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Die Einsicht

Seniors
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18.04.2002
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Die Einsicht

Heute war ich zum ersten Mal seit acht Jahren nicht im Tennistraining.

Eigentlich ist dies nichts Besonderes. Aus beruflichen Gründen, wegen

einer Einladung oder einer kurzen Krankheit kann es leicht passieren, dass man

nicht zum Training geht. Doch ich bin nicht krank, auch sonst nicht verhindert am

Spiel teilzunehmen. Heute wollte ich nicht Tennis spielen. Überraschenderweise

habe ich den Sport, die Bewegung, die Menschen überhaupt nicht vermisst!

Warum auch sollte man als erwachsener Mensch seine befristete Lebenszeit

damit verbringen, einen Ball über ein Netz zu schlagen? Warum mit

irgendwelchen Leuten über Spielstände, Mannschaftsleistungen und

Wettkampftermine diskutieren?

Solange man sich zu diesen Dingen zugehörig fühlt, mitmacht, sie als wichtig

erachtet, solange macht alles Sinn. Stellt man sich aber gewissermaßen nur

einen Schritt neben die Dinge, dann sind sie vollkommen bedeutungslos!

Saitenspannungen, neues Schuhwerk, Ranglisten - alles spielt keine Rolle mehr!

Für was hat man geschwitzt, ist gerannt, hat die Schlägerhaltung mühsam

korrigiert?


Ich empfinde eine tiefe Beunruhigung. Es ist klar: Nicht nur auf den Tennissport

trifft die Subjektivität des Sinngehaltes zu.

Alles aufgeben.

Alles erhalten.

Alles aufgeben.

Alles behalten.

Alles bedeutungslos.

Grenzen?

Loslassen?

Zweifeln?



Es klingelt an der Tür. Das Nachbarskind fragt, ob ich ihm Tennis beibringen

könne.

Ich werde es gerne tun.

19.3. 02

 

:teach: Im ersten Abschnitt könntest du noch ein wenig die Zeilen formatieren. :teach:

 

Hallo Woltochinon,
nur das, was man für wichtig hält, macht Sinn. Irgendwie ist das für mich selbstverständlich. Doch als ich die Kritiken gelesen habe, dachte ich, dass es vielleicht daran liegt, dass ich schon sehr viel darüber nachgedacht habe. Oder wenn man gar nicht darüber nachdenkt, ist es auch klar. Das erinnert mich an einen Zen-Spruch, in dem es so ungefähr heißt: Irgendwann sind Bäume dann wieder Bäume und Berge einfach nur Berge.
Auch dass dein Prot dem Mädchen Tennis beibringen möchte, kann entweder daran liegen, dass er einen Sinn darin sieht, ihr eine Freude zu machen, das ist etwas anderes als selber Tennis zu spielen. Oder er hat inzwischen diese Sinnfrage genügend verdaut. Auch darüber kann man sich endlos Gedanken machen - oder gar keine.
Der Text wirkt eher wie eine philosophische Abhandlung mit einem Ereignis als Aufhänger, für mich zu spartanisch, ein bisschen zu wenig Geschichte drumrum. Schön finde ich, dass deine KGs so kurz sind!
lG tamara

 

Hallo tamara,

die Geschichte ist so „spartanisch“, weil sie in Beziehung zur Haiku und Zen Tradition steht. Ihre Schlichtheit soll unterstreichen, dass Tiefe Erkenntnis im Einfachen (wie hier im Alltäglichen) verborgen ist. Hierzu passt Dein Zen-Zitat sehr gut, es ist toll, dass Du diese Assoziation hattest.
Weil´s so schön ist, hier der ganze Text,
die Zen Parabel lautet:

Denen, die von Zen nichts wissen, heißt es, sind Berge eben nur Berge, Bäume nur eben Bäume und Menschen nur eben Menschen. Nachdem man Zen halbwegs verstanden hat, wird die Nichtigkeit aller Formen wahrgenommen, und Berge sind nicht länger Berge, Bäume nicht länger Bäume und Menschen nicht länger Menschen. Indessen - dem, der ein volles Verständnis für Zen gewonnen, sind Berge wiederum nichts als Berge, Bäume wiederum nichts als Bäume und Menschen wiederum nichts als Menschen.

