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Die Brandstifter

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05.03.2009
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Die Brandstifter

Die Brandstifter

Der Magen zieht sich mir zusammen, als ich den Klassenraum betrete. Heute wird es passieren. Einige sind schon da. Nervös sehe ich auf meine Uhr; noch zwölf Minuten bis es klingelt.
Thomas sitzt bereits auf seinem Platz. Ich gehe rüber und lasse mich auf meinem Platz neben ihm nieder. Wir kennen uns seit der siebten Klasse. An zahllose Stunden erinnere ich mich, da wir die Geister der alten Götter beschworen. Mark Aurel, Aristoteles, Nietzsche, Hegel und all die anderen. Als Gefäße dienten wir ihnen, so dass sie jeden Streit, der ihnen durch die Gesetze von Zeit und Raum so lange verboten war, durch uns ausfechten konnten. Auch ersonnen wir eigene Weltformeln, nur um unseren Verstand daran zu messen, sie zu widerlegen.
Jetzt sitze ich neben dem Freund und spüre ein letztes Mal die ruhige, wohltuende Aura seiner Gegenwart.
Es klingelt.
Die Lehrerin betritt den Raum, eine untersetze Frau mit kurzem, braunen Haar.
„Guten morgen.“
„Guten morgen, Frau Kromann.“
Mein Mund ist trocken. Der Lärm der uns umgebenden Schüler, die Federtaschen und Hefter hervorkramen, verschwindet hinter den Gedanken, die mich wie Blitze durchzucken. Lass es. Lauf weg. Warum?
Ich sehe zu Thomas hinüber. Mein Freund schaut mich ebenfalls an. In seinem ruhigen Blick ist Entschlossenheit, die mich ansteckt und meinen Geist wieder sanft gegen mich werden lässt.
„Also letzte Stunde haben wir Ereignisse auf der Lebenslinie eingetragen. Heute wollen wir besprechen, warum unsere Gesellschaft so großartig ist.“
Bedächtig hebt Thomas die Hand, die andere lässt er in die Manteltasche gleiten. Ich tue es meinem Freund gleich. Meine schwitzigen Finger umkrallen den glatten Holzgriff.
„Ja. Thomas.“
„Was, wenn sie gar nicht so großartig ist?“
Thomas Stimme ist klar. Er spricht wie immer laut und sehr deutlich.
„Wie meinst du das Thomas? Unser System ist das beste, was es gibt.“
„Ich meine: Was, wenn unser Gesellschaft eine Sackgasse ist. Das führt doch alles nirgendwo hin. Die Menschen leben doch nur noch nebeneinander her. Wenn man miteinander redet, dann sind es doch nur Nebensächlichkeiten, die ausgetauscht werden. Es ist doch kaum noch ein Mensch in der Lage überhaupt zu denken.“
„Bitte Thomas ich verstehe dich nicht. Wir reden doch sehr viel hier im Unterricht.“
Patrick plappert los ohne sich gemeldet zu haben.
„Ja, wir reden doch immer darüber, wie man den Andern auch unser freiheitliches System bringen kann und da denken wir doch auch viel nach.“
„Was ist aber, wenn die Anderen das gar nicht wollen. Wenn sie den Weg ihrer Kultur gehen wollen?“
Frau Kromann schüttelt den Kopf.
„Thomas, unsere Gesellschaftsordnung ist die beste und es ist unsere Pflicht, diesen Segen mit der Welt zu teilen.“
„Aber so einfach ist es nicht. Es gibt doch nicht nur ein Richtig und ein Falsch. Eine Gesellschaft ist etwas, das sich dynamisch entwickelt und diese Entwicklung unterliegt Faktoren - Faktoren, die nicht überall gleich sind.“
„Thomas, es ist doch aber Fakt, dass nur wir wirklich glücklich sind.“
Zitternd führe ich den Zeigefinger den Griff hinauf, bis ich das Metall fühle.
„Ich bin nicht glücklich.“
„Ich auch nicht.“, sage ich heiser.
Alle Blicke ruhen jetzt auf uns.
Frau Kromann sieht uns verständnislos und entgeistert an.
Scheinbar in Zeitlupe formen ihre Lippen das Wort.
„Kokolores.“
Das war das vereinbarte Zeichen. Ich reiße den Revolver hoch und drücke ihn gegen meine Schläfe. Mein Blick schweift hinüber zum Freunde.
In seinem edlen Gesicht, das ich so sehr liebte, sehe ich keine Angst, nur die Gewissheit, dass es das Richtige ist. Nur so kann die Heiligkeit jener Tage, die mir nun wie im goldenen Glanz der Spätsommersonne erscheinen, auf ewig bestehen bleiben. Ein echtes und sinnhaftes Leben, will zur Rechten Zeit beendet sein.
Es ist nicht der Freitod, den wir wählen, sondern der Tod der Freien. Das Kapitel ist abgeschlossen. Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Wir haben gelebt. Jetzt blieb nur noch eines. Der Funke musste entzündet werden.
Ich sehe den Wiederschein der lodernden Flammen in den auf uns starrenden Augen. Alles ist still. Zwei Schüsse fallen und die Welt steht in Flammen.

