Der Zauberer und der Gelehrte
Der alte Stoffhändler tätschelte die weiße Kamelstute sanft, während sie in tiefen Zügen aus dem kleinen Wasserloch trank. „Trink Sahra, trink meine Gute! Es ist nicht mehr weit mein Schatz! So Gott will, sind wir noch vor Mittag in Zuhud“, plapperte er mit einem warmen, freundlichem Grinsen, dem allerdings beträchtlich viele Zähne fehlten. Sein dunkelbraunes Gesicht, welches einer zusammengeknüllten Papiertüte glich, spähte verträumt gen Westen. Er schöpfte Wasser, mit beiden Händen, aus der Quelle und spritzte es sich geschickt ins Gesicht. Das einzige, was bei dem Mann nicht alt wirkte, waren seine hellblauen Augen, die noch immer, schelmenhaft jung, funkelten.
Als er sich umdrehte bemerkte er in entgegengesetzter Richtung eine feine Sandverwehung. Er kniff seine scharfen Augen zusammen und staunte, als er eine hagere Gestalt wahrnahm. „Wer läuft durch die Wüste, ohne Kamel?“, fragte er bei sich. Schnell kletterte er auf sein Reittier, welches protestierend röhrte, und ritt in holprigem Galopp dem Fremden entgegen. Während er ritt, versuchte der alte Mann die hagere Gestalt einem Stamm zuzuordnen, doch schon bald wurde ihm klar, dass er keinem der Stämme aus dem größeren Umkreis angehörte. Die schattenhafte Gestallt entpuppte sich nun, als die eines Mannes. Der Stoffhändler hatte kurz den Eindruck, als ob der Neuling etwas murmeln würde, aber er verstand die Worte nicht. Nun sah der Fremde zu ihm auf. Noch auf dem Kamel sitzend, erbot der Alte dem Wandere einen Grüß. „Friede sei mit dir, Sohn des Weges! Wohin leiten dich deine geschundenen Füße?“ Ohne auf die Antwort zu warten, stieg er umständlich von seiner Kamelstute, und bot ihm seine Wasserflasche an.
Der Wanderer lächelte. „Und Friede sei mit dir, Großvater! Hab dank für deine Gastfreundschaft“! Er nahm die Trinkflasche und trank gierig. Er wischte sich den Mund ab und sprach: „Seit ihr auf dem Weg zur Stadt der Datteln?“ „Ihr meint Zuhud?“, vergewisserte sich der alte Mann. „So heißt die Stadt also?“, erwideret der Fremde. Er blickte auf das weiße Kamel, dass nervös hin und her schritt. Dann richtete der Hagere seinen Blick wieder auf den Stoffhändler, immer noch die Wasserflasche in der Hand. „Sagt, Großvater! Reist ihr allein?“ Dem alten Mann viel auf, dass sein Tier nervös wurde. „Oh! Was hast du denn meine Gute? Du brauchst doch von dem Mann keine Angst zu haben. So kenne ich dich ja gar nicht.“ Er sah zum Wanderer. „Ich weiß gar nicht was die Kleine hat. Und Ja, ich reise alleine, wie ihr!.“ „Wie ihr!“, sprach ihm der Fremde nach. Sein Lächeln war nun nicht mehr, als eine kalte Maske. „Sag, kennt man dich in Zuhud?“ „Oh nein!“, sprach der Stoffhändler, und hob die Arme. „Ich bin das erste Mal auf dieser Strecke. Lass uns gemeinsam reisen. Wir können uns abwechseln beim reiten.“ Der Greis war noch nie ein Feigling gewesen, aber der plötzliche Wandel im Blick des Hageren, verriet nichts Gutes. Jegliche Freundlichkeit war aus dem schmalen Gesicht gewichen. „Warum abwechseln?“ Fragte der Wanderer.
In Zuhud angelangt, gab er sich als Zauberer aus, und tyrannisierte die kleine Stadt auf dem Land. Die Bewohner der Stadt waren durch den Handel, für ländliche Verhältnisse zu Wohlstand gekommen. Der Handel blühte hier, vor allem wegen den besonders talentierten Handwerkern. Die Bürger waren zwar reich aber sehr einfältig und abergläubig.
Dies nutzte der Betrüger aus um mit Tricks Eindruck bei den Leuten zu schinden, in dem er sich mit stumpfen Messern schnitt und dem erstauntem Publikum seine unversehrte Haut präsentierte. Die Messer sahen aber immer sehr scharf aus. Der Zauberer hatte Helfer, die das stumpfe Messer stets geschickt durch ein scharfes Messer ersetzen, mit denen dann der Zauberer die Echtheit des Messers „bewies“. Die Leute in der Stadt fürchteten sich vor dem Zauberer und gaben ihm Geld und ein großes Haus zur Besänftigung.
Eines Tages jedoch übertrieb es der Zauberer und nutzte die Dummheit der Städter aus indem er Unrecht an einem Menschen begann und ihn dann tötete. Dies war einem Gelehrten zuviel und er überredete den abergläubigen Fürsten, dass er ihm die Möglichkeit geben solle, ihn mit einem richtigen Messer zu schneiden, so dass die Menschen sehen sollten, dass er ein ganz gewöhnlicher Verbrecher war und kein mächtiger Zauberer. So sollte er dann die Gerechte Strafe für seine Tat erhalten.
Als nun der Zauberer auf dem Markt stand und behauptete, er könne sich den Kopf abschlagen und ihn dann wieder aufsetzten, nahm der Gelehrte ein Schwert, schlug dem Zauberer den Kopf von den Schultern, und sagte: "Nun setz ihn wieder auf, wenn du dazu im Stande bist!"