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Deus vult!

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06.02.2002
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Deus vult!

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Der Lärm eines Kampfes ist in seiner Natur unvergleichlich.
Bernard wandte den Kopf zur Seite und wurde einer Gruppe gewahr, die versuchte, sich vom Schlachtfeld abzusetzen. Er gab seinem Ross die Sporen und hielt auf die Flüchtenden zu, schnell aufschließend. Kaum noch einen Steinwurf entfernt, hob er seinen blutverschmierten Streitkolben und fixierte sein erstes Opfer.
„Deus vult!“, schrie er mit aller Überzeugung.
Der Flüchtende blickte über die Schulter. Seine Waffe hatte er längst fallen gelassen. Sein Entsetzen war ihm anzusehen, als er der Gefahr gewahr wurde, doch es war zu spät: In diesem Moment hatte Bernard ihn erreicht. Ein Schlag zertrümmerte Helm samt Schädel. Zuckend brach der Sarazene zusammen.
Der Ritter wandte sich sogleich dem Nächsten zu. Es waren noch fünf. Sie schrieen und stoben panisch nach allen Richtungen auseinander. Ein weiterer Schlag. Stumm fiel ein Körper in den Sand.
Danach überrannte das Pferd des Angreifers einen weiteren Sarazenen, dessen unmenschliches, gellendes Geschrei schnell erstarb.
Dem Vierten zerstörte ein Hieb das Gesicht.
Der Fünfte: Bernard kam kurz der Gedanke, ihn der Wüste zu überlassen. Dann jedoch zog dieser einen Krummsäbel: er wollte sein Leben verteidigen. Alles andere als einen Angriff hätte man Bernard als Feigheit auslegen können, und so gab er seinem Ross die Sporen.
Der letzte Überlebende der aufgeriebenen Karawane verstand nicht den Schlachtruf des Frankens. Sein Atem raste, und seine Schwerthand zitterte, denn er wusste, dass er dem auf ihn zu jagenden Reiter kaum standhalten könnte.
„Allahu ak...“ Es war nicht mehr als ein Krächzen, da hatte der Feind ihn schon erreicht. Der Hieb des Streitkolbens war so mächtig, dass dieser Bernards Händen entglitt. Im Flug zeichnete die Waffe mit einer Schleppe aus Blut und Hirn einen Halbmond gegen den Abendhimmel.
Bernard stoppte sein Ross, verschnaufte. Er sah in der Ferne, dass der Kampf beendet war, nahm seinen Normannenheld vom Kopf und entließ damit die Gluthitze darunter. Strich sich durch das verschwitzte Haar und sandte stumm ein kurzes Stoßgebet zum Himmel.

*

Bernard hatte es vermieden, die Überreste seines Feindes anzusehen, als er seinen Streitkolben wiederaufgelesen hatte.
Langsam trabte er zum Ort der Schlacht zurück, ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Wie immer hatte sie Wilhelm angeführt, Wilhelm der Riese, wie sie ihn im Scherze nannten, denn er überragte alle anderen ihres Ordens um beinahe einen ganzen Kopf.
Bernard hatte ihn vor einigen Jahren kennen gelernt. Damals führte er noch das friedliche Leben eines Hospitälers, pflegte Pilger. Nie hatte er zuvor daran gedacht, selbst das Schwert in die Hand zu nehmen, er mochte den Kampf nicht.
Doch Wilhelm war außergewöhnlich.

Er hatte eine Art, die Menschen zu überzeugen, wie sie Bernard noch nie bei jemanden erlebt hatte.
Als Zweitgeborener hatte er seinerzeit, im unendlich weit entfernten Oberlothringen, reiten und kämpfen erlernt, hatte jedoch zur Enttäuschung seines Vaters nie den Ritterschlag erhalten, denn er folgte schon früh dem Ruf der heiligen Stätten.
Fromm war er ohnehin, und so überzeugte ihn der Riese in langen Gesprächen, ihm zu folgen und den Weg des milites christi zu gehen.
So fehlte nur noch eines. Und auch hier kam Wilhelm ins Spiel, der ihm Ausrüstung und sogar den stattlichen Araberhengst stellte.
Bernard liebte ihn wie einen Bruder. Die Jahre waren voller Schrecken und Blut. Geplänkel, Schlachten, Siege, Niederlagen. Man zahlte einen hohen Preis auf Erden, des ewigen Seelenfriedens wegen. Doch daran wagte Bernard nicht zu denken.
Mit der Zeit erwarb er sich die Achtung seiner Ordensbrüder, vor allem ob seines Mutes und wegen seines geschickten Umganges mit dem Streitkolben. Wilhelm und er wurden selbst in der Schlacht unzertrennlich.
Auch dieses Mal hatte der Riese die drei Dutzend Mann angeführt, welche die Karawane überfallen hatten, relativ weit von Taphila entfernt.
Viele von ihnen waren schon ins Paradies eingegangen. Er musste in Erfahrung bringen, wer von ihnen in diesem Kampf gefallen war.

