Was ist neu

Die Außerirdischen

Mitglied
Beitritt
14.07.2007
Beiträge
27
Zuletzt bearbeitet:

Die Außerirdischen

Auf dem Faltenwurf des Bettes hockte der Bewohner P. mit angewinkelten, von den Armen umschlungenen Knien und wippte hin und her, wobei das Wippen mir keineswegs als Anzeichen seiner inneren Unruhe erschien, sondern sich in stoischer Gleichmäßigkeit vollzog; wie bei einer Meditation. Seine blauen Augen strahlten unter den buschigen Brauen hervor, der Blick starrte irgendwo in die Höhe, glitt mitunter in einen Winkel des stickigen, engen Raumes ab; die schmalen Lippen lächelten fasziniert und schließlich - als er mich auf der Schwelle stehen sah - griff er etwas schwermütig, als sei er gerade aus einem Traum erwacht, nach einer Zigarette.
"Worüber lächelst du?", fragte ich.
Das Lächeln wandte sich in ein Grinsen; in ein grenzenloses Grinsen, bei dem sich die Partien des Gesichtes von seinem Zentrum entfernten. Die Grübchen spannten und verlängerten sich zu einer Falte längs der Wange, die Stirnfalten zogen die Brauen scheinbar empor und die Augen leuchteten groß. Er positionierte sich aufrecht und sagte, dass er über die Ausserirdischen lache. Ich hatte die Geschichte gehört:
Mittlerweile kam es selten vor, dass das "Augenflimmern" begann; seine Lider öffnen sich hierbei gegen seinen Willen und in einer Art Tauziehen, in dem er versucht, die Kontrolle über sie wiederzuerringen, öffnen und schließen sich die Lider im Sekundentakt. Als die Betreuer des Wohnheims ihn nach der Ursache des Augenflimmerns fragten, erklärte er es durch die Anwesenheit Außerirdischer, die sich je nach planetarischer Herkunft unterscheiden, widersprüchlicherweise aber dem Menschen in grundsätzlicher Physiognomie glichen. Sie zogen frech seine Lider hoch, manchmal mit solcher Penetranz, dass er nur mit weit geöffneten Augen, schlaflos, auf dem Bett liegend, an die Decke starrte. Diese Fremden aber erschienen nicht einzig in böser Absicht. Jedoch waren ihm die Ursachen ihres eigenartigen Verhaltens häufig schleierhaft, was sein Misstrauen nährte; so zum Beispiel das Heraufziehen der Lider oder die Tatsache, dass sie ihn als Medium missbrauchten und zeitweise seine Energien aussaugten. Ab dieser Stelle wurden die wahnhaften Phantastereien des Herrn P. allerdings zu abstrus, zu verstrickt und überschritten das Verständnis der Betreuer. Außerdem hatte er eines Tages deutlich betont, dass er gar nicht das Bekämpfen oder Verdrängen der Außerirdischen anstrebe. "Außerdem gibt es ja noch meinen Retter und Helfer.", meinte er mit seinen lachenden Augen.
"Wer ist dieser Retter und Helfer?", fragte daraufhin eine Betreuerin.
"Na, der große Magier. David Copperfield!" Er betonte dies mit solcher Selbstverständlichkeit, dass sie ihn erst irritiert mit geöffneten Mund anstarrte und hiernach das Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.
