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Die Durchquerung des Raumes

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26.09.2006
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Die Durchquerung des Raumes

Die Durchquerung des Raumes

Lange schon ist an der Decke des niedrigen Raumes ein Fleck zu erkennen. Seit ungezählten Stunden bahnt sich eine Flüssigkeit ihren Weg durch den Beton, folgt Rissen und Hohlräumen und durchquert so die Grenze zwischen draußen und drinnen. Es ist kalt und riecht nach Schimmel, riecht nach frischem Wasser, das im Sommer die Kehle hinab rinnt. Es ist der Geruch von Erfrischung, Hauch der Vergänglichkeit.

Bis auf einen Stuhl ist das Zimmer leer. Er ist aus Holz, abgenutzt, verwittert, als wäre er tagein, tagaus schlechtem Wetter ausgesetzt, obwohl er nie anderswo steht. Der Stuhl steht mit dem Rücken zu einer Tür, die vom Boden bis zur Decke reicht. Auch sie ist aus Holz und längst reparaturbedürftig. Daran ist kein Schloss, auch kein Riegel; lediglich ein Holzgriff, sie zu öffnen oder zu schließen.

In der Mitte des Flecks an der Decke bildet sich zaghaft ein Tropfen. Die Stille strengt an, aber das Auge fixiert ihn, möchte nichts übersehen, wagt nicht, sich abzuwenden. Stunde um Stunde beobachtet es, und endlich verändert sich etwas.

Der Tropfen wird herabfallen, doch er scheint sich nicht von der Decke lösen zu wollen, kämpft um seinen Halt, so dass sich ein Faden bildet, der ein Stück weit ins Nichts des Zimmers hineinreicht, bis die Oberflächenspannung verpufft. Jetzt ist der Tropfen für sich, folgt seiner Mission, durchquert das Drinnen und weiß nicht, dass sein Weg erneut über die Grenze ins Draußen führen wird. Er pulsiert auf seinem Weg, tanzt, als sei er lebendig und als er gewahr wird, zu fliegen, ihm klar wird, dass er existiert, endet sein Dasein. Am Boden zerplatzt er in tausend Teile, und ein Zeuge dieses Wunders des Lebens kann niemandem Bericht erstatten, denn es gibt keinen.

Die Splitter des Tropfens heben sich ganz plötzlich empor, zittern und breiten sich aus zu einer flüssigen Kugel, welche die Struktur des Bodens wie eine Lupe vergrößert und Einblick gewährt in eine Welt jenseits der unseren mit Stühlen, Türen, Gedanken und Tod.

Das Schauspiel erfordert Aufmerksamkeit, verhindert, etwas anderes wahrzunehmen. Erst als die Kugel wieder zerfließt, lösen sich die Blicke. Der Stuhl. Dort sitzt ein Mann. Er ist alt. Er ist ausgemergelt, sitzt gekrümmt und hält eine Gabel, von deren Zinken zwei abgebrochen sind. Er ist nackt und hockt an einem Tisch, doch der ist nur in seiner Wahrnehmung vorhanden, wie es scheint. Der Mann öffnet eine Schublade in seinem Bauch, tastet darin herum und holt endlich einen Blechteller heraus, den er lautlos vor sich abstellt. Da fällt ein Tropfen von der Decke in den Teller und dünne Suppe spritzt dem Alten entgegen.
Die Bewegungen des Mannes sind träge. Seine Hand zittert, als er versucht, von der Suppe zu essen. Dass er nichts ausrichtet, bemerkt er nicht.

Langsam erhebt er sich. Er stützt sich am Tisch ab, verliert den Halt und schafft es in letzter Sekunde, die andere Hand zur Hilfe zu nehmen, die er ungeschickt auf den Tellerrand legt. Suppe fließt über Hand und Tisch und Stuhl. Er registriert es nicht, dreht sich zur Tür, während er mit der Hand den Teller vom Tisch fegt und den Stuhl umwirft. Das irritiert ihn, und er macht einen Schritt, verfängt sich in den Beinen des Stuhls, stürzt hinten über. Es knackt, es splittert, ein Knochen durchbohrt ranziges Fleisch. Weit offen ist der Mund des Alten, doch da ist nichts, was man hören könnte. Nichts als das Schaben schlaffer Haut auf Stein. Die Fingernägel knirschen, brechen. Am Holzgriff der Türe zieht er sich jetzt hoch. Ein Nagel löst sich, dann ein zweiter. Feucht klingt das, wie das Auslösen der Innereien beim Fisch. Der zahnlose Mund ist immer noch offen, die Augen tränen, aber er steht, der Mann, an der Tür, hinter der es schreit.

Die Tür öffnet sich ganz von selbst, mit Kraft, denn der sterbende Greis wird hinein gezerrt. Wieder das feuchte Geräusch. Die Hand hängt am Griff, hängt am Nagel, hängt an der Tür. Diese in der Angel. Im Beton. Der Alte blickt ihr hinterher, auf seine Hand, am Griff, am Nagel, blickt auf seinen Arm, dem die Hand fehlt. Da schließt er den Mund und bekommt große Augen. Er taumelt in den Gang, stolpert, den Schreien entgegen.
Die Beine brechen entzwei, mitten durch, hängen nur noch an den feuchten Fetzen von Haut.

Er ist nicht da. Nicht wie erwartet, nein, er ist nur noch staubige Reste, ist geworden, was er immer war. Wer schreit? Wer tobt? Weg, schnellstens weg, laufen! Sackgasse.
Eine Maschine. Eiserne Rohre, rostige Gitter. Leitungen und Schläuche die zu einem Tisch führen, der zum Gebären, zum Auslöschen dient. Sichtbar ist er diesmal. Organisch geformt, weiblich weich, hart und kalt. Der Tisch ist ein Stuhl, ist ein Bett. Die Maschine läuft an. Noch immer Geschrei, lauter inzwischen, gefesselt in den Apparat wird klar, dass alles verspielt ist, vertan. Immer schneller läuft der Kreisel, sprüht Funken und singt ein ungnädiges Lied von der Freiheit von Tod und vom Leben. Alles wird schwarz, durchzuckt von Blitzen und Flackern. Alte Haut, ein Mensch, dem Ende nah. Hautfalten hängen tot herab, zwei leergesaugte Brüste, die wie nutzlose Anhängsel da liegen. Sie reichen starr bis zu den Schenkeln. Nichts bleibt übrig. Nichts außer der Erinnerung, und die wird sterben - jetzt. Ein Tropfen löst sich aus der Mitte.


© 2008 by Georg Niedermeier, München. Alle Rechte vorbehalten.