*

Der schmutzige, zerwühlte Boden war wie gewöhnlich mit Blut getränkt. Sie hatten abgesattelt, ein paar Mann gingen herum und erschlugen die verwundeten Gegner, so dass ihr erbärmliches Geschrei allmählich erstarb. Einige sammelten die Beute. Zwei seiner Brüder versorgten einen Neuen. Bernard fiel sein Name nicht ein. Das Blut seiner Verwundung bespritzte die weißen Tuniken seiner Helfer. Er war schon ganz blass und würde, das wusste Bernard, die Nacht nicht überleben.
Andere bereiteten das Nachtlager vor. Wo war der bloß Wilhelm?
Jean kam ihn entgegen, ein bärtiger, pockennarbiger und hochgeschätzter Recke, auch wenn er seine besten Jahre bereits durchlebt hatte. Wie er ihn anguckte! Etwas schien nicht zu stimmen.
„Bernard“, sagte Jean und legte diesem eine Hand auf die Schulter. „Es ist etwas passiert. Wilhelm liegt da drüben. Er will dich sprechen.“

*

Wilhelm hatte den anderen bedeutet, zu gehen. Seine Stimme war immer noch voll und kräftig, aber trotzdem ahnte Bernard, dass er sich verabschieden wollte. Er konnte es nur nicht wahrhaben. Noch nie war der Riese im Kampf auch nur verletzt worden! Er machte sich die schlimmsten Vorwürfe, von seiner Seite gewichen zu sein, um die Feinde Gottes zu verfolgen.