Im engeren Kreise unter uns Betreuern wurden die Vorstellungen und Phantasien des Herrn P., der meist frohgemut mit einem Lächeln jeden in seiner Umgebung ansteckte, als heiterer Wahn ettikitiert. Natürlich war er wahnsinnig; aber eingeschlossen in diesem Wahnsinn war er glücklich und lehnte die Heilung ab. Ich glaubte sogar, er schaffe es durch seine Art, die etwas Aufrichtiges, aber auch etwas Irreales hatte, Bruchstücke dieses Irrsinns in unsere Welt zu transponieren; als ob die Sicherheit, die ihm Copperfield schenkte und welche in seinem naiven Lachen Ausdruck fand, sich auf seine Umgebung übertrug, wobei sie einzig für ihn selbst galt.
Also nickte ich, lehnte mich an den braunen Türrahmen und zeigte auf den überquellenden Aschenbecher neben seinem Bett. Herr P. stieß sich behäbig und langsam von seinem Bett ab, stand groß, mit einem speckigen runden Bauch unter einem zu engen Shirt, in zu langer, schwarzer Jogginghose in der Mitte des Raums und streckte gähnend seine langen Arme. Wenn er sie hängen und baumeln ließ, ähnelte er einem Affen. Ich sah aus dem geöffneten, schmalen Fenster. Davor zog sich ein unübersehbarer, kleiner, blühender Garten in die Länge. Es war regnerisch, ein grauer Tag.
"Kann Copperfield nicht das Wetter ändern?"
Herr. P schüttelte entsetzt den Kopf. Ironie bezüglich Copperfield verstand er nicht.
"Er hat sicherlich Besseres zu tun.", sagte er bloß.
Hinter dem Garten reihten sich Wohnhäuser bis in die Stadt hinein; das Gemäuer bröckelte vereinzelt und die Farben verblassten allmählich; Rot neben Beige, daneben wieder weiß. Und zwischen all dem ragte groß und dunkel der ergraute, gotische Kirchturm empor, auf dessen rotem Schieferdach sich eine goldene Spitze in die Höhe zackte. Im ersten Augenblick verglich ich den Copperfield, der Herrn P. gehörte, mit dem von einer breiten, gläubigen Masse getragenen, allwissenden Gott der Bibel, verwarf ihn aber sogleich. Der Gedanke war mir schon öfters gekommen.
"Sie sind glücklich oder?"
Seine Hand mit den behaarten, kurzen Fingern ruhte jetzt auf meiner Schulter und verkniffen suchte er in dem Blick aus dem Fenster nach dem, was ich dort gefunden hatte. "Denke schon, jop... Was ist denn dort am Horizont. Wohin schauen Sie?"
"Ich weiß es nicht...", antwortete ich.
"Na dann... so schön ist der Anblick vor dem Fenster hier ja nicht!"
Ich lächelte ihm zu. Er sog ununterbrochen an seiner Zigarette und kratzte sich am von Bartstoppeln und kleinen Pickeln übersähten Kinn, betonte dabei, dass er mich manchmal nicht verstehe und finde, ich sei eigenartig. Ein zartes, kurzes Lächeln, so gutmütig an mich gerichtet, dass sich eine Wärme in mir ausbreitete, huschte über seine Lippen, wie ein flackerndes Kerzenlicht, das vorüber getragen wird; dann war es vorbei, ich sah dort in die zwei Augen, hinter denen sich eine eigene geschlossene Welt verbarg und wollte nun eigentlich selbst einmal, durch diese Augen blicken.