Zitat:
Auch dass dein Prot dem Mädchen Tennis beibringen möchte, kann entweder daran liegen, dass er einen Sinn darin sieht, ihr eine Freude zu machen, das ist etwas anderes als selber Tennis zu spielen. Oder er hat inzwischen diese Sinnfrage genügend verdaut.

Diese Überlegung ist - durch ihre beiden Eckpunkte - sehr weit gespannt und richtig. Genau genommen gibt es aber keine analytische Lösung, nur ein Erfühlen (wie bei einem Koan, der sich auch der Vernunft verschließt).


Vielen Dank für Deinen Kommentar,

tschüß... Woltochinon

 

Hmmmmmmm.

"Flexibilität ist eines der Merkmale eines gesunden Geistes."

E. Khalisi: Posthume Veröffentlichungen (noch zu schreiben *grins*)

 

@Blackwood:

Hehe, und jetzt darfst Du mir den Vorwurf machen, ich würde zu viel drum herum denken?
Genau das tue ich auch! Du denkst viel zu kompliziert und lieferst überflüssige Erklärungen. (Falls es dich tröstet: Ich verfalle zuweilen auch in diesen Fehler.) Deine Bemerkungen im "Partnerschaftsthread" haben mir ein bißchen mehr gefallen als diese hier, aber dort hast du zugegeben, sie irgendwo abgeschrieben zu haben.

In diesem Werk geht es weniger um Sport bzw. Interessen, sondern um etwas viel Allgemeineres....

Schöne Grüße,
Emil

 

Okay, ich nehme den "Vorwurf" (war es wirklich einer?) der Oberflächlichkeit zurück: Ich traue dir durchaus zu, das Interesse weitläufiger erfaßt zu haben. Mein Posting entstammt ebenfalls einem Schnellschuß heute früh.

Es führt etwas abseits, wenn ich auch noch auf deine Philosophie Wahrheit vs. Interesse eingehe, aber dies erscheint mir ein Gemisch aus Äpfel und Birnen. Wahrheiten leben vom Anspruch objektiv zu sein (ob sie es tatsächlich sind, ist eben diskutabel und gehört nicht hierher), Interessen sind eindeutig subjektiv. Dies wirst du aber sicher dann auch erkannt haben, oder?

 

Hallo ababwa,

wie meinst Du das mit der Flexibilität?
Auf was beziehst Du Deine Aussage?

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon!

Danke für die Nachfrage. Gemeint ist naürlich die mentale Flexibilität, und der Spruch ist eher locker zu nehmen.

Vor ein paar Jahren bin ich in eine Sinnkrise verfallen, wie sie des Öfteren auf der Welt vorkommt: Ich fing an, die Richtigkeit meiner Berufswahl anzuzweifeln - die Wissenschaft hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Ich suchte neue Betätigungsfelder. Es waren dann ausgerechnet Kinder, die mich wieder "zurückgeholt" haben. Bei einem Vortrag waren die Kleinen so begeistert von meinen Ausführungen, sie haben mitgemacht, und es kam ein überwältigendes Echo zurück. Und da wurde mir bewußt, wie sehr mir die bisherige Arbeit liegt: Ich bin nun mal ein engstirniger, mäusemelkender Wissenschaftler und nichts anderes!

Andererseits... vielleicht doch nicht ganz? - Beispiel: Mit epischer Literatur hatte ich stets wenig am Hut; in der Schule den zu lesenenden Müll aufs Grauenhafteste gehaßt. Was, zum Teufel, habe ich in diesem Internet-Forum verloren? Habe ich etwa nichts Besseres zu tun? - In deinem Profil steht >Vielseitigkeit pflegen<. Wow, klasse!

Lieber Woltochinon, ich beglückwünsche dich zu solch einer hervorragenden Geschichte wie dieser hier! In ihr stecken so viele "Schlüssel", daß es sich tatsächlich lohnt, einen Schritt zur Seite zu machen, um die Welt mit anderen Augen zu sehen. Was soll ich also mehr zur "Flexibilität" sagen? Es geht hier nicht allein um das Hinterfragen der Interessen - das haben Blackwood und ich und die Kommentatoren vor uns schon angesprochen. Es geht um mehr, sehr viel mehr. Es geht um eine grundsätzliche Einstellung...

Schöne Grüße,
ababwa oder lieber: Emil!

