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Die Entfernung

Monster-WG
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18.06.2015
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Die Entfernung

Aoife gräbt. Den Mund hat sie mit einem Seidenschal bedeckt, ihre Hände sind geschwollen und voller Blasen. Ich sage, sie müsse aufhören, es seien zu viele. Darum geht es nicht, antwortet sie, weist mit der Schaufel zum Himmel. Wir sind Menschen, das dürfen wir nicht preisgeben. Ich nicke und denke, sie hat den Verstand verloren.
Die Krähen haben sich auf Bäume verzogen, die Fliegen lassen sich durch unsere Anwesenheit nicht stören. Ich ziehe den Tiger Balm aus der Hosentasche, streiche die milchige Paste in meine Nasenlöcher und sehe mich um. Der Park wirkt gepflegt. Vor mir kriecht eine Hummel aus einer Blüte, an ihren Beinen kleben gelbe Pollen. Das Insekt wäre ein ansprechendes Sujet.
Viele meiner Fotos habe ich retuschiert. Ich mochte es, störende Objekte aus dem Bild zu entfernen, den sauberen Hintergrund, die Befriedigung, die sich einstellt, wenn die Komposition auf einmal harmonisch wirkt. Die Hummel fliegt los, ich folge ihr zum nächsten Beet. Aoife hält inne und fragt, was ich mache. Ich sage: Vielleicht sind wir bloß überzählige Pixel. Sie kneift die Augen zusammen, schüttelt den Kopf, fragt, wie ich es schaffe, unnütz herumzustehen und Blödsinn von mir zu geben. Ich weiche ihrem Blick aus. Wir müssten gut zueinander sein, doch es gelingt uns nicht. Unbeirrt setzt sie fort, was sie als ihre Pflicht erachtet, sticht mit der Schaufel in ein Blumenbeet.
Wenigstens die Kinder, sagt sie jedes Mal, wenn wir anhalten. Ich könnte erwidern: Wo immer wir hinkommen, sieht es gleich aus. Ich könnte ihr vorrechnen: Dreißig Prozent aller Menschen sind unter achtzehn, das macht zweieinhalb Milliarden. Ich könnte sie anschreien: Am Ende steckst du dich mit irgendwas an. Stattdessen verlasse ich den Park, hole die Axt aus dem Wagen, überquere die Straße und schlage das Schaufenster eines Ladens ein, der geschlossen hatte, als es geschah. Keine Kunden, keine Leichen. Aus einem der oberen Stockwerke dringt Gebell. Ich finde ein Treppenhaus, steige die Stufen hoch. Der Hund hört meine Schritte, er kläfft noch lauter als zuvor, kratzt an der Tür, vor der ich stehen bleibe. Sie ist verschlossen, also schlage ich mit kräftigen Hieben ein Loch in das Holz und mache mich aus dem Staub. Gestern wollte mir ein Terrier, den ich befreit hatte, an die Kehle springen.
Mit einer Dose in der Hand setze ich mich ins Auto. Seit wir unterwegs sind, trinke ich nur noch Cola. Der Wagen ist brandneu und geräumig. Vier mal vier. Den Kindersitz wollte Aoife gleich dazu kaufen. So ein Ding im Wagen zu haben, macht es nicht wahrscheinlicher, schwanger zu werden, erwiderte ich, worauf wir uns eine Nacht lang stritten. Das ist drei Wochen her, es fühlt sich an, als wären es drei Jahre. Bevor wir losfuhren, nahmen wir den Sitz von der Rückbank, er ruht jetzt auf dem Parkplatz vor dem Haus, in dem wir wohnten.
Ich warte darauf, dass Aoife die Kräfte verlassen. Wie schaffe ich es, im Wagen zu sitzen und nichts zu tun? Ich reibe mir Tiger Balm unter die Nase. Zu Beginn hat man nichts gerochen, jetzt wird es jeden Tag schlimmer. Die Cola ist warm und klebrig. Nie wieder werde ich im Sommer ein gekühltes Getränk zu mir nehmen. Ich staune über die Oberflächlichkeit meiner Gedanken.
Warum wir noch am Leben sind, wissen wir nicht. Im Zorn hat Gott mit den Fingern geschnippt, uns zwei nicht im Blick gehabt. Als ich die Kollisionen hörte, stand ich in der Küche und schnitt Tomaten, Aoife zupfte im Garten Blätter vom Basilikum. Wir rannten auf die Straße, in der Ferne sahen wir Rauch aufsteigen. Auf dem Gehsteig kauerten zwei Männer. Wir gingen zu ihnen hin, fragten, ob sie wüssten, was geschehen sei, doch sie rührten sich nicht. Als ich den einen anfasste, kippte er zur Seite, schlug mit dem Schädel auf den Asphalt. Fragend blickte ich zu Aoife, doch sie hob bloß den Arm und schrie. Ich drehte mich um und sah, wie kaum zwei Kilometer von uns entfernt ein Flugzeug vom Himmel fiel.
Die ersten, die wir begruben, waren Aoifes Eltern. Sie saßen vor dem Fernseher, der noch immer lief, als wir die Wohnungstür aufbrachen. Friedlich sahen sie aus, entspannte Gesichter. Wir wickelten sie in Leintücher und bestatteten sie im Garten. Danach fuhren wir zu meiner Schwester, fanden die Wohnung leer vor. Vielleicht war sie joggen gewesen, vielleicht hatte sie sich mit Freunden getroffen oder einem Liebhaber. Es ist zwecklos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Viele Server stiegen schon nach Stunden aus, einige waren länger erreichbar. Wir suchten nach neuen Einträgen, nach Hinweisen oder Warnungen, hinterließen Nachrichten, wo immer wir Zugang fanden. Wenn ein Text von niemandem gelesen wird, ist es dann noch ein Text? Am zweiten Tag fiel der Strom aus, bald darauf fuhren wir los. Im Kofferraum liegen Gaskocher und Solarpanels, Wolldecken, ein Gummischlauch, um Benzin aus Tanks zu saugen. Auf der Rückbank stapeln sich Medikamente und Verbandszeug für den Notfall. Manchmal müssen wir Umwege nehmen, weil ineinander verkeilte Wagen die Straße blockieren. Städte meiden wir, auch wenn dort die Chance am größten wäre, jemanden anzutreffen. Unser Ziel ist die Türkei und danach Afrika, Kenia vielleicht, wo es warm und die Entfernung zu Atomkraftwerken maximal ist. Die meisten werden sich abschalten, doch es wird auch zu Kernschmelzen kommen. Ob sich unsere Strategie auszahlen wird, kann ich nicht sagen, aber wir müssen es versuchen. Kenia – die zwei Silben haben einen tröstlichen Klang. Wir kämen deutlich schneller voran, gäbe Aoife etwas von ihrer Menschlichkeit preis.
Sie schiebt die Schaufel unter die Rückbank und setzt sich ans Steuer. Ich träufle Desinfektionsmittel über ihre zerschundenen Hände, was sie mit einem zischenden Laut quittiert. Es wäre eine Sache von fünf Minuten, sich Handschuhe zu besorgen, aber davon will sie nichts wissen. Lass mich fahren, sage ich und wir tauschen die Plätze. Als ich den Motor starte, erfasst sie ein Heulkrampf. Wenn sie nicht handeln kann, überwältigt sie der Schrecken. Sie zittert am ganzen Körper. Ich lege eine Hand auf ihr Knie, sie greift danach und drückt so fest zu, dass es schmerzt. Wir müssen weitermachen, sage ich. Sie blickt aus dem Seitenfenster, schluchzend fragt sie: Wozu?
Wir fahren einen langen Umweg, weil eine Brücke mit Autos verstellt ist und es kein Durchkommen gibt. Für eine Weile beschäftigt mich die Frage, wie wir über die Dardanellen oder den Bosporus gelangen sollen, falls wir es überhaupt bis dorthin schaffen. Ich behalte sie für mich.
Die Dämmerung setzt ein, draußen wird es kühl. Die letzte Nacht haben wir im Freien verbracht, weitab von jeder Siedlung. Dieses Mal finden wir ein leerstehendes Ferienhaus. Wir verschaffen uns Zutritt, duschen, beziehen das Doppelbett im oberen Schlafzimmer und legen uns auf die Matratze. Sie ist hart und bequem, die Leinen riechen nach Frühling und Blumen. Wir schlafen innerhalb von Sekunden ein. Ich träume von kläffenden Hunden und den Leichen im Park, bis der Hunger mich weckt. Mit der Taschenlampe in der Hand gehe ich hinunter in die Küche, wo wir unsere Vorräte gelagert haben. Ich öffne eine Dose Ananas, schiebe mir die Ringe in den Mund und trinke den Saft. Ich befürchte, dass ich den Leichengeruch niemals wieder aus meiner Nase bekomme, und halte inne. Bilde ich mir den Gestank wirklich nur ein? Leise öffne ich eine Tür, die in den Keller führt, sehe im Schein der Taschenlampe eine Gestalt unten an der Treppe liegen. Ich ziehe die Tür wieder zu, schließe ab und verstecke den Schlüssel unter einem Sofakissen. Was hat dieser Mensch im Keller gemacht? Hier oben gibt es keinen Hinweis auf seine Anwesenheit.
Als ich am nächsten Morgen erwache, wähne ich mich für einen Augenblick in meinem alten Leben. Draußen höre ich Vögel zwitschern, Blaumeisen und einen Zilpzalp. Aoife dreht sich zu mir, leise seufzend. Die Augen noch immer geschlossen, schiebt sie ihren Fuß zwischen meine Beine. Ich lasse es geschehen, es fühlt sich gut an. Die letzten Tage haben uns voneinander entfernt, auch wenn wir jede Minute gemeinsam verbracht haben. Es ist wichtig, dass wir wieder zueinander finden.
Sie fragt, wie es mir geht.
Gut.
Schön, sagt sie und legt die Hand auf meine Brust. Mir auch. Ihre Finger gleiten über meinen Bauch, kreisen um den Nabel. Sie küsst meinen Hals. Hast du Lust?
Ja, sage ich. Die Kondome liegen im Auto.
Kondome? Sie zieht die Hand zurück.
Ich habe welche eingesteckt. Vorgestern in der Apotheke.
Daran hast du gedacht?
Ja, habe ich.
Warum?
Warum wohl?
Wir müssen weitermachen. Deine Worte.
Und wie stellst du dir das vor?
Das kriegen wir hin. Wir müssen es riskieren. Wenn es noch andere gibt …
Und wenn nicht?
Dann ist es eben so.
Das können wir einem Kind nicht antun.
Was nicht antun? Ihm das Leben schenken? Dass wir überlebt haben, hat einen Sinn. Bestimmt gibt es noch andere. Ich spüre es. Ich weiß es. Es muss weitergehen.
Ich steige aus dem Bett und ziehe mich an. Lass uns abwarten, sage ich. Aoifes Irrationalität setzt mir zu, ich fühle mich weit weg von ihr.
Die Sonne scheint durch einen Schleier aus Wolken. Der Weg ist frei, nur ab und zu ein Wagen, der von der Straße abgekommen ist. Aoife fährt schnell, als wäre ihr auf einmal bewusst geworden, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Wir reden wenig. Ich vermeide es, über die Vergangenheit zu sprechen, da ich nicht weiß, wie sie reagiert. Über die Zukunft zu sprechen, erscheint mir noch weniger angebracht.
An einem Berghang sehen wir ein ziegelrotes Gebäude stehen, die Ventilatoren, die in die Außenwände eingelassen sind, weisen darauf hin, dass es sich um einen Schweinestall handelt. Aoife bremst ab, ich sehe sie an und sie nickt. Noch bevor wir aussteigen, hören wir das Geschrei der Tiere. Wir schlagen die Schlösser von den Türen, sperren sie auf, öffnen die Buchten. Wir ersparen es uns, genauer hinzuschauen, steigen sogleich wieder in den Wagen. Keine Ahnung, ob die Schweine eine Chance haben, aber wenn sie sterben müssen, dann wenigstens in Freiheit.
Dass wir überlebt haben, hat einen Sinn, sagt Aoife, als wir weiterfahren. Wir müssen es versuchen. Je schneller, desto besser.
Es wäre nicht vernünftig, antworte ich. Das ist bloß dein Überlebensinstinkt.
Bullshit! Sie tritt aufs Gas und für einen Moment befürchte ich, dass sie unseren Disput beendet, indem sie gegen einen Baum fährt. Projiziere ich meinen eigenen Wunsch?
Wir haben die Plätze getauscht und ich fahre. Wir erreichen ein größeres Dorf, das auf einem Hügel liegt. Aus dem Kühlschrank eines Kiosks holen wir Wasser und eine Cola. Ich steige wieder in den Wagen, doch Aoife bleibt vor einer Buchhandlung stehen, starrt durchs Schaufenster in den Laden. Ich vermute, dass sie die Leichen von Kindern sieht, doch als ich mich neben sie stelle, sind da nur Bücher. Stilvoll Wohnen. Kochen mit Ayurveda. Gärten gestalten. Etwas weiter hinten Klassiker der Weltliteratur, zwölf Bände, hundertfünfzig Euro. Aoife laufen die Tränen übers Gesicht. Ich greife nach ihrer Hand, doch sie stößt mich weg. Es hat keinen Sinn, sagt sie, ich will nach Hause. Sie setzt sich auf den Gehsteig wie ein trotziges Kind. Aoife!, sage ich, doch sie zeigt keine Reaktion. Ich beschließe, ihr etwas Zeit zu geben.
Ich gehe zwischen den Häusern hindurch, gelange zu einem Aussichtspunkt. Unter mir mäandert ein Fluss durch die grüne Landschaft. Wenn ich den Bildausschnitt richtig wähle, ist keine Spur von Zivilisation zu sehen, kein Haus, keine Straße. Es sieht friedlich und harmonisch aus. Eine Katze kommt vorbei, streicht mir um die Beine, reibt ihren Kopf an meinem Schuh. Nun kommen auch mir die Tränen, das erste Mal, seit es geschehen ist. Ich lasse die Colabüchse auf den Boden fallen und gehe zurück zum Auto. Aoife steht neben der Vordertür und lächelt schwach. Ich sage: Okay.