 

Hej nizzel,

mir hat Deine Geschichte gut gefallen.
Der Versuch des Betreuers, zu verstehen, wie es sich anfühlt mit Herrn P.'s Augen zu sehen, ist insofern glaubwürdig, da er vergleichsweise harmlos verrückt zu sein scheint, und sein mit Außerirdischen und David Copperfield verwursteltes Schicksal relativ gelassen nimmt.

wobei das Wippen mir keineswegs als Anzeichen
"keineswegs" klingt etwas hölzern, wobei ich gleich zugebe, dass ich dieses Wort deswegen sehr gerne mag - falls es Dir nicht so geht, würde auch ein "nicht" genügen.

der Blick starrte irgendwo in die Höhe. glitt mitunter
Höhe, glitt

bei dem sich die Partien des Gesichtes von seinem Zentrum entfernten
bei dieser Beschreibung musste ich an Photoshop-Verzerrungsfilter denken :)

Mittlerweile selten kam es vor
Mittlerweile kam es selten vor
Lacht er also, weil er sich freut, dass das Augenflimmern seltener geworden ist?

seine Lider öffnen sich hierbei (gegen seinen Willen)
Wozu die Klammern?

die sich je nach planetarischer Herkunft (Saturn, Pluto, Mars)
hier würde ich den Klammerinhalt weglassen, Planeten und ihre Namen sind ja allgemein bekannt. Oder: je nachdem, ob sie vom Mars, Pluto oder Saturn kamen... unterscheiden, ... dem Menschen in grundsätzlicher Physiognomie gleichen würden.

Jedoch waren ihm die Ursachen ihres eigenartigen Verhaltens häufig schleierhaft,
Manchmal nicht? Und was war dann, nach Herrn P., der Grund ihres Verhaltens?

Natürlich war er wahnsinnig; aber eingeschlossen in diesem Wahnsinn war er glücklich und wollte keinerlei Heilung.
ich fürchte, das ist jetzt sehr spitzfindig, aber besser als "wollte keine Heilung" fände ich "beanspruchte" oder so ähnlich, denn von Willen kann ja bei der Eingeschlossenheit "in diesen Wahnsinn" keine große Rede sein.

als ob, die Sicherheit,
Komma weg

mit einem Bauch, dessen Speck sich wie Gardinen aufbauschte
Klingt für mich merkwürdig. Gardinen, die sich aufbauschen, bewegen sich auch wieder in die entgegengesetzte Richtung, was der Bauch von Herrn P. nicht kann. Auch sind sie eher fein und dünn, während der Bauch von Herrn P. eindeutig fester ist.

seine langen Arme. Diese langen Arme ließen
Wegen der Wiederholung würde ich vorschlagen: seine langen Arme. Sie verliehen ihm, wenn er sie baumeln ließ, Ähnlichkeit...

"Kann Copperfield nicht das Wetter ändern?"
Herr. P schüttelte entsetzt den Kopf. Ironie bezüglich Copperfield verstand er nicht.
Diese Stelle finde ich wundervoll. Sie gibt Herrn P. etwas Kindliches, weckt meine Sympathie für ihn, sie ist lustig und charakterisiert obendrein ansatzweise das öde Pflegerdasein.

"Er hat sicherlich Besseres zu tun."
Wer sagt das?

ich eine goldene Spitze in die Höhe zackte
Ich wusste nicht, dass sich irgendetwas in die Höhe "zacken" kann, aber es klingt ... interessant :)

Ich verwarf den Gedanken zwar sogleich, verglich aber im ersten Augenblick den Copperfield, der Herrn P. gehörte, mit dem von einer breiten, gläubigen Masse getragenen, allwissenden Gott der Bibel.
Das ist vom zeitlichen Ablauf merkwürdig konstruiert. Vielleicht eher: Im ersten Moment verglich ich David Copperfield ... Ich verwarf den Gedanken sogleich
So ganz nachvollziehen kann ich das Ganze aber nicht. Nicht jedes mal wenn ich einen Kirchturm sehe, denke ich zwangsläufig über Gott nach. Den Vergleich von Gott und David Copperfield müsstest Du deutlicher machen, finde ich.

Wohin schauen sie?
Wohin schauen Sie?

und wollte eigentlich selbst einmal, durch diese Augen blicken.
Komma weg
Möchte der Betreuer das grundsätzlich oder nur in diesem Moment?

Ich hoffe, meine Liste erschlägt Dich nicht.

Viele Grüße
Ane

 

Hallo und Danke!
Die Liste erschlägt mich nicht, beglückt mich eher. Habe versucht, Fehler und Missverständnisse auszubessern. Bei dem Wort "zackte" bin ich selbst irritiert, da ich in Erinnerung habe, es selbst einmal bei der Beschreibung eines Schloßes mal gelesen zu haben, fand es klang gut, hatte aber selbst gedacht, dass es das Wort so gar nicht gibt *_* Ich rieche da eine Verschwörung...

