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Die Entfernung

Monster-WG
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18.06.2015
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Die Entfernung

Aoife gräbt. Den Mund hat sie mit einem Seidenschal bedeckt, ihre Hände sind geschwollen und voller Blasen. Ich sage, sie müsse aufhören, es seien zu viele. Darum geht es nicht, antwortet sie, weist mit der Schaufel zum Himmel. Wir sind Menschen, das dürfen wir nicht preisgeben. Ich nicke und denke, sie hat den Verstand verloren.
Die Krähen haben sich auf Bäume verzogen, die Fliegen lassen sich durch unsere Anwesenheit nicht stören. Ich ziehe den Tiger Balm aus der Hosentasche, streiche die milchige Paste in meine Nasenlöcher und sehe mich um. Der Park wirkt gepflegt. Vor mir kriecht eine Hummel aus einer Blüte, an ihren Beinen kleben gelbe Pollen. Das Insekt wäre ein ansprechendes Sujet.
Viele meiner Fotos habe ich retuschiert. Ich mochte es, störende Objekte aus dem Bild zu entfernen, den sauberen Hintergrund, die Befriedigung, die sich einstellt, wenn die Komposition auf einmal harmonisch wirkt. Die Hummel fliegt los, ich folge ihr zum nächsten Beet. Aoife hält inne und fragt, was ich mache. Ich sage: Vielleicht sind wir bloß überzählige Pixel. Sie kneift die Augen zusammen, schüttelt den Kopf, fragt, wie ich es schaffe, unnütz herumzustehen und Blödsinn von mir zu geben. Ich weiche ihrem Blick aus. Wir müssten gut zueinander sein, doch es gelingt uns nicht. Unbeirrt setzt sie fort, was sie als ihre Pflicht erachtet, sticht mit der Schaufel in ein Blumenbeet.
Wenigstens die Kinder, sagt sie jedes Mal, wenn wir anhalten. Ich könnte erwidern: Wo immer wir hinkommen, sieht es gleich aus. Ich könnte ihr vorrechnen: Dreißig Prozent aller Menschen sind unter achtzehn, das macht zweieinhalb Milliarden. Ich könnte sie anschreien: Am Ende steckst du dich mit irgendwas an. Stattdessen verlasse ich den Park, hole die Axt aus dem Wagen, überquere die Straße und schlage das Schaufenster eines Ladens ein, der geschlossen hatte, als es geschah. Keine Kunden, keine Leichen. Aus einem der oberen Stockwerke dringt Gebell. Ich finde ein Treppenhaus, steige die Stufen hoch. Der Hund hört meine Schritte, er kläfft noch lauter als zuvor, kratzt an der Tür, vor der ich stehen bleibe. Sie ist verschlossen, also schlage ich mit kräftigen Hieben ein Loch in das Holz und mache mich aus dem Staub. Gestern wollte mir ein Terrier, den ich befreit hatte, an die Kehle springen.
Mit einer Dose in der Hand setze ich mich ins Auto. Seit wir unterwegs sind, trinke ich nur noch Cola. Der Wagen ist brandneu und geräumig. Vier mal vier. Den Kindersitz wollte Aoife gleich dazu kaufen. So ein Ding im Wagen zu haben, macht es nicht wahrscheinlicher, schwanger zu werden, erwiderte ich, worauf wir uns eine Nacht lang stritten. Das ist drei Wochen her, es fühlt sich an, als wären es drei Jahre. Bevor wir losfuhren, nahmen wir den Sitz von der Rückbank, er ruht jetzt auf dem Parkplatz vor dem Haus, in dem wir wohnten.
Ich warte darauf, dass Aoife die Kräfte verlassen. Wie schaffe ich es, im Wagen zu sitzen und nichts zu tun? Ich reibe mir Tiger Balm unter die Nase. Zu Beginn hat man nichts gerochen, jetzt wird es jeden Tag schlimmer. Die Cola ist warm und klebrig. Nie wieder werde ich im Sommer ein gekühltes Getränk zu mir nehmen. Ich staune über die Oberflächlichkeit meiner Gedanken.
Warum wir noch am Leben sind, wissen wir nicht. Im Zorn hat Gott mit den Fingern geschnippt, uns zwei nicht im Blick gehabt. Als ich die Kollisionen hörte, stand ich in der Küche und schnitt Tomaten, Aoife zupfte im Garten Blätter vom Basilikum. Wir rannten auf die Straße, in der Ferne sahen wir Rauch aufsteigen. Auf dem Gehsteig kauerten zwei Männer. Wir gingen zu ihnen hin, fragten, ob sie wüssten, was geschehen sei, doch sie rührten sich nicht. Als ich den einen anfasste, kippte er zur Seite, schlug mit dem Schädel auf den Asphalt. Fragend blickte ich zu Aoife, doch sie hob bloß den Arm und schrie. Ich drehte mich um und sah, wie kaum zwei Kilometer von uns entfernt ein Flugzeug vom Himmel fiel.
