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Die achtziger Jahre

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29.10.2007
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Die achtziger Jahre

Die Mutter steckte den Brief aus Äthiopien in den Umschlag und besah sich erneut die Kritzelei. Sie stellte ein schwarzhäutiges Kind dar, das bunte Gewänder trug. Die Flächen waren sorgfältig ausgemalt. Sie stellte sich ans Fenster, hielt das Bild gegen das Sonnenlicht. Doch da war nichts, allein das Bild und der Brief.

Dieser Brief hatte sie zum Weinen gebracht. Wie die dreizehn Briefe zuvor. Diese Dankbarkeit! Die echte Freude! Und was Babu nicht alles zu erzählen hatte. Es ginge ihm gut, denn mit ihrer Hilfe besuchte er eine Schule, läse und schriebe. Und so weiter. Auch seine Eltern freuten sich, dankten ihr, schlössen sie in die Gebete ein. Sie weinte abermals. Nur ein wenig. Dankbar und von ihrer Güte bewegt. Dann besah sie sich nochmals die Kritzelei. Aus Äthiopien, von so weit her. Einen Augenblick schloss sie die Augen, nahm dann das Bild, steckte es zu dem Brief in den Umschlag, hielt ihn einen Augenblick gegen die Brust, sah auf die dreizehn weiteren Briefe, nahm den ganzen Packen und ging ins Zimmer des Sohnes, der auf dem Bett hockte.

„Hier, ich habe wieder einen Brief von Babu bekommen.“ – Der Sohn schaute kurz auf, nickte, senkte den Kopf. „Weißt du, in Äthiopien stellen die Kinder ihr Spielzeug aus Müll her.“ – Er nickte. „Ach, das weißt du? Die Kinder wären froh, hätten sie auch nur eins deiner Spielzeuge, doch du bist zu faul, den Teppich zu saugen“, sagte sie und wusste, dass er nichts dafür konnte. Doch auch sie war unschuldig, hatte niemals eine Chance gehabt. „Oder deine Bücher! Gott, was wären die Kinder in Äthiopien froh über deine Bücher! Sie haben keine Bücher. Sie können nichts aus sich machen. Sie haben keine Chance.“ – Er schwieg, hatte den Kopf gehoben, blickte sie an. „Weißt du, in Äthiopien verhungern die Kinder. Sie haben ganz aufgeblähte Bäuche.“ – Er legte das Buch fort, stand auf, schob sich vorbei, nahm den Staubsauger aus dem Wandschrank und ging ins Wohnzimmer.

Der Sohn saugte. Sie sah ihm zu. Lange Zeit kniete er in der hintersten Ecke, gleich neben dem Kamin. „Ist gut“, sagte sie zum Sohn. Doch er hörte nicht. Also ging sie in die Küche. Gleich drei Uhr. „Jetzt hör auf!“, sagte sie ins Wohnzimmer hinein. Es röhrte weiter, schwoll an und schwoll wieder ab. Abermals ging sie hin, immer noch befand sich der Sohn neben dem Kamin, saugte ohne Aufsatz und schabte den Dreck fort. „Was machst du?“, fragte sie und trat an den Sohn heran, langsam. „Warum hörst du nicht auf?“ Der Staubsauger kam ihr zu laut vor. „Hallo?“, rief sie, berührte ihren Sohn an der Schulter, doch sofort zuckte er unter ihrer Hand weg.

„Dann saug halt weiter“, sagte sie und ging zurück in die Küche, verschob das Geschirr, legte die Hände auf den Küchentisch, bemüht, das Geräusch zu ignorieren. Zuerst war es tief, kletterte höher, um kurz darauf wieder zu fallen. Sie schloss die Augen, spürte das Vibrieren unter ihren Füssen. „Jetzt hör auf!“, rief sie, rannte ins Wohnzimmer: Ja, der Sohn saugte die Stelle neben dem Kamin. „Schluss!“, schrie sie, zog den Stecker. Das Geräusch verebbte langsam. Er blickte sie an, stand auf, presste den Stecker wieder in die Buchse. Da schlug sie ihm den Schlauch aus den Händen. Er grabschte danach, doch sie trat den Schlauch gegen den Kamin. Saugend klackte er gegen den Stein, rutschte dem Sohn wieder in die Hände.