 

Diese Geschichte wurde von einem Autor geschrieben, der hier im Forum angemeldet ist, es für diese Geschichte aber bevorzugt hat, eine Maske zu tragen.
Der Text kann, wie jeder andere Text im Forum, kommentiert werden, nach zehn Tagen wird die Identität des Autors enthüllt.
Als Kritiker kann man bis dahin Vermutungen über die Identität des Autors anstellen. Damit man anderen mit einem schlüssigen Rateversuch nicht den Spaß raubt, sind Spekulationen und Vermutungen bitte in Spoiler-Tags (oben im Menü) zu setzen.
Da dies jedoch kein Ratespiel ist, sind Beiträge ohne Textarbeit, also reine „Vermutungen“, nicht erwünscht.

Viel Spaß beim Kommentieren und Raten!

Dieser Maskenball endet am: 22.10.2023

 

Solide geschrieben. Knappe, präzise Sätze. "Schöne" Dystopie. Schön, weil die Atmosphäre gut rüber kommt. Gerade das mit den Toten begraben. Erkenne da auf den ersten read nichts, was mich stört, auch keine Fehler, dazu müsste ich allerdings nüchtern sein. (write drunk, edit sober)

Der Stil ist mir bekannt. An einigen Stellen ist es die Wortwahl und der Dialog. Ja, ich denke, ich weiß es.

Ganz so düster ist man's ja nicht von dir gewohnt, auch wenn's oft um Aussichtlosigkeit geht. Aber gleich mal fast die gesamte Menschheit ausrotten? Du wirst es wissen, 🎱

Hatte da direkt irgendwie so 'n Gefühl wie bei Book of Eli und naja, es passt gerade.

Jahny

 

Moin liebe Maske! Wie schön, ich hatte mich schon gefragt, wan sich mal wieder jemand traut. Warst Du bei der Leserunde dabei? Dies hier ist ein wirklich guter Text, alle Meckereien meinerseits sind Jammern auf hohem, sehr hohem Niveau.

Aoife gräbt. Den Mund hat sie mit einem Seidenschal bedeckt, ihre Hände sind geschwollen und voller Blasen. Ich sage, sie müsse aufhören, es seien zu viele.
Was für ein gelungener Einstieg! Drei Sätze, nicht deutlich gezeigt oder gar erklärt, aber es ist sofort klar. Graben - Mund bedeckt - viele , es ist schlimm, es gibt tote Menschen und jemand kümmert sich. Super!

Darum geht es nicht, antwortet sie, weist mit der Schaufel zum Himmel. Wir sind Menschen, das dürfen wir nicht preisgeben. Ich nicke und denke, sie hat den Verstand verloren.
Hier hacke ich auch beim zweiten lesen. Warum weist sie zum Himmel? Kommt man glaubensrechnisch dort nur hin, wenn man bestattet wurde? Der fette Satz ist richtig und klingt auch gut, aber mir ist er für die Person zu fett, zu ... technisch, zu allgemein, sie ist viel emotionaler, gefühlt. Der letzte ist wieder super. Insgesamt sind im ganzen Text ganz viele Konflikte, ganz viel reales Leben.

Der Park wirkt gepflegt. Vor mir kriecht eine Hummel aus einer Blüte, an ihren Beinen kleben gelbe Pollen. Das Insekt wäre ein ansprechendes Sujet.
Wunderbarer Kontrast. Das Wort Sujet hört und liest man nicht oft. Ich überlege, ob ich den/die Autoren daran festmachen kann?

Sie kneift die Augen zusammen, schüttelt den Kopf, fragt, wie ich es schaffe, unnütz herumzustehen und Blödsinn von mir zu geben. Ich weiche ihrem Blick aus. Wir müssten gut zueinander sein, doch es gelingt uns nicht.
Ist aber auch wirklich ein krass gegensätzliches Verhalten. ich würde tatsächlich einen emotionaleren Streit erwarten. Oder mehr innere Gedanken von ihm, warum er sich so anders verhält.

schlage das Schaufenster eines Ladens ein, der geschlossen hatte, als es geschah. Keine Kunden, keine Leichen. Aus einem der oberen Stockwerke dringt Gebell.
Ich bin ich kurz hängengeblieben. Geht es um den Laden (Getränke, sonstiges) oder um die Rettung des Hundes. Ich würde ein Wort mehr der Erklärung gut finden, so überlege ich die ganze Zeit, warum?

Das Rot der Etikette, der elegante Schriftzug, das Geräusch, wenn ich die leere Büchse zerdrücke; das alles steht für die Zivilisation.
Sehr schöner, nachvollziehbarer Weg, sich an etwas zu klammern

Ich warte darauf, dass Aoife die Kräfte verlassen. Wie schaffe ich es, im Wagen zu sitzen und nichts zu tun?
Wie gesagt, mir fehlt ein bisschen sein Inneres! Das ist ja auch nur eine Frage.

Ich staune über die Oberflächlichkeit meiner Gedanken.
Warum wir noch am Leben sind, wissen wir nicht. Im Zorn hat Gott mit den Fingern geschnippt, uns zwei nicht im Blick gehabt.
Lass ihn doch bitte ein, zweimal eine Schritt weiter denken. Ich kann die logische, zweckorientierte Herangehensweise voll akzeptieren, aber dann sollte er sich das auch eingestehen. Denn wenn er hier an Gott glaubt, müsste es eine andere Ebene in seinen Gedankengängen geben. Aber das ist nur mein Gefühl zum Text.

Wenn ein Text von niemandem gelesen wird, ist es dann noch ein Text?
Gute Frage! Ich bin da eher Zweckoptimistin: es wird immer jemanden geben, der liest.

Kenia – die zwei Silben haben einen tröstlichen Klang. Wir kämen deutlich schneller voran, gäbe Aoife etwas von ihrer Menschlichkeit preis.
Schönes "Bild" - der tröstliche Klang.

Wenn sie nicht handeln kann, überwältigt sie der Schrecken. Sie zittert am ganzen Körper. Ich lege eine Hand auf ihr Knie, sie greift danach und drückt so fest zu, dass es schmerzt. Wir müssen weitermachen, sage ich.
Für Sie erklärt der Prot ja, warum sie so handlungsgetrieben ist. Für ihn fehlt mir das wirklich. Denn zwischen den Zeilen steht durchaus einiges, aber es ist nicht klar genug (für mein Leseverständnis :-)

Sie blickt aus dem Seitenfenster, schluchzend fragt sie: Wozu?
Du lässt mich als Leserin wirklich ganz dicht ran. Echt gut gemacht!

