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Der Untergang
Wieso ich an diesem Abend den PC erneut anschaltete weiß ich bis heute nicht, jedenfalls habe ich es getan und mein Leben damit in eine gefährliche Konstellation gerückt. Sein Name war Mike und er war einer von vielen Chattern des World Wide Web. Die übliche virtuelle Liebkosung fehlte auch an diesem Abend nicht und so kam man schnell zügellos ins Gespräch. Jeder kennt dieses Gefühl: Man kann sich frei entfalten und sich so beschreiben, wie man sich in eben jenen Moment fühlt - vollkommen perfekt.
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sich mein Leben in schreckliche Bahnen bewegte und ich immer mehr in eine Falle rutschte, von der ich nichts wusste. Er war ein sehr zuvorkommender, netter Kerl, mit dem man sich stundenlang unterhalten konnte. Auch er war auf der Suche nach dem perfekten Partner, den er recht schnell in mir sah. Wie dämlich war ich in diesem Moment nicht zu merken, was hier geschah. Kaum warf ich ihm einen Fetzen von mir in Form eines Fotos vor die Füße, schon klammerte er danach und nannte es sein Eigen. So wie er es mit mir tun wird, aber das ahnte ich nicht. Das erste Treffen verlief belanglos bis steigerungsfähig. Er war hin und weg von mir, ließ kaum noch von mir ab, er hätte mich wohl direkt in den nächsten Busch gezogen, aber dies wusste ich zu verhindern. Der Abend wurde wie ein dramatisches Bühnenstück beendet. In der Dämmerung erzählte er mit unter einer Eiche von seiner Vergangenheit und dem Pech, dass ihn seit der Geburt verfolgte. Keine Beziehung hielt lange, seine Eltern starben früh und sein Körper (er zog sein T-shirt hoch), war entstellt. Ursprünglich wog er 180kg, hatte es auf 70kg allein im letzten Jahr geschafft. Ich ekelte mich vor diesem Anblick, obwohl ich wusste, dass es untolerant von mir war und er dafür nichts konnte. Ebenfalls dachte ich nicht, dass diese "Niemand hat mich lieb"-Schiene auch bei mir ziehen würde und genau das tat sie, denn es kam zum ersten Kuss.
Relativ schnell verbrachten wir immer mehr Zeit zusammen und gingen öfters aus. Ich konnte mir nicht vorstellen diesen Anblick seines nackten Körpers erneut ertragen zu müssen. Seine Haut war faltig und hing bis zum Becken, vorallem der Bauchbereich sah schrecklich aus, ebenfalls die Armbereiche und die Brust. Er machte stets Versuche, aber ich hielt es immer für zu früh. Er lebte im 2.Stock in einer umgebauten Wohnung mit nur einem Fenster. Es brannten viele Kerzen, als wir in seiner Wohnung ankamen, trotzdem war die Einrichtung schick und modern. Zu bemängeln gab es nichts, allerdings die erste Nacht mit ihm zu verbringen, brachte Gedanken in meinen Kopf, die ich schnellstens vergessen wollte.
"Würde sich dieser stark behaarte, faltige Kerl nur einmal auf mich legen.......", so ging es mir durch den Kopf, dabei lächelte ich stets in seine Richtung. Er bemühte sich immer und auch an diesem Abend gab es er sich soviel Mühe, dass es rührend sein müsste, war es aber nicht. Offiziell waren wir seit zwei Wochen "zusammen", er hatte seinen Freunden von mir erzählt, die meisten kannten mich bereits, denn er ließ keine Minute aus, mir neue Freunde vorzustellen, dabei hielt er mich stets streng im Arm und folgte mir in jeden Raum.
Ich kann es nicht besser beschreiben, aber es engte mich alles ein. Ich saß neben ihm und sobald ich aufstand, kam er mir nach. Selbst aufs Klo durfte ich nicht allein. Er kam dann hinter mir her und klappte mir den Deckel auf, auch duschen gingen wir zu zweit. Irgendwo musste das doch romantisch klingen und keiner verstand mich, denn es wurde immer schlimmer. Am Wochenende war ich zu Hause und genoss den Abstand, denn es graute mir schon vor dem nächsten Treffen. Als ich samstags aufwachte, saß er neben mir am Bett. Meine Mutter musste ihm geöffnet haben, denn er grinste mich freudig an. Ich unterhielt mich ein wenig mit ihm, aber er nervte mich tierisch, doch das traute ich mich nicht zu sagen. Er nervte eigentlich ständig und überall, selbst mein Handy platzte vor Anrufen und SMSen, die meist aus Smileys oder "I love U" bestanden. Als ich montags nach der Schule in die Stadt einkaufen ging, traf ich ihn "rein zufällig" im Geschäft an und er suchte mit mir meine Klamotten aus. Danach kam er natürlich mit mir nach Hause und blieb den ganzen Tag. Ich wurde innerlich immer aggresiver, denn er nervte so stark, dass ich selbst immer unglücklicher wurde.
Das war es sicher nicht, was ich mir unter einer glücklichen Beziehung erhofft hatte. Nach der Schule stand er am Eingang, fuhr mich nach Hause, er hatte ja auch genügend Zeit, denn er war arbeitslos, auch wenn er nicht faul war. Er war stets akkurat gekleidet und roch gut, doch ich erschauderte, wenn ich ihn mir nackt vorstellte.
Ganze 4 Wochen waren wir "zusammen" und ich nannte das ganze Geschehen unter Freunden schon "Terror". Schaltete ich mich ein Handy kurz aus, stand er vor der Tür und hupte, bis ich rauskam. Überall wo ich hin ging, war er auch, selbst beim Arzt saß er im Wartezimmer und "überraschte" mich.
Als ein weiteres Wochenende folgte, sollte ich das komplette Wochenende bei ihm bleiben. Mir gefiel das alles nicht, aber ich ließ mich dazu hinreißen. Ich war natürlich total unglücklich und schlecht gelaunt, aber er bereitete mir den Himmel auf Erden, gewöhnte sich sogar das Rauchen für mich ab. Als er erneut mit ins Bad kam und für mich "abspülen" wollte, sagte ich ihm zum ersten Mal die Meinung. Er reagierte zwar seltsam und verhielt sich danach ruhig, aber ich ahnte nichts, aber das sollte sich schnell ändern, denn ich würde dieses Haus erstmal nicht mehr verlassen. Er ging kurz nach unten und kam kurze Zeit später zurück. Ich dachte schon an "Packen und Gehen", aber ich spielte weiter. "Du bleibst die ganze Woche hier, habe ich gerade geregelt!", sagte er mir, als er wieder ins Zimmer kam. "Was? Mit wem hast du das geregelt?". Er sah mich freudig an. "Hab deine Eltern angerufen, sie haben nix dagegen! Wird sicher lustig hier, ich fahr dich zur Schule und hole dich ab! Danach essen wir hier und verbringen den Tag zusammen!". Ich saß da und war baff. Es dauerte wohl einige Sekunden, bis ich begriff. "Ich bleibe nicht die ganze Woche! Ich hab zu Lernen, ich schreibe nächste Woche Klausuren, das Zeug habe ich zu Hause!". Er wollte mich umarmen, doch ich wehrte mich. "Wir fahren die Sachen kurz holen, okay?". Ich sah ihn böse an. "Ich packe jetzt meine Koffer und fahre! Mir reicht es endgültig mit dir! Wer gibt dir das Recht über mich zu entscheiden, ich bin kein Haustier! Ich werde meine Sachen zusammensuchen und fahre!". Ich verließ das Zimmer und sammelte mein Zeug zusammen, er folgte mir nicht. Er war nicht laut geworden, er hatte gar nichts dazu gesagt. Im Bad sammelte ich rasch alles zusammen und kehrte zurück ins Nebenzimmer. Niemand war im Raum. Ich wollte so schnell wie möglich abhauen, aber mein Handy fehlte mir noch. Es war nirgends zu finden. Ich suchte, aber in dem Moment war mir alles egal, würde ich mir ein Neues kaufen, Hauptsache ich musste diesen Psycho nicht mehr sehen. Ich ging Richtung Treppe um nach unten das Haus zu verlassen, doch als ich mich nochmals umdrehte und durch den Raum sah, sah ich ihn. Er hatte die ganze Zeit hinter der Tür gestanden. Er kam auf mich zu und schlug mir mit enormer Kraft ins Gesicht. Ich fiel zu Boden und begann vor Schmerz zu weinen. "Dein Handy ist passé! Steh auf!". Er zog mich hoch und etwas Kaltes berührte meinen Unterleib. "Du sollst ebenso leiden wie ich! Ich wurde zuoft verlassen, diesmal wird nach meinen Regeln gespielt!". Er sah mich mit einem fremden Puppenblick an und als ich nach unten sah, tropfte bereits Blut von meinem Bein. Den Schuss hatte ich vor Schmerzen überhört, keine Ahnung, jedoch sackte ich zu Boden und schrie. ´Mein Gesicht knallte etwas später zu Boden in eine kleine Blutlache. Der Duft des Blutes war vorerst das Letzte, was ich realisierte.
Das Nächste, was ich wahrnahm war ein Gespräch, dass ich wie aus weiter Ferne mitbekam. Ich war in einem dunklen Raum, es musste ein ziemlich kleiner Raum sein, denn ich hatte kaum Platz. Die eine Stimme war die von Mike und er klang fröhlich und glücklich wie sonst auch, aber er hatte anscheinend Besuch bekommen, nur von wem?
Ich belauschte das Geschehen und bemerkte erst jetzt, dass meine Hände mit einem Strick zusammengeknotet waren. Sie redeten über mich und dass ich nicht da wäre, sondern zum Shoppen gegangen wäre. Durch einen kleinen Spalt sah ich die beiden hindurch und erst jetzt wurde ich wieder klarer vor Augen und richtig wach. Ich war in einem Schrank eingesperrt, nicht in einem Raum. Ebenso hatte ich den Mund zugebunden, aber mein Bein war mit einem Verband umgebunden, ich hatte es gut überstanden, doch mir war in diesem Moment klar, dass ich gleichzeitig in großer Gefahr war und mich niemand hier rausholen würde. Ich war auf mich ganz alleine gestellt und was für viele in Filmen spannend ist, geschah hier hautnah. Wenige Minuten später verließen die Beiden das Zimmer und er wurde ruhig. Ich hampelte ein wenig, so gut ich nunmal konnte, um die Schranktür zu öffnen, aber sie war verschlossen. Durch den Spalt erkannte ich Mike die Treppe erneut hochsteigen und ich beschloss den bewusstlosen Zustand zu spielen. Er öffnete den Schrank und zog mich heraus. Äußerst sanft lag er mich auf die Couch und verschwand im Bad. Ich öffnete die Augen und sah mich um. Mein Bein schmerzte nicht, was immer er damit getan hatte. Es war eine Gelegenheit, wenn sie auch nur minimal war. Sollte ich weiterhin bewusstlos sein oder abhauen? Die Antwort war klar, aber war das Risiko nicht zu hoch für solch eine Aktion?
Ich erhob mich, tat einige Schritte zur Treppe und hüpfte von Stufe zu Stufe nach unten. Ich hörte niemanden oben, er schien noch nichts bemerkt zu haben. Als ich unten an der Tür ankam gelang es mir leider nicht die Tür nach draußen zu öffnen durch die gefesselten Hände. Es war eine schweißtreibende Sekunde. Ich schaute mich um, von oben hörte man noch nichts und die unterste Etage war unbewohnt. Ich zerrte die Fesseln auseinander, aber es war nur logisch, dass ich sie nicht bewegen konnte. Ich hielt nach einem Fenster Ausschau und ging ins Nebenzimmer. So stehend konnte ich es nicht öffnen, doch ich zog mir mühseelig einen Stuhl heran, was erneut Sekunden dauerte. Von oben war nichts zu hören. Ich hievte mich auf den Stuhl und fummelte am Fenstergriff herum. Ich hatte nicht nur Glück, dass es sich öffnete, sondern dass darunter ein Garten war und ein Haufen Stroh, der mich federn würde. Ich sah mich nochmals im Zimmer um und stieg auf den Fenstersims. Mit einem Fall war ich unten im Strohballen gelandet. Nur mit viel Kraft konnte ich mich daraus wieder befreien. Ich schaute nach oben zum Fenster, doch niemand sah heraus. Ich atmete kurz auf, denn ich hatte panische Angst. Ich sah mich nur ganz kurz um und lief Richtung Straße. Es schien mir die beste Idee zu sein, doch ehe ich sie erreichte, schrie Mike vom oberen Fenster aus:"Du elendes Stück Dreck komm sofort zu mir zurück!" und sein Kopf verschwand daraufhin. Mein Puls raste wie verrückt. Er rannte in diesem Moment nach unten und würde mich jagen und niemand war auf dieser verlassenen Straße. Ich erreichte den Gehweg und rannte um die Kurve in eine andere Straße. Ich war heilfroh, dass ich nicht zu Boden fiel, da die Händen gefesselt mich am Laufen mehr hinderten, als ich annahm. Ich lief stur geradeaus und schon wenige Sekunden später bog Mike in die Straße ein und schrie über mich. Er rannte hinter mir her und ich war wie gelähmt. Meine Beine trugen mich und ich erreichte einen Steg, der über einen Fluss führte. Ich rannte schreiend über den Steg und drehte mich um. Mike kam triumphierend auf mich zu und lachte. "Du elendes Stück Dreck, ich werde dich blutig schlagen und deinen Kopf gegen jede Kante dieses Steges hauen!". Ich sah ihn an und in diesem Moment war alles vorbei. Es war egal, was ich tat.
Mit schnellen Schritten kam er auf mich zu, ich stand regungslos da. Ich dachte an die letzte Möglichkeit und ließ mich über den Steg fallen. Ich fiel ungefähr 3 Meter in die Tiefe, schloss den Mund und tauchte unter Wasser. Das kalte Wasser ließ mich erfrieren und ein normales Atem fiel schwer. Ohne die Fähigkeit meine Hände zu benutzen, war ich dem Wasser hilflos ausgesetzt. Ich ging Stück für Stück unter und die Fesseln ließen sich trotz letzter Kraftreserven nicht lösen. Doch ich hatte es endlich geschafft - ich konnte ihn verlassen.
Ende