 

Hallo Roman,

ist das die ganze Geschichte oder hast du versehentlich eine falsche Version gepostet? Bevor ich mich über diesen Schluß auslasse, frage ich lieber einmal nach :).

Lieben Gruß
bernadette

 

Hallo Roman,

mir kommt die Geschichte auch unvollständig vor, weil sie so abrupt endet... Da fehlt doch was, oder? Zumal ich (noch) nicht den Bezug zu den achtziger Jahren herstellen kann...

Liebe Grüße
stephy

 

„Weißt du, in Äthiopien verhungern die Kinder. Sie haben ganz aufgeblähte Bäuche.“

Hallo bernadette,

hi stephy,

im Gegensatz zu Euch seh’ ich ein schlüssiges, nicht einmal „geschlossenes“ Ende, - was den Gegensatz zum „offenen“ bezeichnen soll – es ist weder das eine noch das andere, aber es ist ein Ende: Die Mutter, vielleicht Mitglied bei Plan International oder ähnlichem Firlefanz, ist ergriffen vom Schicksal Babus, „ihrem“ Patenkind. Gegenüber dem weitentfernten Schicksal in Äthiopien droht ihr das Schicksal des Sohnes vor ihrer Nase in Vergessenheit zu geraten. Er soll sich „nützlich“ machen, indem er spült oder – wie hier – staubsaugt. Und da geschieht’s: Sohn und Staubsauger werden zur Symbiose, das Ende der Erzählung ist geradezu klassisch:

Der Mutter geht inzwischen die Saugerei auf den Zwirn.

»„Jetzt hör auf!“, rief sie, rannte ins Wohnzimmer: Ja, der Sohn saugte die Stelle neben dem Kamin. „Schluss!“, schrie sie, zog den Stecker. Das Geräusch verebbte langsam. Er blickte sie an, stand dann auf, presste den Stecker wieder in die Buchse. Da schlug sie ihm den Schlauch aus den Händen. Er grabschte danach, doch sie trat den Schlauch gegen den Kamin. Saugend klackte er gegen den Stein, rutschte dem Sohn wieder in die Hände.«

Das heiße ich ein logisches Ende. Denn nichts scheint der Mutter wichtiger zu sein, als das Wohlergehen ihres Patenkindes, es macht ja nur den Aufwand der „Spende“, die auch noch steuerlich absetzbar ist, gegenüber dem nutzlosen Balg, um den man sich täglich kümmern muss. –

Alles, worüber wir uns heute ärgern - wie z. B. Eltern, die mit ihren Kindern nicht zurecht kommen und hoffen, dass das Kindergarten und Schule für sie erledigten – wurde nicht 68 sondern in den 80-ern geschaffen mit einem Koloss von Kanzler, der vorbildlich alles ausgesessen hat.

Nix für ungut,

ist ja keine Kritik an Euch,

&

gute Nacht

friedchen

 

Hallo Roman,

ich glaube, du willst die Leser auf die Probe stellen, ob sie deinen Text bis zu Ende lesen. Und wenn sich genug gemeldet haben, dann schiebst du einen annehmbaren Schluß hinterher. Oder einen anderen letzten Satz.

Für mich bleibt das sonst "unfertig".

Grüße Hawowi

 

Hallo Roman,

da findestu zu konventionellem Format und zeigst allen bisherigen Kritikern, dass Du’s beherrscht.

Deine Geschichte trifft den Nagel auf den Kopf (vgl. meine Stellungnahme zuvor). Das hat nix mit „schwarzer“ oder sonstiger (farblicher Nuancen der) Pädagogik zu tun. (K)ein schönes Bild, das Du uns vorstellst, aber bei aller (möglichen ?) Entfremdung realistisch.

Gleichwohl: die Kleinkrämerseele sagt zunächst was – nix Aufregendes – zur Zeichensetzung: „Ist gut“KOMMA sagte sie zum Sohn. Das ist Dir einige Male zuvor und danach geglückt, also warum sollte hier der Flüchtigkeitsfehler bestehen bleiben? ( vgl. „Nachwelt“).

Gleichwohl beug ich möglichen anderen Einwendungen vor: Man wird vorschlagen, »„Dann saug halt weiter“, sagte sie und ging zurück in die Küche, …« mit einem Ausrufezeichen zu versehen. Dabei vergäße man, dass die Mutter gar keinen Befehl ausspricht, sondern resigniert und den Sohn gewähren lässt, -

was auch die absurde Situation erzeugte: sie ließe den Staubsauger gewähren.

