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Die Dankstelle

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28.06.2006
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Die Dankstelle

Ich weiß nicht, was mich geweckt hat. Die milchige Luft kann es nicht gewesen sein, auch nicht die dumpfe Stille, oder das Gefühl von Watte in den Ohren. Ich richte mich verwundert auf. Wer war ich doch gleich? Was ist das Letzte, an das ich mich erinnere? Die Gedanken sind so laut, dass ich hochschrecke.
Dann fällt es mir wieder ein, ich stehe auf und sehe an mir hinab. Der Körper scheint intakt zu sein, ich fühle weder Schmerzen noch Hunger oder Durst. Allerdings habe ich auch keine Ahnung, wo ich bin oder was passiert ist, nachdem ich gestern eingeschlafen bin.
Es riecht nach frischen Ananasstücken und Pfeifenrauch. Und da ist noch etwas anderes, etwas, das ich nicht auf Anhieb erkenne. Ich strenge mich an, blähe die Nasenflügel und entscheide mich dann für einen Ziegenbock. Sehr schwach, aber zweifellos ein Paarhufer mit Bart. Und dieser Geruch stammt offenbar von einem Exemplar, das schlechtes Futter gefressen hat.
Schräg vor mir steht in einiger Entfernung ein Schreibtisch. Ich gehe darauf zu. Es ist ein Modell von der Sorte, wie sie heute nicht mehr in Mode sind, aus Ebenholz und mit prunkvollen Verzierungen. Irgendjemand hat sich bei der Herstellung viel Mühe gegeben.
Lose Papierstapel türmen sich zwischen dicken Wälzern, Tabletten und Silberfiguren darauf.
Das Patschen meiner nackten Füße auf dem Marmorboden klingt komisch. Ich trete näher, da es ansonsten nichts zu sehen gibt.
Hinter dem Möbel hängt ein Fernsprechwandapparat. Eigentlich hängt er nicht, denn dort, wo die Wand sein sollte, befindet sich nichts. Das herunterhängende Kabel schwingt mit dem Hörer sanft in der Gabel, als führte jemand vor kurzem ein Gespräch. Ich bemerke einen Ohrensessel, der anscheinend für Besucher bestimmt ist.
Bevor ich das alles merkwürdig und, was noch wichtiger ist, albern finden kann, taucht ein Junge von vielleicht elf Jahren auf. War er die ganze Zeit hier gewesen? Der Lederstuhl quietscht. Ich hatte ihn vorhin nicht bemerkt.
Der zerbrechlich wirkende, kleine Mensch lächelt mich wissend an und streckt mir eine Hand entgegen. Es ist jenes Lächeln, das wohlwollendes Wissen ausdrückt, von dem man selbst auch bald erfährt.
Unsicher überlege ich, mich abzuwenden. Doch die Augen des Kindes wecken mein Vertrauen. Ich habe Angst, dass die dünnen Knochen brechen könnten und gebe mir Mühe, die Hand so sanft wie möglich zu schütteln.
»Guten Tag, Nick«, sagt er. Es liegt etwas in seiner Stimme ... ich kann es kaum glauben. Eine gütige Wärme, die man höchstens von einem weisen Alten mit langem Bart erwarten würde, aber nicht von einem Blondschopf mit riesigen Augen.
»Bitte, nimm doch Platz«, lädt er mich ein.
Ich sehe in das Grünglänzende unter seinen Brauen und dann sinke ich in den samtigen Himmel. Schon lange nicht mehr habe ich mich so wohl gefühlt.
»Der Anruf kam zwar rüberraschend«, fährt er fort, »aber ich habe dich bereits erwartet.«
»Ach, tatsächlich?« Ich höre ihn kaum und kratze meine Schulter.
»Oh ja. Kannst du dich noch erinnern, woran du gedacht hast, als du gestern eingeschlafen bist?«, will er wissen.
»Nein.« Plötzlich durchzuckt mich etwas. Wie war noch gleich mein Name? Ich wende mich ab und kaue an meiner Unterlippe. Der Kleine hatte ihn doch eben erwähnt. Ni... Na...? Mein Blut wird zur Lava.
»Schon gut«, sagt er. »Fang einfach an.«
»Womit soll ich anfangen?« Ich bin mir sicher, ein dümmlicheres Gesicht zu ziehen als Paris Hilton, die ungeschminkt von Tinkerbell in die Nase gebissen wird.
»Hör zu«, versucht er mich zu ermutigen, »ich helfe dir ein wenig.« Nach einer kurzen Pause sagt er ein Wort, und dieses Wort schießt mir durchs Rückenmark und sprengt mein Herz. »Suki.«
Ohne zu wissen, was geschehen ist, fange ich mit meiner Erzählung an. Ich kann den plötzlichen Impuls nicht unterdrücken, will es auch nicht. Ich bin mir sicher, das hier ist der richtige Ort und die richtige Zeit.
»Suki. Sie ... ist ... Hast du sie zu mir geschickt? Sie war plötzlich da.« Ich breche ab, beiße mir auf die Lippen und schmecke Blut. Warum ist es mir peinlich, weiterzusprechen? Ich sehe in die Grasiris meines Gegenübers. Dann verstehe ich.
Nach ein paar Augenblicken senke ich meine Lider und spreche weiter.
»Damals ... Ich war wie ein Blatt, das im Meer trieb. Der brennenden Sonne, den Stürmen und dem Salzwasser preisgegeben. Zerfleddert und verblichen, überall fehlten Teile und die paar Reste waren mit braunen Flecken bedeckt. Ich konnte mich nirgends niederlassen, fühlte mich rastlos aber entkräftet, getrieben aber gefesselt. Meine Nerven waren so überreizt, dass ich sie mit Alkohol und Drogen beruhigte. Jedes Mal, wenn sich mein Verstand klärte, empfand ich Ekel und Selbsthass, und um diesen zu betäuben, schluckte ich alles, was ich bekommen konnte. Ich war unersättlich und mein Zustand glich innerhalb von wenigen Jahren dem eines Greises. Ich bin jetzt dreiundzwanzig.