 

Hallo Blackwood,

so ganz verstehe ich die Gesamtschau Deiner Kritik nicht (einzelne Punkte schon). Eigentlich wollte ich nicht auf Deinen Dialog mit ababwa zurückgreifen, doch da Du da auf manches eingehst, was mir auch erklärungsbedürftig erschien, will ich diese Beiträge mit einbeziehen.

„Weiten wir nun das Hobby aus auf alles, was man in seinem Leben so tun kann, ist der philosophische Gehalt klar: Dinge, die man gerne tut, muss man nicht auf Teufel komm raus hinterfragen.“

Das Ausweiten auf „alles“ ist wichtig, doch Dein Schluss greift zu kurz: Es geht nicht um Dinge, die man gerne tut, nicht darum, dass man sie immer wieder hinterfragt, sondern um die plötzliche, übergreifende Erkenntnis ‚alles ist eitel’. Wie reagiert man darauf? Jemand schrieb (sinngemäß) „meinst Du, dass alles (im Leben) egal ist?“ Nein, meine ich nicht, deshalb der so wichtige Schluss, auch wenn er logisch nicht begründbar ist.


„Dinge, die man gerne tut, muss man nicht auf Teufel komm raus hinterfragen.“

- Muss man nicht, stimmt. Aber wenn man von der „Einsicht“ überfallen wird?

„Die Grundlosigkeit untermauert Deine Aussage wohl, aber ist dies nicht eine eher unrealistische Grundbedingung?“

Es ist immer eine schwierige Frage, wie ungewöhnlich eine Annahme in einer ‚normalen’
Geschichte sein darf. Eigentlich reicht es mir, wenn meine „Aussage untermauert“ wird. Es wäre vermessen, festzulegen, dass meine Grundbedingung über jede Kritik erhaben ist. Ich kann nur erläutern, warum ich die Umstände so gewählt habe, wie sie sind: Für mich ist die beschriebene Art der Einsicht ohne ein zwingendes Ereignis nicht unrealistisch. Ebenso, dies ist viel wichtiger, auch nicht für Haiku-Dichter, denen das Alltägliche plötzlich als etwas Besonderes gewahr wird (also ist mein Standpunkt nicht ein rein persönlicher). Dies passt zu der Aussage, dass es eigentlich keines herausragenden Grundes bedarf, um sich der Nichtigkeit des Strebens bewusst zu werden. Besondere Ereignisse sind weniger wichtig als besondere Sensibilitäten.

„Wir hinterfragen alles so gerne, weil unser Gehirn nun mal so beschaffen ist.“

Nur mal zur Absicherung: Mein Prot. hinterfragt nicht, weil er beschlossen hat diese spezielle Tätigkeit zu analysieren. Zu dieser ‚Beschaffenheit’ des Gehirns zählt auch, ohne besonderen Anlass Einsichten zu haben.

„Das Tennisspielen sehe ich hier allerdings kaum als Platzhalter für eine Wahrheit, sondern als ein Interesse.“

Es ist auch kein Platzhalter für Wahrheit, sondern eine von denen Situationen die „man in seinem Leben so tun kann“ und die zu der beschriebenen Einsicht führen können.


Du sagst „dass es weniger um Sport geht“, verharrst aber im Folgenden („Ich weiß: Sport ist gut für mich ...“) auf der Ebene des Tennisspiels. Kannst Du das bitte erläutern?

„Darf man denn sein Interesse nicht mal von mehreren Seiten beleuchten – man muss dafür ja nicht sein Subjekt verlassen.“

Für das, was Du beleuchtest, muss man nicht „sein Subjekt verlassen“. Doch für die Einsicht schon, sonst wäre es eine andere Geschichte.

„Wahrheiten zu hinterfragen macht nicht immer Sinn, Interessen zu hinterfragen sehr wohl.“

Mein Prot. hinterfragt keine Wahrheit, er erkennt eine.

„aber wo Zen vom ‚Ding an sich’ (bzw. den Dingen hinter den Dingen) spricht, spricht Deine Geschichte eben doch nur vom ‚Interesse am Ding’, was meinen zweiten Kritikpunkt untermauert.“

Sie spricht nur vom „Interesse am Ding“, wenn es um das Tennisspielen als Beispiel einer Tätigkeit geht. Die Einsicht spricht von den Dingen, ‚so, wie sie sind’.