Wir verschaffen uns Zutritt, duschen,
kurze Logikfrage: setzt die Wasserversorgung nicht auch aus, ohne menschliches Zutun?

Ich ziehe die Tür wieder zu, schließe ab und verstecke den Schlüssel unter einem Sofakissen. Was hat dieser Mensch im Keller gemacht? Hier oben gibt es keinen Hinweis auf seine Anwesenheit.
Das hier meine ich, wenn ich sage, ich kann seine innere Hnadlung nicht klar herauslesen. Hier ist er um Aoife besorgt, will ihr den Anblick ersparen, schützt sie. Bei anderne Stellen sieht es eher nach ... ich wollte Gleichgültigkeit schreiben, aber ich meine eher Oberflächlichkeit, nur Logikgeführt, aus.

Das können wir einem Kind nicht antun.
Was nicht antun? Ihm das Leben schenken? Dass wir überlebt haben, hat einen Sinn. Bestimmt gibt es noch andere. Ich spüre es. Ich weiß es. Es muss weitergehen.
Sehr interessanter Konflikt. Der ist auch nicht wirklich lösbar oder diskutierbar. Ja, den kann man wohl nur offen lassen. Zu gegensätzlich

Aus dem Kühlschrank eines Kiosks holen wir Wasser und eine Cola.
Sonst reichenmir Deine klaren Aussagen völlig, ich mag das Vertrauen, was Du in uns Leser steckst. Aber hier verknüft mein Hirn dennoch immer wieder Kühlschrank - kalte Getränke. Und dann sagt das Gehirn: Strom aus! Ich würde also ein tropfender Kühlschrank, warmer oder sonstwas hilfreich finden.

Es hat keinen Sinn, sagt sie, ich will nach Hause. Sie setzt sich auf den Gehsteig wie ein trotziges Kind.
Nun lobe ich Dich fürs Vertrauen in uns Leser und schwubs, verstehe ich die Reaktion nicht. Zumindest kommt mir ihr Umschwung zu schnell, nur der Buchladen ist für mich zuwenig oder habe ich vorher schon etwas überlesen?

Nun kommen auch mir die Tränen, das erste Mal, seit es geschehen ist. Ich lasse die Colabüchse auf den Boden fallen und gehe zurück zum Auto. Aoife steht neben der Vordertür und lächelt schwach. Ich sage: Okay.
Die erste sichtbare emotionale Reaktion - ja, das glaube ich, jeder von uns reagiert völlig anders in Stresssituationen. Vielleicht wäre ein: renne zurück gar nicht schlecht, um den Schluss nicht so ausplätschern zu lassen. Generell geht der offene Schluss für mich in Ordnung, die Gesamtsituation ist so aussichtslos, da macht keinen Sinn und alles andere wäre eine andere Geschichte.

Ich vermiede es,
der Vertipper ist de reinzige Fehler und ich musst wirklich nochmal konzentriert suchen, um ihn wiederzufinden.

Ich liebe es bei Maskenbällen mitzuraten.

Aber ich habe absolut keine Plan, wer der richtig tollen Schreiber es hier ist. Ist nicht wirklich Jimmys Thema, für andere zu hart, Zigga - ja, wohl am ehesten. Auf alle Fälle finde ich sie richtig gut!

Bin gespannt
witch

 

Hallo Maske

Prima Text, eindringlich in seiner Verknappung, echt gut geschrieben. Bei mir poppte sofort SKs The Stand auf, als Beispiel die Befreiung der schicksalshaft vernachlässigten Tiere. Bei SK waren es die vor Schmerzen muhenden Kühe mit ihren prall gefüllten Eutern, die niemand mehr gemolken hat. Hier sind es die Schweine, deren Qual gekonnt zwischen den Zeilen angedeutet wird. Entgegen dem epischen Werk von SK, bleibst du nahe bei deinen Protagonisten, was den Vorteil bringt, das Fass der pandemischen Katastrophe nicht zu weit öffnen zu müssen. Ist halt was passiert und es gibt nur wenige Überlebende (oder sind sie sogar die einzigen). Wie soll es nun weiter gehen? Für sie beide, für den Vortbestand der Menschheit? Schwieriges Thema stimmungsvoll verpackt. Toll gemacht.

Wir sind Menschen, das dürfen wir nicht preisgeben.
Aoifes (was für ein interessanter Name, irisch/gälisch) philantropischer Charakterzug auf einen Nenner gebracht.

Ich ziehe den Tiger Balm aus der Hosentasche, streiche die milchige Paste in meine Nasenlöcher und sehe mich um.
ist ja eher cremig, bin einfach kurz hängen geblieben.

Stattdessen verlasse ich den Park, hole die Axt aus dem Wagen, überquere die Straße und schlage das Schaufenster eines Ladens ein, der geschlossen hatte, als es geschah. Keine Kunden, keine Leichen.
Irgendwie stört mich hier die Satz-Abfolge.

Vorschlag:
Stattdessen verlasse ich den Park, hole die Axt aus dem Wagen, überquere die Straße und schlage das Schaufenster eines Ladens ein. Keine Kunden, keine Leichen. Scheint geschlossen gewesen zu sein, als es geschah.

Das Rot der Etikette, der elegante Schriftzug, das Geräusch, wenn ich die leere Büchse zerdrücke;
Eine Cola-Dose ist ja eigentlich rot lackiert.

Den Kindersitz wollte Aoife gleich dazu kaufen. So ein Ding im Wagen zu haben, macht es nicht wahrscheinlicher, schwanger zu werden, erwiderte ich, worauf wir uns eine Nacht lang stritten.
Das hört sich an, als hätten sie das Auto zu dem Zeitpunkt noch nicht gekauft gehabt. Nur mein Leseempfinden, habe auch keinen besseren Vorschlag.

Unser Ziel ist die Türkei und danach Afrika, Kenia vielleicht, wo es warm und die Entfernung zu Atomkraftwerken maximal ist. Die meisten werden sich abschalten, doch es wird auch zu Kernschmelzen kommen. Ob sich unsere Strategie auszahlen wird, kann ich nicht sagen, aber wir müssen es versuchen.
Genau, erstmal einen Plan fassen, an dem man sich festhalten kann, ob objektiv logisch, ist zweitrangig.

Kenia – die zwei Silben haben einen tröstlichen Klang. Wir kämen deutlich schneller voran, gäbe Aoife etwas von ihrer Menschlichkeit preis.
Auch hier, Motivation Hoffnung. Sehr schöner Satz.
Danach wunderbar den Bezug zu Aoifes eingangs festgehaltenem "Wir sind Menschen, das dürfen wir nicht preisgeben".

Es wäre eine Sache von fünf Minuten, sich Handschuhe zu besorgen, aber davon will sie nichts wissen.
Aoifes uneigennützige Aufopferung um dem Schrecken keine Angriffsfläche zu bieten.
Was nicht antun? Ihm das Leben schenken? Dass wir überlebt haben, hat einen Sinn. Bestimmt gibt es noch andere. Ich spüre es. Ich weiß es. Es muss weitergehen.
Zentrales Element. Sie die uneingeschränkte Hoffnungs-Optimistin, er der rational denkende Zweck-Optimist, erstmal in Sicherheit gelangen, dann weitersehen.
An einem Berghang sehen wir eine ziegelrotes Gebäude stehen
Nebst dem von greenwitch gefundenen Vertipper mein einziger gefundene Fehler.

Sonst hab ich echt nix zu meckern. Düster, dystopisch, echt stimmungsvoll geschrieben. Hat mich berührt und das Thema hallt nach.

Bin da ganz bei greenwich. Was Stil der Dialoge und die knappen, zwischen-den-Zeilen-Sätze anbelangt, ordne ich es ebenfalls Jimmy zu. Passt aber auch auf Zigga.
Der fotografische Blick des Protagonisten zu Beginn und am Ende lässt mich allerdings den Peeperkorn ins Spiel bringen. Frag mich nicht, wieso, meine da mal was gelesen zu haben. ;)

 
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Hallo,

beim zweiten Lesen wirft der Text sehr viele Fragen auf. Beim ersten Lesen denke ich, ja, liest sich gut, wirkt auch gut, da ist dieser Effekt der Einsamkeit, der Katastrophe, des Überlebens; ich habe auch sofort Bilder im Kopf, das abstürzende Flugzeug, die beiden alleine auf weiter Flur, die Tiere, die letzten, bizarren Symbole der Zivilisation - Cola, relativ schamlos hier von McCarthy geklaut - und, und, und. Und auch diese schwärende Frage, wie geht es weiter, soll es weiter gehen, was macht Menschlichkeit aus? Das ist ein Text, den man schnell lesen muss und dem man dann keine Fragen stellen darf.

Beim zweiten Lesen hadere ich mit vielem. Warum will Aoife (warum auch dieser Name? Warum darf es nicht Rita sein? Warum immer direkt den Protagonisten so mit bedeutungsschwangerem Hintergrund vollpumpen?) die Menschen begraben? Wie soll das technisch auch gehen? Wenn fast alle tot sind, wie es impliziert wird, dann müssten sie ja nichts anderes tun außer Menschen zu begraben. Es gibt auch keinen zeitlichen Marker, wie lange ist das her, diese unbenannte Katastrophe? Nach drei Wochen begräbt man, denke ich, rein schon aus Selbstschutz nicht mehr irgendwelche verwesten Leichenteile. Da gehen ja auch jede Menge Aasfresser dran, Krankheiten spielen eine Rolle ... oder selektiert sie da? Es dürfte auch gefährlich werden, denn Aas lockt eben auch wilde Tiere an, die sich dann rasch vermehren würden etc.

Das sie das auch direkt sagt: Wir sind Menschen, wir dürfen das nicht preisgeben. Im Grunde sagt sie ja, sie will ihre Menschlichkeit nicht preisgeben, aber ich weiß nicht, wie realistisch das ist. Inwieweit kann man noch von Menschlichkeit sprechen, wenn es nur noch zwei Menschen gibt? Was bringt ihr das Einhalten dieses Kodexes hier? Mich erinnert das auch an einen Film, wo der scheinbar letzte Mensch es sich zur Aufgabe macht, die Toten aus seiner Kleinstadt ordentlich zu begraben; das ist also ein oft genutzter Topoi, der die "Menschlichkeit" verortet - dass tun Menschen eben, so sind sie, sie begraben sich ordentlich, weil man das eben in unserem Wertesystem so tut. Ob das wirklich so wäre, halte ich für unwahrscheinlich. Ich jedenfalls würde es mir nicht zur Aufgabe machen, wildfremde Menschen zu begraben, während ich versuche, zu überleben.