Niemand hat mir geholfen. Ich hatte es mir mit allen Menschen, mit denen ich je zu tun hatte, verscherzt. Wer will schon mit einem saufenden Suizidgefährdeten zu tun haben?
Eines Tages saß ich in einem neu eröffneten Restaurant. Es war eines der wenigen, in denen ich es noch nicht geschafft hatte, Hausverbot zu erhalten. Ein Holzschild informierte über den Namen: ›Theater der spirituellen Nahrung‹. Die Besitzer hatten wohl einen Fantasytick. Ich saß ganz gerne dort drin, es war dunkel, der Whisky billig und manchmal bewegten sich die Fantasybilder an den Wänden. Meistens dann, wenn ich dreckiges Speed genommen hatte. Es wurde ein Pfefferminztee serviert, den ich mochte und der meinem Magen gut tat.
Eine Woche später sah ich Suki zum ersten Mal. Mein Hirn war gerade damit beschäftigt, aus den dreien zwei Bilder und später eines in meinem Kopf zu erzeugen und ihr Anblick war so ... furchtbar ... schön. Jeder andere hätte in ihr nur eine verrückte Maus gesehen. Sie machte viele Fehler, verschüttete Tee, zerbrach Gläser und Tassen, notierte Bestellungen falsch. Nur bei mir schien sie nicht nervös zu sein. War ich halbwegs nüchtern, studierte ich ihren Kirschmund, ihre Pfirsichhaut und verfolgte die Bewegung ihrer Haare, die wie silberne Vorhänge wogten.
War ich zugedröhnt, schien sie nicht mehr zu lächeln, ihre Wangen wirkten bleich und die Haare stumpf wie ein staubiger, brauner Flokati.
Die Phasen, in denen ich klar denken und sehen konnte, wurden länger. Ich konnte es nicht ertragen, wenn Suki die liebreizenden Grübchen um ihren Mund verlor. Dann zogen sich mir die Eingeweide zusammen und ich musste kotzen. Wenn man viel trinkt, muss man auch viel kotzen. Aber ohne Sukis Lächeln wurde es schlimmer. Unerträglich, ätzend wie die Magensäure, die mir dann zwischen die Zähne kroch.
Als ich einmal länger als vierundzwanzig Stunden nichts getrunken hatte, fand ich den Mut, sie anzusprechen. Sie sagte nichts, blieb einfach still. Ich glaube, ich habe mehr Unsinn von mir gegeben als mein gesamtes Leben zuvor, doch sie schien das nicht zu stören. Mit noch tieferen Grübchen und halb gesenktem Kopf stand sie hinter der Theke und lauschte, während sie mich beobachtete.
Bald darauf fand ich heraus, dass sie stumm war. Dieses Wissen versetzte mir einen Stich. Weshalb war mir das nicht früher aufgefallen? Suki schien meine Verbitterung zu spüren und machte den ersten Schritt.
Sie schien mich besser zu kennen als ich mich selbst. Die Dauer eines Wimpernschlags genügte ihr, um tiefer in mich zu blicken, als ich es jemals gewagt hatte. Hinunter an dunkle, verlassene Orte, die zerstört vor sich hin moderten. Sie verstand meine Rastloigkeit und mein Innerstes ganz ohne Mühe. Das machte mir Angst.
In den darauffolgenden Wochen trafen wir uns auch außerhalb des ›Restaurants für spirituelle Nahrung‹.
Suki wurde zu dem Ast, auf dem ich mich niederlassen durfte. Sie flickte die wunden Stellen, spendete Schatten und erfreute sich an den Punkten. Sie gab mir Halt, sie war das, worauf ich weder gehofft noch geglaubt hatte, und doch war sie realer als alles andere, das ich zuvor erlebt hatte. Stürme und Salzwasser konnten mir nichts mehr anhaben. Die Sonne war noch da, aber sie verbrannte nicht mehr, sondern strahlte sanft.
Dabei habe ich keine Ahnung, was ihr an mir gefällt. Meine dünnen, weißen Arme, die nicht einmal die Kraft besitzen, sie hochzuheben? Die glatten, schwarzen Haare, die mir in die Augen fallen wie fransige Federn? Die Kraftlosigkeit, mit der ich mich immer in Schwierigkeiten gebracht habe? Was findet sie bloß an mir?
Ein stummes Mädchen, das sich manchmal Zöpfe flechtet und zu einer Prinzessin-Lea-Frisur eindreht, das einen rubinroten Samtumhang in ihrem Schrank hängen hat und ihn nicht zu tragen wagt, weil man sie dann für eine Träumerin halten könnte.
Langsam erholte ich mich. Je mehr sich mein Zustand besserte, desto mehr wollte ich mich bedanken. Ich bedankte mich bei ihr, immer und immer wieder. Doch das ist einfach nicht genug.«
Ich mache eine Pause. »Das ist nicht genug.«
Ich verstumme erneut. Dann spreche ich weiter.
»Ich überlegte, dass es einen Ort geben müsse, an dem man sich bei einem Menschen, der einfach nur zuhört, bedanken kann. Eine Dankstelle. Für den wunderbarsten Menschen der Welt. Nein, des Sonnensystems, des Universums.«
Ich atme tief durch, lächle. Ja, das war es, woran ich gedacht hatte, als ich gestern einschlief. Als ich in ihren Armen einschlief, da dachte ich an die Dankstelle.
»Danke«, flüstere ich so leise, dass ich mich selbst kaum hören kann. »Danke.«
Dann öffne ich die Augen wieder. Das Gesicht des Jungen verändert sich. Erst verrät es Freude und Teilnahme, jetzt Beunruhigung.
»Du musst jetzt gehen«, drängt er. »Beeil dich!«
Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll, und kalte Angst legt sich um meinen Rücken wie ein Tuch.