„Zur Verdeutlichung:
Hätte Woltochinon z.B. von einem Mann geschrieben, der jeden Tag am Seeufer sitzt und aufs Meer hinaus schaut, weil es ihn glücklich macht, weil er sich dem Wesen des Meeres verbunden fühlt, dann wären die Kritikpunkte der Akausalität und des Interesses nichtig und die Parallele zum Zen-Spruch offensichtlich.“

Ich sehe da keinen Unterschied, ob sich jemand mit Tennisspielen oder auf das Meer schauen beschäftigt. Da beide Tätigkeiten Teil sind von dem, „was man in seinem Leben so tun kann“, könnte man in beiden Situationen die Einsicht haben - oder auch so weiter leben wie zuvor. Hinter beiden Beschäftigungen steht ein zweckgebundenes Interesse.


„Kann oder darf eine Wahrheit aus einem Interesse heraus definiert werden, ohne dass das Wesen der Wahrheit darunter leidet?“

“beruht eben aus dieser Tatsache, dass das eine objektiv sein sollte, das andere objektiv sein möchte und sollte, aber das Subjekt nie verlassen kann.“

So interessant dies ist, so gerne ich das auch hätte, wenn meine Geschichte diese Fragen beinhalten würde - ich meine, sie wäre damit total überinterpretiert. Natürlich kann man fragen, ob die Wahrheit der Einsicht des Prot. keine wirkliche ist, weil er sie auf die beschriebene Art gewonnen hat. Aber dies ist dann eine Überlegung aufgrund des Textes, aber nicht mehr eine mit Hilfe der Geschichte behandelbare Frage (ich meine damit, dass der Text hierfür keine Lösungsansätze bietet).

„und jetzt darfst Du mir den Vorwurf machen, ich würde zu viel drum herum denken…“

Dieser Vorwurf wäre ja fies... Du weißt doch, wie sehr ich Denker schätze?
Ich bin ja froh, wenn es zu solchen Diskussionen kommt, ich bekomme dadurch wichtige Anregungen. Außerdem ist mir diese Geschichte sehr wichtig, weil ich sie für ganz grundlegend in ihrer Aussage halte, trotz ihrer Schlichtheit und Kürze. (Meine Frau sagt sogar, dass sie die Quintessenz aller Philosophie enthält).

Lieber Blackwood, hoffentlich habe ich nicht aus versehen alle Deine Überlegungen in eine ‚falsche Schublade’ gesteckt (manchmal steht man ja nicht als Subjekt philosophierend neben dem Objekt und sucht nach apriorischen Erkenntnissen, sondern ist einfach ‚neber de Kapp’).

Also schreib mir, ich werde es sorgfältig lesen, und - ‚ich werde es gerne tun’.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo ababwa,

nach so einer Zuschrift sollte man als Autor eigentlich im Forum aufhören, besser kann es nicht werden... Herzlichen Dank!
Ich glaube, Du weißt wirklich, um was es mir geht wenn Du schreibst: „Es geht um mehr, sehr viel mehr. Es geht um eine grundsätzliche Einstellung...“

„Was, zum Teufel, habe ich in diesem Internet-Forum verloren? Habe ich etwa nichts Besseres zu tun?“

...und dieses „Bessere“ kann man dann auch noch hinterfragen, wenn man nicht „eine grundsätzliche (neue) Einstellung“ gewonnen hat.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

ja, du hast vollkommen recht. Dieses ist Teil einer sich entwickelnden "Einsicht".

Als "Autor" trete ja schon lange nicht mehr auf, und es war auch nie meine Ambition, ein berühmter Schriftsteller zu werden. Gerne hätte ich aber die Fähigeren auf diesem Gebiet gefördert, denn ich stehe doch der Literatur keineswegs negativ gegenüber. Es ist bloß noch mein Sinn für Gerechtigkeit, der mich zwingt, keine voreiligen Entscheidungen zu treffen.

Schönes Wochenende und alles Gute auch an dich!
Emil

 

Hallo Blackwood,

aufgrund meiner Auszeit hat es ein wenig länger als gewohnt gedauert, bis ich mit meiner Antwort fertig geworden bin. Du sprichst recht spezielle Dinge an, ich werde einiges allgemein aussagen, auch einiges von dir zitieren (in „ “) und kommentieren.