„Nein, du weißt ganz genau, dass ich es nicht schaffen würde. Außerdem würde mich in Taphila eh ja nur der Medikus erledigen“, widersprach ihm Wilhelm und lachte rau.
Sein Ross lag unweit von zwei getöteten Kamelen, deren Waren im Dreck verstreut lagen. Der Schweiß glänzte schwach auf dem Fell. Ein Speer ragte aus seiner Flanke.
Um Wilhelm verstreut lagen einige tote Sarazenen wie Gliederpuppen. Etwas schien Bernard merkwürdig, nur verdrängte das Entsetzen über die schwere Verwundung seines Freundes diesen Gedanken.
„Möchtest du die letzte Ölung?“ fragte Bernard, während er versuchte, die klaffende Wunde zu versorgen.
Wilhelm lachte wieder.
„Nein.“
„Sollen wir beten?“, fragte Bernard.
„Nein.“
Ihn verwirrte dieses Verhalten. Er wusste nichts zu sagen, außer:
„Du gehst dem Tod entgegen.“
„Ich weiß, mein Bruder.“
Wilhelms Stimme war bereits schwächer. „Es war ein Assassine, oder?“
Überrascht hielt Bernard inne.
„Dieser Bastard...es war bestimmt einer. Sieh nach, mein Freund“, befahl der Sterbende.
Bernard fühlte sich benommen, als er aufstand, um seinen Wunsch zu erfüllen.
Er verstand nicht. Warum sollte ein Assassine...?
Man erzählte sich, dass einst einer von ihnen den Orden in Jerusalem aufgesucht habe, um Schutzgeld zu fordern. Andernfalls werde es den Oberen schlecht ergehen. Man hatte ihm, so wollte es die Erzählung, ins Gesicht gelacht und gesagt, für jeden Anführer, den sie töteten, träte am nächsten Tag ein neuer Mann an dessen Stelle. Das war so ziemlich das einzige, was er je von diesen seltsamen Muselmanen gehört hatte. Warum ausgerechnet...?
Neben ein paar gewöhnlichen Kämpfern fand er auch die auf dem Bauch liegende Leiche eines Mannes, welche seine Aufmerksamkeit erregte. Dieser trug das Gewand eines Händlers, doch machte er nicht den Eindruck, jemals in Wohlstand gelebt zu haben. Bernard beugte sich über ihn und drehte den Körper um.
Und erschrak.
Die Augen waren weit aufgerissen, das war nichts ungewöhnliches, aber sie waren gerötet wie die eines Besessenen.
Hastig bekreuzigte er sich und betete leise ein schnelles Paternoster.
Neben dem seltsamen Toten lag eine Waffe im Staub, die ihn in ihren Bann zog.
Vorsichtig hob er sie auf. Ein Krummsäbel, das an sich war nichts Ungewöhnliches. Doch noch nie in all den Jahren, die er im Heiligen Land verbracht hatte, hatte Bernard eine ähnliche Waffe gesehen. Sie war so reichhaltig und kunstfertig verziert, dass Bernard daran zweifelte, ob sie von Menschenhand erschaffen worden sei.
Die Klinge war besudelt von Blut, dem seines Freundes, wie er instinktiv wusste, und trotzdem faszinierte sie ihn.
Die Muster, Schriftzeichen und Pentagramme darauf waren einfach unglaublich, nicht nur aufgrund ihrer Qualität, nein... das war mehr als eine Waffe von Königen. Was...?
„Und?“, hörte er Wilhelm plötzlich fragen. Er erschrak. Schnell wandte er sich wieder dem Verwundeten zu.
Es dämmerte bereits, wurde merklich kühler. Der am Boden liegend Riese fixierte Bernard mit einem sonderbaren Blick, so dass sich dieser ganz unwohl fühlte.
„Es war einer, oder?“
„Ich... ich glaube schon. Er hat die Augen eines Besessenen. Und... er... seine Waffe...“
Wilhelms Blick ließ ihn los, nun schaute er an ihm vorbei in die Abendsonne, welche sein Gesicht in schwaches Rot tauchte und die Konturen schwärzte.
Bernard fühlte sich beinahe erleichtert.
„Ich habe noch eine Überraschung für dich“, sagte sein Freund bedächtig,
„Nimm mein Medaillon.“
Einige erzählten, Wilhelm trage ein Stück des Kreuzes Jesu Christi um den Hals, welches ihn stärke und schütze. Andere erzählten, es sein ein Zahn des heiligen Johannes. Alle im Orden waren sich darüber einig, dass es eine besondere Reliquie sein musste, auch wenn Wilhelm sie niemandem, nicht einmal ihm, bisher gezeigt hatte.
„Aber...“, stammelte Bernard.
„Los, nimm es“, befahl der Sterbende. Plötzlich war seine Stimme wieder kräftig und bestimmt. „Ich schenke es dir. Los, nimm es mir endlich vom Hals!“
Zögernd, behutsam hob Bernard den Kopf seines Freundes an. Dann griff er mit einer Hand nach dem Lederriemen um dessen Hals. Wilhelm stöhnte leise.
„Los“, sagte er noch einmal.
Dann, als Bernard es gelöst hatte, seufzte er auf.
Bernard hielt das Medaillon in der Linken und betrachtete es verwundert. Es war ungefähr halb so groß wie sein Handteller, aus einem sonderbar schwarzen Metall.
Die Nacht brach schnell heran, und brachte Dunkelheit, deshalb erkannte er das Relief nicht auf Anhieb.
Die beiden Männer schwiegen lange.
„Was... was ist das für eine Fratze?“, fragte er leise.
„Du weißt es.“ Wilhelms Stimme war fast nur noch ein Flüstern, dennoch erschien sie zu laut für Bernard. Nein!
Und da lachte der Sterbende noch einmal auf, ein tiefes, langes Lachen. Die Sonne versank als riesige, blutrote Scheibe hinter dem Horizont. Bernard schwindelte es.
Da unterbrach das Lachen für einen Moment.
In diesem Augenblick, an der Schwelle des Todes, sprach Wilhelm aus, was Bernard für den kümmerlichen Rest seines Lebens verstummen ließ:
„Meinst du denn wirklich, unser Streben wäre gottgefällig?“, und verstarb mit einem Lächeln.