Erneut erwache ich, doch jetzt ist alles schwarz. Meine Lider wiegen eine Tonne, ich kann sie nicht öffnen. Ich höre Stimmen, weit entfernt piepst etwas.
Als ich den Kopf zur Seite drehen will, durchschießt eine Welle meinen Körper, die etwas anderes ist als Schmerz, etwas Gewaltigeres.
Ich glaube, einen Blitz durch die Schwärze zu sehen und beiße die Zähne zusammen, bis ich das Gefühl kriege, der Kiefer würde brechen. Ich will meine Finger in etwas krallen, doch ich bin so erschöpft, dass ich das Bewusstsein wieder verliere.
Ich kann nicht bestimmen, wie viel Zeit vergangen ist. Als ich die Augen wieder öffne, erkenne ich eine verschwomme Silhouette. Suki. Ihr Anblick erschreckt mich. Sie kauert neben mir und sieht abgekämpft aus, als hätte sie zwei Wochen an einem Fließband malocht.
Als sie merkt, dass ich das Bewusstsein wiedererlangt habe, kann ich sehen, wie ihr die Anspannung vom Körper fällt. Nachdem sie einen Knopf gedrückt hat, kommt sie ganz nahe an mein Gesicht und streicht mir über die Wange. Ihr warmer Atem holt mich weiter zurück.
Etwas entspringt meiner Nase, Speichel rinnt aus meinem Mund. Ich kann nichts anderes tun, als hilflos dazuliegen. Ich fühle mich heiß und meine Lippen sind juckende Wülste. Aber Suki ist da. Sie ist da. Und die Schmerzen haben ein wenig nachgelassen.
Bald darauf gibt mir der Arzt, der das Zimmer betreten hat, zu verstehen, dass wir einen Unfall hatten. Die Worte treffen Suki wie Giftpfeile, sie zuckt unter ihnen zusammen, obgleich sie selbst dabei gewesen war. Ich kann mich an keinen Zusammenstoß erinnern, nehme an, dass mein Hirn diese Erinnerung noch unter Verschluss hält.
Ich versuche zu sprechen. Es gelingt mir nicht.
Die Schwärze kehrt langsam zurück. Ich höre Wortfetzen.
»... fünf Prozent ...«
Piep-piep-piep.
»... ungeschickt ... zum Leben ...«
Piep-pipipip-piep.
»...ig Hoffnung ...«
Suki! denke ich. Wo bist du?
Das Piepsen wird ungleichmäßig.
Suki!
Ich kann mich nicht bewegen. Ich sehe nichts mehr. Höre nur noch wie durch eine Dämmschicht.
Piiieeep.
Suki! Suki. Su...
Ich spüre eine Hand in meiner. Gut, das ist gut.
Es ist so schön warm.