Deine Argumentation beruht auf der Unterscheidung von intuitiv und diskursiv. Mein Prot. bekommt seine Einsicht intuitiv (deshalb auch nicht der Titel „Die Erkenntnis“), da sind wir uns einig. Übereinstimmung herrscht wohl auch darüber, dass man plötzlich eine Einsicht haben kann (wie oft das vorkommt, sei dahingestellt). Auch wenn das keine Geschichte über Zen ist, gibt es doch einige Analogien, eben weil Zen dieses `einsehen´ zu einem zentralen Aspekt macht. Nur ist Intuition nicht so einfach von dem diskursiven Denken zu trennen: Ein Mathematiker wird z.B. bei einer Beweisführung diskursiv vorgehen/denken, dann (hoffentlich) eine Intuition haben.
Hier rettest du dich allerdings durch eine Definition: „Auch das Schauen kann aus einem Interesse motiviert sein, und damit verliert sich der intuitive Charakter einer Erkenntnis!“
Aber hier gibt es ein Problem: Wie sehr muss das Schauen von dem Interesse getrennt sein, damit die Definition nicht zutrifft?

„Aber hier, aber dort, er versucht, Argumente für und wider die Intuition zu sammeln, sie zu ‚diskursivieren’.“
Das tut er nicht. Er stellt nur (nachdem er seine Einsicht hatte) fest, dass er nun im Sport keinen Sinn sieht. Es wird nicht überprüft, ob die Einsicht falsch oder richtig ist - er ist erstaunt, verunsichert. Allerdings folgert er diskursiv, zeitlich von der Intuition getrennt: Seine Einsicht trifft nicht nur auf den Tennissport zu.
“Eine intuitive Erkenntnis schließt eine diskursive Betrachtung aber offensichtlich aus.“
Dem stimme ich zwar nicht unbedingt zu, aber selbst wenn es so ist: Eine diskursive Weiterführung eines intuitiv gewonnen Gedankens ist nicht widersprüchlich.


“Meine erste Kritik war nun diese: Du schaffst durch die Grundbedingung der Akausalität dieses künstliche Paradox zwischen Intuition und Diskurs. Würde Dein Protagonist aufgrund eines Zwischenfalls sich der Frage ‚ist alles eitel’ von vornherein diskursiv nähern, würde das Paradox nicht entstehen.“

Du müsstest erst einmal beweisen, das Akausalität eine „unrealistische Grundbedingung“ ist. Streng genommen gibt es keine akausale Intuition (da komme ich noch einmal drauf zurück), mein Protagonist hat eine plötzliche Einsicht, ohne den Vorsatz gehabt zu haben, über den Sinn seiner Tätigkeiten zu reflektieren. Mehr kann man nicht sagen, da es keine weiteren Informationen gibt (fiktive Realität der Geschichte).
Tatsache ist, dass man ohne besonderen Anlass zu intuitiven Einsichten kommen kann, sei es bei Tätigkeiten (ich hatte schon den Haiku-Moment erwähnt) oder in der Kontemplation.
Dein Wunsch, der Prot. solle sich seiner Erkenntnis „`alles eitel’ von vornherein diskursiv nähern“ würde eine andere Geschichte ergeben, es geht hier nicht um die Aufarbeitung einer Krisensituation (du nanntest einen „Beinbruch“): Das Damoklesschwert der Sinnkrise schwebt immer über uns und kann auf uns herabfallen, ein wichtiger Aspekt der vertretenen Philosophie.

Ich denke hier liegt das Missverständnis: Du siehst ein Paradox, weil du davon ausgehst, das Sport (weil es eine Handlung ist) nicht zur Intuition taugt, aber die Geschichte sagt: Schon vor dem Sport treiben kam die Einsicht, sie wird auf den Sport bezogen, dann verallgemeinert. (Die Intuition kann aber nicht nachträglich aufgehoben werden, nur weil eine diskursiv gewonnene Erkenntnis folgt).


“Aber das Paradox soll eine Botschaft überbringen: Intuition ist besser als Diskurs. Und hier frage ich mich, ob Du durch die unrealistische Grundbedingung nicht eine fragwürdige Beweisführung hast. Unter dem Aspekt der Geschichte mag dies zwar stimmen, aber in der Allgemeinheit kaum.“

Eine Bewertung („besser als“) kann ich nicht finden.
„Unrealistische Grundbedingung“ - da muss man vorsichtig sein, vor allem, weil es keine „Beweisführung“ gibt. Der Text ist eine Erfahrungsgeschichte des Prot., kein logischer Disput.


