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Copywrite Der Versuch, zu atmen

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28.12.2009
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Der Versuch, zu atmen

Die wenigsten wissen, dass zu einem guten Gulasch Zitronenrinde gehört. Du schabst sie mit einem Schälmesser vorsichtig von der Frucht ab und gibst die hauchdünnen Streifen erst am Ende in den Topf. Schälmesser haben in der Regel eine leicht gebogene Klinge. Es muss gut in der Hand liegen. Mein Vater hat es mir beigebracht - mit langsamen Bewegungen, nicht mit zu viel Kraft, die Schneide arbeiten lassen. Zitronenrinde. Ein frischer, säuerlicher Geruch, der einem in der Nase kribbelt. Hier, hier stinkt es nach Urin, menschlichen Ausdünstungen und Erbrochenem. Ich beobachte den Infusionsbehälter. Kochsalzlösung fällt in die Kammer, Tropfen für Tropfen rinnt durch den Schlauch in meine Vene.

Mein Vater mietete jeden Sommer ein Ferienhaus in Skallingen. Immer die gleiche Holzhütte hinter den Dünen. Das einzige Fenster in meinem kleinen Zimmer lag ostwärts, und wenn ich auf dem Bett lag, konnte ich die Brandung hören. Daran erinnere ich mich. Das auf und abschwellende Geräusch der Wellen. Der Strandroggen unter meinen nackten Fußsohlen. Das Salz in der Luft. Ich spüre, wie das Gift kalt meinen Arm hinaufsteigt. Cyclophosphamid. Ich habe das Wort solange geübt, bis ich es fehlerlos aussprechen konnte. Cyclophosphamid ist ein Wirkstoff, der in der Medizin vor allem als Zytostatikum zur Behandlung von Tumorerkrankungen eingesetzt wird. Zu den wichtigsten Nebenwirkungen zählen Knochenmarksuppression, Haarausfall und Übelkeit. Ich stelle mir vor, wie es sich von der Leber aus im ganzen Körper verteilt, tief in das Gewebe eindringt. Und irgendwann schlägt ein schwarzes Herz in meiner Brust, dann kann ich endlich sagen: `Hier, ihr habt es alle schon immer gewusst!` Aber nein. Natürlich klammere ich mich an den Rest Leben, der mir noch bleibt. Was sollte ich auch sonst tun?

Die Medikamente machen etwas mit dir. Jede Bewegung schmerzt. Alles ist mühselig. Man wird langsam. Es gibt diesen Moment, an dem du die Grenze überschreitest. An dem du aufgeben willst. Einfach nicht mehr weitermachen. Liegenbleiben. Jeder hier erlebt diesen Moment. Manche schaffen es nicht zurück, stehen nicht mehr auf. Dann beginnen sie, an Götter zu glauben, an Scharlatane und ihre leeren Versprechungen, an die Kräfte exotischer Kräuter und Pflanzen. Nichts davon wird sie heilen. Es ist die Hoffnung, die sie glauben lässt.

Mein Vater starb im Schlaf. Ich stelle mir seine letzten Stunden vor: Wie er im Ohrensessel sitzt, die Abendausgabe der Berlingske liest und einen Gammel zum Kaffee trinkt. Vielleicht hat er es gespürt. Ein Ziehen im Unterleib. Ein Druck auf der Magengrube. Schwindel. Vielleicht ist er auch einfach so ins Bett gegangen. Ohne jedes Gefühl. Nur erschöpft vom Tag. Matt. Müde. Erwartet man den Tod jemals? Ich sehe aus dem Fenster. Die graue Waschbetonwand einer Fabrik. Mehrfamilienhäuser. Zugezogene Vorhänge in den Fenstern. Ich frage mich, ob uns die Menschen in diesen Häusern sehen können? In der Krone der alten Linde im Vorgarten sitzen Rabenkrähen, ihr Gefieder glänzt schwarz. Vögel kündigen den Tod an. So will es der Mythos. Ich schließe die Augen. In der Klinik sind es die gleichen Leute. Jeden Tag, bis sie schließlich nicht mehr kommen. Natürlich denkst du darüber nach, was mit ihnen passiert ist, auch wenn du es eigentlich nicht willst. Man weiß ja, es gibt nicht mehr so viele Möglichkeiten. Wir können es nicht ändern. Wir beobachten uns, vermessen die Vergänglichkeit. Ich sehe es in den Gesichtern, ich kann es in ihnen lesen. Und ich weiß, was sie in meinem lesen. Ohne Wimpern und Augenbrauen sehe ich aus wie ein kleines Kind. Manchmal erscheint es so sinnlos, dass ich denke ich, alles was ich noch tun kann, ist atmen.

Mein Vater hegte keine Ambitionen. Er war ein Mann mit simplen Bedürfnissen. Er liebte sein Leben lang eine einzige Frau. Arbeitete sein Leben lang für eine Firma. Jeden Sommer nahm er den gleichen gusseisernen Topf mit nach Skallingen, um Gulasch über offenem Feuer zu kochen. Wir fuhren zu einem der Bauern in der Nähe und kauften Rinderschulter – Bug, Schaufel, falsches Filet, das ganze Stück. Das Fleisch aus der Schulter ist langfaserig und nur mäßig mit Fett durchwachsen. Es eignet sich nicht zum kurzen, scharfen Anbraten, es muss lange im Topf schmoren, um sein volles Aroma zu entfalten.

Draußen vor der Hütte gab es eine flache Grube im Sand, die mit Randsteinen abgetrennt war. Meine Mutter schichtete Splinte über zerknülltem Zeitungspapier und legte trockene Holzscheite nach. Es kommt mir seltsam vor, wenn ich jetzt daran denke, aber meine Mutter konnte das gut, das mit dem Feuer. Sie hatte kleine Hände und schmale Finger. Sie war geschickt. Mein Vater parierte währenddessen das Fleisch. Er schnitt an den Muskelrändern entlang, legte Sehnen und Knochen frei, entfernte die feine, feucht schimmernde Silberhaut. Die Klinge immer in Richtung der Maserung. Dann Kartoffeln und Karotten waschen, in kleine Würfel schneiden, mit gehackten Zwiebeln in den Topf geben. Alles folgte einer geheimen Ordnung. Er arbeitete ruhig und gewissenhaft, ließ sich viel Zeit. Ich beobachtete dabei seine großen, kräftigen Hände, wie die Finger über das Fleisch glitten, die Schnitte nachfühlten. Er arbeitete im Stehen, trank Flaschenbier und ließ amerikanische Marlboro im Aschenbecher verglühen. Fond. Salz. Pfeffer. Paprika. Ganz zum Schluss die Zitronenrinde. Er hängte den Topf mit allen Zutaten über das Feuer, rührte mit einem Holzlöffel um und verschloss den Deckel. Es war Magie, und je länger wir warteten, desto magischer wurde es. Dünner Rauch stieg aus den Lüftungslöchern am Topfrand, leises, beständiges Brodeln drang aus dem Inneren.

Ich spüre das Vibrieren meines Mobiltelefon und ziehe es aus der Brusttasche. Das Display leuchtet bläulich. Es ist die Nummer von Svea, ich erkenne sie an den letzten drei Ziffern – 397. Ich schließe die Augen … Nein, für Svea habe ich nie Gulasch gekocht. Sie mag Süßes. Früher habe ich für sie fingerförmige Kekse aus Lebkuchenteig gebacken und sie mit selbstgemachter Himbeermarmelade bestrichen. Ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt noch Fleisch isst. Heute ist es ja in Mode, kein Fleisch mehr zu essen. Vegetarier. Veganer. Die Wahrheit ist, dass diese Menschen noch nie ein anständiges Beef Wellington gegessen haben. Dann würden sie anders reden, anders denken. Fleisch ist Leben. Ich warte, bis das Vibrieren aufhört. Mein Gesicht spiegelt sich im Schwarz des Displays. Vor ein paar Tagen hat eine Frau, die hier in der Klinik neben mir lag, ein Porträt von mir angefertigt. Ich habe geschlafen, während sie es gezeichnet hat. Das fertige Bild habe ich zufällig entdeckt, als es ihr aus der Hand gerutscht ist. Akuter Schwächeanfall, man kennt das. Jedem passiert es irgendwann. Aus ihr wird sicher keine große Künstlerin, so viel kann ich sagen. Ihr Strich ist ungelenk, bemüht, aber er ist ehrlich. Es ist ein ehrliches Porträt. Sie hat es mir geschenkt, jetzt bewahre ich es zusammengefaltet in meiner Brieftasche auf. Das Gesicht im Display - es gleicht sich an, wird mehr und mehr zu dem Gesicht auf dem Papier. Eine schlechte Skizze, in Auflösung begriffen.