Die ersten, die wir begruben, waren Aoifes Eltern. Sie saßen vor dem Fernseher, der noch immer lief, als wir die Wohnungstür aufbrachen. Friedlich sahen sie aus, entspannte Gesichter. Wir wickelten sie in Leintücher und bestatteten sie im Garten. Danach fuhren wir zu meiner Schwester, fanden die Wohnung leer vor. Vielleicht war sie joggen gewesen, vielleicht hatte sie sich mit Freunden getroffen oder einem Liebhaber. Es ist zwecklos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Viele Server stiegen schon nach Stunden aus, einige waren länger erreichbar. Wir suchten nach neuen Einträgen, nach Hinweisen oder Warnungen, hinterließen Nachrichten, wo immer wir Zugang fanden. Wenn ein Text von niemandem gelesen wird, ist es dann noch ein Text? Am zweiten Tag fiel der Strom aus, bald darauf fuhren wir los. Im Kofferraum liegen Gaskocher und Solarpanels, Wolldecken, ein Gummischlauch, um Benzin aus Tanks zu saugen. Auf der Rückbank stapeln sich Medikamente und Verbandszeug für den Notfall. Manchmal müssen wir Umwege nehmen, weil ineinander verkeilte Wagen die Straße blockieren. Städte meiden wir, auch wenn dort die Chance am größten wäre, jemanden anzutreffen. Unser Ziel ist die Türkei und danach Afrika, Kenia vielleicht, wo es warm und die Entfernung zu Atomkraftwerken maximal ist. Die meisten werden sich abschalten, doch es wird auch zu Kernschmelzen kommen. Ob sich unsere Strategie auszahlen wird, kann ich nicht sagen, aber wir müssen es versuchen. Kenia – die zwei Silben haben einen tröstlichen Klang. Wir kämen deutlich schneller voran, gäbe Aoife etwas von ihrer Menschlichkeit preis.
Sie schiebt die Schaufel unter die Rückbank und setzt sich ans Steuer. Ich träufle Desinfektionsmittel über ihre zerschundenen Hände, was sie mit einem zischenden Laut quittiert. Es wäre eine Sache von fünf Minuten, sich Handschuhe zu besorgen, aber davon will sie nichts wissen. Lass mich fahren, sage ich und wir tauschen die Plätze. Als ich den Motor starte, erfasst sie ein Heulkrampf. Wenn sie nicht handeln kann, überwältigt sie der Schrecken. Sie zittert am ganzen Körper. Ich lege eine Hand auf ihr Knie, sie greift danach und drückt so fest zu, dass es schmerzt. Wir müssen weitermachen, sage ich. Sie blickt aus dem Seitenfenster, schluchzend fragt sie: Wozu?
Wir fahren einen langen Umweg, weil eine Brücke mit Autos verstellt ist und es kein Durchkommen gibt. Für eine Weile beschäftigt mich die Frage, wie wir über die Dardanellen oder den Bosporus gelangen sollen, falls wir es überhaupt bis dorthin schaffen. Ich behalte sie für mich.
Die Dämmerung setzt ein, draußen wird es kühl. Die letzte Nacht haben wir im Freien verbracht, weitab von jeder Siedlung. Dieses Mal finden wir ein leerstehendes Ferienhaus. Wir verschaffen uns Zutritt, duschen, beziehen das Doppelbett im oberen Schlafzimmer und legen uns auf die Matratze. Sie ist hart und bequem, die Leinen riechen nach Frühling und Blumen. Wir schlafen innerhalb von Sekunden ein. Ich träume von kläffenden Hunden und den Leichen im Park, bis der Hunger mich weckt. Mit der Taschenlampe in der Hand gehe ich hinunter in die Küche, wo wir unsere Vorräte gelagert haben. Ich öffne eine Dose Ananas, schiebe mir die Ringe in den Mund und trinke den Saft. Ich befürchte, dass ich den Leichengeruch niemals wieder aus meiner Nase bekomme, und halte inne. Bilde ich mir den Gestank wirklich nur ein? Leise öffne ich eine Tür, die in den Keller führt, sehe im Schein der Taschenlampe eine Gestalt unten an der Treppe liegen. Ich ziehe die Tür wieder zu, schließe ab und verstecke den Schlüssel unter einem Sofakissen. Was hat dieser Mensch im Keller gemacht? Hier oben gibt es keinen Hinweis auf seine Anwesenheit.
Als ich am nächsten Morgen erwache, wähne ich mich für einen Augenblick in meinem alten Leben. Draußen höre ich Vögel zwitschern, Blaumeisen und einen Zilpzalp. Aoife dreht sich zu mir, leise seufzend. Die Augen noch immer geschlossen, schiebt sie ihren Fuß zwischen meine Beine. Ich lasse es geschehen, es fühlt sich gut an. Die letzten Tage haben uns voneinander entfernt, auch wenn wir jede Minute gemeinsam verbracht haben. Es ist wichtig, dass wir wieder zueinander finden.
Sie fragt, wie es mir geht.
Gut.
Schön, sagt sie und legt die Hand auf meine Brust. Mir auch. Ihre Finger gleiten über meinen Bauch, kreisen um den Nabel. Sie küsst meinen Hals. Hast du Lust?
Ja, sage ich. Die Kondome liegen im Auto.
Kondome? Sie zieht die Hand zurück.
Ich habe welche eingesteckt. Vorgestern in der Apotheke.
Daran hast du gedacht?
Ja, habe ich.
Warum?
Warum wohl?
Wir müssen weitermachen. Deine Worte.
Und wie stellst du dir das vor?
Das kriegen wir hin. Wir müssen es riskieren. Wenn es noch andere gibt …
Und wenn nicht?
Dann ist es eben so.
Das können wir einem Kind nicht antun.
Was nicht antun? Ihm das Leben schenken? Dass wir überlebt haben, hat einen Sinn. Bestimmt gibt es noch andere. Ich spüre es. Ich weiß es. Es muss weitergehen.
Ich steige aus dem Bett und ziehe mich an. Lass uns abwarten, sage ich. Aoifes Irrationalität setzt mir zu, ich fühle mich weit weg von ihr.
Die Sonne scheint durch einen Schleier aus Wolken. Der Weg ist frei, nur ab und zu ein Wagen, der von der Straße abgekommen ist. Aoife fährt schnell, als wäre ihr auf einmal bewusst geworden, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Wir reden wenig. Ich vermeide es, über die Vergangenheit zu sprechen, da ich nicht weiß, wie sie reagiert. Über die Zukunft zu sprechen, erscheint mir noch weniger angebracht.
An einem Berghang sehen wir ein ziegelrotes Gebäude stehen, die Ventilatoren, die in die Außenwände eingelassen sind, weisen darauf hin, dass es sich um einen Schweinestall handelt. Aoife bremst ab, ich sehe sie an und sie nickt. Noch bevor wir aussteigen, hören wir das Geschrei der Tiere. Wir schlagen die Schlösser von den Türen, sperren sie auf, öffnen die Buchten. Wir ersparen es uns, genauer hinzuschauen, steigen sogleich wieder in den Wagen. Keine Ahnung, ob die Schweine eine Chance haben, aber wenn sie sterben müssen, dann wenigstens in Freiheit.
Dass wir überlebt haben, hat einen Sinn, sagt Aoife, als wir weiterfahren. Wir müssen es versuchen. Je schneller, desto besser.
Es wäre nicht vernünftig, antworte ich. Das ist bloß dein Überlebensinstinkt.
Bullshit! Sie tritt aufs Gas und für einen Moment befürchte ich, dass sie unseren Disput beendet, indem sie gegen einen Baum fährt. Projiziere ich meinen eigenen Wunsch?
Wir haben die Plätze getauscht und ich fahre. Wir erreichen ein größeres Dorf, das auf einem Hügel liegt. Aus dem Kühlschrank eines Kiosks holen wir Wasser und eine Cola. Ich steige wieder in den Wagen, doch Aoife bleibt vor einer Buchhandlung stehen, starrt durchs Schaufenster in den Laden. Ich vermute, dass sie die Leichen von Kindern sieht, doch als ich mich neben sie stelle, sind da nur Bücher. Stilvoll Wohnen. Kochen mit Ayurveda. Gärten gestalten. Etwas weiter hinten Klassiker der Weltliteratur, zwölf Bände, hundertfünfzig Euro. Aoife laufen die Tränen übers Gesicht. Ich greife nach ihrer Hand, doch sie stößt mich weg. Es hat keinen Sinn, sagt sie, ich will nach Hause. Sie setzt sich auf den Gehsteig wie ein trotziges Kind. Aoife!, sage ich, doch sie zeigt keine Reaktion. Ich beschließe, ihr etwas Zeit zu geben.
Ich gehe zwischen den Häusern hindurch, gelange zu einem Aussichtspunkt. Unter mir mäandert ein Fluss durch die grüne Landschaft. Wenn ich den Bildausschnitt richtig wähle, ist keine Spur von Zivilisation zu sehen, kein Haus, keine Straße. Es sieht friedlich und harmonisch aus. Eine Katze kommt vorbei, streicht mir um die Beine, reibt ihren Kopf an meinem Schuh. Nun kommen auch mir die Tränen, das erste Mal, seit es geschehen ist. Ich lasse die Colabüchse auf den Boden fallen und gehe zurück zum Auto. Aoife steht neben der Vordertür und lächelt schwach. Ich sage: Okay.

 

Lieber @Carlo Zwei

Oh, sehr schön, hast du noch reingeschaut, hab vielen Dank!

Nur ein Experiment oder die Anlage für einen neuen Roman (oder beides?).
Irgendwie weder noch. Ich hab den Text gewissermassen zur Entspannung geschrieben, gleichzeitig zum anstrengenden König David, in den ich viel Energie gesteckt habe. Also doch mal wieder eine echte Kurzgeschichte.
Das finde ich gut, aber ich denke, es könnte zuträglich sein, das mit ein zwei Absätzen praktisch, haptisch, sensorisch zu erläutern. Das bietet sich ja auch total an. Erde aufwühlen (sie riechen und fühlen); das Gewicht der Körper; der Dreck, der dann doch unter den Nägeln hängt; der Schweiß; Gerüche, die sich mischen, so etwas.
Bin ich bei dir, das wäre dann deutlich mastiger. Ich wollte den Text eher schlank halten, weniger das Grauen zeigen, vielmehr die Leere. Aber die Leere kommt auch nicht so gut rüber, da könnte ich ebenfalls noch nachlegen.
Da hätte ich gerne erfahren, wie er das aufgelöst/abgewehrt hat.
Habe ich mir auch überlegt, dachte dann aber, dass erstens Rückblende und zweitens zu viel Gewicht.
Konnte ich seltsam gut fühlen :D keine Ahnung wie, aber es hat in seiner Fiktion bei mir total gut funktioniert.
Ich finde, das funktioniert bis hier hin gut. Kann Jimmys Bedenken verstehen, was Anspruch/Leseflow etc. angeht. Stichwort: Willing suspension of disbelief. Wenn man da nicht alles ganz auf den Prüfstand stellt und bereit ist, einfach mal ein wenig 'durchzulesen', dann hält die Fiktion dem Unglauben (zumindest in meinem Fall) gut stand.
Danke dir! Ja, wenn ich das wider Erwarten doch noch mal ausbauen würde, wäre das sicher eine der hauptsächlichen Baustellen: Die Leser bei der Stange halten, keine Fragen aufkommen lassen und für diejenigen, die dennoch aufkommen, befriedigende Antworten bereitstellen.
So, jetzt muss ich den Zug nach Zürich erwischen. Drei Schulklassen haben den Igel gelesen und ich muss Rede und Antwort stehen. :)