Noch eine kurze Bemerkung zum dem Begriffspaar Ton/Geräusch: »… verschob das Geschirr, legte dann die Hände auf den Küchentisch, bemüht, das Geräusch zu ignorieren. Der Ton, zuerst tief, kletterte höher, um kurz darauf wieder zu fallen.«

Geräusche basieren auf unregelmäßigen, Töne auf regelmäßigen Frequenzen. Wenn der Staubsauger es schaffte, einen Ton (oder Töne) längere Zeit zu erzeugen, er wäre im Ruhestand. Deine eigene Beschreibung (tief, höher, fallen) zeigt: es ist eben kein Ton.

Moin & gut’ Nacht

friedel

 

Hallo Roman,


Er nickte. „Ach, das weißt du? Die Kinder wären froh, hätten sie auch nur eins deiner Spielzeuge, doch du bist zu faul, den Teppich zu saugen“, sagte sie und wusste, dass er nichts dafür konnte.
Hier kann ich (selbst Mutter zweier pubertierender Jungs) nur laut lachen - wer denn soll ihm die Notwendigkeit des Saugens beibringen, wenn nicht seine Mutter?

@ Friedel

Es wäre traurig, wenn man eine verkorkste Erziehung Politikern in die Schuhe schiebt. Ich bin wohl genau eine in dieser Zielgruppe der 80-er, kann mich aber dieser Theorie überhaupt nicht anschließen.

Du verteidigt sehr vehement das "Ende". Ich bräuchte auch keine weiterführende Handlung, um das Ende stimmig finden zu können, wenn nicht dieser letzte Satz wäre, der lesend auf mich wirkt, als müsste noch etwas nachkommen. Das ist für mich, als nähme mir jemand das noch nicht leere Glas vor der Nase weg.

Liebe Grüße
bernadette

 

Ja,

der Text ist schon so gemeint. Das Ende soll ein Ende sein. Ich mag Geschichten, die dem Leser Raum bieten. Und der Titel gehoert hier unmittelbar zum Text, tatsaechlich ist zuerst der Titel vorhanden gewesen.
Achtziger Jahre bedeutet hier natuerlich zuerst einmal das Muffige, die Klischees, das vollkommen unironische Erzaehlen. Ich koennte diese Art der Ernsthaftigkeit nicht in die Jetztzeit verlegen. Doch ich finde auch, dass der Inhalt allein in die achtziger Jahre passt: Patenkinder, Aethiopien und so weiter. Doch auch die Mutter sehe ich so in dieser Zeit, was tatsaechlich nichts mit schwarzer Paedagogik zu tun hat. - Ueberhaupt: Welches Ende waere denkbar? Ich hatte im Sinn:
1. die Mutter stopft dem Sohn das Saugrohr in den Mund.
2. der Sohn stopft der Mutter das Saugrohr in den Mund.
3. der Vater kommt, steht staunend vor diesem Szenario (ob mit oder ohne Saugrohr im jeweiligen Mund).
4. Gefuehlsausbrueche von irgendwem.

All dies hat mich nicht befriedigt. Jedes Ende haette die vorherigen Angaben zerstoert. Ueberhaupt bin ich eben vom Titel ausgegangen - und ich sehe die Achtziger als oberflaechliche Zeit. Womit ein dramaturgischer Hoehepunkt fuer mich ausgeschlossen war. Doch ich bin fuer etwaige Vorschlaege zu haben.

Friedrichard, danke. Tja, das mit dem Ton muss ich verbessern. Habe auch lange an den Stellen gebastelt, was man merkt.

Beste Gruesse!
Roman

 

Grüß Dich bernadette,

natürlich hastu recht: wer, wenn nicht die biologischen und/oder sozialen Eltern sollen dem Kind etwas beibringen? Ich hoffe, niemand anderem eine verkorkste Erziehung anzulasten als dem je Verantwortlichen. Schön Dein – mit Sicherheit unfreiwillig, wenn auch eher an Roman statt mich gerichteter – doppelsinniger Satzteil „wer denn soll ihm die Notwendigkeit des Saugens beibringen, wenn nicht seine Mutter?“, wobei der biologische Aspekt nicht unberücksichtigt bleiben darf …

Man muss lernen, zwischen Biologie und Soziologie zu unterscheiden. In vielen Naturvölkern ist es vollkommen wurst, wer der biologische Vater ist. Hauptsache, der (soziologische) wird vom Kind angenommen. Das ist ein kulturelles Problem, das wir hier mit Sicherheit nicht mal Näherungsweise lösen können.