 

Hey Bär,

und ein Zeuge dieses Wunders des Lebens kann niemandem Bericht erstatten darüber
Das „darüber“ ist überflüssig und killt ein wenig den Sound

Er registriert es nicht
Registrieren ist immer so … ich weiß nicht, das klingt so gezwungen, als müsste man unbedingt ein Synonym benutzen. „Bemerken“ ist doch toll. Aber okay, vielleicht spinn ich da auch rum.

und hält eine Gabel, von deren Zinken zwei abgebrochen sind, in seiner rechten Hand.
„in seiner rechten Hand“ – könnte man auch einfach weglassen und es wäre nicht schlechter.

Seine Hand zittert, als er versucht, von der Suppe zu essen und bemerkt nicht, dass er nichts ausrichtet.
So wie es da steht bezieht sich „bemerkt nicht“ auf die Hand, es sollte sich aber auf das „er“ beziehen, oder? Dann müsste da stehen und „nicht bemerkt“.

Ein Nagel löst sich vom fauligen Griff, dann ein zweiter.
Ich bin da noch im Fingernagel-Bild und sehe das „Neue“ nicht. Das Fingernagel-Bild ist auch extrem stark, da erwischt du mich auch aus nem toten Winkel, wenn ich an die Szene aus Echoes denke, wird mir immer übel.

Hm, ich hab die Geschichte zweimal gelesen, das tu ich sonst nie, das spricht also für dich. ;)
Ich finde die Ästhetik bis auf den letzten Absatz könnte direkt einem MTV-Clip aus den 90ern entsprungen sein, so Progg-Rock, alles im Zeitraffer und mit hackigen roboterhaften Bewegungen und schnellen Schritten oder so einem Zeichentrick-Kunst-Film, das hat auf jeden Fall was. Du gehst oft in den Zoom, oft in die Zeitlupe, Schubladen aus dem Bauch, die Enge des Raums, das plötzliche Auftauchen des Mannes – surreal und beklemmend.
Der Verfall spielt eine große Rolle, auch das „gezogen“ werden, der Alte hat ja keine Wahl, zu nichts. Im letzten Absatz die Maschine – es hängt alles an „größeren“ Fäden und lässt nichts zurück. Eine äußerst unangenehme Geschichte mit dieser fatalistischen Sicht der Dinge. Starke Bilder, gut geschrieben, ich hab ein wenig das Problem, dass mit der „Erzähler“ nicht ganz klar wird, wer da dann noch da sein soll, um zu berichten, nachdem das Zimmer eigentlich leer ist und wer dann noch auf die Maschine und den „neuen“ Alten schwenkt.

Gruß
Quinn

 

Servus Quinn,

Die Änderungsvorschläge finde ich einleuchtend und ich werde sie deshalb übernehmen.

Seine Hand zittert, als er versucht, von der Suppe zu essen und bemerkt nicht, dass er nichts ausrichtet.
So wie es da steht bezieht sich „bemerkt nicht“ auf die Hand, es sollte sich aber auf das „er“ beziehen, oder? Dann müsste da stehen und „nicht bemerkt“.
ich verstehe was du meinst, denke aber, dass die von dir vorgeschlagene Änderung nicht ganz dem entspricht, was ich sagen will. Also eigentlich schon, aber eben nicht so ganz. Da muss ich mir was anderes überlegen.

Ich bin da noch im Fingernagel-Bild und sehe das „Neue“ nicht. Das Fingernagel-Bild ist auch extrem stark, da erwischt du mich auch aus nem toten Winkel, wenn ich an die Szene aus Echoes denke, wird mir immer übel.
da ging es mir ähnlich. Der Sprung ist zu groß, schätze ich. Muss ich nochmal drüber.


dass der Erzähler nicht so richtig klar wird, ist gewollt, obwohl es mir, jetzt durch deine Aussage bestärkt, zu wenig griffig erschien. In der ersten Version habe ich den Leser mehrmals direkt angesprochen, aber das war einfach nicht stimmig, was auch in einer Vorabkritik als störend kritisiert wurde. Dadurch war der Erzähler zwar klarer definiert, aber dieses unschöne »du« hat häufig zu viele Raum eingenommen. Das wieder auszubügeln, war gar nicht so einfach und ich muss feststellen, dass es Spuren im Text hinterlassen hat. Trotzdem bin ich der Meinung, dass dieses unklare ganz gut dazu geeignet ist, den Leser zum Erzähler zu machen. Ist er natürlich nicht, aber er ist irgendwie an seiner Position. Aber selbst wenn das nicht hundertprozentig funktioniert, zeigt es meiner Ansicht nach eindringlich, dass man alleine ist, im Leben und im Sterben genauso wie im Tod. Du kannst zwischen hundert Menschen stehen und alleine sein. Du kannst einem gegenübersitzen und alleine sein. Du kannst jemand lieben, bist aber immer noch einsam, denn niemand kann hinein sehen, in das, was man ist, denn das kann man nur mit Mühe bei sich selbst.

Es freut mich sehr, dass die Geschichte bei dir so angekommen ist, wie ich es vorgehabt habe. Ich wollte eine beklemmende Stimmung erzeugen, der Text sollte surreal rüberkommen. Operation gelungen.
dass du die Bilder stark fandest und den Text gut geschrieben, ist dann noch das Sahnehäubchen. Es hat sich wieder mal bewahrheitet: kürzere Texte liegen mir besser.

Herzliche Grüße,
Georg

Anmerkung:
ganz herzlichen Dank an Makita, denn sie hat meinen Text vorab kritisiert und mir damit geholfen, einige Unstimmigkeiten noch im Vorfeld auszuräumen. Vor allem hat sie mich davor bewahrt, einen Text zu schreiben, in dem ich den Leser direkt anspreche. es mag Geschichten geben, in denen das sinnvoll ist und funktioniert, diese hier zähle ich aber nicht dazu.

 

Hallo Bär!

das im Sommer seine Kehle hinab rinnt.
Hm, hab ich was verpasst? In dem Moment ist doch noch niemand in dem Raum.
Am Boden zerplatzt er in tausend Teile, und ein Zeuge dieses Wunders des Lebens kann niemandem Bericht erstatten, denn ein solcher ist nicht hier.
An der Formulierung hab ich mich ein bisschen gestoßen. Vielleicht: "... und niemand kann dieses Wunder des Lebens bezeugen, denn niemand ist hier." Oder was weiß ich. Jedenfalls finde ich den Satz sehr umständlich.
Dass er nichts ausrichtet bemerkt er nicht.
Komma nach "ausrichtet"
Organisch geformt, weiblich weich, hart und kalt. Nicht vielleicht eher männlich? Schwer zu sagen.
Dieses Infragestellen stört mich hier irgendwie, würde ich entweder ganz weglassen, oder das "männlich" anders einbauen. So klingt es zu gewollt finde ich.
Traurig ist, dass nichts übrig bleibt.
Dein Erzähler ist eigentlich immer so im Hintergrund, dass er schon fast nicht da ist, diese Wertung finde ich dann fehl am Platz. "Nichts bleibt übrig" könnte man genauso schreiben und es würde nichts verloren gehen dadurch.