 

Die Geschichte ist ja ganz gut.
Am erstuanlichsten ist, dass der Traum und das Lebensziel und überhaupt alles woran der junge Ritter geglaubt hat auf einen Schlag zerstört wird.
Auch der Stil klingt ordentlich historisch, was ich bei so was für das wichtigste halte.
MfG Maglor

 
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Hallo Para,

Ich bin durch den Empfehlungsthread auf die Geschichte aufmerksam geworden.
Zur Geschichte selber möche ich noch einige Kritiken loswerden.
Im Punkto Flüssikeit schrliesse ich mich den restlichen Kritikern an. Sie liest sich trotz der Absätze ziemlich bis sehr gut.

Die Thematik Mittelalter und Kreuzfahrer ist gut getroffen. Auch wenn niemand sagen kann, wie es damals wirklich war. Aber eine gewisse Sachkenntnis kann und will ich Dir nicht abstreiten. :)
Alles in Allem ist dies eine sehr lebendige und schöne Darstellung einer Schimäre namens "Mittelalter", vor der ich meinen Hut ziehe! :D

Fazit: 9,5 von 10 Rauchwolken

Regards,

Ryu - ki
(Koro no Ryu)

Ps: es ist zwar unter Umständen ein schwieriger und weit hergeholter Vergleich, aber es schildert ähnlich wie das Palästinalied von W. von der Vogelweide oder das Jakobslied von ??? wie es einst gewesen sein könnte.

PSPS @ Maglor: so weit ich weiss waren die Kreuzzüge eine ziemlich dreckige Angelegenheit, die die europäische Kultur nachaltig verändert hat (z.B. die Musik)...

 

Ryu - ki,
vielen Dank! So viele Rauchwolken treiben mir die Schamesröte ins Gesicht.
Das Palästinalied? Kenne nur einen gleichnamigen Song von In Extremo, den muss ich wohl mal wieder anhören...
Wobei ja doch viele zeitgenössische Werke schildern, wie es gewesen sein könnte, oder? Insofern...
Dreckig waren sie auf jeden Fall, skrupellos, qualvoll und grausam. Aber nicht nur die Musik. Auch in Handel, Kultur, Wissen über die Antike usw. machte das Abendland einen gewaltigen Satz nach vorn.
Dir auf jeden Fall ein dickes Danke für´s Lesen und Kommentieren.
...para

 
Zuletzt bearbeitet:

Für alle, die das Palästinalied nicht kennen, hier der Text.

 

Hallo Paranova,

Die Rauchwolken hast Du dir ehrlich verdient - finde ich. Gegenstimmen bitte hier in diesen Thread oder per PM an mich :)
Thema Pälästinalied: Ich kann mich auch noch einmal nach einigen Quellen umsehen. Anfragen diesbezüglich bitte ebenfalls an mich. (Will niemanden verärgern - die Regeln :D )

Geschrieben von Paranova

Dreckig waren sie auf jeden Fall, skrupellos, qualvoll und grausam. Aber nicht nur die Musik. Auch in Handel, Kultur, Wissen über die Antike usw. machte das Abendland einen gewaltigen Satz nach vorn.


Korrekt.

Hier einige Tips für Interessierte zum weiterlesen:
- Einführung in die mittelalterliche Musik (Ambrossini/ ?)

- Roland Girtler - Rotwelsch.

- Oder in der MA Zeitschrift "Karfunkel", "Anno Domini" etc...


Abschließend kann ich nur sagen das ich es gut finde, daß es bei Kg.de Autorinnen und Autoren gibt, die auch den Mut haben etwas zum Thema Mittelalter zu schreiben. Weiter so!!! :bounce:

PS: Das magische "A(uthentizität)" Wort lasse ich aussen vor, da niemand in dieser Zeit gelebt hat und alle Rekonstruktionen mehr oder minder grosse Kompromisse sind.

Dewa mata,

Ryu - ki
(Koro no Ryu)

 

Hallo Para,

gute Story, die auch in sich rund ist, was ich immer für besonders schwierig in dieser Rubrik halte... das fällt ja auch hier auf.. allein deine andeutungen in puncto satan, der assasine etc.. lassen ja noch raum für zwei- dreihundert weitere seiten geschichte..*smile*

aber gefiel mir gut, weil vor allem der schluß eine menge sinn in die geschichte bringt...

viele grüße, streicher

 

Es hiess "deus lo vult" und es war nicht lateinisch sonden spanisch
eine interessante geschichte, auch wenn ich sie in verschiedenen varianten schon zu oft gehoert habe. gut geschrieben!