Mein Vorwurf an die Politik wäre darum besten-, nee, schlimmstenstenfalls, dass sie mit ihren Anpassungsstrategien an wirtschaftliche (neo-liberalistische) Gegebenheiten die Probleme eher noch „verschlimmbessern“ werden mit ihrer Wurstelei, wie insgesamt mit der sog. Reformpolitik. Da wird dann so wie bei der Polizei als Reform gefeiert, dass nun weniger Personal statt mit grünen Autos/Uniformen in blauen herumfährt/-läuft.

Tolle Aussichten, "Steuer"gelder werden für Farbspiele rausgeschmissen!

Wie zum absurden Ende der Geschichte, da Kind und Staubsauger eins werden. Absurdes Theater: der Staubsauger drängt sich dem Kinde auf, droht, eins zu werden mit ihm –

Romans angedachten Schlüssen nicht unähnlich.

Nix für ungut,

gut Nacht + moin

friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Roman!

Das gefällt mir ja schon viel viel viel besser! :)

Das Ende wirkt auch auf mich, als wäre es abgeschnitten. Aber Deine oben angeführten Enden ziehen das meiner Meinung nach ziemlich ins Unernste. Wie wäre es z. B., wenn die Mutter beim Hinausgehen noch einmal das Bild zur Hand nimmt und damit redet und es streichelt? Nur als Bild, ohne die gesprochenen Worte.
Mit den Achtzigern stimme ich Dir zu, ich hab auch rückblickend das Gefühl, daß der Patenkinder-Boom da am stärksten war (oder überhaupt erst aufgekommen ist, das weiß ich nicht so genau), und die Erziehung irgendwo zwischen schwarzer Pädagogik (ja!) und nicht-wissen-wie-sonst.

Was mir besonders gefällt, sind die Gegensätze in der Geschichte, z. B. wie die Mutter das ferne Kind in Afrika vorm Verhungern rettet, sie aber das eigene, das ihr ja viel näher stehen sollte, seelisch verhungern läßt. Wärme hat sie für das Kind in Afrika, der Sohn verkriecht sich zum Kamin (wo es warm ist). Wie sie ihm erst das Gefühl gibt, er wäre nur etwas wert, wenn er saugt, aber wenn er saugt, soll er gleich wieder aufhören, weil es sie stört. Wie sie stolz und gerührt ist, weil sie Babu das Lesen ermöglicht, aber der Sohn ist ein fauler Sack, wenn er seine Möglichkeit, zu lesen, nutzt.

und wusste, dass er nichts dafür konnte. Doch auch sie war unschuldig, hatte niemals eine Chance gehabt. „Oder deine Bücher! Gott, was wären die Kinder in Äthiopien froh über deine Bücher! Doch sie haben keine Bücher. Sie können nichts aus sich machen. Sie haben keine Chance.“
Sie projiziert ihren eigenen, unverarbeiteten Schmerz in die Kinder aus Äthiopien, kann dadurch, daß sie ihn nicht sieht, ihren eigenen Schmerz nicht fühlen und weiß deshalb auch nicht, daß sie die selben Schmerzen nun ihrem Sohn zufügt und ihm dadurch ebensoviele Chancen nimmt.

Ein paar Kleinigkeiten noch:

besah sich erneut die Kritzelei. Es stellte ein schwarzhäutiges Kind dar, das bunte Gewänder trug.
"Es" stimmt nicht, wenn Du vorher "die Kritzelei" hast. Wenn Du nicht "Sie" schreiben willst, könntest Du es z. B. umformulieren: Ein schwarzhäutiges Kind war zu erkennen, das bunte Gewänder trug.

Es ginge ihm gut, denn mit ihrer Hilfe besuchte er eine Schule, läse und schriebe. Und so weiter.
Das "Und so weiter" klingt, als wär Dir nichts mehr eingefallen. ;)
Und es würde ja reichen, wenn Du noch einen Punkt anführst, z. B.: ... läse und schriebe, und hätte sogar Schuhe bekommen.

und ging ins Zimmer des Sohnes, der auf dem Bett hockte, lesend.
Das angehängte "lesend" macht sich so nicht gut. Entweder würde ich es gleich zwischen "der" und "auf" schreiben (der Leser kriegt es auch so mit), oder, wenn Du es so extra betonen willst, vorher einen Punkt machen. Lesend.