Die Frau habe ich seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Sie war noch jung. Vielleicht hat sie eine Chance. Vielleicht wird sie es schaffen. Wir kamen ins Gespräch, und als ich ihr sagte, ich sei in einem anderen Leben Chef de Cuisine im Pierrot gewesen, da hat sie mir erzählt, sie habe dort gemeinsam mit ihrer Schwester gegessen, einen Tag bevor sie von ihrer Diagnose erfuhr. Ich stelle mir vor, wie ich ein Pot au feu für sie koche. Im Grunde habe ich immer für vollkommen Fremde gekocht – ich kannten weder ihre Namen, noch ihre Gesichter. Doch diesmal ist es anders, da koche ich für diese Frau, und nur für sie. Wenigstens in meiner Vorstellung ist es so. Pot au feu ist das letzte Gericht, das ich im Pierrot koche. Ich mache alles selbst, verdonnere keinen aus der Brigade zu irgendetwas. Fleisch parieren. Gemüse waschen und schneiden. Für diesen Eintopf braucht man vor allem eins: Zeit. Es ist ein Kreislauf aus Kochen, Abschöpfen, Auskühlen und erneutem Kochen. Fast wie das Leben. Ich gebe mageres und fettes Fleisch in den Topf, dann Knoblauch, Nelken, unverzichtbar das Boquet garni. Ich bin konzentriert, alles funktioniert, jedes Gewürz, jedes Aroma fügt sich ineinander, wird zu einer Komposition, und ich weiß, ich brauche nicht nachzufragen, ob es ihr schmeckt. Ich serviere in zwei Gängen. Zuerst die Brühe, in ganz einfachen, flachen Schalen, verfeinert mit Schmelzkäse und Croutons. Danach das Fleisch, gemeinsam mit dem Gemüse und gegarten Kartoffeln, klassisch mit Senf, Vinaigrette und Cornichons. Sie isst langsam, mit großem Genuss, und währenddessen begreift sie, dass es ihre Henkersmahlzeit ist. Aber sie lächelt, kaut noch bedächtiger, versteht den Zusammenhang. Dass es mehr als ein Gericht ist, mehr als nur ein paar Zutaten, die man unter Hitze vermengt. Dass es eine Bedeutung hat.

Wieder das Telefon. Wieder Svea. Ich weiß, warum sie anruft, meine Ex-Frau hat es mir bereits gestern erzählt. Sie hatte einen Unfall mit einem Wagen, dessen Versicherung auf meinen Namen läuft. Es ist eine Vollkaskoversicherung, doch der Fahrer war nicht berechtigt und hatte außerdem mehr als anderthalb Promille Alkohol im Blut. Sie wollen nicht für die volle Schadenssumme aufkommen, die Sache wird vor Gericht enden. Ich habe meine Tochter in den letzten Jahren kaum gesehen, und wenn, dann haben wir nie mehr als ein paar belanglose Worte miteinander gewechselt. Sie hat ihre eigene Meinung über die Dinge, die zwischen mir und ihrer Mutter vorgefallen sind. Das kann ich nicht ändern, selbst wenn ich wollte. Ich habe Svea immer wieder gesagt, sie soll die Finger von Typen lassen, die gefährlich und unverantwortlich sind, aber warum sollte sie noch auf mich hören? Gift fließt durch meine Venen, um das Unausweichliche hinauszuzögern. Meine Worte besitzen keine Schwerkraft mehr. Meine Taten sind nur noch Bewegungen im luftleeren Raum. Das Vibrieren verstummt. Wieder das Gesicht im Display.

Ich sehe aus dem Fenster. Die Krähen sind weg. Die Wände noch da. Grau in Grau. Irgendwann sind wir nicht mehr nach Skallingen gefahren. Wir haben einfach damit aufgehört. Ich wurde älter. Mein Vater alt. Meine Mutter starb. Einmal hat mein Vater den gusseisernen Topf noch ausgepackt, im Sommer vor seinem Tod. Wir saßen im Garten auf der Patio, und ich habe versucht, das Feuerholz so elegant zu schichten wie meine Mutter. Die Lammschulter kaufte ich bei einem Metzger in der Stadt, Kartoffeln, Karotten und Weißkohl auf dem Markt. Wir standen vor der Anrichte in der düsteren Küche, bereiteten die Zutaten gemeinsam vor, stumm, andächtig. Wir wussten beide, dass es das letzte Mal sein würde. Wir wollten es mit Würde tun. Während der Eintopf über den Flammen köchelte, tranken wir Bier, rauchten eine kubanische Upmann. Dann erzählte mein Vater eine Geschichte über Skallingen, über einen Strand ganz in der Nähe unserer alten Hütte, den die Deutschen im Zweiten Weltkrieg vollständig vermint hatten. Dass sie den Strand vor Kurzem räumen mussten, und sie vielleicht nie alle Minen finden würden. Nach einer Weile sah er mich an, lächelte und sagte: „Wir haben keine Zitronenrinde.“ Ich nickte schweigend. Wir aßen spät. Es war eine warme Nacht.

Viel mehr kann ich nicht sagen. Das Leben ist der Versuch zu atmen. So sehe ich das. Es ist der Versuch, zu atmen, und nicht mehr damit aufzuhören. Das ist alles.

 
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Lieber Jimmy,
ich will dir nur schon einmal schreiben, dass ich ganz begeistert bin und irgendwie auch sprachlos. Bevor ich einen Kommentar zustande kriege, will ich sie noch ein paarmal lesen und mir etwas Zeit lassen.

Aber erstmal vielen, vielen Dank!

Chutney

 

Hallo , @AWM , und danke für deinen Kommentar.


Für mich könnte das "hauchdünne" weg, weil das schon ein bisschen in dem "vorsichtig" drin ist.

Hm. Ich hab letztens ganz vorsichtig eine riesige Leber aus einem 80 Kilo Keiler geschnitten ...

Würde "einem" streichen.

Tja, ist so die Frage. Wem steigt es denn in die Nase. Das ist ja auch schon wichtig. Unser Erzähler verallgemeinert das ja, wie sonst auch öfters im Text.

Urin und Erbrochenes ist sehr konkret, menschliche Ausdünstungen nicht und es kann für mich weg.

Ich finde menschliche Ausdünstungen auch sehr konkret: der durch Medikamente veränderte, fast schon saure Schweiß.

Dass das Zimmer klein war kann für mich weg. In einer Holzhütte erwarte ich keine großem Zimmer.

Ich hab letztes Jahr in einer Hütte in Kanada ein 20qm großes Zimmer gehabt. Er war ein Kind und bekommt demnach das kleinste Zimmer.

Kann weg. Das ist für mich Info-Dump. Das wollte ich auch an manch anderer Stelle zum Essen anmerken, aber dann kommt ja raus, dass er Koch ist und hat seine Berechtigung.

Nee, denn dieser Info-Dump ist ja ein Effekt. Das soll ja so klingen, weil er das nachgelesen und auswendig gelernt hat. Er spricht sich da fast schon den Wiki-Artikel vor.

kann für mich weg

Auch hier, schwierig. Was machen die Medikamente? Ist doch eine konkrete Benennung. Finde ich nicht verkehrt.

Schwierige Stelle für mich. Zuerst dachte ich, das ist zu distanziert, eine andere Perspektive. Auf der anderen Seite stelle ich es mir genauso vor, wenn man weiß, dass man stirbt, dass man dann so eine Beobachterperspektive einnimmt, um das alles nicht richtig an sich ranzulassen. In Max Stirners " Der Einzige und sein Eigentum" gibt es auch eine Stelle, wo er sagt, auf dem Sterbebett werden unsere Atheisten alle fromme Leute oder so ähnlich.

Er weiß, dass er stirbt. Er hat sich damit abgefunden. Das erklärt vielleicht auch den manchmal etwas pathetischen Tonfall. Er hat für die, die sich noch nicht entschieden haben, die Vergänglichkeit zu akzeptieren, eine leise Verachtung übrig.

Stimmt das? Oder ist das, weil du die Raben-Doppelung vermeiden wolltest?

Nein. Vögel stehen für den nahenden Tod. Das stimmt.

Erster Satz extrem gut. Der zweite kann weg.

Gekauft.

Auch das kann für mich weg.

Ja, würde zu dem Pathos passen. Ich mach es mal raus.

Das kann für mich wiederum weg.

Nein, denn das ist ja die Magie, die verborgen im Topf passiert. Das muss drinbleiben.

Manchmal" würde ich streichen. Ist doch auch so kalr, dass er das nicht jeden Tag getan hat.

In dem kleinen Wörtchen manchmal steckt noch viel mehr drin, nämlich eine Distanz zu seiner Tochter.

Würde für mich ohne das "denn" stärker wirken. Dann würden sie anders reden, anders denken.

Gekauft

Puh, arg pathetisch. Würde ich streichen.

Nein, denn Fleisch ist ja hier das Motto. Solange du isst, lebst du. Die früheste Erinnerung, dass Essen eine verbindendes Element der Menschen ist, etwas mit Sinnenfreude und Genuss, also mit Leben zu tun hat, ist eben dieser Gulasch. Das MUSS drin bleiben. Für ihn ist das eine Wahrheit.

würde ",matt" streichen.

Gekauft.

Würde "in der Klinik" streichen. Weiß man doch, wo er ist.

Nee, woher? Wird nie gesagt, hier das erste Mal. Könnte auch ein Krankenhaus sein. Eigentlich muss da sogar Tagesklinik hin.

Würde ich streichen.