Hat mich sehr gefreut, lieber Carlo!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hi @Peeperkorn ,

ich habe deinen Text schon vor einiger Zeit gelesen und erst jetzt Muße, kurz zu sagen, dass ich ihn sehr mag. Die Hilflosigkeit der Protagonisten angesichts der (namenlosen) Katastrophe und ihr völlig unlogisches Verhalten, dass sie einander vorwerfen, ist nicht nur sehr glaubwürdig, sondern hat für mich eine tja tragikomische Note. Dass erwachsene Menschen mit einer traumatischen Erfahrung unterschiedlich umgehen, dass sie einander die Unterschiedlichkeit nicht verzeihen und sich darüber verlieren, ist erst einmal ein ganz "normales" Traumaproblem, also, was Traumata halt so mit sich bringen, aber in der totalen Katastrophe, dem angenommenen Untergang der Menschheit, wirkt es absurder. Die Welt geht unter, was ist zu tun? Schweine retten? Kinder begraben?
Für mich ist der Erzähler einen Ticken (aber nur ganz wenig) verrückter als Aiofe (hoffe, ich habe den Namen richtig geschrieben). Sie will immerhin Menschlichkeit und mittelfristig Menschheit. Der Erzähler fragt nicht: wie weit vom nächsten AKW ist weit genug (Man könnte Süditalien erwägen), sondern: was ist am weitesten, und schließt andere Überlebensfragen aus. Durch die schwache Argumentation des Protagonisten hindurch gewinnt die Leserin den Eindruck: Der Mann will einfach nur weg. Da habe ich dann wieder Verständnis!
Ob es eine Kurzgeschichte ist, ich bin mir nicht sicher - vielleicht verstehe ich auch das Ende nicht recht - wozu sagt er: Okay - zu einem Kind? Will er nur weiterfahren? Oder doch bestatten?
Sprachlich ist nach dem Verschwinden der Etikette für mich nichts beizutragen, außer, ja: auch mir ist Allrad geläufiger, achja, und: Dass der Kindersitz auf dem Parkplatz ruht, ist hübsch und wäre für mich noch hübscher, wenn es einen eigenen Satz hätte und "vor dem Haus, in dem wir wohnten" nicht dranhinge, da bin ich doch etwas herumgestolpert.

Herzlichen Gruß
Placidus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Placidus

Danke dir sehr für den schönen Kommentar. Mich hat sehr gefreut, wie du den Text gelesen hast, vor allem hier:

sondern hat für mich eine tja tragikomische Note.
was Traumata halt so mit sich bringen, aber in der totalen Katastrophe, dem angenommenen Untergang der Menschheit, wirkt es absurder. Die Welt geht unter, was ist zu tun? Schweine retten? Kinder begraben?
Ich habe ja der einen oder anderen Antwort geschrieben, dass mir das Schreiben ziemlich Spass gemacht hat, und ich denke, die beiden Begriffe, die ich fett markiert habe, bieten da einen Erklärungsansatz.
Ob es eine Kurzgeschichte ist, ich bin mir nicht sicher - vielleicht verstehe ich auch das Ende nicht recht - wozu sagt er: Okay - zu einem Kind? Will er nur weiterfahren? Oder doch bestatten?
Ist es nicht unter anderem das offene Ende, das eine KG ausmacht? Hier wollte ich die Offenheit dadurch erreichen, dass mehrdeutig bleibt, wozu genau der Erzähler Ja sagt. Du nennst drei plausible Möglichkeiten. Eine vierte wäre noch, dass das Okay eine Antwort auf Aoifes Wunsch ist, wieder nach Hause zu fahren. Das ist so eine Sache. Früher ist es mir meiner Meinung nach besser gelungen, Texte abzuschliessen, in letzter Zeit hadere ich da immer ein bisschen.

Vielen Dank für deine Rückmeldung!

Lieber Gruss
Peeperkorn

@jimmysalaryman und @alle, die es interessiert.