Doch auch sie war unschuldig, hatte niemals eine Chance gehabt. „Oder deine Bücher! Gott, was wären die Kinder in Äthiopien froh über deine Bücher! Doch sie haben keine Bücher.
Da fielen mir die beiden "Doch" auf, vielleicht kannst Du eins durch was anderes ersetzen?

spürte das Vibrieren unter ihren Füssen.
ßen

Friedrichard schrieb:
Man wird vorschlagen, »„Dann saug halt weiter“, sagte sie und ging zurück in die Küche, …« mit einem Ausrufezeichen zu versehen. Dabei vergäße man, dass die Mutter gar keinen Befehl ausspricht, sondern resigniert und den Sohn gewähren lässt
Das war wohl eher Dein (erster) Gedanke, Friedrichard, den Du da anderen prophylaktisch umhängen willst. ;)


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Roman,

eine Frau lässt ihre Unzufriedenheit missbräuchlich an zwei Individuem aus, dem Patenkind im Entwicklungsland, dem eigenen Sohn daheim.
In der Ferne kann sie sich in ein Idyll träumen, das es nicht gibt. Das Wenige, was sie an Aufwand und Mühe investieren kann, wid gedankt, in Briefen, die nur die schöne Seite zeigen. So wenig Aufwand, so viel Respekt, um so größer fantasiert, um so geringer die Aufmerksamkeit zu Hause ist.
Politisch verquast wird ein Vorwurf daraus, der, und das ist gut an der Geschichte, hinten und vorne nicht stimmt.
Die eigene Unzufriedenheit über den Undank des Sohnes wird poltisch korrekt delegiert. Nicht "du achtest mich nicht", sondern "du hast kein politisches Bewusstsein". So dreht und kurbelt sich eine Frau um sich selbst, kreidet ihrem Sohn an, die Chancen nicht zu nutzen, die sie sich für sich gewünscht hätte, ohne zu begreifen, dass er nicht sie ist.
Es war eine ziemlich sichere Ohrfeige, die ich früher kassierte, wenn ich mein Essen nicht mochte und die Bemerkung "In Biafra würden sich die Kinder darüber freuen" mit den Worten "Dann packe es doch in ein Paket und schicke es dorthin" beantwortete. Ähnlich agiert die Mutter deiner Geschichte, sie sublimiert, projeziert und käme wahrscheinlich nicht im Traum auf die Idee, in sich selbst nach dem Grund für die schlechte Laune zu suchen. Die Selbsterfahrungswellen kamen ja erst später und auch sie hatten politische Nebenwirkungen wie den Rückzug ins Private.
Natürlich (be)wertet mein Kommentar deine Mutter sehr, dabei hast du es durchaus schon durch den Titel als Zeitgeistgeschichte konzipiert, die im Einzelgeschehen eine gesellschaftliche Haltung spiegelt. Die Mutter handelt also für ihre Zeit nach bestem Wissen und Gewissen, wie man so schön sagt. Und sie ist bestimmt nicht böse nach einer moralischen Kategorie. Wenn doch der Staubsauger in der Hand des Jungen wenigstens die negativen Gefühle aufsaugen würde. Aber das tut der Junge selbst. Soweit meine Gedanken zu deiner Geschichte.
Details:
Diesmal keine.

ach doch, das eine oder andere "dann" hat mich aus dem Rhythmus gerissen, etwa das vor

die Hände auf den Küchentisch

Lieben Gruß
sim

 

Hallo,

@Haeferl. Freut mich, dass dir dieser Text besser gefaellt. Deine Anmerkungen habe ich beruecksichtigt.

Insgesamt stelle ich beim nochmaligen Lesen fest, dass nur ein Satz am Ende fehlt - ohne diesen Satz gemahnt es an einen coitus interruptus. Was mir aber gefaellt. Ich lasse es daher so. Und uebergebe diese typische Achtiger-Jahre-Schullektuere-Moral-Geschichte (die mir auf dem kleinen Herzen lag) einer hoffentlichen wohlwollenden Allgemeinheit.