Mir sind die Dialoge auch zu ausgestellt, zu hölzern, zu unorganisch, ich habe das Gefühl, die Protagonisten adressieren ihre Ideen direkt an den Leser. Der Erzähler kennt Aoife, er müsste das nicht noch einmal erwähnen, und Aoife müsste nicht auch noch einmal sagen, dass sie ihre Menschlichkeit preisgeben, wenn sie diese Toten nicht beerdigen; das ist klar, sie würde sich sonst permanent wiederholen, was sie hier natürlich für den Leser tun muss. Mir ist das zu wenig subtil.

Das Rot der Etikette, der elegante Schriftzug, das Geräusch, wenn ich die leere Büchse zerdrücke; das alles steht für die Zivilisation.
Das darf eben nicht erklärt werden. In Threads, diesem Film aus GB Mitte der 80er, da gibt es nach dem nuklearen Schlag eine Szene im Rathaus von Sheffield, wo einer von der Regierung sagt, normalerweise würde er um diese Uhrzeit mit seinen Freunden beim Bier im Pub sitzen, und DA fällt ihm auf, es wird wahrscheinlich nie wieder einen Pub geschweige denn Bier geben.
Sie fragt, wie es mir geht.
Gut.
Schön, sagt sie und legt die Hand auf meine Brust. Mir auch. Ihre Finger gleiten über meinen Bauch, kreisen um den Nabel. Sie küsst meinen Hals. Hast du Lust?
Ja, sage ich. Die Kondome liegen im Auto.
Kondome? Sie zieht die Hand zurück.
Ich habe welche eingesteckt. Vorgestern in der Apotheke.
Daran hast du gedacht?
Ja, habe ich.
Warum?
Warum wohl?
Wir müssen weitermachen. Deine Worte.
Und wie stellst du dir das vor?
Das kriegen wir hin. Wir müssen es riskieren. Wenn es noch andere gibt …
Und wenn nicht?
Dann ist es eben so.
Das können wir einem Kind nicht antun.
Was nicht antun? Ihm das Leben schenken? Dass wir überlebt haben, hat einen Sinn. Bestimmt gibt es noch andere. Ich spüre es. Ich weiß es. Es muss weitergehen.
Das finde ich, dieser Dialog, der spiegelt meinen Gesamteindruck ganz gut wieder. Wir wissen, wir sind alleine auf der Welt, wir ahnen das, wir haben noch keine weiteren Überlebenden getroffen; es gibt tausend Gefahren, im Grunde wissen wir nicht, wie es weitergeht, was passiert, wo wir hinsollen, wie unser Leben aussehen soll, unser gesamter moralischer Kompass, alle unsere Gewohnheiten spielen keine Rolle mehr - und das Allerwichtigste ist dann, ob man ein Kind bekommt. Und dann ist dieser gesamte Dialog auch noch so ausgestellt und voller Klischeefallen: Wir müssen weitermachen. Das können wir einem Kind nicht antun. Das Leben schenken. Das Überleben hat einen Sinn. Just like the do it in Hollywood. Diese Frage, ist das wirklich die drängendste? Klar kann die mitschwingen, aber die darf doch nie konkret thematisiert werden, das nehme ich den Figuren auch nicht ab, außerdem werden die mit einem Gewissen biblischem Ausmaße beladen; der Leser muss sich fragen, vielleicht als er die Kondome beiläufig erwähnt: Ach ja, was ist eigentlich, wenn die Nachwuchs bekommen? So wirkt Aoife auch schon etwas wie eine religlöse Fanatikerin, die unbedingt die Menschheit weiterführen will; und, abgesehen davon, wie soll das gehen, wenn es keine Überlebenden gibt? Inzest?

Unser Ziel ist die Türkei und danach Afrika, Kenia vielleicht, wo es warm und die Entfernung zu Atomkraftwerken maximal ist. Die meisten werden sich abschalten, doch es wird auch zu Kernschmelzen kommen. Ob sich unsere Strategie auszahlen wird, kann ich nicht sagen, aber wir müssen es versuchen. Kenia – die zwei Silben haben einen tröstlichen Klang. Wir kämen deutlich schneller voran, gäbe Aoife etwas von ihrer Menschlichkeit preis.
Hier wird es dann hundertpro unglaubwürdig. Kenia. Woher weiß er das mit den Atomkraftwerken? Ist das gesichertes Wissen? Würde Irland nicht ausreichen? Oder Island? Und dann einfach mal überlegen: Kenia. Im ganzen Text wird keine einzige Waffe erwähnt, aber die beiden wollen mit ihrem 4x4 und Kindersitz durch die Wüste und halb Afrika. Gefahren, die von anderen Menschen, die sich nicht so zivilisiert verhalten, wilde Tiere, etc - das wird einfach ignoriert? Kaum vorstellbar. Würde man nicht in einem Terrain bleiben, das man kennt, wo man sich wenigstens grob orientieren kann? Wald, Holz für Feuer, Meer, Fischfang, Flüsse, Angeln, ich kenne die Pflanzen, die ich anbauen kann - nein, wir gehen nach Afrika, wo ich mich einfach gar nicht auskenne, das erscheint die bessere Idee.

Aoife bremst ab, ich sehe sie an und sie nickt.
Also, ja. Das ist natürlich ein Symbol: wir sind gute Menschen. Wir können auf keinen Fall GENAU DIESE Tiere verenden lassen. Auf der ganzen Welt wird das geschehen, aber wir entscheiden uns hier und jetzt die gute Tat zu vollbringen. Warum genau jetzt? Und wenn sie wissen, es bringt nichts, warum tun sie es? Warum können sie das nicht stoisch ertragen? Warum entscheiden sie sich so? Was ist das Besondere an dieser Gelegenheit? Das hat schon etwas Christliches, finde ich, auch ein wenig Selbstaufopferung, wir haben ein Herz für alle Kreaturen, selbst im Angesicht der Katastrophe. Ich frügte mich, ob Aoife vielleicht Sozialpädagogin war in ihrem früheren Leben, wenn ich Zyniker wäre. Es wirkt einfach ausgestellt, es reicht nicht, dass sie überlebt haben und um ihr Überleben kämpfen, bzw sich um diese drängenden Fragen Gedanken machen, sondern sie retten noch die Kälber, planen den weiteren Verlauf der Menschheit bzw streiten sich darum ...

Es sind viele Sequenzen und Bilder in dem Text, die man bereits aus Filmen etc kennt. Die Idee, so eine Dystopie zu schreiben, ist sicher sehr reizvoll. Hier entscheidet sich wahrscheinlich auch, welches Menschenbild man hat. Der Autor scheint ein positives zu haben; ich habe das eher nicht. Ich würde in einem solchen Fall vom Schlimmsten ausgehen und mir weder Gedanken um Nachwuchs noch um Kälber machen. Ich würde meinen Waffenschrank durchforsten, alles an Munition einpacken, Survivalbücher besorgen, einen guten Wagen mit Extrasprit und würde mich auf den Weg machen zu einem Ort, dessen Terrain ich kenne oder mich wenigstens zurechtfinde, der gut gelegen ist und den ich gut erreichen, gut verteidigen kann und der mir alles an Rohstoffen bietet, die ich zum Überleben benötige. Habe ich das gesichert und meine garrison mentality entwickelt, sehe ich weiter.

Dieses Fingerschnippen Gottes ist auch noch so eine Sache. Das man im Text Gott als Richter bemüht - Kill em all and let god sort em out. Das steckt da so ein wenig drin. Es ist alles Fügung, und DAS ist jetzt unser Schicksal.

Im Grunde ist das ja eine Art Robinsonade. Nur durch den Filter der Millenial-Generation. Die reflektieren die Apopkalypse leicht ironisch, während sie passiert. Wie Menschen sich tatsächlich verhalten würden, wissen wir nicht. Ich glaube aber eher, das Band der Zivilsation ist eher sehr, sehr dünn, deswegen tippe ich eher auf The Road. Menschlichkeit muss man sich leisten können, und es ist ein hehres Ideal, aber im Zweifel plädiere ich für den naturalistischen Fehlschluss; man möchte den Menschen so sehen, wie er sein sollte, nicht, wie er ist.

Der Text funktioniert in sich, als geschlossene Einheit, dennoch gut. Man liest ihn, er wirft offensichtlich an den Leser gerichtete Fragen auf, er ist auch gut komponiert, aber in weiten Teilen wirkt er unglaubwürdig auf mich und auch zu sehr wie eine Folie, die Fragen sind zu direkt, da oszilliert nichts; auch, was die Atmosphäre angeht - wie wirkt denn eine Stadt voller toter Menschen? Wie still ist es da? Was verändert sich nach drei Tagen, drei Wochen, drei Monaten? Was haben sie bereits für Erkenntnisse gemacht, was ist neu für sie? Das müsste gespentisch und surreal sein, und die Zivilisation ist ja noch vorhanden, bzw die Möbel der Zivilsation, aber sie bespielen im Grunde eine tote Jukebox, die Musik läuft für niemanden sonst mehr; da verschenkt der Text auch sehr viel Potential. Der Konflikt um das Kind kommt auch einfach zu schnell, das müsste man vertiefen, es müsste gärender sein, langsamer, hinterlistiger, man müsste den Charakteren beim Nachdenken und Formulieren dieser Frage zusehen können. Bis einer schließlich fragt: Sag mal, was ist eigentlich mit Kindern?

Jo, langer Text hier nun. Mein Tip: Carlo Zwei, vielleicht auch Peeperkorn oder ein Greenhorn. Mensch, jetzt wo ich Ziggas Komm sehe, fällt es mir wie Schuppen von den Augen! Deserted Monkey passt natürlich auch wegen Kenia!