Die ganze Geschichte spielt sich in Zeitlupe ab und wird trotzdem nicht langweilig, das hat mir gefallen. Gut fand ich auch, wie du aus einer Betonwand, aus der ein Tropfen äh ... tropft, so ein Szenario schaffst, erst ganz minimalistisch, und dann kommen immer mehr Details dazu, und es gewinnt irgendwie an Tempo, wenn man das überhaupt so sagen kann. Ist ja letztendlich immer noch Zeitlupe, nur schneller als zu Beginn. Ich fasel schon wieder. Was auch Quinn schon sagte, wie du die Objekte in den Zoom nimmst (kann man das überhaupt so sagen? :)), das ist wirklich klasse.
Also, gute Geschichte.

Liebe Grüße,
apfelstrudel

 

grüß dich, Apfelstrudel.

Danke für deine Rückmeldung. Die von dir angemerkten Stellen werde ich mir vornehmen.
schon lustig, dass meine kurzen Geschichten eigentlich durch die Bank besser ankommen als die langen. Wie Quinn ja schonmal gesagt hat, ist es einfach eine ganz andere Art zu schreiben, wenn es um lange Texte geht.
das mit der Betondecke gefällt mir auch, muss ich sagen. Doch, da lobe ich mich selbst. :D
Freut mich, dass dir die langsame Steigerung des Tempos gefallen hat und du das zoomen klasse fandest. Danke dir!

Georg

 

Hey bear

In der Mitte des Flecks an der Decke bildet sich zaghaft ein Tropfen. Die Stille strengt an, aber das Auge fixiert ihn, möchte nichts übersehen, wagt nicht, sich abzuwenden. Stunde um Stunde beobachtet es, und endlich verändert sich etwas.
Hat mich an diese Foltermethode erinnert, wenn man dem Opfer ständig einen Tropfen auf die Stirn fallen lässt.
Am Boden zerplatzt er in tausend Teile, und ein Zeuge dieses Wunders des Lebens kann niemandem Bericht erstatten, denn es gibt keinen.
Das ist doch sehr übertrieben, in meinen Augen jedenfalls. Ein Tropfen das in tausen Teile platzt als Wunder des Lebens zu bezeichnen, aber okay, der Text ist ja schon überladen mit Metaphern und er arbeitet ja auch mit diesen kleinen Dingen und spricht ihnen aber eine immense Bedeutung zu.

Der Absatz mit dem alten Mann ist sehr, sehr stark geschildert, da erst entstehen bei mir richtige Bilder mit Handlung, Atmosphäre und das ganze Programm. ;)
Ich hab jetzt die Geschichte so verstanden, dass alles mal ganz klein beginnt, vom Tropfen, dass sich auf alles verbreitet, das Leben formt, bis zum Tod.
Der Mensch ist nur ein Opfer seiner Umgebung, kann nichts anrichten und ist bald nur nutzlose Haut.
Es ist ganz klar eine düstere, seltsame Geschichte und ich komme auch nicht wirklich dahinter, es ist alles sehr rätselhaft erzählt, dass ich es nicht wirklich fassen kann, auch wenn da alles steht. Hmm, ich hoffe, du verstehst, was ich meine.

JoBlack

 

hallo Jo!

seltsam, diese Parallele zu der Foltermethode ist mir gar nicht aufgefallen. Lustig auch irgendwie, wie gut das doch hinein passt.

dass der Abschnitt mit dem Wassertropfen, der plötzlich seines Lebens beziehungsweise seiner Existenz gewahr wird, nicht so ganz ankommen wird, hatte ich mir irgendwie schon gedacht. Es ist deshalb ein Wunder des Lebens, weil ein Wassertropfen an sich kein Bewusstsein über seine Existenz besitzt. Ich habe das Bild verwendet, weil es die Geschichte - die Essenz der Geschichte - im kleinen nochmal wiedergibt. Er fällt runter, kann nichts tun und als er merkt, dass er lebt, ist es auch schon vorbei, das Leben. Schade, dass der Text überladen wirkt.

ansonsten hast du die Geschichte ganz richtig verstanden und ich freue mich darüber, dass die düster und seltsam herüber kommt. Das war Absicht und ich habe deshalb rätselhaft geschrieben, weil das das Leben wiedergibt. Es ist rätselhaft. Wir wissen nicht wofür, wir wissen nicht wie lang und wir wissen nicht wohin. So ist das Leben.

Herzlichen dank für deinen Kommentar, auch wenn die Geschichte für dich rätselhaft bleibt. Aber wie gesagt, eigentlich hast du sie schon verstanden.
Georg

 
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Hallo Georg!

Das ist eine von jenen Geschichten, die es wirklich wert sind, sich eine Weile damit zu beschäftigen, sie wirken zu lassen. Eine, bei der man schon beim ersten Lesen weiß, daß da mehr dahintersteckt als nur seltsame Bilder, und wo man dann auch wirklich mit jedem Lesen mehr entdecken kann. Ich finde sie jedenfalls sehr gelungen. :)

Beim ersten Lesen der ersten Absätze hätte ich mir am ehesten eine Kettenreaktion á la Flügelschlag des Schmetterlings erwartet, doch die Geschichte nahm einen anderen Verlauf.
Beim zweiten Lesen erschien mir das Durchsickern durch den Beton und das Loslösen des Tropfens wie eine Geburt, und es gefällt mir mit jedem Lesen besser.
An den Splittern hab ich lang herumgerätselt, bin aber doch zu dem Schluß gekommen, daß es sich wohl um die Selbstfindung des Tropfens handelt.

Schwierig war es, den Alten mit seiner Suppe damit zu verbinden, denn genaugenommen haben der Tropfen und der Mann ja nichts miteinander zu tun.
Also nahm ich mir zuerst das weniger schwierig erscheinde Ende vor, den Tod, nach dem nichts übrig bleibt, außer staubigen Resten.

Weg, schnellstens weg, laufen! Sackgasse.
Wer läuft hier weg und in die Sackgasse? Die Seele? Und dann kommt sie in eine Auslösch- und zugleich Gebärmaschine, um ein neues Leben zu bekommen? Die neuerliche Erwähnung eines sich lösenden Tropfens läßt mich das jedenfalls glauben. :)

Der Tropfen könnte dazu dienen, die Kürze des Lebens darzustellen, weshalb auch der Alte, als man ihn wahrnimmt, schon ein Greis ist. Aber die Erklärung hat mich nicht so ganz befriedigt. Und da ist ja auch noch diese Tür, die so leicht aufgeht, und durch die der Alte hinein-?, meiner Meinung nach hinausgezogen wird, nachdem der Stuhl umkippt. Die Tür als Bild für den Tod bzw. das Verlassen des irdischen Daseins. Wenn der Tropfen von der Decke zum Boden fällt, legt er mit seiner Durchquerung des Raumes den Weg von der Geburt bis zum Tod zurück, und die Türe reicht ebenso über diese Zeitspanne – vermutlich, weil es einen zu jeder Zeit im Leben treffen kann.

