Die 3 Instanzen der Selbstzerstörung
Die 3 Instanzen der Selbstzerstörung
Mein Name ist Thomas Scheer
Ich bin glücklich
Ich nehme Drogen
1. Instanz
Die Welt verschwimmt zu einem Farbenmeer. Die Konturen sind verwischt. Alle Unklarheiten sind ausgeräumt, alle Zweifel beseitigt als hätte es Sie nie gegeben.
Ich befinde mich in einem Zustand völliger Ekstase. Mein ganzer Körper kribbelt. In meinem Gehirn laufen die Sorotoninrezeptoren Amok.
Ja, so etwas habt ihr noch nie erlebt, wie? MDMA lautet das Zauberwort.
Ich stehe auf und schwebe zur Tanzfläche. Ich besitze keinen Körper mehr. Ich schliesse die Augen und schwimme in den Schallwellen der Musik.
Nach einer Weile kehre ich in meinen Körper zurück und öffne die Augen.
Ich verlasse die Tanzfläche und mache mich auf den Weg in den anderen Raum, wo meine Freundin auf mich wartet.
Jeder Schritt, den ich tue, lässt erneut Wellen der Glückseligkeit über meine Synapsen schwappen. Ich trage durchgehend ein Lächeln auf dem Gesicht, während ich beim Laufen umherblicke.
Ich sehe fröhliche Menschen wie mich, mit lachenden Gesichtern.
Die Essenz meiner hedonistischen Lebensart lautet: Love, Peace and Unity, und zwar in seiner reinsten Form.
Mein Augenpaar heftet sich an einen Jungen, der scheinbar unbeteiligt und in Trance auf seinem Stuhl sitzt.
Ich erkenne es an seinen Augen und an seinem Blick. Er befindet sich ebenfalls in der 5. Dimension. Er sieht auf und unsere Blicke begegnen sich, doch ich sehe nicht weg. Ich lächle ihn an und er lächelt zurück.
Ich weiss, sagt sein Blick. Du bist drauf und jeder ist dein Freund. Auch ich bin dein Freund. Wir gehören einem exklusiven Kreis an. Die Anderen haben ja keine Ahnung, wissen nicht, wie das ist, wissen gar nichts.
Meine Freundin sieht mich von weitem und lächelt mich an. Wir umarmen uns als hätten wir uns Jahrelang nicht gesehen. Ich setze mich auf einen Stuhl und Sie setzt sich auf mich. Sie blickt mich an und lächelt erneut. Ich Liebe dieses Lächeln. So eines bekommt man nur auf "E" hin. Es macht sie noch um einiges hübscher, als Sie eh schon ist. Ich sehe sie ebenfalls an und weiss, dass ich sie Liebe. Sie ist mein Alpha und mein Omega. Es gibt nur noch uns beide. Ich weiss genau, was Sie fühlt und Sie weiss genau, was ich fühle. Die totale Liebe, Zufriedenheit, Geborgenheit, Wärme.
Wir werden eins, als wir uns küssen. Eine Seele, die nur zufällig in zwei Körpern wohnt. Wir berühren und streicheln uns überall. Wo sie mich berührt, hinterlässt sie knisternde Elektrizität die durch meinen ganzen Körper fährt.
Wir werden beobachtet. Es ist uns egal. Es gibt nur noch uns beide und unsere Liebe.
Mein Name ist Thomas Scheer
Ich bin glücklich
Ich nehme Drogen
2. Instanz
Die Wirkung der Teile lässt langsam nach. Meine Serotoninspeicher sind leer, völlig ausgepumpt. Die Glücksgefühle werden schwächer und verblassen schliesslich fast völlig. Das Coming Down trifft mich hart. Ich will nicht zurück in die kalte Realität und versuche, mich an den Rändern der Traumzeit festzuhalten. Doch das Dimensionstor schliesst sich. Langsam, aber unaufhaltsam. Und ich stehe auf der falschen Seite.
Meine Freundin sieht mich an und weiss sofort, was los ist. Ihr selbst geht es nicht besser. Wir halten die Hände aneinander. Beide zittern stark. Die Frage schwebt unausgesprochen in der Luft. Wer geht diesmal?
Sie fragt mich, wieviel Geld ich noch habe. Ich weiss es gar nicht und sehe nach. Das Herausholen des Portemonnaies erweist sich als schwierige Angelegenheit.
Als sie sieht, dass ich mit zitternden Händen dabei bin, die wenigen Münzen zu zählen, die ich noch habe, kramt sie ebenfalls in ihrer Tasche.
Das Zählen ist noch schwieriger als das herausholen der Geldbörse.
Nach mehreren Ansätzen kenne ich schliesslich den ernüchternden Betrag meiner Barschaft. Sie sagt mir ihre Summe und wir rechnen zusammen. Wir kommen nicht über die magische 5-€-Grenze. Auf Kombi bekommen wir ebenfalls nichts, jedenfalls nicht mehr um diese Uhrzeit.
Wir akzeptieren es schliesslich mit dem Gedanken, dass nächste Woche Anfang des Monats ist. Dann gibt es Geld. Dann gibt es Drogen.
Ich lächle Sie an und sage ihr, dass ich Sie Liebe. Sie streichelt zärtlich über mein Gesicht. "Auf der ganzen Welt haben das heute bestimmt Tausende zu ihren Freundinnen gesagt, flüstert Sie mir ins Ohr. "Aber niemand meint es so wie ich", gebe ich ebenso leise zurück. "Ich weiss."
Mein Name ist Thomas Scheer
Ich bin glücklich
Ich nehme Drogen
3. Instanz
Meine Liebe klettert von meinem Schoß und setzt sich neben mich auf einen Stuhl. Lustlos und gelangweilt blicken wir umher. Viel gibt es nicht mehr zu sehen. Die Farben sind grösstenteils verblasst, die Discolichter werden nach und nach abgeschaltet und die Leute gehen nach Hause.
"Sollen wir gehn?"
"Ich hab keine Lust aufzustehen"
"Ich weiss. Wieviel Uhr?"
"Keine Ahnung"
Ich will jetzt nicht reden. Ich hänge einsam meinen Gedanken nach. Wie lange habe ich nicht mehr in den Briefkasten geschaut? Egal. Ist eh immer dasselbe drin. Irgendwelche Leute, die etwas von mir wollen, das ich nicht habe. Meisstens Geld.
Die Lichter gehen an und stechen schmerzhaft in unsere an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Wir stehen schliesslich auf, weil wir müssen. Wir reihen uns in die Schlange vor der Kasse ein.
Wir gehen gleich zu mir. Mit fällt ein, wie es in meiner Wohnung aussieht. Könnte mal wieder geputzt werden. Gesaugt auch. Und aufgeräumt. Aber gleich ist es dunkel. Da fällt es nicht so auf.
Nächste Woche schnappe ich mir meine Freundin. Wir ziehen uns was Speed und räumen dann mal richtig auf. Mein Gott, kann ich denn nur noch an das Eine denken?
Mein Name ist Thomas Scheer
Ich bin glücklich
Ich nehme Drogen
Mir wird etwas klar.
Ich bin lieber tot und glücklich als vom Leben kalt erwischt.
Copyright © 2005 by Marcel Seis, all rights reserved.