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Deus vult!
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Der Lärm eines Kampfes ist in seiner Natur unvergleichlich.
Bernard wandte den Kopf zur Seite und wurde einer Gruppe gewahr, die versuchte, sich vom Schlachtfeld abzusetzen. Er gab seinem Ross die Sporen und hielt auf die Flüchtenden zu, schnell aufschließend. Kaum noch einen Steinwurf entfernt, hob er seinen blutverschmierten Streitkolben und fixierte sein erstes Opfer.
„Deus vult!“, schrie er mit aller Überzeugung.
Der Flüchtende blickte über die Schulter. Seine Waffe hatte er längst fallen gelassen. Sein Entsetzen war ihm anzusehen, als er der Gefahr gewahr wurde, doch es war zu spät: In diesem Moment hatte Bernard ihn erreicht. Ein Schlag zertrümmerte Helm samt Schädel. Zuckend brach der Sarazene zusammen.
Der Ritter wandte sich sogleich dem Nächsten zu. Es waren noch fünf. Sie schrieen und stoben panisch nach allen Richtungen auseinander. Ein weiterer Schlag. Stumm fiel ein Körper in den Sand.
Danach überrannte das Pferd des Angreifers einen weiteren Sarazenen, dessen unmenschliches, gellendes Geschrei schnell erstarb.
Dem Vierten zerstörte ein Hieb das Gesicht.
Der Fünfte: Bernard kam kurz der Gedanke, ihn der Wüste zu überlassen. Dann jedoch zog dieser einen Krummsäbel: er wollte sein Leben verteidigen. Alles andere als einen Angriff hätte man Bernard als Feigheit auslegen können, und so gab er seinem Ross die Sporen.
Der letzte Überlebende der aufgeriebenen Karawane verstand nicht den Schlachtruf des Frankens. Sein Atem raste, und seine Schwerthand zitterte, denn er wusste, dass er dem auf ihn zu jagenden Reiter kaum standhalten könnte.
„Allahu ak...“ Es war nicht mehr als ein Krächzen, da hatte der Feind ihn schon erreicht. Der Hieb des Streitkolbens war so mächtig, dass dieser Bernards Händen entglitt. Im Flug zeichnete die Waffe mit einer Schleppe aus Blut und Hirn einen Halbmond gegen den Abendhimmel.
Bernard stoppte sein Ross, verschnaufte. Er sah in der Ferne, dass der Kampf beendet war, nahm seinen Normannenheld vom Kopf und entließ damit die Gluthitze darunter. Strich sich durch das verschwitzte Haar und sandte stumm ein kurzes Stoßgebet zum Himmel.
*
Bernard hatte es vermieden, die Überreste seines Feindes anzusehen, als er seinen Streitkolben wiederaufgelesen hatte.
Langsam trabte er zum Ort der Schlacht zurück, ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Wie immer hatte sie Wilhelm angeführt, Wilhelm der Riese, wie sie ihn im Scherze nannten, denn er überragte alle anderen ihres Ordens um beinahe einen ganzen Kopf.
Bernard hatte ihn vor einigen Jahren kennen gelernt. Damals führte er noch das friedliche Leben eines Hospitälers, pflegte Pilger. Nie hatte er zuvor daran gedacht, selbst das Schwert in die Hand zu nehmen, er mochte den Kampf nicht.
Doch Wilhelm war außergewöhnlich.
Er hatte eine Art, die Menschen zu überzeugen, wie sie Bernard noch nie bei jemanden erlebt hatte.
Als Zweitgeborener hatte er seinerzeit, im unendlich weit entfernten Oberlothringen, reiten und kämpfen erlernt, hatte jedoch zur Enttäuschung seines Vaters nie den Ritterschlag erhalten, denn er folgte schon früh dem Ruf der heiligen Stätten.
Fromm war er ohnehin, und so überzeugte ihn der Riese in langen Gesprächen, ihm zu folgen und den Weg des milites christi zu gehen.
So fehlte nur noch eines. Und auch hier kam Wilhelm ins Spiel, der ihm Ausrüstung und sogar den stattlichen Araberhengst stellte.
Bernard liebte ihn wie einen Bruder. Die Jahre waren voller Schrecken und Blut. Geplänkel, Schlachten, Siege, Niederlagen. Man zahlte einen hohen Preis auf Erden, des ewigen Seelenfriedens wegen. Doch daran wagte Bernard nicht zu denken.