Zwei Wochen später erfahre ich von dem Krankenhauspersonal, dass Suki jeden Tag, jede Stunde, jede Minute bei mir geblieben ist. Sie ließ sich die Mahlzeiten bringen und beauftragte einen Bekannten, ihr Wäsche zum Wechseln und Handtücher zu bringen.
Ich weiß, dass mich ihre Nähe zurück ins Leben gebracht hat. In ein schönes, neues Leben.

 

Hallo Plasma,

Also zuerst muss ich sagen, hat mir deine Geschichte ganz gut gefallen. Ich werd allerdings nicht ganz schlau aus dem Ende. Vielleicht hab ich auch etwas überlesen, um es zu verstehen.
Dein Prot. ist meiner Ansicht nach krank oder hatte einen schweren Unfall und liegt im Krankenhaus. Ob er am Ende stirbt, das bleibt ein Rätsel... oder soll es das sogar?

Naja, wie gesagt, so richtig viel hab ich nicht entnehmen können, deswegen hab ich mit dem Antworten auch ein wenig gebraucht.
Trotzdem sehr schön geschrieben.

Gruß
Bantam

 
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Hi Bantam!

Lieben Dank für Deine Antwort.
Ich muss mich eigentlich entschuldigen ... ist ja meine erst Geschichte in dieser Rubrik und zum Kommentieren anderer Storys bin ich noch gar nicht gekommen. Und da platze ich hier einfach so rein. :D

Ob er am Ende stirbt, das bleibt ein Rätsel... oder soll es das sogar?
Das Ende zu interpretieren wollte ich eigentlich dem Leser überlassen, stimmt.
Aber das funktioniert irgendwie nie. Okay, ich schreib den Schluss um, irgendwie hast du Recht, so hängt das Ganze zu sehr in der Schwebe. Ich habe das inzwischen ein paar Mal versucht, wird aber mir aber immer angekreidet. :shy:
Sobald ich's hab, stelle ich es ein.

Danke noch mal! Auch für's Schön-geschrieben-finden. :)
Lieben Gruß
Plasma

 

Hi Plasma!

Eine sehr schöne, aber auch traurige Geschichte.
Mir gefallen vor allem die atmosphärisch dichten Stellen wie:

War ich halbwegs nüchtern, studierte ich ihren Kirschmund, ihre Pfirsichhaut und verfolgte die Bwegung ihrer Haare, die wie ein silberner Vorhang wogten.
oder
Die Dauer eines Wimpernschlags genügte ihr, um tiefer in mich zu blicken, als ich es jemals gewagt hatte.
oder das
Ich will meine Finger in etwas krallen, doch ich bin so erschöpft, dass ich das Bewusstsein wieder verliere.