Der Raum ist also sozusagen diese Welt, in die man wie aus dem Nichts hineingeboren wird – das Wunder des Lebens –, und ebenso wieder hinausgezogen wird.

hält eine Gabel, von deren Zinken zwei abgebrochen sind. Er ist nackt und hockt an einem Tisch, doch der ist nur in seiner Wahrnehmung vorhanden, wie es scheint. Der Mann öffnet eine Schublade in seinem Bauch, tastet darin herum und holt endlich einen Blechteller heraus, den er lautlos vor sich abstellt.
Das mit der Schublade liest sich erst witzig, aber viel mehr beschäftigt mich zunächst die Tatsache, daß er Suppe mit einer kaputten Gabel essen will. Und da kommt der Tropfen Wasser und sagt mir: Suppe = Wasser = Leben. Irgendwie hatte er schlechte Voraussetzungen, die Du mit der Gabel darstellst, und schließlich verschüttet er seine ganze Suppe, weil der Tod ihn ruft.
Warum er nackt ist, kann ich nur raten: Um die Schutzlosigkeit (Kleidung = Schutz) darzustellen? Na, vielleicht doch eher: Er hat nichts als das nackte Leben.

Sehr interessant fand ich die Sache mit den Stühlen. Also hier mit diesem einen in der Geschichte, auf dem der Alte offenbar seine Lebenszeit absitzt und mit dem Umfallen des Stuhles stirbt.
Aber weil Ostern ist, hab ich da noch ein paar Stühle auf Deiner HP gefunden – ein Motiv, das Dich offensichtlich schon länger beschäftigt, und weils absolut zur Geschichte paßt, ein paar Worte dazu:
http://www.sadbatu.de/img/tea-b.jpg - Das Leben, das in Form des Wassers am seidenen Faden hängt, und ein umgefallener Stuhl. Interessant auch, daß es im Fenster aussieht, als wäre es draußen finster, während zugleich Licht hereinfällt – stellen wir uns den Tod und ein mögliches Danach also finsterer vor als er ist?
http://www.sadbatu.de/img/tee.jpg - Wieder ein umgefallener Stuhl. Der Tod scheint sehr plötzlich gekommen zu sein. Über die leuchtende Welt, die nicht die unsere ist, muß ich noch nachdenken – verwirrend, daß sie in dem Raum ist und Licht aus ihr strahlt. Hmm… Das Papier am Boden könnte ein Hinweis sein, daß der Mensch geschrieben hat – dann wäre die Welt wohl die, die er sich selbst erschaffen hat und die ein bisschen Licht in sein Leben gebracht hat.
http://www.sadbatu.de/img/grasknopf.jpg – Noch ein umgefallener Stuhl, diesmal im Freien, und ein eigenartiger Knopf auf einer im Boden steckenden Holzlatte. Auf Knopfdruck gestorben, ein Selbstmörder?
http://www.sadbatu.de/img/kugelhalle.jpg – Hier steht der Stuhl zwar noch, jedoch ist der Raum sehr niedrig, was (nach dem Lesen der Geschichte) nicht nur auf ein kurzes Leben schließen läßt, sondern auch kein bequemes Sitzen/Leben zuläßt. Die Kugel im Rücken als ständige Bedrohung könnte für eine Krankheit stehen, und oben die Öffnung für einen schnellen Tod (kein Weg bis zur Tür). Und während in der Geschichte der Stuhl mit dem Rücken zur Tür steht, damit man sie nicht sieht, ist die Öffnung hier direkt über dem Stuhl, direkt mit Blick nach draußen.
http://www.sadbatu.de/img/gang.jpg – Der Stuhl steht draußen am Gang, die Tür ist noch ein Stück offen – vielleicht noch eine Chance auf ein Zurück? Oder vielleicht »vor die Tür gesetzt«, ermordet? Die roten Schläuche am Boden sind mir auch ein Rätsel, wobei sie so rot natürlich an Blut erinnern und passend zur offenen Tür und der Position des Stuhles den Versuch lebenserhaltender Maßnahmen darstellen könnten – immerhin geht ja einer der Schläuche in das Zimmer hinein. Eine Möglichkeit wäre auch, daß es sich um die selben Schläuche wie am Ende der Geschichte handelt, die in die Gebärmaschine führen, aber da scheint mir die Rettungsversion passender, eben weil der Schlauch ins Zimmer hineingeht.
http://www.sadbatu.de/img/krumm.jpg – Das hat im ersten Moment irgendwie was von Freiheit, Leichtigkeit, Vergnügen gar … der zweite Blick verfolgt das Seil, an dem der Ballon mit dem noch aufrechten Leben hängt, damit es nicht davonfliegt, aber die lockere Verbindung mit dem mickrigen Stämmchen wird sich beim kleinsten Zug lösen, und die am Ballon schaut auch nicht sehr stabil aus …

Also die Bilder sind echt sehenswert! Aber um wieder zur Geschichte zurückzukommen: Ich finde dieses neue Bild auch verdammt toll gemalt! :)
Wenn ich es richtig verstanden hab: Stehende Stühle stellen das Leben oder auch nur Dasein dar, umgefallene den Tod des Besitzers. Und zugleich sind sie Symbol für diese Menschen-Ding-Welt »mit Stühlen, Türen, Gedanken und Tod«.

Der Stuhl steht mit dem Rücken zu einer Tür
Toll, diese einfachen Bilder, mit denen Du da arbeitest.

Schrei Bär schrieb:
als er merkt, dass er lebt, ist es auch schon vorbei, das Leben.
Ich hab es zwar nicht ganz so ausgelegt, aber fast. Ich glaube aber, wenn Du es noch deutlicher machst, wirds schnell überdeutlich, würde da vorsichtig sein.

Schade, dass der Text überladen wirkt
Auf mich hat er jedenfalls nicht so gewirkt. Aber er hat gewirkt. :)

Noch ein paar Kleinigkeiten:

»Er ist aus Holz, abgenutzt, verwittert, als wäre er tagein, tagaus schlechtem Wetter ausgesetzt, obwohl er nie anderswo steht. Der Stuhl steht mit dem Rücken zu einer Tür, die vom Boden bis zur Decke reicht. Auch sie ist aus Holz gemacht und längst reparaturbedürftig.«
– »gemacht« könntest Du Dir sparen, das retuschiert die Wiederholung von »aus Holz« auch nicht weg. ;) Um die zu vermeiden, fällt mir aber auch nichts Vernünftiges ein, bestenfalls durch Nennung einer Holzart, aber das klänge auch komisch.