Sim. Danns sind weg. Ich habe keine Ahnung, warum das so ist, doch ich habe viele derartige Marotten ... (sind Anzeichen schizoider Strukturen, wie ich mir unterstelle!) - danke fuer deine Geduld.

Beste Gruesse
Roman

 

Hallo Roman,

wenn der Text eine Art Gleichnis sein soll, steht das auf schwachen Füßen. Die aus deinen Rippen geschwitzte Mutti mit Afrika-Ambitionen taugt doch nicht für eine Modell-Mami, die die 80iger Jahre versinnbildlichen soll. Dein Staubsauger-Melodram offenbart lediglich, dass du ein krude Vorstellung von dieser Zeit hast, eher aber hast du gar keine. Ich kann nicht erkennen, wofür Mutter, Sohn und Sauger stehen sollen und welcher Zusammenhang mit dem von dir genannten Jahrzehnt besteht. Scheiß-Pädagogik hat es wohl in vielen Dekaden gegeben, das kanns ja schwerlich gewesen sein, was dich zu diesem kryptischen und -nebenbei gesagt - ziemlich dröge geschriebenen Wort-zum-Sonntag Beitrag verleitet hat.
Anscheinend aber steckt in dem Text eine geheime Botschaft, die von einigen Kommentatoren erkannt und gierig aufgegriffen wird und die mehr herauslesen, als drin steckt. Offenbar 80iger Jahre Geschädigte (wodurch auch immer), denen es zu reichen scheint, ein paar nebulöse Andeutungen vorgesetzt zu bekommen, damit ihr Speichelfluß angeregt wird.

Selbst wenn du die Geschichte z. B. einfach "Babu" genannt hättest, wäre sie auch nur ansatzweise verständlich. Dann bliebe eine frustrierte Mutter, die offensichtlich mit sich und ihrem Sohn Probleme hat, einem Sohn übrigens, den du wortlos und seltsam verklemmt zeigst und ihn mit pubertärem Ätschgehabe vorführst.

Was dir m. M. nach bei "Kafkas Vater" gut gelungen ist, das Handeln der Person aus seinem krankhaften Zustand heraus zu beschreiben, ist hier überhaupt nicht vorhanden. Vielleicht hattest du das ja auch selber bemerkt und kamst dann auf die Idee mit diesem Titel, so wie man ein mäßiges Produkt mit einer Sexy-Werbung hofft, doch noch unter die Leute zu bringen.
Das jedenfalls ist mein Eindruck.

Viele Grüße
Hawowi

 

Hallo Roman,

mir geht es exakt so wie Hawowi, dessen Kritik ich ausgesprochen präzise finde. Aus dem Text erschließt sich für mich überhaupt nicht, was das mit den achtziger Jahren zu tun haben soll, es sist eine viel zu beliebige Situation, bei der man an keiner Stelle einen klaren Bezug zu den 80er herstellen könnte.

Auf mich wirkt das Ganze ziemlich banal, selbst wenn sich natürlich eine Aussage erschließt. Die steht aber nicht zwischen sondern einfach nur mitten drin in den Zeilen. Und irgendwie denkt man sich: Ja und?

Der Schluss, das wurde ja auch schon von einigen anderen Kritikern bemängelt, ist eigentlich keiner.

Um bei der Story zu bleiben: Es wird einfach plötzlich der Stecker rausgezogen, und der Sog hört auch, bevor er so richtig beginnen konnte.

Ich habe es schon mal bei einer anderen Geschichte eines anderen Autoren geschrieben: Ich habe keine Probleme mit einem offenen Ende. Aber auch ein offenes Ende bedarf eines geschickten finalen Satzes. Das empfinde ich bei deiner KG als nicht gelungen.

An deinem Stil an sich gibt's nichts zu bemängeln, der ist gut. Die Geschichte hat mich aber aus den beschriebenen Gründen nicht besonders angesprochen.

So, ich muss jetzt staubsaugen.