Inhaltlich eine schöne Szene, wie man sie sich in einem Hospiz vorstellen könnte.
Sprachlich gibt es nix zu meckern. Sauberes Handwerk!

Fazit: gerne gelesen, schöne Bilder mitgenommen

:kuss: LE

ps: Hat es einen Grund, dass sie "Suki" heißt?

 

Hi Lems Erbe!

Vielen Dank fürs Lesen und deine Antwort.
Schön, wenn Dir die Geschichte gefallen hat. :) Ich war noch nicht ganz zufrieden mit dem Inhalt und habe inzwischen eine überarbeitete Version eingestellt - mit neuem Ende.

ps: Hat es einen Grund, dass sie "Suki" heißt?
Keinen speziellen, aber ich mag den Namen.

Lieben Gruß
Plasma

 

Hallo Plasma!

Die Geschichte an sich gefällt mir sehr gut, wobei sie für mich weniger mit Romantik oder Erotik, aber dafür viel mehr mit dem Gefühl, als Mensch geliebt zu werden, zu tun hat, das man auch bei einer guten Freundschaft empfinden kann.
Gerade die titelgebende Dankstelle ist aber das, was mich irgendwie stört, denn um jemandem zu danken, braucht man keine Dankstelle. Und ich könnte mir auch durchaus einen passenderen Titel vorstellen, da die Geschichte selbst ja gar nicht von der Dankstelle handelt, das tut sie viel eher von z. B. Sukis Hand.

Allerdings hab ich da schon noch einiges an Anmerkungen: ;)

»Ich weiß nicht, was mich geweckt hat. Die milchige Luft kann es nicht gewesen sein, auch nicht die dumpfe Stille, oder das Gefühl von Watte in den Ohren.«
– Hier hab ich mich gefragt: Warum können es die milchige Luft usw. nicht gewesen sein? Woraus schließt der Ich-Erzähler das?
Deshalb würde ich das einerseits in Fragen umformulieren (»War es die dumpfe Stille?«), und außerdem würde ich das Hören vor das Sehen stellen, da das Hören beim Aufwachen doch eher vor dem Sehen kommt.

»Ich richte mich verwundert auf. Wer war ich doch gleich? Was ist das Letzte, an das ich mich erinnere?«
– Die Fragen finde ich etwas seltsam, besonders »Wer war ich doch gleich?«. Würde er sich nicht eher sowas wie »Wo bin ich hier, warum ist die Luft so milchig«, »Wie komme ich hierher, was habe ich gestern gemacht« fragen? Hast Du Dich schon jemals, wenn Du in einem fremden Bett geschlafen hast und Dich in der Früh erst orientieren mußtest, beim Aufwachen gefragt »Wer war ich doch gleich«?

»Dann fällt es mir wieder ein,«
– Was fällt ihm denn wieder ein?

»ich stehe auf und sehe an mir hinab. Der Körper scheint intakt zu sein, ich fühle weder Schmerzen noch Hunger oder Durst.«
– »sehe an mir hinab« würde ich durch »mache einige Bewegungen« tauschen, da man so doch besser feststellen kann, ob der Körper intakt ist, als wenn man an sich hinabsieht.

»Allerdings habe ich auch keine Ahnung, wo ich bin oder was passiert ist, nachdem ich gestern eingeschlafen bin.«
– Also kann ihm doch nicht sehr viel eingefallen sein.

Es riecht nach frischen Ananasstücken und Pfeifenrauch. Und da ist noch etwas anderes, etwas, das ich nicht auf Anhieb erkenne. Ich strenge mich an, blähe die Nasenflügel und entscheide mich dann für einen Ziegenbock. Sehr schwach, aber zweifellos ein Paarhufer mit Bart. Und dieser Geruch stammt offenbar von einem Exemplar, das schlechtes Futter gefressen hat.
Vielleicht ist er ja von diesem einzigartigen Geruchspotpourri aufgewacht. :D
Das mit dem schlechten Futter, also den letzten Satz, würde ich allerdings weglassen.