 

Hallo nizzel
lustige Geschichte, zumal ich selbst gerne solch schrägen Vögel beschreibe. Da bedarf es oft nicht mal einer ausgefeilten Handlung, weil allein die Beobachtung der Person schon ausreichend Stoff liefert. Wird dann, wie in Deinem Fall, noch ausreichend Gefühl vermittelt und sein Verhalten an anderen Mitspieler "gewetzt", dann ist das Lesevergnügen perfekt.
Manchmal schmuggelten sich ein bisschen zu viele Adjektive in Deine Sätze, aber das wird locker übergangen ... auch hier bin ich selbst gerne in der ersten Reihe dabei - ;-)
Schreibst Du noch mehr so Profile?
Liebe Grüße
Detlev

 

Danke Detlev...

Das mit den Adjektiven stimmt wohl... aber die Neigung dazu habe ich irgendwie immer. Manchmal auch die Neigung zu verschachtelten Sätzen. Das sind noch Überbleibsel aus meiner Jugend... da hatte ich immer diesen Pathos voller Schnörkel in mir und diesen Proust-Traum: Das ist der Jugendtraum, bei dem man sich nach dem ersten kleinen Lob aus dem privaten Umfeld für ein Genie hält und glaubt, wie Proust zu schreiben, ist gar nich soooo schwer... Als ich nach einiger Zeit mal alte Geschichten von mir las, merkte ich, dass ich mich erst mal an diesen kitschigen Liebesgeschichten, die man am Kiosk kaufen kann, messen sollte. Irgendwie bin ich nun abgeschweift und weiß gar nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte... Naja, noch mal danke ^^

 

hallo nizzel,
bis auf ein bisschen viel Pathos und David C. eine schöne Geschichte. ich glaube einfach nicht, dass heer P. ausgerechnet David C. benennen würde, der wäre ihm sicher zu platt!
LG,
Jutta

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo...

ich wollt nur mal sagen
das mit david c. basiert durchaus auf wahren begebenheiten. So absurd und dumpf es vll klingen mag... ich habe ihn nicht ausgewählt, weil mir grad mal nichts besseres einfiel ^^

danke...

 

Hallo nizzel,

ein interessanates Thema, das du hier anbietest. Interessant für mich, weil ich an einer "ähnlichen" Geschichte arbeite, wenn auch mit einem anderen Fokus.

Richtig gefallen tut mir sein Erguss jedoch nicht.
Zum einen sind es die vielen Widersprüchlichkeiten. Was genau tun die Außerirdischen denn jetzt nun mit dem Herrn P.?
Das wird in meinen Augen nicht deutlich genu. EIgentlich sind sie ja recht fies zu ihm. Dann aber sagt er, dass er sie nicht bekämpfen möchte. Im Anschluss sprichst du aber vom

Retter und Helfer
aka David Copperfield. DAs passt nicht zusammen.
Schade auch, dass du dem Leser nichts von diesen sicherlich interessanten Phänomenen zeigst, sondern sie nur recht fantasielos und abstrakt runterleierst.
DIese Bilder bräuchte ich schon, um den letzten Satz annehmen zu können. Letztlich fühlt sich der Ich-Erzähler ja von dem "Wahn" des P. angezogen/ fasziniert. Da du aber nichts davon zeigst, bleibt das unglaubwürdig, bzw. dem Leser verschlossen. Und damit funktioniert die ganze Geschichte für mich nicht.
Fazit: Mehr von Herrn P.zeigen, um Nachvollziehbarkeit zu generieren, um sich einfühlen zu können. So ist das tatsächlich zu verschlossen. Will meinen: Die eigentliche Geschichte spielt sich tatsächlich im Kopf des P. ab und der Leser bleibt außen vor.

grüßlichst
weltenläufer

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom