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Der Weg zum Erfolg ist steinig
„Phillip! Ich bin da! Hörst du? Ich gehe nicht weg!“
Das kann doch nicht wahr sein!
„Bitte geh nicht! Ich liebe dich so sehr!“
„Schnitt!“
„Wieso Schnitt? Was hab ich denn jetzt wieder falsch gemacht?“ Manchmal hasse ich mein Leben. Besonders dann, wenn diese „Schauspieler“ auch noch dreiste Widerworte geben, nachdem sie eine Einstellung in den Sand gesetzt haben.
„Du hast einfach keine Leidenschaft. Verdammt noch mal, du sitzt am Bett deines krebskranken Freundes. Der hängt am Atemgerät. Klar? Du musst dich da reinversetzen. Ich will deinen Schmerz fühlen, kapier das endlich!“
Jetzt zieht sie wieder ihren Schmollmund, die blöde Tussy. Scheiße, wieso mach ich eigentlich keine Zeichentrickfilme? Da tun die Darsteller wenigstens, was man ihnen sagt. Zumindest, wenn man selbst alle Stimmen spricht. Jetzt muss ich mir meine Karriere von solchen Amateuren versauen lassen.
„Ich hab doch gesagt, das liegt am Text. Der ist voll kitschig, merkst du das nicht? Wie soll ich so einen Scheißdialog echt klingen lassen?“
„Und ich habe dir gesagt, dass mir deine Meinung am Arsch vorbeigeht. An meinen Texten wird nicht rumgepfuscht und nicht rumimprovisiert, klar? Wär ja noch schöner.“
„Wieso, hier ist doch alles improvisiert.“
„Darf ich mich jetzt bewegen?“, kam es dumpf unter der Atemmaske hervor.
„Halt’s Maul, Albert. Mann, Silke, wir brauchten eine düstere Atmosphäre, also hab ich die Garage gemietet. Was geht dich das überhaupt an? Seit wann hast du Ahnung von Kulissen, häh?!“
„Is’ ja gut. Ich mein nur, irgendwie kommt mir das alles so unecht vor. Da lauf ich mit dieser Blondinenperücke rum, und die kahlen Bäume vorm Fenster, da sieht doch ein Blinder, dass das nur ein Bild aus Pappmaché ist …“
„Und der Schnee ist auch kitschig. Wie in einem Heimatfilm …“
„Ich hab dir gesagt, überlass das Denken mir. Und jetzt setz dich wieder ans Bett und spiel, verstanden? Ich will, dass du dir die Seele aus dem Leib heulst.“
„Aber der Schnee ist wirklich …“
„Schnauze, Albert. Lieg einfach da und sei still. Oder hast du nicht mal dafür genug Grips?“
Schon wieder ein paar Drehminuten verquasselt. Scheiße. Wenn das so weitergeht, ist der Film morgen noch nicht fertig. Und wie sie wieder spielt! Als wär’ sie irgend so ein billiges Millionärsflittchen, das am Bett ihres todkranken Gatten Krokodilstränen heult.
Ein bisschen sieht sie ja auch so aus. Knalliger Lippenstift, geiles Blond, knappes Röckchen … Sex sells, sag ich immer. Gilt auch für Krankenhausgeschichten. Deshalb ist die Krankenschwester, die in der Szene kurz auftritt, auch so gekleidet.
Aber die anderen Szenen waren noch schwieriger, weil Albert aktiv mitspielen musste. Der Idiot kann sich nicht mal einen Satz merken.
„Was ist denn?“
„Nichts. Alles okay. Mach dir keine Sorgen.“
„Das tu ich aber, du bist so anders als sonst.“
„Es geht mir wirklich gut, ich bin nur etwas angespannt.“
Ja, angespannt ist der Typ wirklich. Also der Schauspieler, Albert, nicht der, den er spielen soll. Der seiner Angebeteten jetzt beichten soll, dass er Krebs hat. Gott, was hätte das für eine Szene sein können. In Hollywood hätten sie mir dafür den Oscar verliehen. Aber die haben ja auch das Geld und Stars, die noch richtig spielen können. Meine sitzen nur da und krampfen sich einen ab. Ist doch echt zum Kotzen.
„Egal, was es ist, wir schaffen das. Wir lieben uns doch.“
„Ich habe Krebs. Ich werde bald sterben.“
„Schnitt!“
„Was ist denn jetzt wieder nicht in Ordnung? Wir haben doch alles gemacht, was du gesagt hast.“
„Hab ich gesagt, dass was nicht in Ordnung ist? Baby, ihr wart großartig. Aber wisst ihr, was noch großartiger wäre? Wenn ihr dabei nicht rumstehen würdet wie zwei Besenstiele an der Wäscheleine und mal ein bisschen Körpereinsatz zeigen könntet. Es ist ja so: Diese beiden Sätze sind Schlüsselsätze, und ich hab lange an ihnen gefeilt, also verhunzt sie mir nicht. Das kann ich nämlich nicht leiden. Okay? Also noch mal die ganze Szene.“
„Aber die Ameisen krabbeln an mir hoch“, maulte Albert.
„Mann, schnall das endlich, so kommen wir nicht nach oben. Wir haben nicht mal das Geld für ’ne eigene Ausrüstung, und dabei zahlst du uns null Gage. Und mach doch erst mal deinen Abschluss, bevor du dich ‚Regisseur’ nennst.“
„Leck mich. Wir drehen jetzt weiter bis zum Erbrechen, wenn’s sein muss. Und heute Abend will ich die letzte Szene im Kasten haben. Du musst richtig erschöpft sein, dann wirkt das wenigstens echt, wenn du zusammenbrichst, Albert. Also los, Action!“
Manchmal glaube ich echt, das Schicksal hasst mich. Oder ich habe in einem früheren Leben was verbrochen. Irgend so was muss es sein. Mir, Norbert Hoenich, mit einer astreinen Schreibe und Regietalent ohne Ende gesegnet, werden ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen. Erst krieg ich keinen Kredit, dann keine Räume und schließlich diese Versagercrew, die ich aus meinem Bekanntenkreis rekrutieren musste. Unfähige Penner, allesamt. Wenn ich nur seh’, wie dieser „Technikstudent“ Paul die Kamera hält, krieg ich die Krise.
Aber eines Tages wird es mir gelingen. Ich werde den Durchbruch schaffen, und wenn ich bis zum Letzten gehen muss. Wenn die beschissenen Versager mich nur lassen würden.
Zurück in der Krankenhausszene.
Jetzt soll Silke ein schönes trauriges Lied trällern. Kein Problem, das wird nachher sowieso mit Erzählmonologen überspielt. So wie in diesen Pseudopornos, nur mit Tränen statt Sex. Vielleicht sollte ich mal solche Filme drehen.
Als sie fertig ist, gebe ich Paul ein Zeichen, dass er die Pulssignale auf dem Monitor neben dem Bett stoppen soll. Dann steht sie auf, reißt das Fenster auf und lässt ein bisschen „Schnee“ rein. „Jetzt kannst du den Himmel berühren“, flüstert sie. Na bitte, warum nicht gleich so. Ich wusste, ich bin zum Regiestar geboren!