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Die bösen Geister unter den Elfen
Es war Nacht und Odania, die Königin der Elfen konnte nicht schlafen. Zu groß war ihre Sorge, zu groß ihre Angst vor den bösen Geistern, der hier seit Monaten wüteten. Sie dringen in die Köpfe ihres Volkes ein und machen selbst die friedlichsten und nettesten Elfen zu Mördern und Zerstörern, die das ganze Elfental verwüsten und so viele Leben wie möglich auslöschen wollen.
Wie oft hatten sie zerstörte Häuser wieder aufbauen lassen, wie viele Elfen hatten sie beerdigt und wie viel hatten sie getan, ohne jeden Erfolg?
Odania seufzte tief und stieg aus dem Bett. Noch einmal würde sie den Zauberer Talorion um Rat fragen, auch, wenn er die selben Worte wiederholen würde: „Ich kann Euch nicht helfen wenn ich nicht weiß, was das für Geister sind.“
Die Königin warf einen besorgten Blick auf ihren Gatten Avalarion, doch er schlief tief und fest. Erleichtert atmete sie auf.
Odania machte keine Anstalten, sich wenigstens umzuziehen und schlich sich im Nachthemd aus dem prachtvollen Palast. Sie öffnete die riesigen Tore und atmete die kühle Nachtluft ein, die noch nach Rauch von der vergangenen Nacht stank.
Die Häuser waren niedergebrannt, einige Elfen schliefen auf den staubigen Straßen. Odania biss sich auf die Unterlippe, um nicht loszuheulen vor Wut und Verzweiflung und beschleunigte ihre Schritte.
Im Haus des Talorian brannte Licht, worüber sich Odania wunderte, denn Talorion blieb nie bis spät in die Nacht auf. Na gut, dachte sie, dann muss ich mich wenigstens nicht entschuldigen, dass ich ihn geweckt habe.
Odania klopfte an die Tür. Sie hörte ein gehässiges Kichern.
„Jetzt hab’ ich euch, jetzt hab’ ich euch…“
Talorion öffnete. Er hatte lange, graue Haare die ziemlich buschig waren und Augen wie die einer Eule. Er schien nicht überrascht, seine Königin so spät nachts bei sich zu Hause vorzufinden und wies sie mit einer Verbeugung ins Haus.
Das Haus stank nach allen möglichen Chemikalien und Odania hielt sich die Nase zu. Talorion hatte viele viele Bücher, die alle in seine unzähligen Bücherregale gequetscht wurden. In Reagenzgläsern leuchteten die verschiedensten Flüssigkeiten im schwachen Licht des Kaminfeuers und überall stapelten sich Marmeladengläser mit seltsamen Tieren, Innereien und Pflanzen. Ein Glas mit einem faszinierenden, schwarzen Nebel fiel ihr zuerst ins Auge.
Talorion war ihren Blick gefolgt und erklärte: „Das ist einer der bösen Geister. Ich habe ihn gestern gefangen.“
Odania besah sich den Nebel genauer. Sie hatte erwartet, hässliche gelbe oder rote Augen zu sehen, aber da war nichts, keine Augen, noch nicht einmal ein Mund.
Talorion lächelte boshaft.
„Ich weiß jetzt, was er mag und was er nicht ausstehen kann.“
„Und das wäre?“
Odania hatte plötzlich die leise Hoffnung, dass der Zauberer ihr nun doch helfen könne. Talorion holte ein Fläschchen mit einer roten Flüssigkeit hervor, öffnete das Glas mit dem Geist einen spaltbreit und lies ein wenig von der Flüssigkeit hineintropfen. Flink schloss er das Glas wieder. Odania beobachtete fasziniert, wie der Nebel langsam zu rotieren begann und sich lila färbte. Talorion lächelte noch breiter.
„Jedes Lebewesen hat zwei Seiten. Die gute und die böse. Nur wenn sie beide Seiten in sich tragen, sind sie kein Geist, sondern das, was sie jetzt sind. Der Geist hier, der nun das Böse in sich trägt, ernährt sich von der Bosheit der elfen hier und vervielfacht sie in ihren Köpfen in nur wenigen Minuten“ Odania beobachtete, wie der Geist langsam orange wurde.
„Aber das heißt ja, dass wir diese Geister nie los werden. Wenn das Böse doch in jeden in uns steckt…“ Odanias Hoffnung auf Talorions Hilfe schmolz langsam dahin. Doch zu ihrer Überraschung schüttelte der Zauberer den Kopf.
Er holte ein Fläschchen mit einer vollkommen klaren Flüssigkeit und tröpfelte es auf den rotierenden Nebel. Der Geist erstarrte und schimmerte nun silbern. Der Nebel schien jetzt wie Eis. Wieder schüttelte der Zauberer das Fläschchen. „Das, was ich ihm jetzt gegeben habe, war das Gute, das, was er hasst.“
Er betrachtete den Geist forschend und fuhr dann fort:
„Wo Leben ist, ist auch das Böse, aber auch das Gute. Der Geist ernährt sich nur vom Bösen, aber was, wenn es hier keine Nahrung mehr im Elfental gäbe?“
„Aber das ist unmöglich!“, rief Odania verzweifelt, „Ihr habt doch gesagt, wo Leben ist, ist auch das Böse!“
„Es gibt einen Zaubertrank, der alles Böse aus euch auslöschen kann. Ihr seid dann weder Elfe noch Geist. Jedes Lebewesen hat eine böse und eine gute Seite, doch ohne die böse Seite seid ihr keine Lebewesen mehr. Aber mit der guten Seite, seid ihr auch kein Geist. Nur mit beiden seid ihr Lebewesen. Wenn die Geister merken, dass sie hier keine Nahrung mehr finden, werden sie fliehen.“
Odania beobachtete den Geist, der mittlerweile rot war und nickte nachdenklich.