„Hier nun, was ich mit dem Vorschlag meinte, statt ‚Sport’ ein ‚Schauen auf ein Ding’ (z.B. das Meer, bzw. im Zen-Beispiel Berge, Bäume, Menschen) zu verwenden. Denn ich sehe einen deutlichen Unterschied zwischen einem Handeln (Sport) und einem Schauen der Dinge“

In der Geschichte steht nicht, dass der Prot. beim Sport (also beim Handeln) zu seiner Beunruhigung kommt. Er wollte nicht Tennis spielen, als Folge der plötzlichen Einsicht der Bedeutungslosigkeit von Tätigkeit.
Ich weiß schon, was du mit dem Wechsel von Sport zu (z.B.) Meer erreichen willst, also nehmen wir einmal an, der Prot. hätte die Einsicht beim Schauen auf das Meer gehabt. War es intuitiv oder durch fortschreitendes Denken? Waren die Schlüsse durch Intuition unterstützt oder nur aufgrund von logischen Regeln vollzogen? Kommt die Intuition akausal oder weil ihn das Meer an seine Nichtigkeit erinnert? Ab wann ist etwas eine Hand-lung?

„Darf ich einem von Diskurs bislang unbescholtenem Wesen den Diskurs vorenthalten, obwohl beides zur Erkenntnis führen kann?“

Hier stellt sich meines Erachtens nach die Frage, ob ein Diskurs überhaupt fruchtbar wäre (abgesehen davon, ob ausgerechnet ein Kind der richtige Adressat ist). Was ich ja eigentlich zeigen will, ist das man aus der Sinnkrise, in der sich der Protagonist befindet, nur durch letztlich unbegründetes Handeln kommt: Philosophische Diskurse haben in zweitausendsechshundert Jahren keine Antwort geben können. Letztlich bleibt jeder Mensch allein mit seiner Entscheidung, wie er mit diesem Problem umgeht. Hier wird das Intuitive nicht als das Bessere dargestellt, sondern als das einzig Praktikable. Ich kann nicht warten, bis die Philosophie (oder wer weiß was) mir Antworten gibt. Hierzu passt auch:


“Ababwa hat Deine Intention intuitiv erkannt, nämlich aus dem kausalen Zusammenhang heraus, selber eine ähnliche Erfahrung gemacht zu haben. Von rein intuitiver Seite her gesehen hat die Geschichte also für ihn den Gehalt ‚wahr’.“

Genau darum geht es - da der Geschichte ein persönliches Erlebnis des Protagonisten zugrunde liegt, spricht sie seine persönlich erkannte Wahrheit aus. Die Allgemeingültigkeit dieser Wahrheit kann nicht bewiesen werden, es gibt nur eine Akzeptanz aufgrund übereinstimmender Erfahrung (was bei der beschriebenen Sinnkrise nicht allzu selten sein wird). Die „übergreifenden Wahrheit“ ist höchsten ein gesellschaftlicher Konsens.

Generell würde ich im Sinne pragmatischer Philosophie fragen: Welchen Nutzen bringt mir die Unterscheidung `diskursiv´ - `intuitiv´ im gegebenen Zusammenhang? Letztlich ist jede Intuition von vorausgegangenem nicht intuitiven Wissen abhängig. (Geschichten mit Epiphaniefokus leben von einer plötzlich eintretenden `Hellsichtigkeit´, machen sich also diesen Sachverhalt zunutze). Hier ergibt sich wieder das Problem, das ich oben schon angesprochen habe, streng genommen gibt es dann nur von diskursiver Erkenntnis abhängige Intuition. Umgekehrt, lässt man westliche Philosophie beiseite, verwischt die Grenze zwischen Handeln und Kontemplation (der man ja Intuitives zuordnen würde), somit ist nicht unterscheidbar, ob das „Schauen“ nun „aus einem Interesse heraus motiviert“ ist und damit der „intuitive Charakter einer Erkenntnis“ verloren ist.

Akzeptiert man die Definition der beiden tragenden Begriffe und geht nicht von einer Trennung des intuitiven Teils in dem Text vom schließenden aus, ergibt sich das von dir beschriebene Paradox, aber der Text zu geht von anderen Voraussetzungen aus.