Nein, denn er sagt nie, wie die Skizze aussieht, er beschreibt sie nie. Sie kommt erst wieder zur Sprache, als er den direkten Vergleich zieht, das ist der Grund, warum er sie aufbewahrt, weil sein Gesicht sich der Skizze annähert.

Auch das streichen

Gekauft.

Fände ich auch stärker, wenn du es bei "WIeder das Gesicht im Display" belassen würdest. Zieht sich so biscchen durch den Text, dass ich immer die letzten Sätze der Absätze weghaben will. Die schwächen das davor oftmals für mich ab.

Ja, das ist so eine Sache, das ist auch so ein verführerisches Thema, Tod, da schleicht sich gerne so eine unterschwellige Melancholie ein, die ich eigentlich hasse. Raus!

Extrem geiles Ende! Aber auch hier würde ich "Das ist alles" streichen :D

Nein, das muss drin bleiben. Das ist die letzte Resignation, und das erlaube ich dem Text an dieser Stelle, sorry.

Sehr intensiver Text, den ich sehr gerne gelesen habe.

Jup.

Gruss, Jimmy

 

Lieber Jimmy,

puh, da muss ich mich jetzt konzentrieren. Du hast dir einen meiner persönlichsten Texte ausgesucht und ich werde es wohl nicht schaffen, mich da rein auf Wortwahl und Satzbau zu beschränken. Muß ja auch nicht.
Der Mann, den du beschreibst hat viel von dem Mann, den ich im Kopf hatte, sehr viel sogar. Der hat viel Wärme, die Sorgfalt, mit der er redet, manchmal das Umständliche, sich Wiederholende, die Ruhe. Andererseits ist seine Lage offenbar deutlich aussichtsloser, das Verhältnis zu seiner Tochter schlechter, als in meiner Geschichte. Seine Gedanken kreisen um den Tod, mit dem er rechnet. Was du damals an meinem Text nicht mochtest, den Scherz mit dem "Alien", sowas käme deinem Protagonisten nicht über die Lippen. Ich finde es großartig, wie du einige Andeutungen, die Blockhütte, den Beruf des Kochs genommen und daraus eine ganze sinnliche Welt gemacht hast, in der Fragen um Leben und Tod, Genuß und Vergänglichkeit, Würde und Ausgeliefertsein verhandelt werden.

Die wenigsten wissen, dass zu einem guten Gulasch Zitronenrinde gehört.
Wunderbarer Anfangssatz. Er kennt Geheimnisse für ein gutes Leben.

Hier, hier stinkt es nach Urin, menschlichen Ausdünstungen und Erbrochenem.
Das stimmt so nicht. Es riecht eher nach Desinfektionsmittel, vielleicht nach Plastik, nach Wartezimmer. Sie achten darauf, dass da nichts intensiv riecht, gerade wegen der Gefahr der Übelkeit. Sogar Blumen sind nicht erwünscht, auf onkologischen Stationen verboten. Und tatsächlich wird auch sehr selten erbrochen. Es gibt da inzwischen doch recht wirkungsvolle Medikamentencocktails. Die Übelkeit setzt bei vielen erst ein paar Tage später, zu Hause ein. Und insofern sind übrigens seine Phantasien von der Fleischzubereitung während der Infusion durchaus möglich.

Das einzige Fenster in meinem kleinen Zimmer lag ostwärts, und wenn ich auf dem Bett lag, konnte ich die Brandung hören.
Wenn das Fenster westwärts läge, könnte er die Brandung aber noch besser hören.;)

Ich stelle mir vor, wie es sich von der Leber aus im ganzen Körper verteilt, tief in das Gewebe eindringt. Und irgendwann schlägt ein schwarzes Herz in meiner Brust, dann kann ich endlich sagen: `Hier, ihr habt es alle schon immer gewusst!`
Das gefällt mir gut, wie das Wissen, was er sich angelesen hat, zu einem Bild wird. Ups, und da habe ich ihm Unrecht getan, er hat Humor. Ziemlich schwarz eben.

Die Medikamente machen etwas mit dir. Sie geben dir eine Vorahnung auf das, was unausweichlich ist. Jede Bewegung schmerzt. Alles ist mühselig. Man wird langsam.
Ich mag hier die schlichte Sprache, die einfach sagt, wie es ist.

An dem du aufgeben willst. Einfach nicht mehr weitermachen. Liegenbleiben. Jeder hier erlebt diesen Moment. Manche schaffen es nicht zurück, stehen nicht mehr auf. Dann beginnen sie, an Götter zu glauben, an Scharlatane und ihre leeren Versprechungen, an die Kräfte exotischer Kräuter und Pflanzen.
An dieser Stelle bin ich irritiert. Ich hätte das umgedreht. Erst noch alles versuchen. Dann Liegenbleiben. Aufgeben.

Mein Vater starb im Schlaf.
An die denken, die vor einem gestorben sind, wenn der Tod naht. Passt.


Natürlich denkst du darüber nach, was mit ihnen passiert ist, auch wenn du es eigentlich nicht willst. Man weiß ja, es gibt nicht mehr so viele Möglichkeiten. Tot. Geheilt. Ein Leben auf Zeit. Ein Leben mit der Angst. Wir können es nicht ändern. Wir beobachten uns, vermessen die Vergänglichkeit. Ich sehe es in den Gesichtern, ich kann es in ihnen lesen. Und ich weiß, was sie in meinem lesen. Ohne Wimpern und Augenbrauen sehe ich aus wie ein kleines Kind. Manchmal erscheint es so sinnlos, dass ich denke ich, alles was ich noch tun kann, ist atmen.
Das finde ich sehr stark. Letztlich ist ein Leben auf Zeit das, was alle Menschen betrifft. Und verbindet.


Das Fleisch aus der Schulter ist langfaserig und nur mäßig mit Fett durchwachsen. Es eignet sich nicht zum kurzen, scharfen Anbraten, es muss lange im Topf schmoren, um sein volles Aroma zu entfalten.
Es hat auch etwas davon, sich festzuhalten an seinem Wissen. Du sprichst später von Würde. Und auch darum, nicht seine Identität total aufzugeben. Er ist Krebspatient, aber er ist immer noch Koch. Hier liefert er sich einer Behandlung aus, wird zum kleinen Kind. Und da weiß er genau, wie es geht. Wie man es richtig macht.

Meine Mutter schichtete Splinte über zerknülltem Zeitungspapier und legte trockene Holzscheite nach. Es kommt mir seltsam vor, wenn ich jetzt daran denke, aber meine Mutter konnte das gut, das mit dem Feuer.
Schön.


Es war Magie, und je länger wir warteten, desto magischer wurde es. Dünner Rauch stieg aus den Lüftungslöchern am Topfrand, leises, beständiges Brodeln drang aus dem Inneren.
Das mit der Magie gefällt mir gut. Oben schreibst du davon, wie manche an Scharlatane verfallen. Im Gegensatz dazu ist es wirklich ungemein hilfreich, zu einer Art eigener Magie, zu inneren Bildern zu finden. Das Bild mit dem Topf, wie ein Zauberkessel ist großartig. Leben und Tod in einem. Etwas wird zerstört und etwas Neues geschaffen. Verwandlung.


Ich spüre das Vibrieren meines Mobiltelefon
fehlt das "s"

Ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt noch Fleisch isst.
Absolute Distanz. Die fehlende Beziehung zur Tochter bleibt im Text aber irgendwie ein bitteres Geheimnis. Es scheint von Anfang an nicht gepasst zu haben zwischen den beiden.

Akuter Schwächeanfall, man kennt das. Jedem passiert es irgendwann. Ich glaube, es war ihr unangenehm, dass ich es gesehen und an mich genommen habe.
Ich glaube, das Fette würde ich rausnehmen, weil es sich nicht so verallgemeinern lässt. Und den Satz danach finde ich auch nicht so glücklich. "An mich genommen", klingt, als ob er ihr das Bild bereits weggenommen und eingesteckt hat. Und später schenkt sie es ihm.

Das Gesicht im Display - es gleicht sich an, wird mehr und mehr zu dem Gesicht auf dem Papier. Eine schlechte Skizze, in Auflösung begriffen.
Großartig, wie du das Thema mit der Skizze aufgreifst, da noch tiefer reingehst, was die für ihn bedeutet. Erschrecken vor dem, was man ist, aber immer noch da sein.

Im Grunde habe ich immer für vollkommen Fremde gekocht – ich kannten weder ihre Namen, noch ihre Gesichter. Doch diesmal ist es anders, da koche ich für diese Frau, und nur für sie. Wenigstens in meiner Vorstellung ist es so.
Schön.

Sie isst langsam, mit großem Genuss, und währenddessen begreift sie, dass es ihre Henkersmahlzeit ist. Aber sie lächelt, kaut noch bedächtiger, versteht den Zusammenhang. Dass es mehr als ein Gericht ist, mehr als nur ein paar Zutaten, die man unter Hitze vermengt. Dass es eine Bedeutung hat.
Ich sehe das als einen der Momente, bei denen der Tod so gegenwärtig ist, dass das Leben zu leuchten scheint. Auch was Zeitloses. Ach, ich mag es gar nicht weiter interpretieren. Das ist das Stärkste, was er seiner Todesgewißheit entgegensetzen kann. Sinnlichkeit. Das Leben feiern.