»Schräg vor mir steht in einiger Entfernung ein Schreibtisch. Ich gehe darauf zu. Es ist ein Modell von der Sorte, wie sie heute nicht mehr in Mode sind, aus Ebenholz und mit prunkvollen Verzierungen. Irgendjemand hat sich bei der Herstellung viel Mühe gegeben.«
– Die Beschreibung finde ich etwas umständlich und »von der Sorte …« wirkt, als gäbe es nur die eine Sorte Schreibtische, die nicht mehr in Mode sind. Und »Schräg« ist eigentlich nicht wichtig, oder? Vorschlag: Ein paar Schritte von mir entfernt steht ein alter Schreibtisch aus Ebenholz. Ich gehe darauf zu, bemerke die prunkvollen Verzierungen. Irgendjemand …

»Lose Papierstapel türmen sich zwischen dicken Wälzern, Tabletten und Silberfiguren darauf.«
– würde »darauf« an den Satzanfang stellen: Darauf türmen sich …

»Ich trete näher, da es ansonsten nichts zu sehen gibt.«
– finde ich überflüssig, zumal Du auch gleich danach beschreibst, was es ja doch noch alles zu sehen gibt (Telefon, Ohrensessel, …)

»Eigentlich hängt er nicht, denn dort, wo die Wand sein sollte, befindet sich nichts.«
– Vorschlag: »Eigentlich schwebt er«

»Ich bemerke einen Ohrensessel, der anscheinend für Besucher bestimmt ist.
Bevor ich das alles merkwürdig und«
– bemerke/merkwürdig, Vorschlag: »Ich entdecke den Ohrensessel«

»taucht ein Junge von vielleicht elf Jahren auf.«
»Der zerbrechlich wirkende, kleine Mensch«
»Ich habe Angst, dass die dünnen Knochen brechen könnten und gebe mir Mühe, die Hand so sanft wie möglich zu schütteln.«
»Blondschopf mit riesigen Augen.«
– Also ein Elfjähriger ist ja normalerweise nicht mehr so zerbrechlich, wie Du es hier beschreibst. Bei mir hat die Beschreibung eher eine dürre Comicfigur ergeben, mit riesigen Augen, ähnlich denen von Alice im Wunderland, und ich glaube fast, so hattest Du das nicht geplant. ;)

»Der Anruf kam zwa rüberraschend«
– zwar

»Der Kleine hatte ihn doch eben erwähnt. Ni... Na...?«
– eher merkt man sich die Selbstlaute, also z. B. »Mi… Ni…?«

»Nach einer kurzen Pause sagt er ein Wort, und dieses Wort schießt mir durchs Rückenmark und sprengt mein Herz. »Suki.««
– oder vielleicht doch besser »sagt er einen Namen, und dieser Name …«?

»Ich sehe in die Grasiris meines Gegenübers.«
– die Grasiris, also eine Blume, als Beschreibung für die Augen finde ich eher schwierig, funktioniert zumindest bei mir nicht so recht.

»Meine Nerven waren so überreizt, dass ich sie mit Alkohol und Drogen beruhigte.«
– ich würde die »Drogen« benennen, da es unwahrscheinlich ist, daß es bunter Mix war (kriegt man nicht unbedingt so angeboten), nach dem es aber klingt, wenn Du den Sammelbegriff verwendest.

»Es wurde ein Pfefferminztee serviert, den ich mochte und der meinem Magen gut tat.«
– Vorschlag: Ich bekam Pfefferminztee serviert, den mochte ich und er tat meinem Magen gut.

»verfolgte die Bwegung ihrer Haare,«
– Bewegung

»die wie silberne Vorhänge wogten.«
– sie waren also so zwischen weiß und grau? ;)

»War ich zugedröhnt, schien sie nicht mehr zu lächeln, ihre Wangen wirkten bleich und die Haare stumpf wie ein staubiger, brauner Flokati.«
– sie schien nicht mehr zu lächeln
– jetzt sind die Haare braun?

»Sie gab mir Halt, sie war das, worauf ich weder gehofft noch geglaubt hatte,«
– »worauf« paßt nicht zu »geglaubt«, Vorschlag: noch daran geglaubt hatte

»Ein stummes Mädchen, das sich manchmal Zöpfe flechtet und zu einer Prinzessin-Lea-Frisur eindreht,«
– fände »Zöpfe flicht« schöner

»bei einem Menschen, der einfach nur zuhört, beanken kann.«
– bedanken

»bis ich das Gefühl kriege, der Kiefer würde brechen.«
– wäre für »bis ich das Gefühl habe«

»Die Worte treffe Suki wie Giftpfeile, sie zuckt unter ihnen zusammen, obgleich sie selbst dabei gewesen war.«
– treffen
– »gewesen« kannst Du glaub ich streichen

»Ich spüre eine Hand in meiner. Gut, das ist gut.
Es ist so schön warm.«
– Sie ist so schön warm (die Hand)

»Zwei Wochen später erfahre ich von dem Krankenhauspersonal,«
– würde »vom Krankenhauspersonal« schreiben, aber eigentlich gefiele es mir noch besser, wenn das Personal in Form einer Krankenschwester, eines Pflegers oder eines Arztes bzw. einer Ärztin auftreten würde.