»Daran ist kein Schloss, auch kein Riegel; lediglich ein Holzgriff, sie zu öffnen oder zu schließen.«
um sie zu öffnen oder zu schließen

»und ein Zeuge dieses Wunders des Lebens kann niemandem Bericht erstatten, denn es gibt keinen.«
– »ein Zeuge« hieße, daß es einen gibt. Vorschlag: und kein Zeuge dieses Wunders des Lebens kann jemandem Bericht erstatten, denn es gibt keinen.

»Seine Hand zittert, als er versucht, von der Suppe zu essen. Dass er nichts ausrichtet, bemerkt er nicht.«
– mir gefiel die ursprüngliche Version wesentlich besser als diese abgehackte; da hat nur ein Beistrich und ein »er« gefehlt: Seine Hand zittert, als er versucht, von der Suppe zu essen, und er bemerkt nicht, dass er nichts ausrichtet.

»Weit offen ist der Mund des Alten, doch da ist nichts, das man hören könnte.«
– nach »nichts« kommt »was«: doch da ist nichts, was

© 2008 by Georg Niedermeier
Du hast was von einem Genie. :D

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi,

Ganz herzlichen dank für deine ausführliche Antwort! Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen konnte. Viele der Bilder aus du ganz richtig eingeordnet. Darauf bin ich auch ein bisschen stolz, denn es zeigt mir, dass ich meine Worte stimmig gewählt habe.

An den Splittern hab ich lang herumgerätselt, bin aber doch zu dem Schluß gekommen, daß es sich wohl um die Selbstfindung des Tropfens handelt.
Die Splitter waren eher als Reminiszenzen an Zerstörung beziehungsweise Verfall gedacht. Die Selbstfindung, oder besser gesagt die Selbsterkenntnis endet ja mit dem Aufprall am Boden und der Zersplitterung.

Schwierig war es, den Alten mit seiner Suppe damit zu verbinden, denn genaugenommen haben der Tropfen und der Mann ja nichts miteinander zu tun.
Gut, das erschließt sich nicht auf den ersten, auch nicht auf den zweiten Blick, aber dieser Tropfen und der Mann am durchaus etwas miteinander zu tun. Die Frage ist ja, woraus der Tropfen besteht. Im Grunde ist der Tropfen der Mann beziehungsweise der Mann der Tropfen, kommt darauf an, aus welcher Richtung man das Bild betrachtet. Der Mann könnte in einem anderen Bild den Tropfen Spenden, der das Leben erst ermöglicht. Viele der Bilder in einer Geschichte bilden einen Kreis. Da ist vieles in verschiedenen Bildern mehrfach gesagt.

Wer läuft hier weg und in die Sackgasse? Die Seele? Und dann kommt sie in eine Auslösch- und zugleich Gebärmaschine, um ein neues Leben zu bekommen? Die neuerliche Erwähnung eines sich lösenden Tropfens läßt mich das jedenfalls glauben.
das war ein schwieriger Akt, denn ich wollte den Leser in den Raum miteinsperren, was aber nicht sonderlich deutlich wird. Vielleicht ist es auch misslungen. Das Weglaufen bezieht sich auf mehrere Dinge. Zum einen auf das Weglaufen vor sich selbst, zum anderen die Flucht vor unausweichlichen Tatsachen des Lebens wie u. a. der Tod eine ist. Weglaufen vielleicht auch vor der Erkenntnis, dass das Leben in seiner Form das einzige ist, dass wir haben, das einzige, was wir jemals besessen haben werden, auch wenn es nur für eine kurze Zeit ist. Wir versuchen davor weg zu laufen und merken oft viel zu spät, dass allein das weglaufen schon der Fehler ist. Wo willst du hin, wo willst du dich verstecken, am Ende kriegen wir dich doch. So ist das gemeint.

Und da ist ja auch noch diese Tür, die so leicht aufgeht, und durch die der Alte hinein-?, meiner Meinung nach hinausgezogen wird, nachdem der Stuhl umkippt. Die Tür als Bild für den Tod bzw. das Verlassen des irdischen Daseins.
dieses hineingezogen habe ich ganz absichtlich geschrieben. Das Leben ist nicht vorbei, wenn man stirbt, sondern wenn man gestorben ist. Deshalb ist das hinter der Tür befindliche nicht von der Welt losgelöst, sondern Teil davon. Erst der Tod vollendet ein Leben wirklich. Ein Leben ohne Tod ist keins, finde ich.

Warum er nackt ist, kann ich nur raten: Um die Schutzlosigkeit (Kleidung = Schutz) darzustellen? Na, vielleicht doch eher: Er hat nichts als das nackte Leben.
stimmt, aber darin steckt noch etwas anderes, das im Ursprung, glaube ich, ein katholisches Bild ist: nackt kommen wir ins Leben, nackt (ohne unsere angehäuften Reichtümer, jedoch auch Erinnerungen und sonstiges) gehen wir wieder.

ein paar Stühle auf Deiner HP gefunden – ein Motiv, das Dich offensichtlich schon länger beschäftigt
das hast du ganz richtig erkannt. Stühle finde ich faszinierend. Sie sind ein simples aber absolut treffendes Symbol für Stabilität/Leben. Du kannst mit dem Stuhl machen was du willst und immer sagst du damit etwas über das Leben. wirf ihn um, zerstöre ihn, steckte ihn in Brand, wirft ihn ins Wasser, mache ihn aus unterschiedlichsten Materialien, lass ihn teuer oder billig sein, klein oder groß, stelle ihn in einen Raum, der nicht größer ist als er selbst, stell ihn in einen Saal mit 100 m Seitenlänge. Immer erhält man ein aussagekräftiges Bild.


Deine Interpretationen meiner Gemälde haben übrigens häufig zumindest Teile meiner Intentionen wiedergegeben. Als ich diese Bilder gemacht habe, hatte ich zwar kein sehr detailliertes Konzept im Kopf, aber Ahnungen spielten immer eine Rolle. normalerweise habe ich einfach angefangen und dann, nachdem schon einigermaßen klar geworden ist, wo mein Unterbewusstsein hin möchte, habe ich die Motive verfeinert. Das ist aber größtenteils von selbst aus mir herausgekommen und zeigt mir, dass ich mich gedanklich schon lange damit beschäftigt habe. Es ist aber schon so, dass ich mit den umgeworfenen Stühlen nicht immer nur Tod meinte. Das kann auch Befreiung, Unsicherheit, verschiedene Emotionen oder mehrere von alledem bedeuten. Wenn du Lust hast, können wir auch noch über PM/Email darüber diskutieren. Es freut mich allerdings ungemein, dass du dir auch meine Bilder angeschaut hast. Dass ich jetzt Geschichten scheine, ist gewissermaßen die Fortsetzung meiner Malerei, die ich aus körperlichen Gründen nicht mehr praktizieren kann.

als er merkt, dass er lebt, ist es auch schon vorbei, das Leben.
Ich hab es zwar nicht ganz so ausgelegt, aber fast. Ich glaube aber, wenn Du es noch deutlicher machst, wirds schnell überdeutlich, würde da vorsichtig sein.
irgendwie habe ich das Gefühl es ist jetzt schon zu deutlich. Darüber muss ich doch mal nachdenken.