Mit der Zeit erwarb er sich die Achtung seiner Ordensbrüder, vor allem ob seines Mutes und wegen seines geschickten Umganges mit dem Streitkolben. Wilhelm und er wurden selbst in der Schlacht unzertrennlich.
Auch dieses Mal hatte der Riese die drei Dutzend Mann angeführt, welche die Karawane überfallen hatten, relativ weit von Taphila entfernt.
Viele von ihnen waren schon ins Paradies eingegangen. Er musste in Erfahrung bringen, wer von ihnen in diesem Kampf gefallen war.
*
Der schmutzige, zerwühlte Boden war wie gewöhnlich mit Blut getränkt. Sie hatten abgesattelt, ein paar Mann gingen herum und erschlugen die verwundeten Gegner, so dass ihr erbärmliches Geschrei allmählich erstarb. Einige sammelten die Beute. Zwei seiner Brüder versorgten einen Neuen. Bernard fiel sein Name nicht ein. Das Blut seiner Verwundung bespritzte die weißen Tuniken seiner Helfer. Er war schon ganz blass und würde, das wusste Bernard, die Nacht nicht überleben.
Andere bereiteten das Nachtlager vor. Wo war der bloß Wilhelm?
Jean kam ihn entgegen, ein bärtiger, pockennarbiger und hochgeschätzter Recke, auch wenn er seine besten Jahre bereits durchlebt hatte. Wie er ihn anguckte! Etwas schien nicht zu stimmen.
„Bernard“, sagte Jean und legte diesem eine Hand auf die Schulter. „Es ist etwas passiert. Wilhelm liegt da drüben. Er will dich sprechen.“
*
Wilhelm hatte den anderen bedeutet, zu gehen. Seine Stimme war immer noch voll und kräftig, aber trotzdem ahnte Bernard, dass er sich verabschieden wollte. Er konnte es nur nicht wahrhaben. Noch nie war der Riese im Kampf auch nur verletzt worden! Er machte sich die schlimmsten Vorwürfe, von seiner Seite gewichen zu sein, um die Feinde Gottes zu verfolgen.
„Nein, du weißt ganz genau, dass ich es nicht schaffen würde. Außerdem würde mich in Taphila eh ja nur der Medikus erledigen“, widersprach ihm Wilhelm und lachte rau.
Sein Ross lag unweit von zwei getöteten Kamelen, deren Waren im Dreck verstreut lagen. Der Schweiß glänzte schwach auf dem Fell. Ein Speer ragte aus seiner Flanke.
Um Wilhelm verstreut lagen einige tote Sarazenen wie Gliederpuppen. Etwas schien Bernard merkwürdig, nur verdrängte das Entsetzen über die schwere Verwundung seines Freundes diesen Gedanken.
„Möchtest du die letzte Ölung?“ fragte Bernard, während er versuchte, die klaffende Wunde zu versorgen.
Wilhelm lachte wieder.
„Nein.“
„Sollen wir beten?“, fragte Bernard.
„Nein.“
Ihn verwirrte dieses Verhalten. Er wusste nichts zu sagen, außer:
„Du gehst dem Tod entgegen.“
„Ich weiß, mein Bruder.“
Wilhelms Stimme war bereits schwächer. „Es war ein Assassine, oder?“
Überrascht hielt Bernard inne.
„Dieser Bastard...es war bestimmt einer. Sieh nach, mein Freund“, befahl der Sterbende.
Bernard fühlte sich benommen, als er aufstand, um seinen Wunsch zu erfüllen.
Er verstand nicht. Warum sollte ein Assassine...?
Man erzählte sich, dass einst einer von ihnen den Orden in Jerusalem aufgesucht habe, um Schutzgeld zu fordern. Andernfalls werde es den Oberen schlecht ergehen. Man hatte ihm, so wollte es die Erzählung, ins Gesicht gelacht und gesagt, für jeden Anführer, den sie töteten, träte am nächsten Tag ein neuer Mann an dessen Stelle. Das war so ziemlich das einzige, was er je von diesen seltsamen Muselmanen gehört hatte. Warum ausgerechnet...?