 

Hallo Streicher, hallo vita,
Gottseidank gibt es ein paar Geschichten, bei denen ich mich wirklich freue, holt sie jemand aus der Versenkung.
Vielen Dank für´s Lesen.
Steffen

PS:
Ach ja, Streicher: Mir fehlt leider der Atem für die Langstrecke...
:rolleyes:

PPS:
Spanisch?
Da beziehst du dich auf die Reconquista, glaube ich, vita.

 

Kleiner Tipp am Rande.
Wenn man so was veröffentlicht, solte man in einem Index auf jeden Fall die Begriffe Assasine und Dues Vult erklären, ich behaupte mal, dass ein Großteil der Bevölkerung diese Worte nicht kennt.
MfG Maglor

 

Boah, krass.
eine zwei Jahre alte Geschichte zu lesen ist wie ein Spaziergang durch Licht und Schatten. Einerseits bist du gespannt, wie´s weitergeht, weil du dich selbst nur noch dunkel erinnerst, andererseits aber wundert dich, was für einen Stil du seinerzeit draufhattest.
Vielen Dank fürs Ausgraben, simy. Besonders den ersten Absatz werde ich beizeiten mal überarbeiten müssen, dabei werden deine Anmerkungen bestimmt hilfreich sein. Wär dann wohl auch mal ne schöne Geschichte für ne Lesung, mal was anderes.
Vielen Dank erstmal!
...para

PS:
Der Krummsäbel? Naja, aufgrund des Medallions kannste doch nicht einfach ´n Käsemesser nehmen :)

 
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Deus vult! - Überarbeitung

Bernard warf einen Blick zur Seite und erkannte vier Gestalten, die hastig versuchten zu entkommen. Er gab seinem Ross die Sporen und hielt auf die Flüchtenden zu, schnell aufschließend. Kaum noch einen Steinwurf entfernt, hob er den blutverschmierten Streitkolben und fixierte sein Opfer.
„Deus vult!“, schrie er mit aller Überzeugung.
Der Flüchtende schien die Gefahr bemerkt zu haben. Er war unbewaffnet, versuchte sich zur Seite zu werfen, als Bernard Araberhengst auf ihn zu raste, doch es war zu spät. Mit einem dumpfen Knall zertrümmerte der Schlag sein von Entsetzten verzerrtes Gesicht. Zuckend brach der Sarazene zusammen, und dunkles Blut tränkte den heißen Sand.
Bernard bremste den Galopp nicht ab, riss am Zügel und hielt auf die Anderen zu. Trotz ihrer Panik war ihnen der Tod des Kameraden nicht entgangen; sie schrieen und stoben auseinander. Doch das Gelände bot keine Deckung, keine Chance, dem Reiter zu entkommen. Ein weiterer Schlag. Stumm fiel ein Körper in den Sand.
Bernard riss sein Pferd herum, hielt auf den Nächsten zu. Der versuchte, vor ihm wegzulaufen, stolperte. Ein gellender Schrei, als das stämmige Schlachtross ihn überrannte.
Schweiß brannte in Bernards Augen. Für einen Augenblick kam ihm der Gedanke, den letzten Feind der Wüste zu überlassen. Da jedoch zog dieser einen Krummsäbel: Er wollte sein Leben verteidigen. Alles andere als einen Angriff hätte man Bernard als Feigheit auslegen können, und so gab er seinem Ross die Sporen.
Mehmets Kopf drohte zu explodieren, sein Atem raste, und er hatte Mühe, die Schwerthand auch nur einigermaßen ruhig zu halten. Wo waren die anderen? Erst jetzt sah er drei dunkle Gestalten im Dreck liegen, und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er der nächste sein würde. Der Franke schrie etwas, dass er nicht verstand, und jagte auf ihn zu.
Mehmets Mund war vollkommen ausgetrocknet, seine Stimme kaum mehr als ein Krächzen, dass im steigenden Stakkato der Hufschläge unterging.
„Allahu ak...“ Da hatte Bernard ihn schon erreicht, ragte gewaltig vor seinem Gegner auf, und sein Hieb war so mächtig, dass ihm der Streitkolbens aus den Händen glitt. Im Flug zeichnete die Waffe mit einer Schleppe aus Blut und Hirnmasse einen Halbmond gegen den Abendhimmel und blieb schließlich neben Mehmets Leiche im Sand liegen.
Bernard stoppte sein Ross, schloss die schmerzenden Augen und atmete tief durch. Dann sah er zurück zu den Anderen. Der Kampf schien beendet, also nahm seinen Normannenhelm vom Kopf, entließ die Gluthitze darunter. Strich sich durch das verschwitzte Haar und sandte stumm ein kurzes Stoßgebet zum Himmel.