Du willst alles auf eine analytische Ebene hieven, aber ob wir eine Intuition haben oder nicht, eine Sinnkrise haben oder nicht - das hat nichts mit Logik zu tun oder der Aufteilung in diskursive bzw. intuitive `Schubladen´ (so nützlich diese Begriffsbildung bei manchen philosophischen Problem auch gewesen ist).
Mein Vorschlag deshalb:

`Wie stehen die Dinge?´
`So, wie sie sind.´

... und dann ist der Baum wieder ein Baum und der Mensch wieder ein Mensch...

Oh - das ist jetzt aber viel länger geworden, als gedacht, du siehst, es war ein Vergnügen das alles auseinander zu pusseln.

Vielen Dank für deine Mühe.

L G,

tschüß... Woltochinon

 

hallo!

Ich komme spät daher, aber wollte sagen, dein Text ist einfach die Formulierung der Sinnfrage. der Meister dafür heißt natürlich Viktor Frankl.


Sinn gibt es nicht, außer man erfindet ihn.

 

Hallo tintenfüller,

ich schätze Viktor Frankl sehr (hatte sogar mal Briefkontakt mit ihm), aber er ist natürlich nicht allein der Meister der Sinnfrage. Mein text formuliert nicht nur die Sinnfrage, sondern gibt auch eine Antwort (wobei ich keine Allgemeingültigkeit in Anspruch nehme).

"Sinn gibt es nicht, außer man erfindet ihn."

Wenn es ihn nicht gibt, warum gibt es ein Gehirn, dass danach fragt? (Das ist natürlich kein Beweis für einen Sinn, aber zeigt, dass diese Thematik nicht so einfach ist).

Tschüß... Woltochinon

 

Hi Woltochinon!

Tja - ursprünglich wollte ich nur mal so in denn Empfehlungen stöbern. Jetzt muss ich doch mal einen Beitrag schreiben, denn die Einsicht ist die ultimative philosophische Geschichte. Ich finde letztlich läßt sich die Grundfrage des Sinns zu der von dir behandelten Thematik verdichten. Abgesehen von Ableitungen dieser Thematik läßt sich nicht mehr sagen. Das Vor- und Nachher des Daseins ist sowieso verschlossen. Vordergründig eine einfache Situation, aber mit viel Inhalt.

aquata

 

Hallo aquata,

es freut mich, wenn du den Text „ultimativ“ nennst, da mich grundlegende, allgemeinwirkende Fragestellungen eher beschäftigen, als Detailfragen (zumindest wenn es um meine Freizeitbeschäftigung geht). Letztlich ist die Sinnfrage wirklich das Wesentliche, auch unsere Ethik hängt davon ab und, wie schon Luther feststellte, ist die Frage des `Vorher´ und `Nachher´ im Bezug auf das Leben nicht philosophisch beantwortbar.
Danke für das Ausgraben!

L G,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

Deine Analogie verdeutlicht sehr schön eine Definition, die man für den für viele doch recht schwammigen Begriff "Sinn" geben kann. Ich könnte auch schreiben: Sinn ist ein systeminternes Konstrukt, das gedachten Elementen einer Umwelt eine Wertigkeit zuweist, die von extern nicht nachvollzogen werden kann.
Aber Deine Geschichte erklärt es viel anschaulicher.

Du hast Dich in letzter Zeit ein wenig in andere Gefilde verzogen, stimmt's?

Grüße,
Naut

 

Hallo Naut,
vielen Dank für Deine Anmerkung und die interessante Definition.
„Du hast Dich in letzter Zeit ein wenig in andere Gefilde verzogen, stimmt's?“
Ja, es stimmt. Ich habe in den letzten Monaten das Interesse an Philosophie etwas verloren: Das hängt auch mit der Einsicht zusammen - man kann trefflich über Vieles diskutieren, zu Problemlösungen kommt es in der Philosophie nicht, das zentrale Problem des Sinns ist nur in einem Schritt des bereits vorhandenen Vertrauens auf die eigene Handlung möglich. Wie Du sagst, dass als „Konstrukt“ „gedachten Elementen einer Umwelt eine Wertigkeit“ zugewiesen wird.
Natürlich gibt es noch interessante, von der zentralen Frage abgeleitete philosophische Bereiche, als gedankliche Spielerei werden die auch mal in eine Geschichte einfließen.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

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