Erzähl doch mal, wie das gewesen ist. Würde mich (und sicher auch andere) sehr interessieren.
Zur Einordnung: Noch ist das Buch keine verbreitete Schullektüre. :D Meine bisherigen Lesungen an Schulen kamen alle durch persönliche Kontakte zu Deutschlehrpersonen zustande - immerhin durch deren Inititative. Ah doch! Eine Schule habe ich selbst angefragt, nämlich diejenige, wo der Roman spielt. Die dortige Fachschaft hat das offenbar traktandiert, aber nichts mehr von sich hören lassen.
Bis vorgestern hatte ich nur Lesungen an Gymnasien. Da wurden zum Teil recht knackige Fragen gestellt ("Warum die Rahmenhandlung? Trägt sie wirklich zur Spannung bei oder nimmt sie nicht vielmehr die Luft aus dem Text?") Vorgestern war das Publikum (Fachmittelschule) etwas jünger, so um die fünfzehn Jahre. Ich habe eine Kurzgeschichte gelesen, die den Ausgangspunkt für den Roman gebildet hat, und danach zwei Passagen mit Blick auf handwerkliche Kniffe. Dazwischen haben sie Fragen zum Text und zum Schreiben gestellt. Der Fokus - das war auch am Gymnasium so - lag dabei auf dem Autobiographischen. "Sind Sie Veganer?" "Basiert das Buch auf Ihrem Leben?"
Inhaltlich fand ich dieses Mal spannend, dass die Jugendlichen bestimmte Antworten haben wollten, die der Text nicht bietet. "Verzeiht Patrick wirklich?" "Ist Jasmin eine Betrügerin?" "Hat Tom inzwischen genügend Distanz zu Jasmin und seiner Vergangenheit gewonnen?" Ich habe daraufhin ein paar Dinge über literarische Texte als Angebote gesagt.
Was mich total überrascht hat, war die Frage (und offenbar hat das sehr viele umgetrieben), weshalb der Sexualität von Tom so viel Raum gegeben wird. Vor allem die Onanierszene mit Patrick fanden einige offenbar verstörend bis "eklig". Mich hingegen hat die Frage ein bisschen verstört, ich finde den Roman eher prüde. :)
Bei den Jungs in der hintersten Reihe hat man schon gemerkt, dass sie das Buch lesen mussten. Und die Fragen sind jetzt auch nicht gerade aus ihnen herausgeplatzt. Aber wie bei anderen Veranstaltungen kamen auch diese Mal einige in der Pause zu mir, stellten weitere Fragen, erklärten, dass sie ebenfalls schreiben, oder wollten wissen, was man tun muss, wenn man ein Buch veröffentlichen will.
Insgesamt eine sehr schöne und befriedigende Sache. Vielleicht spingt der Funke noch über und weitere Schulen melden sich. Was mich übrigens jedes Mal irritiert, ist zu erfahren, dass die jungen Menschen einen Test über das Buch schreiben. Obwohl ich ja selbst Lehrer bin, fühlt sich das auf eine seltsame Weise falsch an.

 

Schon der Titel ist mehrdeutig,

lieber @Peeperkorn -

einerseits als eine Distanz zwischen A und B sowohl zeitlicher als räumlicher Natur und - alternativ - dem Verschwinden mindestens eines „x“ aus (s)einem Umfeld und lässt mich allein schon durch die erste Namensnennung, „Aoife“ (irisch, modisch korrekt anglisiert zu einer „Eva“ „das Leben“, nennen wir sie einfach „y“) an den semitischen (= alttestamentarischen) Schöpfungsmythos zurückdenken, der bekanntlich mit der Vertreibung aus dem Paradies schließt – folglich kann ich den Fahrer, den Ich-Erzähler, getrost „Adam“ (= Mensch, „adamah“ = der Erdboden) nennen –
so knüpft der sehr irdische Schluss der Lebenswelt an den Anfang des Mythos an, denn

Vielleicht sind wir bloß überzählige Pixel

aber vielleicht taugen wir – frei nach den Geschichten aus Be-erde – dem Boden zumindest noch als preiswerter Dünger.

Friedel

 

Lieber @Friedrichard

Schon der Titel ist mehrdeutig
:cool:
und lässt mich allein schon durch die erste Namensnennung, „Aoife“ (irisch, modisch korrekt anglisiert zu einer „Eva“ „das Leben“, nennen wir sie einfach „y“) an den semitischen (= alttestamentarischen) Schöpfungsmythos zurückdenken
:cool:
folglich kann ich den Fahrer, den Ich-Erzähler, getrost „Adam“ (= Mensch, „adamah“ = der Erdboden) nennen
In meinem Kopf hiess er stets so. Ich fand es witzig, dass man aus einem Text den Namen des Ich-Erzählers ableiten kann, ohne dass er genannt wird.
aber vielleicht taugen wir – frei nach den Geschichten aus Be-erde – dem Boden zumindest noch als preiswerter Dünger.
Ein zynischer oder aber versöhnlicher Gedanke. Bin ich Optimist oder Pessimist? So oder so: Seit ich mehr Zeit in der Natur verbringe, gerät der Mensch zunehmend aus dem Zentrum meines Denkens.

Vielen Dank für deine Zeilen!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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