 

Gab Winnenden den Anlass zu dieser Geschichte? So kurz nach diesem realen Drama lese ich diese Geschichte ungern, zuviel Pathos, zu viel Altklugheit, zu viel erhobener Zeigefinger.

 

Hallo Nikita,
danke, dass du dir die Zeit genommen hast die Geschichte überhaupt zu lesen.

Nein, die schrecklichen Ereignisse von Winnenden waren nicht der Anlass. Die Geschichte entstand bereits vorher. Ich habe auch darüber nachgedacht sie nicht einzustellen, aber da die Thematik eigentlich eine komplett andere ist, habe ich mich dann doch dafür entschieden. Die Jungen begehen Selbstmord, weil sie alles in ihrem Leben erreicht hatten, das sie für wichtig hielten, bis auf das Wachrütteln der Gesellschaft in der sie leben (hier eine scheinbar sich selbst überschätzende, totalitäre Gesellschaftsform). Die Geschichte ist als Dystopie zu verstehen.

Peace.

 

um ehrlich zu sein, kann ich der moral deiner geschichte nicht folgen: ist es besser aufzugeben ( hier durch den freitot der protagonisten) als sich mit intelligenz und engament gegen ein offensichtlich quer verlaufendes system mit aller kraft zu stemmen?

deinen erzähstill finde ich aber sehr gelungen und macht lust auf mehr!

grüße, Flashko

 

Hi "Hippie"!

Mich hat dein Text nicht so wirklich überzeugt:

Deine beiden Protagonisten lässt du wie die Lehrerin schemenhaft und irgendwie etwas klischeehaft.
Viele der Wendungen wirken auf mich sehr pathetisch:

An zahllose Stunden erinnere ich mich, da wir die Geister der alten Götter beschworen.
Solche "hochtrabenden" Sätze im Kontrast zu einem "rüber" im vorangegangen wirken auf mich einfach etwas übertrieben.

Auch ersonnen wir eigene Weltformeln, nur um unseren Verstand daran zu messen, sie zu widerlegen.
Es müsste "ersannen" heißen.
Zwei Schüsse fallen und die Welt steht in Flammen.
Ich glaube kaum, dass sich bei uns hier, irgendetwas durch einen Doppelselbstmord ändern würde. Und mir würde jetzt auch spontan keine andere Gesellschaftsordnung einfalllen, die so labil ist. Vorallem in einem totalitären Staat, d.h. ohne Pressefreiheit, kann ich mir nicht vorstellen, dass so etwas hilft.

Ich hätte es auch besser gefunden, wenn du irgendwie näher auf diese Gesellschaft eingegangen wärst. Erklärt hättest, was die Jungen stört.
Es ist für den Leser auch nicht ganz logisch, dass die beiden -wenn sie ohnehin nichts mehr zu verlieren haben - nicht "für eine bessere Welt" kämpfen, sondern Selbstmord begehen. Hier habe ich ebenso wie Flashko ein Problem mit der Aussage.
Insgesamt finde ich, dass alles etwas zu vage bleibt, für so ein Thema müsste man mehr schreiben und "erklären"
Ich hoffe du wirst irgendwie aus meiner chaotischen Kritik schlau.
Sonnige Grüße
Cathy

 

Hallo zusammen,
danke auch euch für's Lesen. Tja, die Kritik ist wohl ganz berechtigt. Ich hatte nur diese Idee im Kopf und wollte sie irgendwie mit der Welt teilen.
Der Selbstmord ist auf merkwürdige Nietzsche-Auslegungen meinerseits zurückzuführen (Vonwegen es ist besser an sich selbst zu Grunde zu gehen, als gegen etwas Übermächiges anzukämpfen. Ja, ich weiß, das hat Nietzsche nie gesagt und vermutlich auch nicht gemeint ;))

Wenn du wirklich Lust auf mehr hast, Flashko, in der Rubrik Horror findest du einen kleinen Text namens Scarlett (ebenfalls von mir).
Würde mich freuen deine Meinung dazu zu hören (Ist nicht nur Horror, auch so ein wenig Gesellschaft/Psychologie).

Peace.

 

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