- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Devil´s Little Helper
Die Luft verwandelte sich in Batteriesäure, die seine Lungen zerfraß und in seinen Beinen brannte. Er atmete stoßweise und seine Beine hoben sich kaum vom Boden. Aber er musste weiter.
Lauf zu einer Tür und klingle. Versteck dich. Ruf um Hilfe. In dieser miesen Plattenbausiedlung würde sowieso keiner aufmachen. Nicht mal, wenn es Tag wäre. Trotzdem trat er an den Hauseingang und schlug mit der Handfläche gegen mehrere Knöpfe gleichzeitig.
Aus der Gegensprechanlage kamen Flüche und Gezeter in Sprachen, die ihm nicht einmal entfernt bekannt vorkamen. Aber ein Teil von ihm nahm an, dass das Gesagte hauptsächlich von seinen Vorfahren und deren ungesunder Vorliebe für Hunde handelte. Sein schwarzes Shirt klebte auf seinem mageren untrainierten Körper und er stützte sich auf die Knie, während er nach Luft rang. Das Tappen ihrer Schritte beendete das Keuchen.
Das Gezeter in der Sprechanlage war verstummt. Niemand hatte den Summer auch nur durch Zufall berührt. Seine Augen starrten auf den Boden. Als er aufblickte, schienen seine Augäpfel nicht fest in seinem Schädel zu sitzen, sondern der Bewegung erst mit einer leichten Verzögerung zu folgen. Die Ränder seines Sichtfelds waren körnig und zerfranst.
Atme! Versteck dich!
Er musste sich bewusst darauf konzentrieren, Luft zu holen. Seine Gedanken zerrannen in tausend verschiedene Richtungen. Er drehte sich um und trat mit aller Kraft gegen die untere Scheibe der Eingangstür. Das Klirren war bestürzend laut. Sein Fuß in den dünnen Chucks fühlte sich an als hätte er gegen eine massive Wand getreten. Er drehte sich zu den Büschen, die um den Eingang wuchsen. Das Dornengestrüpp zerkratzte seine Haut, riss Strähnen seines langen Haares heraus.
Er ignorierte es.
Stattdessen schob er seinen hageren Körper zwischen die Äste. Immer tiefer hinein. Das Tappen hatte ihn jetzt erreicht. Im Licht konnte er sie erkennen. Sein Atem wurde hektisch, kam stoßweiße. In seinen Ohren klang es wie eine Lokomotive die endlich starten wollte. Weg von hier. Die schreiend gelben und rosa Haare. Fette Bäuche mit geschmacklosen Tätowierungen darauf. Geistlose Augen zu einem Ausdruck ewiger Verzückung erstarrt. Wie schwarzes Plastik, das nach einem Feuer zu einer neuen Gestalt verformt worden war.
Er sah die eine Hälfte seiner Verfolger durch die Türöffnung verschwinden. Der Rest lief weiter die Straße hinunter. Nach einiger Zeit ging das Licht am Eingang aus. Er kam langsam wieder zu Atem.
Und begann auch seinen Fuß genauso wie die unzähligen blutigen Kratzer überall an seinem Körper zu spüren. Er musste hier weg. Er schob Äste beiseite. Zerriss dabei sein Shirt, holte sich noch mehr wunde Haut und ausgerupfte Haare. Erleichtert trat er auf die Straße und humpelte über die Grasfläche weg von seinen Verfolgern.
Als er den gegenüberliegenden Bau umrundet hatte, sah er den kleingewachsenen Schatten vor sich. Er erstarrte. Wollte sich umwenden, aber er war bereits umzingelt.
Sie hatten ihn.
Er schluckte und lehnte sich gegen die Wand. Sein überbeanspruchter rechter Knöchel gab nach und er rutschte schluchzend zu Boden.
„Lasst mich doch endlich in Frieden. Ich hab euch doch nichts getan.“
„Du bist aber traurig. Und du singst traurig. Die Menschen werden traurig, wenn sie dich hören. Das darfst du nicht.“
Er vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte: „Ich will es aber sein. Es ist mein Recht. Ihr dürft mir das nicht nehmen. Bitte.“
„Dummerchen. Niemand sollte traurig sein. Niemand will traurig sein. Niemand DARF traurig sein.“ Bei diesen Worten hatten sie ihn in einem engen Halbkreis eingeschlossen. Ihre feisten Bäuche zu ihm gewandt. Weißes Haar, das um die Tatoos aus ihrem Bauch und ihrer Brust spross.
„Wir werden Licht in dein Leben bringen. Du wirst für immer glücklich sein.“
Die kindliche Stimme des Anführers überschlug sich vor schwachsinniger Freude.
Und dann kam die Verstrahlung. Licht, in allen Farben des Regenbogens, brach über ihn herein. Er schrie und presste die Hände gegen seinen Schädel. Er schrie seine nackte Todesangst hinaus als zuerst nur Bruchstücke und schließlich sein ganzes Bewusstsein, seine Persönlichkeit abgeschliffen und poliert wurde. Keine schattigen Ecken mehr. Weder Tiefe noch Überraschung. Nur noch der Glanz blieb. Sein Gehirn fühlte sich an wie eine kalt glänzende Glasmurmel.
Mit einem Schrei fiel er aus seinem Bett. Schweißgebadet starrte er auf die kalten Fliesen.
Die nasse Bettdecke klebte an ihm, angewidert schälte er sich aus ihr und setzte sich auf. So blieb er einige Zeit sitzen und betrachtete die schwarz gestrichenen Wände seiner kleinen Kellerwohnung, während sein Verstand sich langsam in die Realität vorarbeitete. Überall Poster seiner Lieblingsbands und am Boden lagen Gitarren, Drumsticks und Magazine. Er atmete erleichtert auf. Fasste sich am Kopf und prüfte dessen Inhalt. Alles noch da.
Nur in Boxershorts kroch er durch die Dunkelheit und ließ sich in die Ecke fallen, die seine Freundin mit allen möglichen Kissen voll gestopft hatte, so dass es jetzt aussah wie ein buntes weiches Nest. Er schnappte sich einen alten Karton und suchte einige Zeit nach dem Schreibzeug, das irgendwo zwischen den Kissen lag. Seine Freundin hatte eine kleine Lampe an die Wand montiert, die nur das Nest beleuchtete und den Rest des Zimmers in Dunkelheit ließ. Trotzdem wachte sie auf.
„Ws machst dudennda?“ Sie richtete sich in ihrem Bett auf und blickte in seine Richtung, ohne die Augen zu öffnen. Ihr Iro war völlig hinüber und die schwarze Schminke um die Augen war noch von der gestrigen Party. Jetzt hoffnungslos verschmiert.
„Ich hab eine Idee für ein neues Lied“
„`chja?“ murmelte sie als sie sich lautstark wieder zurückfallen ließ. „Wie heistsdenn?“ kam dumpf zwischen den Kissen hervor.
Er schrieb bereits hektisch auf den alten Karton.
„Ich hasse Glücksbärchis.“ Aber da schlief sie bereits.