*

Er hatte es vermieden, die Überreste seines Feindes anzusehen, als er seinen Streitkolben wieder auflas, und trabte nun langsam zum Ort der Schlacht zurück, während er seinen Gedanken freien Lauf ließ.
Wie immer waren sie von Wilhelm angeführt worden, Wilhelm dem Riesen, wie sie ihn im Scherze nannten, denn er überragte alle anderen ihres Ordens um beinahe einen ganzen Kopf. Bernard hatte ihn vor einigen Jahren kennen gelernt, als er noch das friedliche Leben eines Hospitälers führte, Pilger pflegte. Zwar hatte er seinerzeit als Zweitgeborener im unendlich weit entfernten Oberlothringen reiten und kämpfen erlernt, doch bevor er den Ritterschlag erhalten konnte, folgte er dem Ruf der heiligen Stätten. Es machte ihm nichts aus, er war kein Mann des Schwertes, und als er nach drei Monaten endlich Jerusalem erreichte, war er der Überzeugung, den Rest seines Lebens mit Gebeten und Krankenpflege zu verbringen, hier, wo alles so anders war, am heiligsten Ort der Welt.
Doch Wilhelm war außergewöhnlich. Er hatte eine Art, die Menschen zu überzeugen, wie sie der Hospitäler noch nie bei jemanden erlebt hatte. Bernards Frömmigkeit stand außer Frage, doch welches Leben, fragte der Riese immer wieder, wenn sie abends gemeinsam im Schatten saßen und diskutierten, welches Leben konnte gottgefälliger sein als das eines milites christi?
Es dauerte nicht lange, bis Bernard die Hospitäler verließ. So fehlte nur noch eines. Und auch hier kam Wilhelm ins Spiel, der ihm Ausrüstung und sogar den stattlichen Araberhengst besorgte.
Bernard lernte ihn während dieser von Schrecken und Blut erfüllten Jahre wie einen Bruder lieben. Durst, Hitze, Geplänkel, Schlachten, Tod und Entbehrung: Man zahlte einen hohen Preis auf Erden, des ewigen Seelenfriedens wegen. Doch darüber dachte Bernard nicht nach.
Mit der Zeit erwarb er sich die Achtung seiner Ordensbrüder, vor allem ob seines Mutes und wegen seines geschickten Umganges mit dem Streitkolben. Er wurde einer der ihren, Wilhelm und er unzertrennlich.
Auch dieses Mal hatte der Riese die drei Dutzend Mann angeführt, welche die Karawane überfallen hatten, relativ weit von Taphila entfernt, und auch dieses Mal würden einige seiner Brüder das Paradies sehen. Er musste in Erfahrung bringen, wer von ihnen in diesem Kampf gefallen war.

*

Der Boden war zerwühlt und mit Blut getränkt, ein gewohnter Anblick. Sie hatten abgesattelt, ein paar Mann gingen herum und erschlugen die verwundeten Feinde, so dass ihr erbärmliches Geschrei allmählich erstarb. Einige sammelten die Beute. Zwei seiner Brüder versorgten einen Neuen. Bernard fiel sein Name nicht ein. Blut spritzte aus seinem Bein, bis auf die weißen Tuniken seiner Helfer. Bernard sah ihm ins blasse Gesicht, nickte ihm ermutigend zu und wusste, dass er die Nacht nicht überleben würde.
Wieder andere bereiteten das Nachtlager vor. Bernard befiel eine merkwürdige Unruhe: Wo war bloß Wilhelm?
Jean kam ihn entgegen, ein bärtiger, pockennarbiger und hochgeschätzter Recke, auch wenn er seine besten Jahre bereits durchlebt hatte. Wie er ihn anguckte! Etwas schien nicht zu stimmen.
„Bernard“, sagte er und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es ist etwas passiert. Wilhelm...“ Er verzog den Mund, machte eine Kopfbewegung über die Schulter. „Er will dich sprechen.“

*

Wilhelm hatte den anderen bedeutet, zu gehen. Seine Stimme war immer noch voll und kräftig, aber trotzdem ahnte Bernard, dass er sich verabschieden wollte. Er wollte es nur nicht wahrhaben. Noch nie war der Riese im Kampf auch nur verletzt worden! Warum war er auch von seiner Seite gewichen, nur einer handvoll unwichtiger Ungläubiger wegen, die ebenso gut verdurstet wären?
„Nein, du weißt ganz genau, dass ich es nicht schaffen würde. Außerdem würde mich in Taphila eh nur der Medikus erledigen“, widersprach ihm Wilhelm und lachte rau.
Sein Ross lag unweit von zwei getöteten Kamelen, deren Waren im Dreck verstreut lagen. Schweiß glänzte schwach auf dem Fell. Ein Speer ragte aus der Flanke des Tieres.
Um Wilhelm verstreut lagen mehrere tote Sarazenen wie Gliederpuppen. Etwas schien Bernard merkwürdig, aber er war zu entsetzt über die schwere Verwundung seines Freundes, um diesen Gedanken zu verfolgen.
„Möchtest du die letzte Ölung?“ fragte Bernard, während er versuchte, die klaffende Wunde zu versorgen.
Wilhelm lachte wieder.
„Nein.“
„Sollen wir beten?“, fragte Bernard.
„Nein.“
Ihn verwirrte dieses Verhalten. Er wusste nichts zu sagen, außer:
„Du gehst dem Tod entgegen.“
„Ich weiß, mein Bruder.“
Wilhelms Stimme war bereits schwächer. „Es war ein Assassine, oder?“
Überrascht hielt Bernard inne.
„Dieser Bastard...es war bestimmt einer. Sieh nach, mein Freund“, befahl der Sterbende.
Bernard fühlte sich benommen, als er aufstand, um seinen Wunsch zu erfüllen.
Er verstand nicht. Warum sollte ein Assassine...?
Man erzählte sich, dass einst einer dieser seltsamen Kultisten den Templerorden in Jerusalem aufgesucht habe, um Schutzgeld zu fordern. Andernfalls werde es den Oberen schlecht ergehen. Man hatte ihm, so wollte es die Erzählung, ins Gesicht gelacht und gesagt, für jeden Anführer, den sie töteten, träte am nächsten Tag ein neuer Mann an dessen Stelle. Das war so ziemlich das Einzige, was er je von diesen seltsamen Muselmanen gehört hatte. Warum ausgerechnet...?
Neben ein paar gewöhnlichen Kämpfern fand er auch die auf dem Bauch liegende Leiche eines Mannes, welche seine Aufmerksamkeit erregte. Dieser trug das Gewand eines Händlers, doch machte er nicht den Eindruck, jemals in Wohlstand gelebt zu haben. Bernard beugte sich über ihn und drehte den Körper um.
Er erschrak.
Die Augen waren weit aufgerissen, wie er es bereits bei vielen Toten gesehen hatte, aber sie waren gerötet wie die eines Besessenen.
Hastig bekreuzigte er sich und betete leise ein schnelles Paternoster.
Neben dem seltsamen Toten lag eine Waffe im Staub, die ihn in ihren Bann zog.
Vorsichtig hob er sie auf. Ein Krummsäbel, das an sich war nichts Ungewöhnliches. Doch in all den Jahren, die er im Heiligen Land verbracht hatte, hatte Bernard noch nie eine ähnliche Waffe gesehen. Sie war so reichhaltig und kunstfertig verziert, dass Bernard daran zweifelte, ob sie von Menschenhand erschaffen worden sei.
Die Klinge war besudelt von Blut, dem seines Freundes, wie er instinktiv wusste, und trotzdem faszinierte sie ihn.
Die Muster, Schriftzeichen und Pentagramme darauf waren einfach unglaublich, nicht nur aufgrund ihrer Qualität, nein... das war mehr als eine Waffe von Königen. Was...?
„Und?“, hörte er Wilhelm plötzlich fragen. Er zuckte zusammen. Schnell wandte er sich wieder dem Verwundeten zu.
Es dämmerte bereits, wurde merklich kühler. Der auf dem Rücken liegende Riese fixierte Bernard mit einem sonderbaren Blick, so dass sich dieser ganz unwohl fühlte.
„Es war einer, oder?“
„Ich... ich glaube schon. Er hat die Augen eines Besessenen. Und... er... seine Waffe...“
Wilhelms Blick ließ ihn los, nun schaute er an ihm vorbei in die Abendsonne, welche sein Gesicht in schwaches Rot tauchte und die Konturen schwärzte.
Bernard fühlte sich beinahe erleichtert.
„Ich habe noch eine Überraschung für dich“, sagte sein Freund bedächtig,
„Nimm mein Medaillon.“
Einige erzählten, Wilhelm trage ein Stück des Kreuzes Jesu Christi um den Hals, welches ihn stärke und schütze. Andere erzählten, es sein ein Zahn des heiligen Johannes. Alle im Orden waren sich darüber einig, dass es eine besondere Reliquie sein musste, auch wenn Wilhelm sie in all den Jahren niemandem, nicht einmal ihm, bisher gezeigt hatte.
„Aber...“, stammelte Bernard.
„Los, nimm es“, befahl der Sterbende. Plötzlich war seine Stimme wieder kräftig und bestimmt. „Ich schenke es dir. Los, nimm es mir endlich vom Hals!“
Zögernd, behutsam hob Bernard den Kopf seines Freundes an. Dann griff er mit einer Hand nach dem Lederriemen um dessen Hals. Wilhelm stöhnte leise.
„Los“, sagte er noch einmal.
Dann, als Bernard ihn gelöst hatte, seufzte er auf.
Bernard hielt das Medaillon in der Linken und betrachtete es verwundert. Es war ungefähr halb so groß wie sein Handteller, aus einem schweren, schwarzen Metall.
Die Nacht brach schnell heran und brachte Dunkelheit, deshalb erkannte er das Relief nicht auf Anhieb.
Die beiden Männer schwiegen lange.
„Was... was ist das für eine Fratze?“, fragte er leise.
„Du weißt es.“ Wilhelms Stimme war fast nur noch ein Flüstern, dennoch erschien sie zu laut für Bernard. Nein!
Und da lachte der Sterbende noch einmal auf, ein tiefes, langes Lachen. Die Sonne versank als riesige blutrote Scheibe hinter dem Horizont. Bernard schwindelte es.
Da unterbrach das Gelächter für einen Moment.
In diesem Augenblick, an der Schwelle des Todes, sprach Wilhelm aus, was Bernard für den kümmerlichen Rest seines Lebens verstummen ließ:
„Meinst du denn wirklich, unser Streben wäre gottgefällig?“, und verstarb mit einem Lächeln.