Grüße von Rick

 

Hallo Rick, Tag Hawowi,

nun ja, ein Gleichnis wollte ich nun auch nicht schreiben - bin nicht Brecht. Und der Bezug auf die achtziger Jahre ergibt sich fuer mich gleich mehrfach: Wie gesagt, zuerst war der Titel.
1. Inhaltlich:
1.a. Aethiopien, einfache Moralvorstellungen, platte Gut-Boese-Schemas - die waren in den achtziger Jahren im Schwange.
1.b. Schluesselkinder. Buben und Maedels, die vernachlaessigt wurden.
1.c. Eltern, welche das Gefuehl haben, ihr Leben verpasst zu haben. Die Pille, zum Beispiel, war bei den Eltern der achtziger Jahre in ihrer Jugendzeit kaum zu bekommen, weshalb sie ihr Leben ruinierten, schlussendlich in den Achtzigern strandeten - mit Kind.
1.d. Eltern, die ihren Kindern den Wohlstand, die Freiheit, die Moeglichkeiten neiden. Die Achtziger waren Hoehepunkt der Sicherheitsgefuehls, des: Es geht immer aufwaerts. Die Eltern wiederum haben das Gefuehl, betrogen worden zu sein (die Mutter identifziert sich mit Babu - wollte ich zeigen, doch so ganz gelungen ist mir das wohl nicht).

2. Formal/sprachliche Mittel:
2.a. Mich erinnert diese Geschichte an furchtbare Erzaehlungen der Schulzeit: Platte Moral, sogleich werkimmanent zu interpretieren. Natuerlich, meine Schulzeit fand in den achtziger Jahren ihren Anfang, doch weiss ich aus eigener Erfahrung, dass schon in den Neunzigern eine komplexere Literatur im Schulunterricht benutzt wurde.
2.b. Der Schluss: Kein Hoehepunkt, kein Kracher, keine Dramatik. So waren die Achtziger. So waren jedenfalls die Achtziger, die man heutzutage rezipiert (wenn jemand persoenlich in den Achtzigern eine tolle, spannende und insgesamt bunte Phase seines Lebens hatte, tja, dann ist das toll, entspricht aber nicht dem allgemeinen Konsenz).
2.c. Keine Ironie. Die Achtziger kamen weitgehend ohne Ironie aus. denke ich an Live Aid, sehe ich sozusagen die Negation der Ironie (allein der Auftritt Bonos ist ein Lehrstueck fuer diese Ansicht). Man meinte es so - wie der Text eben.

Insgesamt beschaemt mich ein klein wenig die Vermutung, mein Titel sollte die Geschichte aufbauschen. Tatsaechlich sehe ich keinen Sinn darin, eine solche Geschichte zu schreiben - wenn sie nicht mit Hilfe des Titels fundiert wird. Und natuerlich: Derartige Probleme existieren auch heute noch, doch sehe ich eben die Achtziger als Keimzelle dieser Verirrungen.

Sodele, das war mein Senf. Und diese Geschichte mit Kafkas Vater zu vergleichen, nun, hat ja keinen Sinn. Aber es freut mich, dass der kleine Text gut zu lesen ist, kann wiederum verstehen, wenn man all dies ein wenig gehaltlos findet, und danke fuer die ernsthafte und konstruktive Kritik.

Beste Gruesse, schoene Tage,
Roman

 

Ja, das linke Gutmenschentum der 80er Jahre, das konnte einem aber auch auf den Wecker gehen!

Erziehungswissenschaftler wissen ein Lied davon zu singen, wie Kinder in ihrem Alltag abwesende (z.B. wegen Scheidung) Elternteile idealisieren.

Umgekehrt scheint das auch zu gehen. Grade weil die Mutter den Alltag ihres fernen Schützlings nicht teilen muss, geht ihr eben auch nicht auf die Nerven, was auch ein äthiopisches Kind an Krankheiten, Macken, Unarten haben wird. Denn kein Kind ist perfekt. So aber kann sie es idealisieren. Diese Dankbarkeit! Diese echte Freude! Die Güte, die ihr seine Eltern entgegenbringen, die auch für sie beten!
Von dem fernen Kind fließt der Mutter eine Aufwertung ihres Selbstwertgefühls zu, die ihr wirklicher Sohn ihr wohl nie bieten kann.

So anspornend, so erzieherisch wertvoll es für Kinder sein kann, wenn sie keine Einzelkinder sind, sondern mit Geschwistern konkurrieren müssen, auch um Liebe und Anerkennung durch die Eltern, so übel muss es doch sein, mit einem in die Ferne entrückten, einem idealisierten Kind konkurrieren zu müssen. Mit einem Ideal kann man es nämlich nicht aufnehmen. Das ist einfach ungerecht. Dass der wirkliche Sohn so aggressiv reagiert, kann ich gut verstehen.

Grüße gerthans

 

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