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo liebe Susi!

Gerade die titelgebende Dankstelle ist aber das, was mich irgendwie stört, denn um jemandem zu danken, braucht man keine Dankstelle.
Du hast Recht, also bedanke ich mich direkt bei dir. :) Dennoch finde ich, dass es für die Figur passt und werde versuchen, diesen Zwang noch besser rüberzubringen.

wobei sie für mich weniger mit Romantik oder Erotik
Hättest du sie in einer anderen Rubrik gepostet?

Deine Anmerkungen zeigen wieder mal, dass man immer etwas (in diesem Fall sogar eine ganze Menge) übersieht bzw. zu ungenau formuliert. Herzlichen Dank, dass du dir die Mühe gemacht hast, mir so detailiertes Feedback zu geben. Das wird mir bei der Überarbeitung eine große Hilfe sein.

Vielleicht ist er ja von diesem einzigartigen Geruchspotpourri aufgewacht. :D
Das mit dem schlechten Futter, also den letzten Satz, würde ich allerdings weglassen.
Hehe. :D Warum würdest du den Satz weglassen? Überflüssig oder unpassend? Oder weil ein Ziegenbock ohnehin nicht gerade gut riecht?

– eher merkt man sich die Selbstlaute, also z. B. »Mi… Ni…?«
Super Tipp! Daran hab ich gar nicht gedacht. :dozey:

– sie waren also so zwischen weiß und grau?
Oje, und ich dachte, das betone den Glanz ... :Pfeif: Gut, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.

Lieben Gruß
Plasma

 

Hallo Plasmarita,

eine nette kleine Geschichte hast du da geschrieben, die mir insgesamt aber nicht so gut gefällt wie "Sonnige Tage" oder "Herbszeitlose". Nicht ganz klar ist mir, da muss ich Häferl zustimmen, die Rolle der Dankstelle, ich finde das Wortspiel mit Tankstelle nicht so gut, dass ich das als Titel nehmen würde. :) Und so richtig, naja, romantisch ist es auch nicht, aber auch nicht antiromantisch - also, was soll das?! :D ;)

Einzelheiten:

Eigentlich hängt er nicht, denn dort, wo die Wand sein sollte, befindet sich nichts.
Hehe, cool.

Es liegt etwas in seiner Stimme ... ich kann es kaum glauben.
Dass sie es kaum glauben kann, steht für mich schon besser im folgenden Satz. :)

Ich bin mir sicher, ein dümmlicheres Gesicht zu ziehen als Paris Hilton, die ungeschminkt von Tinkerbell in die Nase gebissen wird.
:schiel: Damit kann ich nicht so viel anfangen. Was hat "ungeschminkt" da zu suchen?

Ich sehe in die Grasiris meines Gegenübers.
Worein? Ich bin doch unwissend. :schiel: Gras-Iris fände ich etwas ... hm ... platt?

War ich zugedröhnt, schien sie nicht mehr zu lächeln, ihre Wangen wirkten bleich und die Haare stumpf wie ein staubiger, brauner Flokati.
:thumbsup:
Aber ohne Sukis Lächeln wurde es schlimmer. Unerträglich, ätzend wie die Magensäure, die mir dann zwischen die Zähne kroch.
Schöne Idee, aber die Ausführung wäre vielleicht noch schöner, wenn man erfahren würde, was zerfressen wird ("ätzend"). Vielleicht so:
"Ein schmieriger Film legte sich dann um meine Seele, unerträglich, ätzend ..."

Das machte mir Angst.
Wie äußerte sich diese Angst?

Das neue Ende gefällt mir besser, obwohl ich eigentlich nicht so auf Happy Endings stehe. Aber hier finde ich es gelungen. Mal wieder eine Geschichte von dir, die ich gerne gelesen habe.

Viele Grüße,
Seaman

 

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