„In einer Woche ist der Trank fertig. Dann muss jeder Ef davon trinken. Die Dauer des Trankes hält oft nur wenige Stunden, so dass er regelmäßig von jeden genommen werden muss“, erklärte Talorion. Die Königin starrte ihn an.
„Eine Woche? In einer Woche ist der Trank erst fertig? Aber wir brauchen ihn so schnell wie möglich!“
„Es tut mir leid, schneller ist es nicht möglich“, sagte Talorion kopfschüttelnd und wies sie mit einer Verbeugung aus seinem Haus.
In einer Woche hatten die Geister gleich zwei mal zugeschlagen. Und zwei mal haben sie ihr Elfental wieder aufgebaut und aufgeräumt. Odania hatte sich eine Woche lang Avalarions Gemecker über den Zauberer anhören müssen. Einmal mussten sie um den Kopf ihrer Tochter Jyani bangen, die auch von den bösen Geistern befallen wurde. Irgendwie hatte es Talorion geschafft, sie zu heilen.
Dann endlich kam der große Tag. Das ganze Volk stand vor dem Haus des Zauberers und warteten. Talorion trat aus seinem Haus. Er lies betrübt den Kopf hängen.
„Es tut mir leid. Der Geist, den ich gefangen habe, ist aus dem Glas entkommen und hat den Trank zerstört!“
Ein aufgeregtes Gemurmel ging durch die Menge. Talorion räusperte sich und schaffte sich somit Gehör.
„In einer weiteren Woche…“
Doch das wollten die Elfen nicht hören. Sie schrien und verfluchten den Zauberer aufs Übelste und bewarfen ihn mit Steinen. Odania befahl ihnen aufzuhören, aber es nützte nichts. Talorion duckte sich, um nicht von einem Stein getroffen zu werden und verschwand zwischen den Bäumen.
„Was sollen wir jetzt tun?“, fragte eine Pixiefrau verzweifelt und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Odania schüttelte hoffnungslos den Kopf. Sie mussten das Elfental verlassen, das war ihre einzige Chance…
„Odania, Liebes, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Was, wenn uns die Geister folgen werden?“ Ihr Gatte war noch immer besorgt.
„Ich habe dir doch von der roten Flüssigkeit erzählt, wovon Talorion behauptete, es sei das Böse.“
„Ja, und?“
Odania stopfte Jyanis Kleider in eine Reisetasche.
„Ich habe ein solches Fläschchen in seinem Labor gefunden. Reine Bosheit. Ich glaube, die Geister würden sich gerade zu auf die Flüssigkeit stürzen und nicht merken, dass wir fort sind.“
„Naja.“
Avalarion vertraute ihr nie, das war sie gewohnt. Er reichte ihr einen Beutel mit Proviant und schwieg. Odania machte die Tasche zu und rief nach ihrer Tochter. Jyani schlurfte mit verheultem Gesicht ins Zimmer.
„Was hast du alles in deiner Tasche?“
Odania musste sicher sein, dass ihre Tochter nicht allzu viel mitnahm, damit sie alle noch schnell fliegen konnten und nicht wegen des Gewichtes nach unten gezogen wurden.
Doch nur ihr Lieblingsstofftier, ihre Glückskette, ihr Tagebuch und ein paar Erinnerungsfotos hatte sie mitgenommen und das war zum Glück nicht all zu schwer.
Mit einem letzten Spaziergang durch die Straßen verabschiedeten sich die Elfen von ihrer Heimat. Es war ungewöhnlich still, man hörte nur ab und zu, wie Nasen geschnäuzt wurden. Einige Elfen brachten es nicht übers Herz, ihre Heimat zu verlassen und blieben stur in ihren Häusern, auch als Odania anklopfte.
„Lass und gehen“, sagte Avalarion und zog sie von der Tür einer Großfamilie weg, „Wir können sie nicht überreden.“ Odania schluckte ihre Tränen hinunter und nickte nur. Sie holte das Fläschchen des Zauberers aus ihrer Tasche hervor und kippte den Inhalt auf die staubigen straßen. Schnell machten sie sich davon, bevor die Geister sie sahen. Sie erhoben sich in die lüfte und beobachteten voller Angst den roten Nebel unter ihnen. Schnell flogen sie vom Elfental fort.
„Meinst du, wir können irgendwann noch einmal zurück?“, fragte Jyani, als sie schon über eine Stunde über das Land flogen.
„Nein“, sagte Odania sofort, „ Die Geister werden sich von der Bosheit der zurückgebliebenen ernähren können. Wenn wir alle geflohen wären, hätten wir schon zurückgekonnt“
Als sie Jyanis wütendes Gesicht sah, fuhr sie zerstreut fort: „Nicht alles sind stark genug, um zu gehen, man kann es ihnen nicht vorwerfen.“