 

Hallo Para,
die Geschichte hat durch die Überarbeitung wirklich gewonnen. Sie ist anschaulicher und plastischer, du hältst dich weniger mit Beschreibung auf. Sicher könnte man an der einen oder anderen Stelle noch ein bisschen nachlegen, da ist ein bisschen wenig Innensicht, zum Beispiel, als Wilhelm nach Bernard schicken lässt. Und den letzten Satz würde ich umstellen, damit die "Pointe" wirklich ganz am Schluss steht und nicht durch unnötiges Drumrumgeschreibsel verwässert wird. Aber ansonsten - weiter so. Wenn du diese Qualität durch deine Jahrtausendwerke hindurch durchhalten würdest, hätte ich viel weniger zu meckern.

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo vita,
deine Antwort hab ich irgendwie übersehen... Eine Überarbeitung war längst überfällig, schon alleine dieses "Aha... so hab ich früher geschrieben? Hoffentlich geht´s mir in drei Jahren nicht mehr so"-Effektes wegen. Vielleicht hast du Recht und man kann noch ein paar Prozent rauskitzeln, aber das heb ich mir erstmal auf für die Zukunft :D
Findest du, dass dieses "und verstarb mit einem Lächeln" die Pointe verwässert? Hoffentlich nicht!

Wenn du diese Qualität durch deine Jahrtausendwerke hindurch durchhalten würdest, hätte ich viel weniger zu meckern.
Wie meinen? Bin mir nicht sicher, wie du das meinst... :confused:
Vielen Dank für´s Lesen & Kommentieren!
...para

 

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