»Daran ist kein Schloss, auch kein Riegel; lediglich ein Holzgriff, sie zu öffnen oder zu schließen.«
um sie zu öffnen oder zu schließen
ist es grammatikalisch falsch? Wenn nicht, möchte ich es gerne so lassen. Es wirkt für mich runter.

»und ein Zeuge dieses Wunders des Lebens kann niemandem Bericht erstatten, denn es gibt keinen.«
– »ein Zeuge« hieße, daß es einen gibt. Vorschlag: und kein Zeuge dieses Wunders des Lebens kann jemandem Bericht erstatten, denn es gibt keinen.
Ja, verstehe ich, aber das ist auch eines der Elemente, mit denen ich den Leser in die Geschichte ziehen wollte.

»Seine Hand zittert, als er versucht, von der Suppe zu essen. Dass er nichts ausrichtet, bemerkt er nicht.«
– mir gefiel die ursprüngliche Version wesentlich besser als diese abgehackte; da hat nur ein Beistrich und ein »er« gefehlt: Seine Hand zittert, als er versucht, von der Suppe zu essen, und er bemerkt nicht, dass er nichts ausrichtet.
stimmt, aber es sind mir dann zu viele er. Also eigentlich hätte ich die vorherige Variante auch lieber gehabt, aber das wirkte nicht so ganz.

Du hast was von einem Genie.
na, ich weiß nicht. Vieles fällt halt einfach irgendwie so aus mir heraus. Da möchte man das Genie allerhöchstes dem Unterbewusstsein unterstellen, und da ist es schon riskant, oder?!:D

deine anderen Anmerkungen werde ich umsetzen.
Herzlichen dank für deine intensive Auseinandersetzung mit dem Text. Das ehrt mich!

Georg

 
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hallo schrei_bär,

ich habe schon seit Ewigkeiten vor, diese Geschichte zu kommentieren. und habe nur darauf gewartet, dass sich endlich irgendeine Erkenntnis einstellt. Nun, der Fall ist nicht eingetreten: Ich habs über den Erzähler probiert (das war schon spannend;)), dann über Aufbau (1.Absatz - Der Weg von Außen nach Innen / Prozess, 2.Absatz – Innenansicht / Statik, 3.Absatz – Innenansicht / Entstehungsprozess usw., beim 5ten gab ich auf). Dann hab ichs einfach so auf mich wirken lassen, und später versucht die Bilder einzuordnen - nix!

Es ist da mit ganz starken Bildern gearbeitet worden, vor allem mit Zeitbildern - Wassertropfen, Entstehen und Vergehen von Form, Zerfall des Menschlichen, dann wieder Geburt desselben und nicht zuletzt spricht der Titel dafür. Das alles hat mich ein wenig erinnert an: "In der Natur vergeht nichts, alles verändert sich" (Wer hat das nochmal gesagt?:))
Aber (für mich) konnte auch diese Assoziation deinem Text keine Substanz verleihen. Zum Schluss meiner Bemühungen kommt mir der Text also so vor, als wäre er anspruchsvoll zu lesen, aber dass es da nix zu verstehen gäbe.

Immerhin kann ich die Wirkung nicht bestreiten: Schon im ersten Absatz gelingt dir in wenigen Sätzen der Aufbau einer morbiden Atmosphäre, die trotz Stereotypen (z.B. Schimmel) überzeugend und plastisch ist. Das zieht sich dann über den ganzen Text, mit Ausnahme von nur wenigen Stellen. Die wären:

„riecht irgendwie nach frischem Wasser, das im Sommer die Kehle hinab rinnt“ – die Frische des Wassers in der Kehle kann man nicht riechen.

„und als er gewahr wird, zu fliegen, ihm klar wird, dass er existiert, endet sein Dasein“ – leider hat mich das an den Wal in „Per Anhalter…“ erinnert.


"Die Splitter des Tropfens heben sich ganz plötzlich empor, zittern und breiten sich aus (?)zu einer flüssigen Kugel, welche die Struktur des Bodens wie eine Lupe vergrößert und Einblick gewährt in eine Welt jenseits der unseren mit Stühlen, Türen, Gedanken und Tod". -
Ein Tor zu einer andren Dimension, oder ist es einfach nur die Spiegelung?

"Der zahnlose Mund ist immer noch offen, die Augen tränen, aber er steht, der Mann, an der Tür, hinter der es schreit.

Die Tür öffnet sich ganz von selbst, mit Kraft, denn der sterbende Greis wird hinein gezerrt".

Ich dachte, er wäre schon drin? Wer zehrt wen hinein? Ist da noch jemand? Wer schreit? Interessanterweise fragt im weiteren Verlauf selbst der Erzähler: "Wer schreit? Wer tobt?" Und das, nachdem er es wie selbstverständlich erwähnt hat.

Fasziniert hat mich der Satz: "Ein Tropfen löst sich aus der Mitte". Die "Freiheit" verringert dann leider seine Wirkung.

Ich hoffe, wenn ich auch so klug wie vorher, dich trotzdem ein wenig mehr über deinen eigenen Text erfahren zu lassen - Ich hasse Schlusssätze!:D

Gruß
Kasimir

 

Hallo Kasimir!

Danke für deine Rückmeldung. Mir geht ist damit ein bisschen so, wie es dir mit meiner Geschichte ergangen ist. Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll.

ich glaube man muss diese Geschichte ziemlich deutlich im Kontext mit der Rubrik sehen, in der sie steht. Meine Absicht war es, eine seltsame Geschichte zu schreiben, und dazu gehört für mich eigentlich auch, dass jeder seine ganz eigene Interpretation finden muss. Die Geschichte habe ich wenn man so will im Kreis geschrieben, nicht als Kreislauf, wohlgemerkt. Es geht eigentlich um das Leben zu dem aber auch Geburt und Tod gehört, weil es sonst keines ist. Den ganzen Text lang wird eigentlich geboren, gelebt und gestorben - in mehr oder weniger beliebiger Reihenfolge und andauernd.

"In der Natur vergeht nichts, alles verändert sich" (Wer hat das nochmal gesagt?)
»se sööööörkl of laaaif« knödelte schon ein gewisser Sir (der mit den Brillen) und hat mich damit gekonnt zur Weißglut gebracht. In Verbindung mit dem dämlichen Disney-Schmachtfetzen »der König der Blöden« (oder so) ist das für mich zum Monument der esoterischen Verblödung geworden (die Löwen werden auch einmal sterben und zu Erde werden, auf der wiederum Gras wachsen wird, dass Nahrung für die Gnus ist, und so ist also alles ein Kreislauf, denn auch die Gnus essen die Löwen) mit dem ich den Text nicht gleichgesetzt sehen möchte. War ja auch nicht deine Absicht:-)

in meinen Augen erzählt der Text eher davon, dass alles endlich ist. Zu verstehen gibt es da eigentlich nicht viel, höchstens, dass der Tod das Leben bedingt, wie beim Weizenkorn. Du meine Güte, da wird es gleich biblisch:-) so ist auch der Tropfen zu verstehen, am Ende der Geschichte.

„riecht irgendwie nach frischem Wasser, das im Sommer die Kehle hinab rinnt“ – die Frische des Wassers in der Kehle kann man nicht riechen.
Ja, ist ein bisschen ungeschickt. Mich schaut auch jeder verwundert an, wenn ich sage: »Erdbeerpudding schmeckt so wie Spülmittel riecht.« Es ist für mich aber doch die beste Erklärung.vielleicht muss ich das nochmal überdenken, aber kennst du das nicht auch, einen Geruch zu riechen der an ein Gefühl erinnert? für mich riecht ein muffiger Keller immer irgendwie nach einem erfrischenden Glas Wasser. Ich merkt schon, da muss ich nochmal ran.

und als er gewahr wird, zu fliegen, ihm klar wird, dass er existiert, endet sein Dasein“ – leider hat mich das an den Wal in „Per Anhalter…“ erinnert.
finde ich jetzt auch auffällig und ebenfalls bedauerlich. Vielleicht kann ich das anders ausdrücken. Mal überlegen.

"Die Splitter des Tropfens heben sich ganz plötzlich empor, zittern und breiten sich aus (?)zu einer flüssigen Kugel, welche die Struktur des Bodens wie eine Lupe vergrößert und Einblick gewährt in eine Welt jenseits der unseren mit Stühlen, Türen, Gedanken und Tod". -
Ein Tor zu einer andren Dimension, oder ist es einfach nur die Spiegelung?
ein paar Wassertröpfchen können ja nicht plötzlich eine große Kugel formen, deshalb habe ich sie sich ausbreiten lassen. Schon gut, ich denke wenigstens drüber nach.:-)
andere Dimension trifft es ganz gut. Zuerst mal wirkt diese Kugel wie eine Lupe und gibt einen Blick auf Details frei, die vorerst nicht sichtbar waren. Das bezieht sich darauf, dass jeder seinen eigenen kleinen Horizont hat, der seine Wirklichkeit umfasst.

Ich dachte, er wäre schon drin? Wer zehrt wen hinein? Ist da noch jemand? Wer schreit? Interessanterweise fragt im weiteren Verlauf selbst der Erzähler: "Wer schreit? Wer tobt?" Und das, nachdem er es wie selbstverständlich erwähnt hat.
drin oder nicht drin, das ist hier die Frage. Eigentlich ist er drin, aber eigentlich ist er auch draußen. Wer zerrt? Das Drinnen nach draußen oder auch umgekehrt, aber wen es zerrt, ist Ansichtssache. Das kann sowohl der Erzähler, als auch der Leser oder der Alte sein. Ich weiß, dass ist alles ganz schönes Metaphysik gesülze, aber die Stelle ist einfach so gemeint. Das Leben tobt, die Geburt schmerzt, der Geborene schreit, die Gebärende schreit, der Tod zerrt. Tut mir leid, deutlicher kann ich nicht werden, weil es nicht deutlicher ist, auch nicht in meinem Kopf.

Fasziniert hat mich der Satz: "Ein Tropfen löst sich aus der Mitte". Die "Freiheit" verringert dann leider seine Wirkung.
Die Freiheit ist gestrichen.:DHausarrest.

Ich hoffe, wenn ich auch so klug wie vorher, dich trotzdem ein wenig mehr über deinen eigenen Text erfahren zu lassen - Ich hasse Schlusssätze!
doch, deine Fragen und Anmerkungen haben mich schon nochmal ein bisschen näher an meinem Text gebracht. Hab ganz lieben dank dafür, deine Kritik war wirklich eine Bereicherung.

Liebe Grüße,
Georg

 

hallo Gero!

Freut mich sehr, auch vor dir eine Rückmeldung lesen zu dürfen. Damit hatte ich nicht gerechnet, war ich doch davon ausgegangen, dass du das Thema irgendwie über hattest. deine Anmerkung sind mir immer wertvoll!

Ich habe den Text jetzt nochmal durchgelesen und sehe selbst immer mehr Stellen, an denen ich kürzen könnte. Einige deiner Anmerkungen werde ich umsetzen.

Der Satz mit dem Zeugen dieses Wunder des Lebens (sehr starker Stileffekt, womit der Tropfen etwas aufgeblasen wird an Bedeutsamkeit) gibt es denn nun einen oder keinen, ist widersprüchlich und insofern verwirrend. Wozu einen Zeugen erst erwähnen, wenn im nächsten Satz seine Existenz wieder aufgehoben wird?
mit dem Satz wollte ich eigentlich den Leser in den Text hinein ziehen, nicht in dem Sinne, dass er ganz gefesselt weiterlesen muss (was mir natürlich auch ein Anliegen war), sondern ich wollte den Leser zu einem Bestandteil der Geschichte machen, ohne diesen selbst anzusprechen. Ich weiß nicht was ich mit dem Satz machen soll, denn eigentlich gefällt er mir, aber er hat offensichtlich nicht die von mir angestrebte Wirkung. Entsprechend könnte ich in wirkliche Weglassen. Man soll sich als Autor ja auch nicht mit Gewalt an lieb gewonnene Sätze klammern. Die Erwähnung des »Wunders des Lebens« ist aber für die Geschichte notwendig, weil ich damit ausdrücken wollte, dass das Leben klein ist, eigentlich unbedeutend, aber es ist da, es existiert, hat also zumindest für es selbst eine Bedeutung. eben wie dieses Tröpfchen. Keine Ahnung wie ich das löse. Mal sehen.

Im Folgenden folgen wir ständig dem Erzähler, der Beschreibung zumeist mit Bedeutung anreichert, dem wir uns nicht entziehen können, was uns festzurrt am Text und der Phantasie wenig Raum lässt.
ehrlich gesagt wollte ich nicht unbedingt, dass der Leser in eigene fantastische Überlegungen geht. Ich wollte ihn an einer kurzen Leine halten, weil ich ihm meine Gedanken erzählen, ihm meine Bilder zeigen wollte. Ich wollte ein karges aber klares Bild aufbauen, mit rauer Stimme erzählt.

Als Leser kann man kaum irgendwo verweilen,
das war reine Absicht, obwohl ich das nicht mit den nachfolgenden Erklärungen erreichen wollte, sondern mit der etwas atemlosen Aneinanderreihung von Situationen. Ich erkläre zu viel, im Text meine ich, oder?
aber das Leben ist atemlos, ohne Pause, es reißt einen immer weiter und weiter. Man schlägt die Anleitung auf, und schon fliegen die Seiten nur so weiter, man schafft es gar nicht, gründlich zu lesen, immer weiter geht es. Und dann haben wir irgendwann begriffen, wie es funktioniert und wir könnten die tollsten Sachen damit machen, aber nein, schon endet das Leben beziehungsweise die Übertragung die wir auf Video aufnehmen wollen. Am Schluss wissen wir, wie man den Recorder bedient, aber mit dem einschieben der Kassette ist alles vorbei.
Verdammt, diese Geschichte lässt mich ständig abschweifen. Offenbar ist das Thema für mich noch nicht abgeschlossen, ich könnte stundenlang mit Metaphern und vergleichen immer und immer wieder dasselbe sagen. Tut mir leid.

Neben den Begriffen Freiheit, Tod, Leben ist mir hier zuviel alles und nichts im Text. Wenn alles irgendwie ist, ist nichts bestimmt, löst sich alles im Nichts auf. Freiheit, wo sollte die beim fallenden Tropfen herkommen, wenn nicht allein aus der Einbildung aus dem Fallen eine kleine Ewigkeit herauszuschinden.
Ja, die Freiheit, die habe ich irgendwie in die Geschichte geschmuggelt, an meinem Wollen vorbei, wie es scheint. Nervt mich selbst inzwischen und sie wird raus fliegen. Dass alles und nichts wird geändert, ich weiß nur noch nicht wie.

Wäre es nicht besser, auf großen Begriffe zu verzichten und die Beschreibung noch skuriler und präziser auszuführen.
dem würde ich zustimmen. Ob das für diese Geschichte noch sinnvoll ist, kann ich nicht genau sagen, aber skurriler und präziser ist sicher nicht schlecht. Mehr kleinere Bilder könnten das Ganze wirklich besser auf den Punkt bringen. Und ja, vielleicht kommt da noch was aus mir heraus. Abgeschossen ist der Themenkomplex jedenfalls noch nicht.

Also mehr in Richtung der Aussage, dass das einzig Beständige die Veränderung ist.
das wollte ich aber eigentlich nicht erzählen. Ich merke schon, Präzision ist gefragt, ermöglichte erst, zu sagen, was man sagen will. Meine Intention geht eher in diese Richtung:
das Leben ist keins, ohne den Tod.
Was mich allerdings sehr freut ist, dass durch die Geschichte anregend fandest und dir der Text nicht als Gejammere auf den Wecker gegangen ist. Sollte auch kein Gejammere sein und ich erlaube mir aus deinen Anmerkungen zu schließen, dass es auch keines ist.

Herzliche Grüße,
Georg

 

Hallo Georg,

beim Lesen dieses kurzen Textes habe ich Deinen Mut bewundert, einen Text zu posten, der weit von den Konventionen hier entfernt ist. Einige Bilder fand ich schön und visuell-künstlerisch. Da färbt vielleicht die Arbeit an Deinen Bildern ab.

Meiner Meinung nach sind die Bilder stark genug, sodass man sie nicht durch eine etwas künstliche Wortwahl noch seltsamer erscheinen lassen muss.

Einige Beispiele:

Daran ist kein Schloss, auch kein Riegel; lediglich ein Holzgriff, sie zu öffnen oder zu schließen.
Klingt ohne "um" geziert.

Es ist der Geruch von Erfrischung, Hauch der Vergänglichkeit.
Zu gewollt lyrisch.


Die eigentliche Gemeinheit hast Du schön ausgedrückt:

Er pulsiert auf seinem Weg, tanzt, als sei er lebendig und als er gewahr wird, zu fliegen, ihm klar wird, dass er existiert, endet sein Dasein.

Herzliche Grüße vom

Berg

 

Hallo Are-Efen,

Fast hätte ich vergessen, auf deinen Kommentar zu antworten. Tut mir leid. Ich hole es jetzt nach.

Dennoch möchte ich das kleine Fünkchen Erkenntnis versuchen nahezubringen: Der Tropfen ist in dieser Geschichte im Vergleich zu dem Menschen wahnsinnig frei und gehorcht unter allen Umständen und ganz natürlich den physikalischen Gesetzen des Lebens, die das Werden und Vergehen widerspiegeln.
Eigentlich ist er sehr frei, das stimmt schon, aber wie frei kann er schon sein in einem Raum, der an sich Unfreiheit bedeutet?
der Tropfen ist im Grunde nicht freier oder unfreier, als der alte Mann - umgekehrt genauso. Beide bewegen sich mehr oder wieder geradeaus auf ihr Ende zu. Da gibt es natürlich Möglichkeiten, sich zu entfalten, verschiedene Dinge auszuprobieren und so weiter aber trotzdem endet es irgendwann und darüber kann keiner hinaus.

Der alte Mann unterliegt neben den physikalischen Gesetzen hier vor allem psychischen Einschränkungen.
das würde ich lieber umgekehrt sehen.

Jemand hat diesen Raum zu diesem Zweck bauen lassen oder visualisiert
das kann man so sehen, aber eigentlich gibt es keinen Außenstehenden, die Szenen stehen für sich als Zeichen für das Dasein und sein Ende. Das Leben ist im Grunde der Raum. Keiner hat ihn gebaut oder gemacht, er ist einfach da.

und dagegen scheint der Mann nicht angehen zu können oder zu wollen.
er kann es einfach nicht. Der Mensch hat keine Macht darüber, egal ob er will oder nicht.

Er ist im Prinzip geistig fähig dazu und muss sich vielleicht ähnlich wie der Wassertropfen seinen Weg bahnen, doch entsprechend seinem höheren Potential.
ich denke, der Weg bahnt sich ganz von selbst, er ist genau genommen vorgezeichnet. Das Ziel: der Tod. Wir haben lediglich Einfluss darauf, was wir auf dem Weg dorthin tun und das auch nur dann sinnvoll, wenn es uns bewusst ist.


Hallo Berg!

herzlichen dank für deinen Kommentar. Danke für die Bewunderung meines Mutes, den ich aber genau genommen nicht aufbringen musste. Ich habe den Text halt einfach gepostet. Gut, kann sein, dass man darüber geteilter Meinung sein könnte, ob es sich bei dem Stückchen Text wirklich um eine Geschichte handelt.
es freut mich sehr, dass dir die Bilder gefallen haben und ja, ich denke auch, dass das meiner Malerei geschuldet ist, denn die Schreiberei ist doch im Grunde mein Ersatz für das Malen.

Daran ist kein Schloss, auch kein Riegel; lediglich ein Holzgriff, sie zu öffnen oder zu schließen.
Klingt ohne "um" geziert.
Ohne klingt es mir zu langweilig.


Es ist der Geruch von Erfrischung, Hauch der Vergänglichkeit.
Zu gewollt lyrisch.
mit dem Satz bin ich auch noch nicht ganz glücklich. Ich habe ihn auf den Vorschlag von Gero hin verändert, aber richtig toll finde ich den Satz noch nicht.


Herzlichen Dank!
Georg

 

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