Die Bienen des Trübsinns
Als Mozart an dem Tag, an dem er trübsinnig wurde, über die Felder ging, pfiff er noch fröhlich vor sich hin. Er hatte sich aufgemacht, den Sonntag im Freien zu verbringen, den Winde wollte er in seinem Haar spüren, die Blumen wollte er sehen und die vielen Düfte der Natur wollte er in sich hineinschnuppern. Und wenn aus Versehen dabei eine kleine Sinfonie entstehen sollte nebenbei – wie könnte das schaden?
Nahe einem Heuhaufen geriet er in die Nähe eines Bienenstocks; kein gewöhnlicher Bienenstock wohl – denn in ihm lebten die Bienen des Trübsinns! Kein Mensch hatte sich je in ihre Nähe gewagt, ohne als Banker, Versicherungsvertreter, Pharmareferent, Politiker oder Fernsehreporter zurückzukommen.
Die Bienen nahmen sofort den Geruch Mozarts Haut auf, erkannten, dass er ein Künstler war und näherten sich flugs. Warum flüchtete Mozart nicht beim Anblick des anfliegenden wütenden Schwarms? Weil ihm irgendjemand in seiner Kindheit versichert hatte, dass Bienen friedlich und sozial verträglich wären... und als er erkannte, dass es sich nicht so verhielt, war es zu spät. Die 'Bienen des Trübsinns' umhüllten ihn, und ihr Lockstoff machte ihn willenlos: wie eine Marionette folgte er dem Schwarm, welcher ihn zum 'Brunnen der Zivilisation' führte, in dem sich das 'Wasser der Schwachköpfigkeit' befand. Ein übler Gestank bereitete sich dort aus, als habe man verwesende Ölsardinen mit abgestandenem Bier übergossen ... mehr noch war in dem Gestank enthalten: Motorenöl, Abgase, Rauch, Tierkadaver, Kläranlagen. In diesem Augenblick erkannte Mozart auch, dass die Bienen gar keine Bienen waren, sondern kleine mechanische Flugroboter. Sie grinsten immerzu, rückten ihre Krawatten zurecht, und dann war es geschehen: sie hatten ihr Ziel erreicht.
Mozart hatte sich in einen Bundeswirtschaftsminister verwandelt und begann mit stierem Blick und begleitet von ruckartigen Armbewegungen, monoton Sätze von sich zu geben ('Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben, Der Sozialstaat ist zu teuer, Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen, Die Globalisierung verlangt Opfer, Wer nicht flexibel ist, hat keine Chancen, Wir können nichts dagegen tun, Das sind die Gesetze des Marktes, Die Globalisierung erwartet das von uns!').
Zwar wusste Mozart nicht, warum die Globalisierung das alles von uns erwartete, aber:
Die Welt mit neuen Augen sehend, ging Mozart zurück in die Stadt, in den Bundestag – und was er an Politikern und Wirtschaftsmanagern bislang für kleine Mikrofone an ihren Jackenaufschlägen oder Hemdskrägen gehalten hatte... es waren die kleinen grinsenden Robotbienen des Trübsinns, die ihren Opfern das Grinsen, das Krawattenrücken und die Worte suggerierten: 'Der Markt verlangt Einschnitte in Lohn und Lebensqualität, Wir können die Arbeitslosigkeit nur überwinden, wenn wir Stellen abbauen, Die Konkurrenz schläft nicht' ... und ganz am Schluss jedes Satzes: 'Blumen riechen nicht gut, atmet lieber Gestank!'
Und es schien klar, welchen Honig sie machten (für ein 'Frühstück des Trübsinns').