Gruss, Jimmy

 

Hallo,

das ist gut geschrieben, es gibt m.M.n. noch Redundanzen und unkonkrete Aussagen des Erzählers, über die ich arbeiten würde, aber der Text hat einen gewissen Vibe, der Bock macht, zu lesen. Die Referenzen meine ich zu spüren, McCarthy, Palahniuk, King, meinem Erfahrungshorizont nach zumindest.
Trotzdem konnte mich der Text nicht ganz abholen. Er wirkt auf mich noch zu undurchdacht, zu raw. Das Setting der Postapokalypse ist reizvoll, als Schreiber wie als Leser, aber hier gibt es zu viele Details, die mir nicht ganz zu Ende gedacht schienen im Anbetracht des Szenarios der Postapokalypse, des Überlebenskampfes.
Beispielsweise das Begraben der Leichen. Das wirkt für mich unlogisch - deine Prots fahren also quer durchs Land, überall liegen Tote und die Frau hat sich nichts anderes in den Kopf gesetzt, als überall Halt zu machen und Tote zu begraben. Und besonders: Kinder. Der Mann schüttelt den Kopf und lässt sie machen, beobachtet Bienen derweil. Da stimmt für mein Menschengefühl etwas nicht. Erstens müssten sie in Anbetracht des Überlebenskampfes wirklich Angst um ihr eigenes Überleben und um das Überleben ihrer Liebsten haben. Lebt meine Tante und Onkel noch? Was ist mit den Freunden? Danach müsste ziemlich schnell die Panik um Nahrungsmittel eingesetzt haben. Dein Szenario ist ja bereits in Woche 3. Viele Lebensmittel sind vergammelt, die sie noch erbeuten hätten können. Sie müssten seit langem im Kaloriendefizit sein. Da wird man zum Tier, das Denken schaltet runter. Dass man da noch so schaufeln kann, und nicht nur in einem Nervenzusammenbruch vor den eigenen Eltern, sondern permanent, halte ich für unplausibel. Irgendwann ist die Kraft auch mal weg. Der Mensch ist auch nicht so human, dass er alle begraben will. Da macht derText sich was vor, finde ich. Und dann: Die Frau will nur die Kinderleichen begraben. 3 Wochen sind vergangen. Die sind bereits gut verfault, ich bin kein Detective, aber das muss grauenhaft ausschauen. Und stinken wie der Tod. Erkennt man überhaupt Kinder noch so? Die Frau hält also Ausblick nach halb verwesten, von Wild angefressenen Kindern und opfert ihre Kalorien für das Schaufeln. Ich glaube das unterm Strich nicht, auch wenn es interessant von dir beschrieben ist. Du könntest beschreiben, dass sie das ein oder zweimal tut bei Verwandten und Freunden oder ihrem eigenen Sohn, das würde die Tragik rüberbringen. Aber nicht in der Quantität. Und der Mann - was ist das eigentlich für ein Mensch? :D Also, dass er ihr dabei nicht hilft oder sie abbringen will in der Situation. Dadurch gefährdet sie nicht nur sich selbst, sondern gleichermaßen ihn. Also, für mich passt das leider in der Ausführung nicht.
Auch das Ziel Kenia kommt mir beinahe komödiantisch vor, ich meine es nicht böse. Ich glaube, die Kernschmelze von Atomkraftwerken sind ihr geringstes Problem, zumindest hätte es keine Priorität. Psyche und Nahrung wird ihr Hauptproblem sein. Dafür ist mir der Mann viel zu abgebrüht, ihm scheint es fast Spaß zu machen als Abenteuertrip. Und beide scheinen auch vom Kaloriendefizit nicht angerührt. Dass sie sich da auf den Weg nach Kenia (!) machen, das ist so irre weit weg, halte ich für umplausibel. Ich meine, haben die keine Atomkraftwerke in oder um Kenia? Das ist auch ein gewisses Halbwissen deines Prots, falls er kein Atomphysiker oder Journalist in dem Gebiet oder so ist, aber sich deswegen auf so eine extrem gefährliche Reise machen, so schnell? Ich glaube das nicht, ihr Fokus müsste auf ihrer Psyche und Kalorienbeschaffung liegen. Beides kommt hier nur als Randnotiz vor, weswegen ich die Schilderung für unauthentisch empfinde.
Auch die öfter beschrieben Befreiung von Tieren. Wenn sie die Schweine gefunden hätten, beide haben schon 15 Kilo abgenommen und sind völlig ausgelaugt, einer hätte gesagt, komme, lass die scheiß Teile schlachten. Wenigstens eins. Die müssen sich doch schon gegenseitig aufgefressen haben, wenn sie 3 Wochen ohne Futter überlebt haben. Danach hätten sie in der Schweinezucht Essbares gesucht. Dass sie an Tierwohl denken und selbstopfernd nach diesem Ideal handeln - das ist das Verhalten von uns, gesättigte westliche Leute, aber keine Menschen, die um ihr Überleben kämpfen und gerade alle verloren haben, die sie kennen.
Ach ja, weißt du, was passieren wird, wenn überall Leichen rumliegen, und sie 80 halb verhungerte Schweine rauslassen? :D Die Schweine werden sofort die Leichen anfangen zu fressen, und deine Prots würden das sehen.

Mitgeschriebenes:

Aoife gräbt.
Zentraler, erster Satz - dafür ist er mir zu unpräzise. Wie gräbt sie? Mit Händen oder einer Schaufel? In was gräbt sie - Sand, Erde, in einem Silo gefüllt mit Tierfutter? Könnte alles sein. Da ergibt sich bei mir an zentraler Stelle kein Bild vor Augen, ich würde das präzisieren: Aoife rammt die Schaufel in die Erde.
Mehr show don't tell in der Mikrostruktur

Den Mund hat sie mit einem Seidenschal bedeckt, ihre Hände sind geschwollen und voller Blasen. Ich sage, sie müsse aufhören, es seien zu viele.
Auch hier unpräzise formuliert - ich dachte, er meint, es seien zu viele Blasen!

Vor mir kriecht eine Hummel aus einer Blüte, an ihren Beinen kleben gelbe Pollen. Das Insekt wäre ein ansprechendes Sujet.
Viele meiner Fotos habe ich retuschiert. Ich mochte es, störende Objekte aus dem Bild zu entfernen, den sauberen Hintergrund, die Befriedigung, die sich einstellt, wenn die Komposition auf einmal harmonisch wirkt.
Finde ich redundant. Man könnte sagen, Figurenzeichnung, aber irgendwo wirkt es auf mich auch nicht im Notfallmodus der Mann, wenn er Blümchen und Bienen beobachtet

Unbeirrt setzt sie fort, was sie als ihre Pflicht erachtet, sticht mit der Schaufel in ein Blumenbeet.
redundant m.M.n.

Als ich die Kollisionen hörte, stand ich in der Küche und schnitt Tomaten, Aoife zupfte im Garten Blätter vom Basilikum. Wir rannten auf die Straße, in der Ferne sahen wir Rauch aufsteigen. Auf dem Gehsteig kauerten zwei Männer. Wir gingen zu ihnen hin, fragten, ob sie wüssten, was geschehen sei, doch sie rührten sich nicht. Als ich den einen anfasste, kippte er zur Seite, schlug mit dem Schädel auf den Asphalt. Fragend blickte ich zu Aoife, doch sie hob bloß den Arm und schrie. Ich drehte mich um und sah, wie kaum zwei Kilometer von uns entfernt ein Flugzeug vom Himmel fiel.
Ich frage mich: Welche Kollisionen? Also, sind es Asteroiden, A-Bomben oder herunterstürzende Flugzeuge? Warum sind alle schlagartig gestorben? Müssten dein Prots nicht darüber rätseln? Also, sich darunter unterhalten, das muss ihnen doch nicht aus dem Kopf gehen

Wenn ein Text von niemandem gelesen wird, ist es dann noch ein Text?
Streichkandidat

ein Gummischlauch, um Benzin aus Tanks zu saugen.
Das muss man erst mal aufgeknackt bekommen! :D

Kenia – die zwei Silben haben einen tröstlichen Klang.
Wie finden sie dorthin? Es gibt ja keine Navis mehr. Wie wollen sie über das Meer oder durch die Wüste kommen? Wieso Kenia - gibt es da keine Atomkraftwerke? Sind die vielleicht nicht noch unsicherer, mit weniger Sicherheitskonzept für diesen Fall ausgestattet? Das wissen deine Prots ja nicht - denke ich. Außerdem gibt es dort tödliche Tiere, eine Menge

Also, verzeihe mir die harte Kritik, ich finde die Grundidee gut, auch die Sprache, das hat diese Getriebenheit eines Palahniuk, ich weiß auch die Originalität mit dem Ziel Kenia und dem Leichenvergraben zu schätzen, ich glaube auch, dass dieser Text wirklich gut werden kann, allerdings müsstest du noch mal tiefer ins Geschehen eindenken und den Fokus und die Entscheidungen deiner Prots auf andere Dinge legen, m.M.n.

Der Erzählstil lässt mich auf deserted-monkey setzen

 

Hallo,

der Text ist gut geschrieben. Er hat einen guten Flow und die einzelnen Teile greifen gut ineinander. Dass du die wörtliche Rede nicht extra markierst, sondern sie sich einfach in den Text einfügt hat definitiv einen Anteil daran.
Mit diesem Szenario einer Postapokalypse hadere ich ein bisschen. Vielleicht liegt das nur an den Medien, die ich so konsumiere, aber dazu habe ich schon extrem viel gelesen/gesehen. Deine Thematik hat mich zum Beispiel sehr an eine Folge von "The Walking Dead" erinnert, wo einer der Überlebenden einen Hitzeschlag hat und fanatisch Gräber aushebt. Die anderen überwältigen ihn dann und binden ihn an einen Baum, weil er ihnen Angst macht. Na ja, whatever. Du kannst natürlich über jede Thematik schreiben, die dich interessiert und bei dir ist dieses Graben ja aus einer ganz anderen Richtung motiviert. Für mich war allerdings die "frische" Note die Reise nach Afrika, weil sie sich vor Atomkraftwerken fürchten. Aber Kenia? Eine wochenlange Fahrt durch dichtbesiedelte Gebiete stelle ich mir in dem Zusammenhang gefährlich vor. Wäre nicht beispielsweise eine Reise nach Island ungefährlicher? Oder zumindest könnten sie versuchen ein Boot nach Afrika zu nehmen - müssen sie ja vermutlich sowieso, wenn sie über den Bosporus wollen, oder?

Ein paar Details:

Ich mochte es, störende Objekte aus dem Bild zu entfernen, den sauberen Hintergrund, die Befriedigung, die sich einstellt, wenn die Komposition auf einmal harmonisch wirkt. Die Hummel fliegt los, ich folge ihr zum nächsten Beet. Aoife hält inne und fragt, was ich mache. Ich sage: Vielleicht sind wir bloß überzählige Pixel.
Ich verstehe den Sinn hinter dieser Aussage, aber ich tue mich schwer damit. Störende Objekte aus einem Bild zu entfernen hat ja nichts mit der Menge an Pixeln zu tun, sondern nur mit der Farbe der vorhandenen Pixel.