Gift fließt durch meine Venen, um das Unausweichliche hinauszuzögern, und es ist, als wäre ich schon nicht mehr da. Meine Worte besitzen keine Schwerkraft mehr. Meine Taten sind nur noch Bewegungen im luftleeren Raum.
Hier ist das wirklich das Gegenteil zu meinem Protagonisten. Es ist aber auch das Gegenstück zu den Bildern mit den Eltern, dem Kochen, dem nahen Verhältnis zum Vater. Wenn es die Tochter betrifft, geht es um Ungelöstes.

Wir standen vor der Anrichte in der düsteren Küche, bereiteten die Zutaten gemeinsam vor, stumm, andächtig. Wir wussten beide, dass es das letzte Mal sein würde. Wir wollten es mit Würde tun.
Er kreist es ein, das Thema Tod, Vergänglichkeit.

Dann erzählte mein Vater eine Geschichte über Skallingen, über einen Strand ganz in der Nähe unserer alten Hütte, den die Deutschen im Zweiten Weltkrieg vollständig vermint hatten. Dass sie den Strand vor Kurzem räumen mussten, und sie vielleicht nie alle Minen finden würden.
Nochmal ein Bild für die Unberechenbarkeiten und Gefahren des Lebens. Weist auch noch einmal weit in die Vergangenheit.

Nach einer Weile sah er mich an, lächelte und sagte: „Wir haben keine Zitronenrinde.“ Ich nickte schweigend. Wir aßen spät. Es war eine warme Nacht.
Nichts ist vollkommen.

Viel mehr kann ich nicht sagen. Das Leben ist der Versuch zu atmen. So sehe ich das. Es ist der Versuch, zu atmen, und nicht mehr damit aufzuhören. Das ist alles.

Lieber Jimmy, dein Text ist wirklich ein Geschenk für mich.

Herzliche Grüße von Chutney

 

Man kann Alkohol ausdünsten, Knoblauch und viele andere Dinge oder eben von Medikamenten veränderten, fast sauren Schweiß.

Hast Recht. Ich ändere das. Knoblauchschwitz ... :D Danke für das nochmalige Melden.

@Chutney

Danke dir für deinen Kommentar. Ist natürlich besonders spannend, einen Kommentar vom Autoren des Originals zu bekommen. Ja, ich weiß nicht, ich habe schon öfters Kopien oder Add-on von fremden Texten geschrieben, nur für mich, als Fingerübung - Texte von Carver, Barthelme, Wolff. Einfach um zu sehen, wie und wo kommt man da raus, was macht man mit dieser Grundsubstanz?
Es gibt ja die Raumtheorie, der ich anhänge, zwei Menschen in einem Raum, schon hat man eine Ausgangssituation. Das war ja auch ein wenig bei deinem Original so, dass die beiden da kommunizieren, aber auf eine ganz seltsame Art und Weise, so der Wirklichkeit enthoben, weil sie sich da in dieser sehr speziellen Situation befinden.

Der Grundkonstruktion wollte ich Rechnung tragen, aber ohne sie zu wiederholen. Also lasse ich den dänischen Koch erzählen, Dinge rekapitulieren lassen, einen leicht erratischen Text, wie Manlio jetzt sagen würde, jedoch geprägt von einer sinnlichen Lebenslust. Das ist immer auch schwer, da etwas zu erzählen, und es so hinzubekommen, dass es nicht einfach nur angerissen wirkt. Seine Frau fehlt mir auch etwas im Text, die ist unterrepräsentiert, aber irgendwie habe ich das nicht mehr geschafft, da was einzubauen, was Sinn macht.

Ich glaube, das Kochen, also die sinnliche Erfahrung der Nahrungsaufnahme, ist ihm besonders wichtig, er verbindet damit sehr viel, fast alles, es schwingt immer im Hintergrund mit. Und ich empfinde es auch so, über offenem Feuer kochen, wenn du ein Tier aufbrichst, es zerwirkst, es selber gejagt hast, das sind archaische Erfahrungen, die mich jedenfalls immer bereichert haben. Kochen und Essen ist ja auch ein verbindendes Element, ein Ritual, das wollte ich darstellen, dass es für den Charakter eine immense Wichtigkeit hat, sein roter Faden.

Ja, ich ändere, was du angemerkt hast, das mache ich am WE, weil ich es vorher nicht gebacken bekommen, zeitlich. Ich finde es schön, dass mein Text dir wenigstens etwas zu gefallen scheint.

Gruss, Jimmy

 

Hallo!

Ich habe, anders als herkömmlich, gleich auch noch die Muttergeschichte gelesen, bevor ich kommentiere. Das liegt daran, dass Du von einem Addon sprachest und das Original somit nicht abgeändert bzw. neuinterpretiert hast. Zunächst möchte ich anmerken, dass ich die Idee einer Erweiterung einer Geschichte, bzw. spezifischer den gleichen Handlungsrahmen aus einer anderen Perspektive zu erzählen, sehr ansprechend finde. Das ist nicht nur wahnsinnig interessant, sondern gibt der/den Geschichte/n eine sonst schwer zu erreichende Tiefe,
Das gleiche ist ja schon mit Deiner Geschichte "Weiße Wände" passiert und da war das auch eine unglaublich interessante Sache. Die Geschichten haben sich gegenseitig akzentuiert und emporgehoben, und da diese Geschichte ebenso gefühlvoll wie das Original geschrieben wurde, ist das mMn hier auch der Fall.
Hier wurde schon viel und gründliche Textarbeit geleistet, nicht zuletzt deshalb werde ich hauptsächlich auf den Inhalt eingehen.

Die wenigsten wissen, dass zu einem guten Gulasch Zitronenrinde gehört.
In der Tat ein genialer erster Satz. Du hast ein Talent dafür, Einzelheiten, scheinbar Belangloses, aber damit umso Persönlicheres in die Geschichte zu bauen und ihr somit ein hohes Maß an Authentizität zu geben. Ein bisschen bist Du ja anscheinend bekannt dafür, naja es ist auch dieses Mal wieder gelungen. Allerdings war es mir an einem Punkt zu viel mit damit:
Für diesen Eintopf braucht man vor allem eins: Zeit. Es ist ein Kreislauf aus Kochen, Abschöpfen, Auskühlen und erneutem Kochen. Fast wie das Leben. Ich gebe mageres und fettes Fleisch in den Topf, dann Knoblauch, Nelken, unverzichtbar das Boquet garni. Ich bin konzentriert, alles funktioniert, jedes Gewürz, jedes Aroma fügt sich ineinander, wird zu einer Komposition, und ich weiß, ich brauche nicht nachzufragen, ob es ihr schmeckt. Ich serviere in zwei Gängen. Zuerst die Brühe, in ganz einfachen, flachen Schalen, verfeinert mit Schmelzkäse und Croutons. Danach das Fleisch, gemeinsam mit dem Gemüse und gegarten Kartoffeln, klassisch mit Senf, Vinaigrette und Cornichons.
Das ist wenig analytisches Ergebnis, viel eher das Gefühl, das ich beim Lesen hatte. Ich bin sonst gerne in die Gedankenwelt des Protas mitgenommen worden, habe ihn gerne durch diese persönlichen Merkmale kennengelernt, an dieser Stelle allerdings war es mir zu viel. Ich habe mich im Lesefluss dadurch gestört gefühlt, war genervt davon, wie ausführlich hier ins Detail gegangen wird, wollte viel eher wissen, wie es nun weitergeht. Ich denke das liegt daran, dass ich schon zuvor ausreichend bedient wurde zum Thema Kochen. Prota und Kochen das wurde schon hinreichend behandelt, dass er nun auch beruflich Koch ist, ok, hier wurde einfach ein wenig zu dick aufgetragen, finde ich.


Meine Worte besitzen keine Schwerkraft mehr. Meine Taten sind nur noch Bewegungen im luftleeren Raum.
Meine Worte besitzen kein Gewicht wird zu: Meine Worte besitzen keine Schwerkraft mehr. Hm, ok.
Das wird jetzt vielleicht ein wenig minutiös.
Das ist eine seltsame und gewagte Formulierung. Also dass die Worte keine Schwerkraft besitzen, mag wohl ein gelungenes Bild sein: sie haben keine Anziehungskraft mehr, werden ignoriert. Aber warum nicht bei der bekannten Formulierung bleiben? Den Worten eine Schwerkraft zuzusprechen, ist meiner Meinung nach etwas zu hoch gegriffen. Ich meine, die Worte bewegen sich normalerweise in einem Raum mit Schwerkraft und haben demnach ein größeres oder kleineres Gewicht, aber die Worte als die schwerkrafttragende Entität zu bezeichnen, klingt, als würden diese maßgeblich für alle anderen Worte sein, die sich in dieser Schwerkraft bewegen und (nur) ein bestimmtes Gewicht haben. Den Worten eine Schwerkraft zuzusprechen hebelt hier vollkommen den notorischen Spruch "Worte haben Gewicht" aus.
Du ziehst hier wunderbar die Verbindung mit dem luftleeren Raum, "Meine Taten sind nur noch Bewegungen im luftleeren Raum." und das wirkt auch auf den ersten Blick wie ein starkes Bild, ist aber streng genommen ebenfalls anzweifelbar. Denn luftleerer Raum, und sei es dann ein Vakuum, bedeutet ja nicht gleich ohne Schwerkraft. Der Laie mag diese beiden Eigenschaften notorisch miteinander in Verbindung bringen, streng genommen besteht diese Verbindung jedoch gar nicht. Luftleerer Raum und Schwerelosigkeit mögen im All nebeneinander auftreten, haben aber miteinander eigentlich nichts zu tun.
Das ist wirklich sehr minutiös, so sehr habe ich mich daran dann doch nicht gestört. Hatte gerade nichts Besseres zu tun.

Diese Sache noch:

Ich glaube, es war ihr unangenehm, dass ich es gesehen und an mich genommen habe.
Erstens widersprichst Du Dir im Folgenden:
Sie hat es mir geschenkt,
und zweitens war das in der Originalgeschichte anders:
Ich kichere und schiebe die Zeichnung schnell in mein Buch. Diesmal hindert er mich nicht,
„Darf ich mal sehen?“, fragt er und zeigt auf mein Blatt.
„Oh je.“
„Na los.“
Zögernd drehe ich es um.
Hier hat der Mann das Bild erst in die Hand bekommen, als es ihm letztendlich geschenkt wurde. Vielleicht habe ich es falsch verstanden.


Ich hoffe, dass ich in irgendeiner Weise zur Auswertung der Geschichte beitragen konnte. Ich habe gerne gelesen und freue mich auf mehr.

MfG Putrid Palace

 

Gude @jimmysalaryman,
Chutneys Text habe ich nachgeholt, bevor ich auch in diesen Copywrite-Text reingeschaut habe. Am stärksten ist mir aufgefallen, wie unterschiedlich die Szenen im Krankenhaus sind. Chutneys Text ist meines Erachtens nach sehr nah am Geschehen. Der Tropf wird beschrieben, die Leute, die da sitzen, was passiert. Wenig offen gelegte Gedanken.
Dein Protagonist (mit den blauen Ohren ;)) reflektiert die Situation explizit.
Hier z.B. um eine längere Passage dafür zu zeigen:

Natürlich klammere ich mich an den Rest Leben, der mir noch bleibt. Wie es jeder Mensch tun würde. Was sollte ich auch sonst tun?
Die Medikamente machen etwas mit dir. Sie geben dir eine Vorahnung auf das, was unausweichlich ist. Jede Bewegung schmerzt. Alles ist mühselig. Man wird langsam. Es gibt diesen einen Moment, an dem du die Grenze überschreitest. An dem du aufgeben willst. Einfach nicht mehr weitermachen. Liegenbleiben. Jeder hier erlebt diesen Moment. Manche schaffen es nicht zurück, stehen nicht mehr auf. Dann beginnen sie, an Götter zu glauben, an Scharlatane und ihre leeren Versprechungen, an die Kräfte exotischer Kräuter und Pflanzen. Nichts davon wird sie heilen. Es ist die Hoffnung, die sie glauben lässt.
Ich wäre fast geneigt, die gute Keule mit "Show, don't tell" drauf zu schwingen. Aber die hat schon genug Blutflecken ;).
Zum einen weißt du das eh und zum anderen ist das hier schlicht eine andere Art des Umgangs mit dem gleichen Stoff. Natürlich hättest du jetzt auch noch mal den Tropf usw. schildern können, aber ich glaube, das wäre im Sinne des Copywrites nicht so sinnvoll und spannend geworden.
Allerdings muss ich für mich leider feststellen, dass mir diese Passagen auch mit dieser Logik nicht warm werden wollen. Ich spüre da nicht viel, was dann auch an Sätzen wie diesem hier liegt:
Der Tod wird den Lebenden nie begreiflich werden.
Das erscheint mir abgegriffen. Du bist doch der Autor von Sätzen wie: "Der Tod schmeckt nach Kupfer." Da kann ich immer noch drauf rumdenken. Bei dem Tod, der den Lebenden nicht begreiflich wird - nicht so.

Der Text hat mir aber dennoch sehr gut gefallen. Das liegt daran, dass er von der Klinik aus nach außen geht. Wenn der Protagonist an sein Leben zurückdenkt, an seinen Vater, ans Kochen, an die Mutter. Das fühle ich mich nah dran, die Zitronenrinde, die am Ende fehlt, löst etwas aus. Wehmut oder so etwas, dass es eben nicht richtig zu Ende gekocht werden konnte. Weil der Abschluss nicht sauber funktionieren will - das Thema des gesamten Textes. Die Klammer finde ich richtig stark.

Ich würde insgesamt dafür plädieren, über die Stellen seiner Reflexion über die Krankheit nachzudenken. Vielleicht zu kürzen, es sich mehr aus seinen Rückerinnerungen erschließen zu lassen. Es gibt ja Gründe, warum er sich zu diesem Zeitpunkt genau darauf zurückbesinnt.
Oder auf die Formulierungen schauen - auf den Pathos, wie AWM schon angemerkt hatte.

Soweit vielleicht fundamentale, aber hoffentlich nachvollziehbare Kritik (ansonsten liefer ich gerne nach). Insgesamt hat es mir gut gefallen und die Zitronenschale im Gulasch vergesse ich nicht so schnell.

Zum Abschluss was kleines:

ich kannten

Liebe Grüße
Vulkangestein

 

Die Geschichten haben sich gegenseitig akzentuiert und emporgehoben, und da diese Geschichte ebenso gefühlvoll wie das Original geschrieben wurde, ist das mMn hier auch der Fall.

@Putrid Palace danke für deinen Kommentar. Ja, das hier ist eine andere Sicht, ein Charakter, eine Figur, die sich aus dieser originalen Geschichte gebiert, aber im Grunde eine andere Geschichte erzählt, sie entstammt dem Setting. Ich finde das Spannende an Copywrite halt die Umsetzung, wie geht man mit dem Setting um, was ist da interessant, und welche Eigenart des Autoren kann man der Geschichte zuträglich anbringen, verwenden?

Mir ist die Stelle, wo er das Henkersmahl da minutiös erklärt, bewusst. Das ist eventuell etwas too much, vielleicht habe ich auch einfach ein paar Bücher von Jim Harrison zuviel gelesen; jedenfalls hat die Szene natürlich auch einen Sinn, es ist ja seine Vorstellung, wo er sich auch Zeit nimmt, Zeit ist ja ein wesentlicher Faktor in dieser Geschichte. Für den Genuss braucht man Zeit, und eigentlich weiß er nicht, ob er sie noch hat, bzw er weiß, dass er sie nicht mehr hat. Das ist ja auch ein zentraler Moment in diesem Text. Ich weiß aber genau, was du meinst. Vielleicht kürze ich an anderer Stelle, damit es nicht so imposant und dick aufgetragen wirkt.

Worte, denen die Schwerkraft fehlt. Ich finde deine genaue semantische Analyse bemerkenswert, ich habe gar nicht so tief gedacht. Cormac McCarthy sagte einmal in einem seiner seltenen Interviews, dass er nur Worte besitzt, die über eine gewisse Schwerkraft verfügen. Er meint damit, in seinem Kontext, keine Verniedlichungen etc. Ich wusste sofort, was er damit meint; Worte, die über ein eigenes Bedeutungsuniversum verfügen. Kann ich gar nicht genau sagen, wie uns das meint, aber es sind starke Worte, die Gewicht haben, auf die man hört, von denen man sich angezogen fühlt. Ist sicher richtig, dass es technisch vielleicht nicht ganz sauber ist, auch das mit dem luftleeren Raum (war mir gar nicht so bewusst), und ich bin sonst der Erste, der sagt, hier, schiefe Bilder, gibt auf die Finger. Ich mache mal einen Kompromiss und sage, ich warte ab, was die anderen Leser empfinden und kommentieren.

Der Twist mit dem Schenken der Zeichnung ändere ich noch, das hat Chutney ja auch angemerkt.

Ja, vielen Dank fürs Lesen und für das Kommentieren.

@Vulkangestein , auch dir danke für den Kommentar.

Allerdings muss ich für mich leider feststellen, dass mir diese Passagen auch mit dieser Logik nicht warm werden wollen. Ich spüre da nicht viel, was dann auch an Sätzen wie diesem hier liegt:

Total. Ist sicher ein wenig der Zeit geschuldet, weil ich den Text mit heißer Nadel gestrickt habe. Wenn ich denn jetzt noch zehn mal überarbeitet und liegengelassen hätte, wäre das sicher auch rausgeflogen oder aber anders aufgetaucht. Ich habe das oft, dass bei solchen Themen, Tod etc, also den richtig existenziellen Sachen, das mir da selbst auffällt, wie man auf Pathos und so abgegriffene Allgemeinplätze zurückgreift. Ich denke, das liegt daran, dass man dem Leser näher kommen möchte und darauf vertraut, dass er auch wirklich versteht, was wir meinen. Den Leser übervorteilen. Ist ja auch immer die Frage: Sagt der Erzähler so etwas? Also insofern hast du natürlich vollkommen Recht, das ist einfach zu viel und wird auch gekürzt. Dauert nur ein bisschen, bin grad eingespannt.

Danke dir für deinen Kommentar!

Gruss, Jimmy

 

Hi @jimmysalaryman,

dass Du mir mal eine Träne entlockst. Tja, passiert.
Schwarze Vögel, graue Wände, gusseiserne Töpfe.
Ganz Du :-)

Zitronenrinde. Ein frischer, säuerlicher Geruch, der einem in der Nase kribbelt.
Ich finde, Zitronenschale riecht und schmeckt immer leicht nach Seife. Es gibt ein persisches Lammgericht mit getrockneten Limetten. Schmeckt lecker, aber auch sehr seifig.

Natürlich klammere ich mich an den Rest Leben, der mir noch bleibt. Wie es jeder Mensch tun würde. Was sollte ich auch sonst tun?
Es gibt auch die, die Loslassen. Einfach gehen. Nicht mehr wollen.
Nichts davon wird sie heilen. Es ist die Hoffnung, die sie glauben lässt.
Nicht die Hoffnung. Sondern die Angst. Die Angst vor dem Tod läßt die Menschen die abstrusesten Dinge tun, das unmögliche glauben. Das heißt aber nicht, das die Chemo der einzige Weg ist. Denn am Ende sterben die meisten an den Nebenwirkungen der Chemo. Nicht am Krebs selbst.
Heute ist es ja in Mode, kein Fleisch mehr zu essen. Vegetarier. Veganer. Die Wahrheit ist, dass diese Menschen noch nie ein anständiges Beef Wellington gegessen haben. Dann würden sie anders reden, anders denken. Fleisch ist Leben.
Es ist keine Mode. Sondern eine Einsicht. Fleisch ist kein Leben. Fleisch bedeutet Tiere zu töten. Wenn man es nicht selbst kann, (so wie ich) sollte man es lassen. Wenn man es kann, (so wie Du) dann hat man eine Rechtfertigung. :-)
Diese Spaltung zwischen: ich bin so männlich, esse Flesich, und Veganismus ist Mode und alle Fleischesser sind Mörder ist doch doof.

Dein Stil wirkt wie immer nüchtern, distanziert, im Flow. Aber Du läßt den Leser viel mehr an dem Innenleben des Prot teilnehmen als sonst. Wenn du da den Schalter leicht anlegst, kommen mir Heulsuse direkt die Tränen.
Nice one.

xx Jo

 
Zuletzt bearbeitet:

„… und ER, Gott, bildete den Menschen, Staub vom Acker,
er blies in seine Nasenlöcher Hauch des Lebens,
und der Mensch wurde zum lebenden Wesen.“
1. Mose 2, 7 nach Buber / Rosenzweig​

Manchmal erscheint es so sinnlos, dass ich denke ich, alles was ich noch tun kann, ist atmen.

Viel mehr kann ich nicht sagen. Das Leben ist der Versuch[,] zu atmen. So sehe ich das. Es ist der Versuch, zu atmen, und nicht mehr damit aufzuhören. Das ist alles.

Wahnsinnige Geschichte,

jimmy,

und gut, dass es dieses copywrite gibt. Ein Halleluja auf die Schöpfung von der Erde und des Lebens, die Macher des copywrite`s und seine Teilnehmer (selbst in der Reibung entsteht Wärme, sollte man nie vergessen) und dass die Luft nie vergiftet oder uns der Atem abgedreht werde, wir nie zu atmen vergessen und wenn, dann naturgegeben oder aus eigener Entscheidung.

„Der Versuch, zu atmen“, schon der Titel zeigt das Leben als ein Experiment und dann der Rückblick auf die ganze menschliche Geschichte, die nicht so sehr mit Gesellschaftsbildung und der Entdeckung der Hand als Werkzeug beginnt - unseren armen Cousins vor allem der Schimpanse in seiner vielfältigen Erscheinung, nutzt auch Hand-werks-zeug, bildet Gesellschaften und führt Kriege gegen seinesgleichen, die nicht nur Balz- und Konkurrenzgehabe unter Gleichgeschlechtlichen sind und mit der Rangordnung innerhalb der eigenen Gruppe zu zun hat – sondern in der Beherrschung des Feuers, die Angst vor ihm zu überwinden, nicht einfach zu fliehen und ggfs. im Wasser zu ersäufen.

Und wie man dem Sterbenden nachsagt, Erinnerung und Rückblende

Mein Vater hat es mir beigebracht ...
Erinnerungen an den alten Herrn und einer Vorstellung, wie er gestorben sei, zugleich mit der Rundumschau am Ort des Sterbens und der Mediktion - nur als Beispiel – zusammengeballt auf ca. vier Seiten Manuskript.

Und selbst der Glaube holt einen wieder ein, die der Icherzähler zugleich mit der Hoffnung verknüpft

Dann beginnen sie, an Götter zu glauben, an Scharlatane und ihre leeren Versprechungen, an die Kräfte exotischer Kräuter und Pflanzen. Nichts davon wird sie heilen. Es ist die Hoffnung, die sie glauben lässt.
verbindet – fehlt nur noch die Liebe, und der Korintherbrief wäre erfüllt – aber es wäre wohl weniger die Liebe zu andern als zu sich selbst - dabei darf nicht vergessen werden, dass ohne Eigenliebe keine Nächstenliebe/Solidarität entstehen kann. (mein alter Herr trat aus der Kirche aus, ausgerechnet in der Zeit, als ich Presbyter war, um Jahre vor seinem Tod wieder einzutreten – bei Altkatholiken. Die Wege ob der Herrn auf Erden wie im Himmel sind wundersam.)
Und mittendrin die Frage:

Erwartet man den Tod jemals?

Dabei ist das die einzige Erwartung, die garantiert nicht enttäuscht wird – da kann das Tal des Silikons noch so sehr am ewigen Leben basteln. Prothesengötter leben - bis zum nächsten Stromausfall.

Flusenlese (die ja eigentlich schon im Eingangszitat beginnt) und ach eigentlich minimalistisch bleibt

Ich spüre das Vibrieren meines Mobiltelefon und …
Genitiv-s nicht vergessen!

Trotz (oder doch "wegen") des Themas -

gern gelesen vom

Friedel

Nachtrag (nicht nur, weil ich vor gestern in "Yesterday" mal wieder nach "Lincoln" im Kino war): Auch die Amsel tut's als Totenvogel, siehe "Blackbird" ("... singing in the dead of night ...") von Paulchen Mc...

 

Moin, moin @jimmysalaryman ,

Ja, das ist eine sehr gute Copy-Version, selbst nach dem fünften, sechsten Lesen schnürt sich der Hals zu und trotzdem habe ich das Gefühl, dem Prot gerne zugehört zu haben
Ich gehe einfach mal durch, genaugenommen ist ja alles gesagt, aber ein Leseeindruck mehr, schadet bekanntlich nichts.

Die wenigsten wissen, dass zu einem guten Gulasch Zitronenrinde gehört.
superschöner Einstiegssatz, auch wenn ich erstmal dumm gegoogelt habe, bei uns heißt es regional Zitronenschale.

Schälmesser haben in der Regel eine leicht gebogene Klinge. Es muss gut in der Hand liegen.
Hier stolpere ich jedesmal. Du sprichst von Messern (Plural) und springst dann auf "Es", finde ich nicht elegant

Ein frischer, säuerlicher Geruch, der einem in der Nase kribbelt. Hier, hier stinkt es nach Urin, menschlichen Ausdünstungen und Erbrochenem.
Ja, superhare Brüche, die ziehen mich tief rein

Daran erinnere ich mich. Das auf und abschwellende Geräusch der Wellen. Der Strandroggen unter meinen nackten Fußsohlen.
toll, die detaillierten Erinnerungen an Kleinkram

Das Salz in der Luft. Ich spüre, wie das Gift kalt meinen Arm hinaufsteigt. Cyclophosphamid.
auch hier wieder ein unerwarteter Bruch, der mich an das Geschehen bindet. Ich hätte theoretisch vermutete, das sowas raushaut, tut es aber nicht, sehr interessant.

Natürlich klammere ich mich an den Rest Leben, der mir noch bleibt. Wie es jeder Mensch tun würde. Was sollte ich auch sonst tun?
Ne, nicht weil ich was zum meckern suche (bin ja eher die zu Nette). Aber mir ist der Mittelsatz zu fett, zu Holzhammer, zu allgemein? Ich kriege es nicht richtig zu fassen, aber das "jeder Mensch" erscheint mir hier falsch, vielleicht einfach ein "jeder". Der erste und dritte Satz sind ganz ER, der zweite so eine Verallgemeinerung im Sinne von "ich gehöre dazu", gefühlt ...

Man weiß ja, es gibt nicht mehr so viele Möglichkeiten. Tot. Geheilt.
Hier hätte ich als Leserin die beiden Möglichkeiten gerne selbst erkannt

Manchmal erscheint es so sinnlos, dass ich denke ich, alles was ich noch tun kann, ist atmen.
Das ist eine harte Zusammenfassung, aber hier voll nachvollziehbar, ich fühle seine Ohnmacht

aber meine Mutter konnte das gut, das mit dem Feuer. Sie hatte kleine Hände und schmale Finger. Sie war geschickt.
tolle Beschreibung der Mutter, so ganz nebenbei und auch die Verhältnisse in der Familie lassen sich nebenbei mit fühlen

Er arbeitete ruhig und gewissenhaft, ließ sich viel Zeit.
hier genauso,. mag ich sehr

Ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt noch Fleisch isst.
ja, hier leider auch, ohne viel Worte

Das Gesicht im Display - es gleicht sich an, wird mehr und mehr zu dem Gesicht auf dem Papier. Eine schlechte Skizze, in Auflösung begriffen.
Aua

Aber sie lächelt, kaut noch bedächtiger, versteht den Zusammenhang. Dass es mehr als ein Gericht ist, mehr als nur ein paar Zutaten, die man unter Hitze vermengt. Dass es eine Bedeutung hat.
ich persönlich finde diese Mischung aus sterilem Krankenhaus und wunderbarem Koch- und Esserlebnissen total gut, die harten Brüche drücken es mir noch eindringlicher aufs Gemüt, ist aber sicherlich Geschmackssache (vielleicht bin ich auch einfach nur verfressen)

Nach einer Weile sah er mich an, lächelte und sagte: „Wir haben keine Zitronenrinde.“ Ich nickte schweigend.
Ja, die wirklich bedeutsamen Dinge im Leben

Viel mehr kann ich nicht sagen. Das Leben ist der Versuch zu atmen. So sehe ich das. Es ist der Versuch, zu atmen, und nicht mehr damit aufzuhören.
Sehr schöner Schluss, ich habe nur beim Satz "Viel mehr kann ich nicht sagen." tatsächlich nochmal am Anfang nachgeschaut, ob es einen Gesprächs/Unterhaltungs/Frage-Beginn gab. Aber eigentlich nur, weil ich dachte, etwas überlesen zu haben.

Sehr gerne gelesen ist hier wiedermal so mit Geschmäckl, aber das liegt eindeutig am Inhalt nicht an der Umsetzung
Beste Wünsche
witch

 

Hey jimmy,

ich staune in der Runde des öfteren, welche Vorlagen gewählt werden. Das Du die Hühner nicht nimmst, war klar, aber auf dieser Text hätte ich im Leben keinen Cent gewettet. So kann man sich täuschen. Und Du hast echt gut daran getan, der Text ist toll. Ich empfinde den als weicher, milder irgendwie, sicher spielt da auch der Kontext eine gehörige Rolle.

Du schabst sie mit einem Schälmesser vorsichtig von der Frucht ab und gibst die hauchdünnen Streifen erst am Ende in den Topf. Schälmesser haben in der Regel eine leicht gebogene Klinge. Es muss gut in der Hand liegen. Mein Vater hat es mir beigebracht - immer mit langsamen Bewegungen, nicht mit zu viel Kraft, die Schneide arbeiten lassen. Zitronenrinde. Ein frischer, säuerlicher Geruch, der einem in der Nase kribbelt.
Ich mag gern, wie der Text sich Zeit lässt. Das bringt so eine Ruhe rein, ich finde da sder Situation auch sehr angemessen.

Mein Vater mietete jeden Sommer ein Ferienhaus in Skallingen. Immer die gleiche Holzhütte hinter den Dünen. Das einzige Fenster in meinem kleinen Zimmer lag ostwärts, und wenn ich auf dem Bett lag, konnte ich die Brandung hören. Daran erinnere ich mich. Das auf und abschwellende Geräusch der Wellen. Der Strandroggen unter meinen nackten Fußsohlen. Das Salz in der Luft. Ich spüre, wie das Gift kalt meinen Arm hinaufsteigt.
Hier auch. Und dann schön der Kontrast zum Gift.

Aber nein. Natürlich klammere ich mich an den Rest Leben, der mir noch bleibt. Wie es jeder Mensch tun würde. Was sollte ich auch sonst tun?
Diese Art Sarkasmus kenne ich auch von Krebsleuten.

Die Medikamente machen etwas mit dir. Jede Bewegung schmerzt. Alles ist mühselig. Man wird langsam. Es gibt diesen Moment, an dem du die Grenze überschreitest. An dem du aufgeben willst. Einfach nicht mehr weitermachen. Liegenbleiben.
Du hast ein echt gutes Sprachgefühl. Melodiemäßig jetzt. Immer, wenn ich deine Texte lese, denke ich, ja dieser Satz muss so kurz sein, oder eben, ja, dieser muss genau so lang sein. Genau so viele Worte braucht der Satz.

Manchmal erscheint es so sinnlos, dass ich denke ich, alles was ich noch tun kann, ist atmen.
Tut schon weh und nutzt sich auch nicht ab. Egal, wie oft man den Text liest.

Mein Vater hegte keine Ambitionen. Er war ein Mann mit simplen Bedürfnissen. Er liebte sein Leben lang eine einzige Frau. Arbeitete sein Leben lang für eine Firma.
Diese Art von Lebensläufen stirbt aus, wird es bald nicht mehr geben. Gab es Hunderte von Jahren und mit einmal ist Schluss.

Ja, und dann diese Szene, Gulasch in Skallingen kochen, wo du dir richtig Zeit für lässt. Ist wie ein Plateau, um selbst wieder zu Atem zu kommen, um nicht den Tod zu sehen, sondern für einen Moment wieder im Leben zu Verweilen.

Sie war noch jung. Vielleicht hat sie eine Chance. Vielleicht wird sie es schaffen.
Zwei mal vielleicht. Ich mein das jetzt nicht als Wortwiederholung im stilistischen Sinn, ich mein, es gibt zu viele vielleicht im Leben, auf die man keinen Einfluss hat, denen man ausgeliefert ist.

... da hat sie mir erzählt, sie habe dort gemeinsam mit ihrer Schwester gegessen, einen Tag bevor sie von ihrer Diagnose erfuhr. ... Sie isst langsam, mit großem Genuss, und währenddessen begreift sie, dass es ihre Henkersmahlzeit ist.
Aua!

Viel mehr kann ich nicht sagen. Das Leben ist der Versuch zu atmen. So sehe ich das. Es ist der Versuch, zu atmen, und nicht mehr damit aufzuhören. Das ist alles.
Toller Ausstieg!

Deine Texte erwischen mich emotional immer von links hinten. Deshalb kann ich auch seit langem schon nichts an Kritik mehr beibringen. Aber ich schätze, damit kannste Leben.
Ja, Essen - lebensnotwendig, und wenn wir Fleisch essen, musste jemand für sterben. Nahrungskette, der Kreislauf des Lebens und man kann es so herrlich zelebrieren. Es erhält uns nicht nur am Leben, es berührt auch all unsere Sinne. Koch ist ein brutaler Beruf, aber auch ein sehr besonderer. Ich versteh gut, warum Du deinen Prot. hast Koch sein lassen, warum er für das Mädchen kocht (gedanklich), sich bei ihr für das Bild bedankt. Sie war ihm näher als die eigene Tochter. Sie hat ihn angesehen. Nicht beschönt, aber auch nicht entstellt. 1:1. Während die Tochter sich abwendet, es gar nicht erst versucht hat, genau hinzuschauen.

Sehr gern gelesen. Gut, dass Du im Topf geblieben bist :D
Beste Grüße, Fliege

 

Sondern die Angst.

Ja, ist ein guter Punkt. Ist vermutlich auch eine Mischung aus beidem, Angst und Hoffnung, ich weiß es nicht. Hoffnung auf etwas, dass das Leben verlängert. Angst vor dem Unausweichlichen, dem Tod.

Wenn du da den Schalter leicht anlegst, kommen mir Heulsuse direkt die Tränen.

Ich habe es ja noch etwas mehr ausgedünnt, jetzt ist es nüchterner. Weniger ist mehr, vor allem bei solchen Texten, wo man den Leser viel leichter manipulieren kann. Freut mich, wenn es dich emotional berührt.

Danke dir für den Kommentar.

Erinnerungen an den alten Herrn und einer Vorstellung, wie er gestorben sei, zugleich mit der Rundumschau am Ort des Sterbens und der Mediktion - nur als Beispiel – zusammengeballt auf ca. vier Seiten Manuskript.

Danke auch dir, Freatle.

Ist etwas wenig, vier Seiten, wie ich finde, aber ich frage mich halt auch, was man da noch mehr erzählen kann und/oder sollte, ohne sich zu wiederholen? Vieles bleibt ja in der Andeutung, das finde ich gut, das will ich auch gar nicht auserzählen, sondern so im Vagen lassen. Ich weiß nicht, ich hatte den Mann als Koch vor mir, und wie er von der leiblichen Erfahrung her sich das Leben erschließt, so war das jedenfalls geplant.

Dabei ist das die einzige Erwartung, die garantiert nicht enttäuscht wird – da kann das Tal des Silikons noch so sehr am ewigen Leben basteln. Prothesengötter leben - bis zum nächsten Stromausfall.

Das stimmt wohl.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt ...

 

Ja, das ist eine sehr gute Copy-Version, selbst nach dem fünften, sechsten Lesen schnürt sich der Hals zu und trotzdem habe ich das Gefühl, dem Prot gerne zugehört zu hab

Vielen Dank, liebe witch.

Schön, wenn es dir gefällt. Da sind noch viele Stellschrauben, an denen ich momentan arbeite, die den Text sicher feiner und besser machen, du hast vieles angemerkt, den Ball eher dem Leser zuspielen - so sage ich mal. Aber das ist wirklich etwas, dass sich mit der Zeit entwickelt, der Text verändert sich ja stetig, wird immer dichter, und das sind solch guten Kommentare wie der deine natürlich sehr hilfreich!

Dear Fliege,

Deine Texte erwischen mich emotional immer von links hinten. Deshalb kann ich auch seit langem schon nichts an Kritik mehr beibringen. Aber ich schätze, damit kannste Leben.

Ja, na klar! Ich denke, Genuss ist Leben. Wenn ich sehe, wie viele Menschen sich selbst den Genuss verwehren, kein Alk, kein Tabak, kein Dies, kein Das, demnächst auch kein Vögeln mehr, dann denke ich mir immer: Und am Ende des Tages denkst du dir doch, was für eine bekloppte Idee war das denn? Natürlich! ALLES in Maßen und so weiter, aber diese Momente, Essen zubereiten, ein richtiges Mahl, mit Wein und Freunden und Feuer, ist doch etwas, dass das Leben ausmacht. Und hier ist es eben so, dass er durch diese frühe Prägung genau diese Momente erfahren hat, und dies in seinem beruflichen Leben weitergetragen hat, das sind ja tief verankerte Rituale oft, die ein Leben lang weitergetragen werden, so auch hier, mit dem Vater, wo dann leider die Zitronenrinde fehlt.

Ja, danke dir, toller Kommentar, cheers up my day!

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Jimmy,

dein Copy ist eine wunderbare Ergänzung zu dem Original.
Ich stelle es mir spannend vor, wenn Chutney und du den bei einer Lesung hintereinander vorlesen würden.

Drei Dinge in Kürze:
Chutney beschrieb, wie es tatsächlich in den Räumen riecht und ich fände das passender, wenn du das aufnehmen würdest. Deine Beschreibung von Urin und Erbrochenem hat mich eine unhygienische Situation vorstellen lassen, jedenfalls keine in einem Krankenhaus mit für uns üblichen Standards. So war ich erstmal in einem desolaten Setting drin.

Dann gab es einen Abschnitt, in dem du die Krankheit "wikimäß",wie du sagst, beschreibst. Das wurde von jemandem als Info-Dumping bezeichnet, so kam mir das auch vor. Dieses Aussprechenlernen von dem Begriff finde ich gut, aber das Folgende ist mir zu viel.

An manchen Stellen war mir das mit den detaillierten Beschreibungen des Kochens eine Prise zu viel, trotz, dass er Koch ist.
Witzigerweise habe ich heute auch einen Gulasch serviert bekommen, morgen frage ich den Koch mal, ob da Zitronrnrinde dabei war. ?

Rundum ansonsten eine wunderbare Kopie, ich mag die Idee sehr gerne, dass du in die andere Person geschlüpft bist.

Edit: Habe den Koch gefragt: natürlich hat er Zitronenschalen in das Gulasch getan. Ich saß an einem Tisch mit acht Leuten und drei kannten das auch ;)

Liebe Grüße Isabel

 

Im Zug unterwegs, WLAN und Klimaanlage funktionieren, ich lese hier und da paar Texte.
Zitieren wird mit dem Smartphone zu kompliziert.
Dennoch ein paar Gedanken zu dem Text. Rollenprosa, Ich-Perspektive, ganz nahe an der Figur, absolut glaubwürdig und authentisch. Eine runde Sache.
Ich habe schon lange keine Geschichte mehr in dieSer extrem subjektiven Perspektive geschrieben, fürchte die Unzuverlässigkeit des Erzählers, den Tonfall, der Nähe zu dem Gedankengewirr einer Figur nachahmt, zeigt.
Was mich am meisten wundert: wenn man sich erst einmal auf die Erzählstimme eingelassen hat dann nimmt man ihr alles ab, sogar dass sie nicht aufhört wieder und wieder an die Mahlzeiten beim Vater zu denken, die Zubereitung, all das. Dabei müssten sich andere Gedanken untermischen, alltägliche, banale. Der Text liefert einen Ausschnitt des Wirrwarrs. Dennoch stört es mich kaum, weil ich so sehr dabei bin. Ein Versuch wärs dennoch wert ein paar Fetzen hinzu zu fügen. (Werde ich jedenfalls machen, wenn ich einen Text mit ähnlicher Perspektive schreibe).
Wie es geht und dass es geht zeigst du mit dem Text. Beide Geschichten, die Vorlage und diese erreichen ein hohes Niveau, nehmen mit, berühren.
Viele grüsse aus dem bordrestaurant ?
Isegrims

 

dein Copy ist eine wunderbare Ergänzung zu dem Original.

So, gehts hier weiter. Ja, danke. Ich finde das Original auch sehr gut, und da kannst du eben auch richtig was draus machen, die Figur des Kochs bot sich eben total an.

Dann gab es einen Abschnitt, in dem du die Krankheit "wikimäß",wie du sagst, beschreibst. Das wurde von jemandem als Info-Dumping bezeichnet, so kam mir das auch vor. Dieses Aussprechenlernen von dem Begriff finde ich gut, aber das Folgende ist mir zu viel.

Bin ich dran! Ist eventuell tatsächlich etwas zu viel des Guten.

Danke, Isa.

@Isegrims,

Ich habe schon lange keine Geschichte mehr in dieSer extrem subjektiven Perspektive geschrieben, fürchte die Unzuverlässigkeit des Erzählers, den Tonfall, der Nähe zu dem Gedankengewirr einer Figur nachahmt, zeigt.

Wieso fürchtest du denn den Erzähler?

Dabei müssten sich andere Gedanken untermischen, alltägliche, banale. Der Text liefert einen Ausschnitt des Wirrwarrs.

Was der Text muss, und was nicht ... ich weiß nicht. Texte sind doch immer Selektionen. Jeder Autor verfasst die für ihn aktuell gültige Version.

Ein Versuch wärs dennoch wert ein paar Fetzen hinzu zu fügen.

Ja, nur welche denn nun? Ich dachte, du fürchtest das Gedankengewirr?

Gruss, Jimmy

 

Lieber @jimmysalaryman

@Chutney hat mich auf Deine Geschichte hingewiesen, als ich ihren Text Cyclophosphamid gelesen hab.

Deine Geschichte hat mich mega berührt. Sie geht so sehr in die Tiefe, unglaublich! Genau wie bei Deiner Jagdgeschichte ist da kein Wort zuviel oder zu wenig. Du beschreibst sehr gut, ich hab Kopfkino, bin so nah an Deinem Prota. Ich mag es, wie Du alle Sinne ansprichst, ich mag das Tempo, und auch, wie Du die Erinnerungen an seine Eltern, an die gemeinsamen Erlebnisse darstellst. Auch die Beschreibungen übers Kochen, das Zeit lassen, die Gewürze, das ist alles total stimmig.

Eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen:

Das einzige Fenster in meinem kleinen Zimmer lag ostwärts, und wenn ich auf dem Bett lag, konnte ich die Brandung hören.

Wortwiederholung

Mein Gesicht spiegelt sich im Schwarz des Displays. Vor ein paar Tagen hat eine Frau, die hier in der Klinik neben mir lag, ein Porträt von mir angefertigt. Ich habe geschlafen, während sie es gezeichnet hat.

Hier hatte ich Gänsehaut. Einfach toll, wie Du die Verknüpfung zu Chutney Geschichte geschafft hast.

Ich bin tief beeindruckt.

Ganz liebe Grüße und einen schönen Tag,
Silvita

 

Deine Geschichte hat mich mega berührt. Sie geht so sehr in die Tiefe, unglaublich! Genau wie bei Deiner Jagdgeschichte ist da kein Wort zuviel oder zu wenig. Du beschreibst sehr gut, ich hab Kopfkino, bin so nah an Deinem Prota. Ich mag es, wie Du alle Sinne ansprichst, ich mag das Tempo, und auch, wie Du die Erinnerungen an seine Eltern, an die gemeinsamen Erlebnisse darstellst. Auch die Beschreibungen übers Kochen, das Zeit lassen, die Gewürze, das ist alles total stimmig.

Hallo @Silvita,

danke dir für deinen Kommentar. Ist schon was länger her, diese Geschichte, ich kann mich da nicht mehr so genau dran erinnern, nur wie stark ich eben den Originaltext von @Chutney fand. Da waren eben auch tiefe Emotionen drin, und dann ist im Grunde schon ein Anfang gemacht. Ich habe dann versucht, den Text aus einer anderen Perspektive aufzurollen, bei einer so guten Vorlage eine dankbare Aufgabe.

Ich bin tief beeindruckt.

Vielen Dank!

Gruss, Jimmy

 

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