnte auch keiner sagen.

Aber ich sag noch mal Danke!
Beste Grüße
José

 

joycec schrieb:
Ich hätte weitergelesen, weil dein Name über der Geschichte steht und eine gewisse Erwartungshaltung bei mir weckt, …
Das letzte Mal war ich vor fünfzig Jahren verlegen, als ich in Marokko einen Gratis-Tee annahm, aber den Kauf des Teppichs verweigerte – und jetzt Du! Fühl mich beinahe unwohl, doch aale ich mich in Deinen Worten.

… aber ein Hallo-wach-Satz am Anfang sieht anders aus, oder?

Oh! Das macht mich erstaunen. Ich dachte gerade, so mit ‚einen hochkriegen‘ wäre ein Blumentopf zu gewinnen. Aber wenn Du meinst – bitte. Dann eben nicht.

Hola @joycec,

vielen Dank für den Nachtrag. Sicherlich hast Du recht mit Deinem Vorschlag, aber ich bin ein furchtbarer Kerl, und wenn mein Bauch nicht mitspielt, kann mein Kopf machen, was er will.

Ich meine, dass Nándors Lobpreisung der Gurken schon am Anfang stehen sollte, so eine Art Produkteinführung. Mitten im Text, finde ich, könnte es befremdlich wirken, denn dann dürfte es Wolfgang schon bekannt sein. Vielleicht Ansichtssache. Doch Dein Interesse an meinem Textchen freut mich natürlich!

Mal sehen, was der Sommer so bringt. Salzkaramell-Eis ist ja schon ein alter Hut, hierzulande sind es Berberitze und ‚lavendula’:silly:. Meine Verehrung!

José

 

Hola Josefelipe,

eine "schmissige" Geschichte, gut zu lesen, wie immer.

Die Puszta in den Zeiten von Corona deckt sich mit meinen Erfahrungen auf dem Land in Deutschland. Was in den Städten Normalität und Corona-Abwehrkampf ist, verliert an Bedeutung, je mehr es ländlich wird.

Interessanter Charakter, der Nandor, gut beschrieben. Diese Puszta-Szenerie gelingt dir immer sehr gut, ich kann mich gut reinfühle, ohne jemals dort gewesen zu sein. Das sollte ein Autor können, du kannst es!

Beste Grüße, Westwood

 

Mahlzeit @josefelipe,

ich dachte, zum 1. Januar wäre es vielleicht ganz gut, eine Geschichte von dir zu lesen. Und es war gut. Ungeachtet aller Kommentare, die ich nicht gelesen habe und deshalb auch nicht weiß, inwiefern es noch dem Original ähnelt, kann ich sagen: genau wie erwartet.

Menschen die das tun, was sie können: menscheln.

Was du tust, ist mitten unter ihnen stehen, mit einer Kamera, nicht sprechen, sondern fotografieren. Diese Menschen ablichten wie ein Tagebuchschreiber des Lebens. Man spürt die Bindungen zur Scholle, zu den Gemäuern, zu den Lebenden dort, die wiederum Bindungen zur Scholle, den Gemäuern, den Bäumen haben, und erkennt so das Netzwerk, auf das wir Menschen unsere Gemeinschaft durch all die Jahrtausende erschaffen haben.

Du schreibst über einen Moment, aber beschreibst die Tiefe dahinter. Das heißt aber auch, du hast den Blick und das Empfinden für die Tiefe. So wie es technisch ausgereifte Songs gibt, produziert in technisch ausgereiften Studios, dank technisch versierter Soundtechniker, gibt es eben auch eine Gitarre und einen Musiker mit schräger Stimme, der aber trotz allem das gelebte Leben transportiert.

Solltest du den blasphemischen Gedanken umsetzen wollen, mal nicht mehr zu schreiben, weil deine Texte nicht in dieses oder jenes Raster passen, komme ich persönlich vorbei und mache dir den Rost runter.

In diesem Sinne, weitermachen.
Griasle
Morphin

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola @Freegrazer,

Dein unerwartetes Auftauchen freut mich. Bedenkst mich gleich mit reichlich Kommentaren – das scheint ein gutes 2021 zu werden!

Der ‚ungarische Moment‘ könnte natürlich auch der ‚hessische Moment‘ oder sonst was sein, wenn man die Deko anpasst – mir ging es um die Größe oder Verzagtheit eines Menschen in einer Situation, in der nicht viel Zeit zum Abwägen bleibt.

Na ja, wie wir mittlerweile wissen, ist der Einzelne nicht schlecht, in der Masse leider verführ- und manipulierbar.. Es ist schon ein Kreuz …

Danke jedenfalls für Deinen Komm; schön, dass Du wieder mitmischst.

Bis bald
und ein gutes 2021, mein Lieber!

José


Hola @Morphin,

Deine längere Abwesenheit hat Deiner Popularität nicht geschadet, hast ja einen fulminanten Start hingelegt. Und das in Deinem Alter! (Du kokettierst ja mit Deinen gerademal 56 Lenzen, einfach lächerlich:pah:.)

… ich dachte, zum 1. Januar wäre es vielleicht ganz gut, eine Geschichte von dir zu lesen.
Ein großartiger Einfall! Je früher im Jahr, desto besser. Ich profitiere davon.

… kann ich sagen: genau wie erwartet.
Menschen die das tun, was sie können: menscheln.
Dieses Thema wird uns noch geraume Zeit beschäftigen – wenn ich da so an mich selbst denke …
Aber hier triffst Du genau die Fontanelle:
… Bindungen zur Scholle, den Gemäuern, den Bäumen ...
Wie in aktiveren Jahren der Anblick einer Klassefrau einem Stromschlag ähnelte, so ging es mir hier beim Blick über die Mauern: Kolossale Bäume, Gemäuer (leider in ruiniertem Zustand) mit Geschichte – da hab ich keine Kontrolle über mich, da muss ich ran. Doch zum Trost höre ich auch von anderen Verrücktheiten.

… gibt es eben auch eine Gitarre und einen Musiker mit schräger Stimme, der aber trotz allem das gelebte Leben transportiert.
Bei mir ist es das Akkordeon, und wenn ich mich unbeobachtet fühle, singe ich dazu – in einer mir unbekannten Sprache. Aber in jedem Fall Moll.

Solltest du den blasphemischen Gedanken umsetzen wollen, mal nicht mehr zu schreiben, weil deine Texte nicht in dieses oder jenes Raster passen, komme ich persönlich vorbei und mache dir den Rost runter.
Darf aber nicht wehtun!
(Vor Blasphemie will ich mich hüten, die Biologie wird‘s schon richten.)

In diesem Sinne, weitermachen.
Woll, Herr Hauptmann!
Mecht isch winschen a scheenes neies Johr, bittascheen.

José

 

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