Wenn ein Text von niemandem gelesen wird, ist es dann noch ein Text?
Das hier erinnert mich an dieses "Wenn im Wald ein Baum umfällt ..." Würde ich glaube ich aus dem Text rausnehmen.

Mein Kommentar klingt vermutlich kritischer als er gemeint ist. Habe den Text jedenfalls gerne gelesen.

Mein Tipp: Hab absolut keine Ahnung :D

Grüße
Klamm

 
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Hallo lieber Autor,

Der Hund hört meine Schritte, er kläfft noch lauter als zuvor, kratzt an der Tür, vor der ich stehen bleibe.
Der Hund hat dich schon viel früher gehört. Wie lange ist er schon eingesperrt? Ist er nicht schon halb verhungert und matt?
Mit einer Dose in der Hand setze ich mich ins Auto.
Wo kommt die Dose auf einmal her?
Der Wagen ist brandneu und geräumig. Vier
Warum schreibst du brandneu, würde neu nicht reichen?
Gestern wollte mir ein Terrier, den ich befreit hatte, an die Kehle springen.
Vielleicht: gestern wollte mir ein Terrier, den ich befreite, an die Kehle springen.
Bevor wir losfuhren, nahmen wir den Sitz von der Rückbank, er ruht jetzt auf dem Parkplatz vor dem Haus, in dem wir wohnten.
Vielleicht: er liegt jetzt auf dem Parkplatz vor unserem Haus.
Im Zorn hat Gott mit den Fingern geschnippt, uns zwei nicht im Blick gehabt. Als ich die Kollisionen hörte, stand ich in der Küche und schnitt Tomaten, Aoife zupfte im Garten Blätter vom Basilikum. Wir rannten auf die Straße, in der Ferne sahen wir Rauch aufsteigen. Auf dem Gehsteig kauerten zwei Männer.
Im Zorn hat Gott mit den Fingern geschnappt, uns beide nicht im Blick gehabt.
So hast du die Verdopplung weg. Uns nicht im Blick gehabt, würde auch reichen.

Wir gingen zu ihnen (hin), fragten, ob sie wüssten, was geschehen sei, doch sie rührten sich nicht.
Als ich (den) einen anfasste, kippte er zur Seite, schlug mit dem Schädel auf den Asphalt
Fragend blickte ich zu Aoife, doch sie hob (bloß) den Arm und schrie.

Fragend blickte ich zu Aoife, (doch) sie hob (bloß) den Arm und schrie.
Wenn ein Text von niemandem gelesen wird, ist es dann noch ein Text?
Hier würde ich einen Zeilenumbruch machen.
Als ich den Motor starte, erfasst sie ein Heulkrampf. Wenn sie nicht handeln kann, überwältigt sie der Schrecken.
Vielleicht: Wenn sie nicht beschäftigt ist, erfasst sie Panik.
Wir fahren einen (langen) Umweg, weil eine Brücke mit Autos verstellt ist und es kein Durchkommen gibt.

Die letzte Nacht haben wir im Freien verbracht, weitab von jeder Siedlung. (Dieses Mal) finden wir ein leerstehendes Ferienhaus.
Vielleicht: Heute finden wir ein leer stehendes Ferienhaus
Sie ist hart und bequem, die Leinen riechen nach Frühling und Blumen.
Für mich widerspricht sich hart und bequem!
befürchte, dass ich den Leichengeruch niemals (wieder) aus meiner Nase bekomme, und halte inne.
Bilde ich mir den Gestank (wirklich) nur ein?

Was hat dieser Mensch im Keller gemacht? Hier oben gibt es keinen Hinweis auf seine Anwesenheit.
Würde ich weglassen. Es haben Menschen in diesem Haus gewohnt und die hatten sicher auch was im Keller zu tun.
Unter mir mäandert ein Fluss durch die grüne Landschaft.
Da stimmt was nicht.

Da ist eine Katastrophe passiert. Ich erfahre nicht, warum, und ich erfahre auch nicht genau wann das war. Die Tiere leben noch und ich erfahre nicht, warum das der Fall ist.
Kann mir gut vorstellen, dass dieser Wunsch nach Kenia zu reisen genauso irrational ist, wie die Kinder zu begraben?

Es ist eine „verrückte“ Welt geworden, in der „verrückte” Reaktionen vorstellbar sind.

Der Wunsch, der Frau ein Kind zu bekommen, erinnert mich an das Zitat, das Martin Luther zugeschrieben wird: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbaum pflanzen.“

Lieber Autor, vielleicht kannst du mit meinen Gedanken etwas anfangen.

Michael W

Eine schöne Woche wünsche ich Dir
CoK

Das ist mir noch aufgefallen:

Wir reden wenig. Ich vermiede es, über die Vergangenheit zu sprechen,
Vermied, oder vermeide es.

 

Hallo Maske

Ich habe das gerne gelesen, ich mag die Sprache und den Erzählstil. Allerdings ist der Text weder Fisch noch Vogel. Zum einen spricht er Themen wie Menschlichkeit an und stellt die Frage, welchen Sinn das Weiterleben hat, wenn es keine anderen Menschen mehr gibt. Dazu schaffst du ein recht klinisches Szenario: Alle bis auf zwei sind tot (zumindest gibt es im Internet keine Lebenszeichen), Konservendosen und Getränke sind im Überfluss vorhanden, es besteht keine unmittelbare Bedrohung. (Allerdings können sich die Protas da nicht sicher sein). Also kein direkter Überlebenskampf, sodass genügend Raum für Sinnfragen etc. entsteht. Ich fand das ganz reizvoll, dass da zur Abwechslung keine Zombies oder Kannibalen lauern. Zeit also, um auch mal Tiere zu retten und sich über den Fortgang der Menschheit Gedanken zu machen.
Gleichzeitig fährst du aber eine realistische Schiene, die eben doch an die klassischen Szenarien anknüpft. Ich nehme an, das tödliche Ereignis ist ein paar Tage her. Vor drei Wochen haben sie noch ein Auto gekauft und der Erzähler sagt mal, dass der Geruch in den letzten Tagen aufgekommen ist. Da ploppen gleich die Fragen auf. Wo liegen die Leichen überall? Gibt es Ratten? Infektionsgefahr? Müsste es nicht an vielen Orten brennen? Es war ja Essenszeit, die beiden am Kochen. Es werden viele Herdplatten nicht mehr ausgeschaltet worden sein…
Die Atomkraftwerke. Das Netz funktioniert noch eine Weile und sie haben wahrscheinlich dazu recherchiert. Dennoch stellen sich auch hier Fragen. Ist das die erste und grösste Sorge, die man hat? Und Afrika? Okay, Rationalität ist ein Thema im Text und du kannst sagen, die merken am Ende ja selbst, dass das kein echter Plan sein kann.
Vielleicht ist es möglich, dass du diese Fragen beantworten kannst. Das Problem ist halt, dass du sie provozierst, indem du solche Dinge überhaupt erst antippst. (Welcher Zombie-Apokalpyse-Film wurde je dafür kritisiert, dass er die Möglichkeit von Kernschmelzen ausser Acht lässt?).
Die praktischen Fragen lenken von den anderen Fragen ab, was ich schade finde. Lohnt es sich, die Menschheit zu erhalten? Stört die Menschheit bloss das harmonische Gesamtbild (das du zweimal erwähnst, am Anfang und am Ende). Ich denke, ich wäre da entweder konsequenter oder aber länger. Das heisst, du fährst die realistische Schiene, machst das aber sauber und auf längerer Strecke und lässt die Sinnfragen nach und nach einfliessen.

Aus dem Bauch heraus tippe ich auf deserted-monkey

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Maske

The Road, McCarthy als Inspiration?

Habe ich sehr gerne gelesen (beides, Mc Carthy und deinen Text).

Trotzdem: Schwieriger Text, als was kann ich ihn lesen? Die subjektive Wahrnehmung eines Menschen in einem postapokalyptischen Szenario? Dann lese ich ihn als Psychogramm, als eine Charakterstudie, weniger als Narration. Kurze Beschreibung zum Prota: Hochschulabschluss, reflektierend, intelligent, liest gerne, auch als Photograph gearbeitet, vielleicht auch ein gewisses philosophisches Interesse (hat sich in der Stadtbücherei "Kurze Zusammenfassung zu Sokrates" ausgeliehen, aber eher überflogen als elaboriert durchgelesen), auch jemand, der an die Kraft logischen, diskursiven Denkens glaubt, jemand, der in Notfallsituationen ganz gut reagieren kann, aber das Überleben in der Postapokalypse überfordert ihn (wen nicht?), vielleicht ein Mensch kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Hohe moralische Standards, gewissenhaft.

Vor dem Hintergrund einer Charakterstudie und dem Denken deines Protas: Kann ich überhaupt einen Satz sprachlich kritisieren? Kann ich, aber weniger das Wie sondern das Was: "Städte meiden wir". Das ist ein Satz eines Menschen, der die ganze Welt sieht. Der aus seiner Erfahrung einen Schluss für sein Handeln zieht. Ich glaube, er müsste anders sprechen: "Wir haben Kopenhagen südlich umfahren." Oder: "Wir fuhren in die Berge." Oder: Er erwähnt das gar nicht. Warum? Weil sein Leben jetzt keine Stabilitäten kennt. Er muss auf das Reagieren, was passiert. Jeder Tag ist irgendwie anders. Jede Situation ist irgendwie anders. Es gibt keine Sicherheiten, es gibt nur: Reagieren im Jetzt und Reagieren für Gleich.

Szenario aus der postapokalyptischen Welt: Platt gefragt, wie ist das denn so? So eine postapokalyptische Welt? Und dann fängt man an, den Vogel zu spielen, der diese Welt sieht, da gibt es eben Stadt und Land, und Ruinen und marodierende Banden und Rauch. Niemand fängt mit der schwarzen Rinde eines Baumes am Straßenrand an, in den Dorfkinder ein paar Zeichen geritzt haben. Aber ich glaube: Letztere Detailsicht entspräche der Wahrnehmung deines Protas eher. "Städte meiden wir" , so denke ich als Leser, wenn ich mir paar Stichworte zur postapokalyptischen Welt mache. Solche Verallgemeinerungen könnte man vermeiden. Sie treffen die Vorstellung des Lesers über etwas, sie basieren auf der Vorstellung des Autors, nicht des Protas.