Neben ein paar gewöhnlichen Kämpfern fand er auch die auf dem Bauch liegende Leiche eines Mannes, welche seine Aufmerksamkeit erregte. Dieser trug das Gewand eines Händlers, doch machte er nicht den Eindruck, jemals in Wohlstand gelebt zu haben. Bernard beugte sich über ihn und drehte den Körper um.
Und erschrak.
Die Augen waren weit aufgerissen, das war nichts ungewöhnliches, aber sie waren gerötet wie die eines Besessenen.
Hastig bekreuzigte er sich und betete leise ein schnelles Paternoster.
Neben dem seltsamen Toten lag eine Waffe im Staub, die ihn in ihren Bann zog.
Vorsichtig hob er sie auf. Ein Krummsäbel, das an sich war nichts Ungewöhnliches. Doch noch nie in all den Jahren, die er im Heiligen Land verbracht hatte, hatte Bernard eine ähnliche Waffe gesehen. Sie war so reichhaltig und kunstfertig verziert, dass Bernard daran zweifelte, ob sie von Menschenhand erschaffen worden sei.
Die Klinge war besudelt von Blut, dem seines Freundes, wie er instinktiv wusste, und trotzdem faszinierte sie ihn.
Die Muster, Schriftzeichen und Pentagramme darauf waren einfach unglaublich, nicht nur aufgrund ihrer Qualität, nein... das war mehr als eine Waffe von Königen. Was...?
„Und?“, hörte er Wilhelm plötzlich fragen. Er erschrak. Schnell wandte er sich wieder dem Verwundeten zu.
Es dämmerte bereits, wurde merklich kühler. Der am Boden liegend Riese fixierte Bernard mit einem sonderbaren Blick, so dass sich dieser ganz unwohl fühlte.
„Es war einer, oder?“
„Ich... ich glaube schon. Er hat die Augen eines Besessenen. Und... er... seine Waffe...“
Wilhelms Blick ließ ihn los, nun schaute er an ihm vorbei in die Abendsonne, welche sein Gesicht in schwaches Rot tauchte und die Konturen schwärzte.
Bernard fühlte sich beinahe erleichtert.
„Ich habe noch eine Überraschung für dich“, sagte sein Freund bedächtig,
„Nimm mein Medaillon.“
Einige erzählten, Wilhelm trage ein Stück des Kreuzes Jesu Christi um den Hals, welches ihn stärke und schütze. Andere erzählten, es sein ein Zahn des heiligen Johannes. Alle im Orden waren sich darüber einig, dass es eine besondere Reliquie sein musste, auch wenn Wilhelm sie niemandem, nicht einmal ihm, bisher gezeigt hatte.
„Aber...“, stammelte Bernard.
„Los, nimm es“, befahl der Sterbende. Plötzlich war seine Stimme wieder kräftig und bestimmt. „Ich schenke es dir. Los, nimm es mir endlich vom Hals!“
Zögernd, behutsam hob Bernard den Kopf seines Freundes an. Dann griff er mit einer Hand nach dem Lederriemen um dessen Hals. Wilhelm stöhnte leise.
„Los“, sagte er noch einmal.
Dann, als Bernard es gelöst hatte, seufzte er auf.
Bernard hielt das Medaillon in der Linken und betrachtete es verwundert. Es war ungefähr halb so groß wie sein Handteller, aus einem sonderbar schwarzen Metall.
Die Nacht brach schnell heran, und brachte Dunkelheit, deshalb erkannte er das Relief nicht auf Anhieb.
Die beiden Männer schwiegen lange.
„Was... was ist das für eine Fratze?“, fragte er leise.
„Du weißt es.“ Wilhelms Stimme war fast nur noch ein Flüstern, dennoch erschien sie zu laut für Bernard. Nein!
Und da lachte der Sterbende noch einmal auf, ein tiefes, langes Lachen. Die Sonne versank als riesige, blutrote Scheibe hinter dem Horizont. Bernard schwindelte es.
Da unterbrach das Lachen für einen Moment.
In diesem Augenblick, an der Schwelle des Todes, sprach Wilhelm aus, was Bernard für den kümmerlichen Rest seines Lebens verstummen ließ:
„Meinst du denn wirklich, unser Streben wäre gottgefällig?“, und verstarb mit einem Lächeln.