Zum Handeln deines Protas: Alles, alles, alles ist subjektive Wahrnehmung. Kann ich überhaupt sagen, welches Handeln in einer solchen Situation plausibel ist? Ich denke nicht. Klar, man argumentiert gerne mit der Maslowschen Bedürfnispyramide, die sozusagen das Überleben vor die moralische Reflexion setzt. Aber dein Protagonist hat ja anders gelebt, er hat in der Präapokalypse ein Denken gepflegt und erlernt. Vielleicht wäre das das Thema deines Textes: Präapokalyptische Denkreste in der Postapokalypse.

Was ich aber kritisiere: Die Beziehung zu Aiofe. Wer ist Aioife, warum ist sie deinem Protagonisten wichtig, warum bleibt die Beziehung paternalistisch - der Protagonist, der sich um Aiofe kümmert. McCarthy hat eine Vater-Sohn-Beziehung geschrieben, hier ist das Verhältnis dem Leser sofort klar, der Vater in seiner Vaterrolle. Aber in deinem Text wird der Grund der Beziehung nicht verdeutlicht. Sie ist einfach da und hebt die Hände und schreit. Okay, die Rolle der Überforderten. Was macht Aiofe mit dem Protagonisten? Das wird sprachlich eine Kreisquadratur, der Leser sollte über den subjektiven Bericht den Einfluss Aiofes auf den Protagonisten spüren, aber der Protagonist bleibt in seiner altruistischen, paternalistischen Rolle gefangen. Ist der Protagonist in der Lage, seine Überforderung mit der Situation zuzugeben? Kann er das? Belügt er sich selbst?

Dann die narrative Frage: Was wird hier erzählt? Die Ich-Perspektive konzentriert den Text auf das Psychologische. Gibt es in dem Text eine psychologische Entwicklung? Ist zwischen Beginn und Ende des Textes ein Unterschied? Soll dein Text nur eine Charakterstudie sein oder möchtest du eine Entwicklung andeuten?

Ich hoffe, der Kommentar ist nicht zu chaotisch.

lg
kiroly

 
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Hallo du,
für mich ist das ein Text, in dem die Beziehung im Vordergrund steht. Zwei Menschen, ein Paar, die vor drei Wochen ein Auto gekauft haben, mit Kindersitz obwohl es noch kein Kind gibt. Ich lese auch heraus, dass die Beziehung von einem bisher unerfülltem Kinderwunsch belastet ist, weil der Kindersitz zu einem Streit geführt hat.

Diese Paardynamik wird dann in ein Endzeitsetting geworfen, indem es keine weiteren Überlebenden zu geben scheint. Das Paar wird auf sich selbst zurückgeworfen. Nur die beiden sind übrig, ich nehme das so hin, weil mir der Autor das gut verkauft. Und ich finde das grundsätzlich eine spannende Ausgangssituation.

Ich mag auch diese seltsame Distanz des Ich-Erzählers und finde die gleichzeitig beunruhigend. Der wirkt schon ein bisschen autistisch. Wie er da diese Hummel beobachtet. "Das Insekt wäre ein ansprechendes Sujet." Ich finde das wirklich seltsam entrückt. Der spricht schön, aber eben auch total distanziert. Wie er dann ausrechnet, wieviele Kinder Aiofe begraben müsste: "30% sind unter 18." Oder, wie er zu ihr sagt: "Vielleicht sind wir nur überzählige Pixel." Das verstehe ich als: Da hat uns jemand vergessen und ich sehe jemanden, der sich darüber Gedanken macht, warum die beiden noch da sind. Der fragt aber nicht: Was zum Henker ist hier eigentlich los?, sondern sagt: Vielleicht sind wir überzählige Pixel, vielleicht hat Gott mit den Fingern geschnippt und uns übersehen.

Da es vom Erzähler keine Informationen zu irgendeiner Ursache gibt, bilde ich mir selbst eine Hypothese auf der Basis dessen, was er sagt und die ist: Von jetzt auf gleich sind einfach alle Menschen gestorben - nur die beiden sind noch übrig (ja gut, vielleicht wurden irgendwo noch andere übersehen, aber wenn das so ist, dann sind es wirklich nur wenige). Das Flugzeug stürzt ab, weil es von niemandem mehr gesteuert wird, es gibt Kollisionen, weil Autos ineinander fahren, etc.

Dann sagt er: Ich könnte sie anschreien. Aber er tut es nicht. Das findet er wichtig zu sagen. Ich könnte, aber ich tue es nicht. Warum er es nicht tut, findet er offenbar nicht wichtig zu erzählen. Er rettet Hunde und Schweine und ist überrascht über die Oberflächlichkeit seiner Gedanken. Er erzählt völig emotional unbeteiligt wie sie die Eltern begruben und dass es nicht lohnt, darüber zu grübeln, wo seine Schwester gestorben sein könnte.

Aoife buddelt Leichen ein, wird vom Schrecken überwältigt, will ihre Menschlichkeit nicht preisgeben. Sie hat einen Hang zum Irrationalen (kauft ja auch einen Kindersitz, obwohl es noch kein Kind gibt). Er denkt: Kenia hat einen tröstlichen Klang und sagt: Wir müssen weitermachen! wenn sie weint.

Dann kommt diese seltsame Szene am Morgen im Bett. Er will Kondome benutzen. Jetzt sagt sie: wir müssen weitermachen. Sie will noch immer ein Kind. Das fällt mir wirklich schwer zu glauben an der Stelle. Er könnte auch sagen: Geht nicht, wir haben den Kindersitz zurückgelassen. Irgendwie abstrus. Ich mag die Stelle grundsätzlich, also dass das Thema Kinder da noch mal angeschnitten wird (bei walking dead gabs glaub ich nie kondome ;-)), aber momentan wirkt die im Text für mich noch etwas wie ein Fremdkörper, noch nicht rund und nicht organisch eingebettet. Er sagt auch irgendwo, dass sie sich voneinander entfernt haben und ich frage mich, ob das jemals anders war. Irgendwie wünsche ich mir, dass da mal was aufbricht in ihm, ok, das geht wahrscheinlich nicht, aber dass sie dann wenigstens mal was sagt, dass was aufbricht _zwischen_ den beiden. Irgendwie finde ich es auch passend, dass das nicht so ist, ein Aufbrechen wäre vielleicht zu kathartisch.

Du siehst, ich hab das gerne gelesen, ich mag den Rhythmus und finde das gut komponiert.

Mich hat der Text total an den Islandtext von Carlo erinnert, nur eben in nem Endzeitsetting, darum: Carlo Zwei

PS
Mit einer Dose in der Hand setze ich mich ins Auto. Seit wir unterwegs sind, trinke ich nur noch Cola. Das Rot der Etikette, der elegante Schriftzug, das Geräusch, wenn ich die leere Büchse zerdrücke; das alles steht für die Zivilisation. Der Wagen ist brandneu und geräumig. Vier mal vier.
Was mich total irritiert hat, ist zum einen die Etikette. Meinst du das Etikett? Aber Dosen haben doch gar kein Etikett, die sind doch nur bedruckt. Und was ich einfach nicht verstehe: Vier mal vier. Was bedeutet das? Hat das was mit der Anzahl der Sitze zu tun? :confused:

 

Ihr Lieben!

Die Maske lässt sich vielmals entschuldigen, sie ist heute unterwegs, den ganzen lieben langen Tag ganz ohne Rechner und deswegen wird erst morgen zum letzten Tanz aufgespielt. Wer also noch mittanzen will, der schwinge sich auf Parkett :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Das war lustig, liebe Leute! Vielen Dank für eure Kommentare! Ich fand es spannend zu sehen, wie unterschiedlich der Text gelesen und beurteilt wurde. Als was der Text überhaupt gelesen wurde. Viele hilfreiche Anmerkungen. Einige Fragen, von denen ich gehofft habe, dass sie der Text aufwirft, die dann aber als kritische Einwände gegen den Text vorgebracht wurden.
Zum Ratespiel:
Einen verräterischen Patzer habe ich mir geleistet: In der Schweiz sagen wir Etikette und nicht Etikett. Dotslash greift auf externe Infos zurück. Wie man an meinem Avatar erkennen kann, ist Wildlife-Fotografie meine neue Leidenschaft (die beinahe mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Schreiben). Eine solide Vermutung, dass das in die Geschichte eingeflossen ist, @dotslash. 😊

Zum Text:

für mich ist das ein Text, in dem die Beziehung im Vordergrund steht.
Es gibt ja diesen Ratschlag, dass man Protagonisten in prekäre Settings stecken soll, um einen Konflikt aufkommen zu lassen oder ihn zuzuspitzen. Berghütte, Lift usw. Dieses Prinzip wollte ich in extremis umsetzen. Im Vordergrund stand für mich also die Beziehung der beiden Protas, die ich nicht allzu durchsichtig gestalten, deren Vergangenheit ich auch nicht ausführlich darstellen wollte. Ich dachte, es werde deutlich, dass Aofie über Durchsetzungskraft verfügt: Den Kindersitz fürs Auto haben sie gekauft, obwohl der Erzähler das irrational findet. Dieses Schema zieht sich in der Gegenwart weiter, auch wenn der Erzähler das anders darzustellen versucht. Sein Widerstand ist passiv kommentierend, er hindert Aoife u.a. nicht daran, die Leichen zu begraben. Ich fand @kirolys Formulierung sehr schön: Präapokalyptische Denkreste in der Postapokalypse. Ich ergänze: Präakopalyptische Beziehungsreste in der Postapokalypse. (Dummerweise für mich schreibt kiroly, dass das vielleicht das Thema des Textes wäre, wohingegen ich dachte, dass es das Thema ist. :D) Ich fand auch kirolys Frage, ob der Erzähler sich selbst belügt, sehr schön. Leider (für mich) steht diese Frage ebenfalls im Kontext einer Kritik am Text, während ich dachte, dass sie sich aus dem Text heraus aufdrängen müsste, ebenso wie die Frage, ob der Erzähler wirklich so rational ist, wie er sich gibt.
Auf alle Fälle fand ich folgende Thematik grausam reizvoll: Was, wenn ich mich mit dem einzigen Menschen, der sonst noch überlebt hat, nicht (mehr) gut verstehe? Insofern war das Ganze eher als Alternative zu The Road gedacht. Die Konstellation dort ist ja ganz anders, ich bin fast geneigt zu sagen, die ist ein bisschen sentimental: Die grenzenlose Liebe zwischen Vater und Kind. Ich wollte eine andere Situation schaffen. Daher auch der Titel: Entfernung. Wir müssten gut zueinander sein, aber es gelingt uns nicht. Ich fühle mich weit weg von ihr.

Meine zweite Absicht war es, eine Postapokalypse zu schreiben, die nicht das physische Überleben ins Zentrum stellt. Auch das wird mit dem abstrakt gehaltenen Titel angesprochen: Die Menschheit wird von der Erde entfernt. Wäre das schlimm? Muss sie aus der Asche wieder neu auferstehen (Aoife wird ungefähr so ausgesprochen wie ein englisches «Eva»)? Falls das nicht möglich ist, weil es tatsächlich keine weiteren Überlebenden gibt: Welchen Sinn hat es, weiterzuleben? Ich fand das Luther-Zitat, das @CoK ins Spiel gebracht hat, sehr passend hierzu. @jimmysalaryman merkt kritisch an, der Text sei eine Folie. Ja, das war ein Stück weit so gedacht, ein Gedankenexperiment unter Laborbedingungen gewissermassen, auf Kosten der organischen Wirkung, dessen bin ich mir bewusst.

Die Konzeption wirkt sich auf das Setting aus. Im Kommentar zum eigenen Text habe ich von einem klinischen Setting gesprochen. Natürlich: Wenn die Protas krank werden oder sich verletzen, haben sie unter Umständen Pech gehabt, niemand wird ihnen den Blinddarm entfernen. Dennoch denke ich, dass es (ausser Atomkraftwerken :)) tatsächlich keine grösseren direkten Gefahren gibt: Genug Nahrung. Genug Schutz. Keine Bedrohung durch andere Menschen. (Subjektiv sieht es anders aus, denn die Portas können sich nicht sicher sein, dass das, was alle anderen getötet hat, sie nicht ebenfalls töten wird, oder dass noch andere Menschen überlebt haben, die sie bedrohen werden [obwohl ich keinen Grund sehe, weshalb sie das tun sollten: Es gibt ja genügend Ressourcen für alle])
So oder so, was ich auf alle Fälle nicht schreiben wollte, war ein Survival-Text. Dennoch lädt der Text offenbar dazu ein, ihn so zu lesen, als wolle er erzählen, wie sich Menschen in der beschriebenen Situation vernünftigerweise verhalten werden/sollten, um ihr Überleben zu sichern. So war es nicht gemeint. Er soll zwar schon Fragen aufwerfen. Weil aber Rationalität/Irrationalität explizit ein Thema des Textes ist, dachte ich, dass die allenfalls als unvernünftig taxierten Handlungen (z.B. Leichen begraben [gemäss meiner Recherche nicht gefährlicher als der Umgang mit Lebenden], nach Kenia fahren wollen) als Unzulänglichkeiten der Figuren gelesen werden und nicht als Unzulänglichkeiten des Textes. Ich denke, da müsste ich vielleicht noch nachlegen und anpassen. Zum Beispiel hatte ich Passagen angedacht, in der die erwartbaren Reaktionen beschrieben werden: Nach dem Ereignis rennen sie ins Haus, verschanzen sich, rufen Familie und Freunde an, niemand geht ran. Was hat all diese Menschen getötet? Ein Virus? Müssen wir in den Keller? Müssen wir uns Waffen besorgen? Internet, Nachrichten. Nichts. Als wäre die Zeit stillgestanden. Danach Panik, Trauer, Schock. Was ist mit den Eltern? Mit den Freunden? Ich habe vieles davon weggelassen oder nur angedeutet, weil ich dachte: Wurde ja schon tausendmal beschrieben, kann man sich ja denken. Und weil es eben nicht der Fokus des Textes sein soll. Und weil ich keine Lust hatte, das alles zu schreiben. Aber das war vielleicht keine gute Idee.

Das klinische Szenario und die eher abstrakten Fragestellungen führen dazu, dass der Text kurz ist und schnell auf den Punkt kommt, vor allem was die Kinderfrage betrifft. Dass das einigen zu schnell geht, zu plakativ ist, zu wenig subtil, kann ich gut nachvollziehen. Einerseits wollte ich das zwar so haben, andererseits sehe ich schon, dass das nicht so richtig überzeugt. Für mich ist das die hauptsächliche Baustelle, wenn ich mich nochmal an den Text setze.

Ui, das war eine Achterbahn. Vielen Dank für die tollen Kommentare! Im Verlauf der Woche werde ich auf die Rückmeldungen einzeln eingehen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hey @Jahn van Halen

"Schöne" Dystopie.
Danke dir. ich habe den Text parallel zu dem anderen geschrieben, den ich vor einiger Zeit hier eingestellt habe. Nach Stunden der Arbeit an diesem anderen, eher deprimierenden Text, habe ich mir jeweils Zeit genommen, um etwas Fröhlicheres zu schreiben. Das meine ich ganz ohne Ironie. Sich Endzeit auszumalen, ist ja irgendwie auch lustvoll.
Erkenne da auf den ersten read nichts, was mich stört, auch keine Fehler, dazu müsste ich allerdings nüchtern sein.
Hehe. Betrunken lesen zu können, ist bereits eine bewundernswerte Gabe. Fehler finden, wäre zu viel verlangt.

Hab vielen Dank für diesen knackigen Erstkommentar, hat mich sehr gefreut.


Liebe @greenwich

Danke dir für den schönen Kommentar!

Hier hacke ich auch beim zweiten lesen. Warum weist sie zum Himmel?
Ja, ich sehe den Punkt. Ich wollte anzeigen, was das für ein Text ist. Zunächst der technische Titel und dieser seltsame Name Aoife, dann die theatralische Geste mit der Schaufel zum Himmel und schliessslich spricht sie auch noch von Menschlichkeit. Ich wollte deutlich machen, dass das kein Text über Rita Hinz und Harald Kunz ist, die gerade in eine Apokalypse gestolpert sind, sondern ein eher artifizieller Text, eine Art ausgearbeitetes Gedankenexperiment. Allerdings weiss ich nicht, ob ich solche Texte überhaupt mag oder doch lieber diejenigen über Rita Hinz, die ich normalerweise ja auch schreibe.
Ich denke auch, dass ich da noch konsequenter hätte sein sollen, mein Kommentar zum Text war durchaus ernst gemeint.
Ich bin ich kurz hängengeblieben. Geht es um den Laden (Getränke, sonstiges) oder um die Rettung des Hundes. Ich würde ein Wort mehr der Erklärung gut finden, so überlege ich die ganze Zeit, warum?
Ich habe zum Teil recht verknappt, ich sehe den Punkt. Er könnte die Cola schon mal in die Hand nehmen und dann erst den Hund hören. Was wiederum nicht so realistisch ist. Muss ich mir noch was überlegen.
Wie gesagt, mir fehlt ein bisschen sein Inneres!
Das gehört zum Konzept. Ich wollte eine Figur, die zwar reflektiert, aber nicht so sehr, dass sie explizit Zugang zu sich selbst findet. Das wollte ich eher den Lesern überlassen. Persönlich finde ich das einen der schwierigsten Punkte beim Schreiben: Wie viel Innenleben soll man zeigen? Zeigt man zu wenig, bleibt die Figur fremd, zeigt man zu viel, bekommt der Text Erklärcharakter. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb ich inzwischen lieber längere Texte schreibe, da ist die Balance einfacher, finde ich.
Lass ihn doch bitte ein, zweimal eine Schritt weiter denken. Ich kann die logische, zweckorientierte Herangehensweise voll akzeptieren, aber dann sollte er sich das auch eingestehen. Denn wenn er hier an Gott glaubt, müsste es eine andere Ebene in seinen Gedankengängen geben. Aber das ist nur mein Gefühl zum Text.
Ich hatte zuerst die Formulierung "Als hätte Gott mit den Fingern geschnippt", habe das dann aber durch eine direktere Fomulierung ersetzt. Das war keine gute Idee. Die Aussage sollte nur einen Gedanken ausdrücken, kein Glaubensbekenntnis. Werde ich ändern.
Für Sie erklärt der Prot ja, warum sie so handlungsgetrieben ist. Für ihn fehlt mir das wirklich. Denn zwischen den Zeilen steht durchaus einiges, aber es ist nicht klar genug
siehe oben
kurze Logikfrage: setzt die Wasserversorgung nicht auch aus, ohne menschliches Zutun?
Gute Frage. Es gibt auch autonome Wasserversorgung, das Haus ist abgelegen. Das ist so einer der Punkte, bei denen ich mir gedacht habe, ja, wenn du das wirklich sauber darlegen willst, sodass keine Fragen aufkommen, beziehungsweise alle Fragen befriedigend beantwortet werden, dann wird der Text zehnmal so lang. Ich bin sicher, dass es Leute gibt, die das könnten. Meine Befürchtung war, dass der Text von Erklärungen und Reflexionen überquillt, wenn ich es versuche. In etwa so:
"Bist du dir eigentlich sicher, dass wir nach Kenia fahren sollten?"
"Warum denn nicht?"
"Da hat es doch Löwen und Schlangen!"
"Okay, ich denke unter der Dusche noch mal darüber nach."
"Glaubst du denn, das Haus, in das wir eingestiegen sind, hat eine autonome Wasserversorgung?" :D
Nun lobe ich Dich fürs Vertrauen in uns Leser und schwubs, verstehe ich die Reaktion nicht. Zumindest kommt mir ihr Umschwung zu schnell, nur der Buchladen ist für mich zuwenig oder habe ich vorher schon etwas überlesen?
Meine Idee war: Es braucht nur wenig, um alles (wieder) zusammenbrechen zu lassen. Der Blick auf Bücher, die niemand je wieder lesen wird. Aber ja, das ist knapp.

Es hat mich sehr gefreut, von dir zu lesen, und es hat mich gefreut, dass dir der Text gefallen hat.

Lieber Gruss euch beiden
Peeperkorn

 

Hallo Peter!

Mir hat dein Text gefallen. Er beginnt irgendwo und endet auch dort. Der Leser weiß nicht, was passiert ist, ob noch jemand anderer als die beiden Prot lebt, schon gar nicht, wie es weitergeht. Er ist ein Schlaglicht, eine Momentaufnahme, genau das, was eine gute Kurzgeschichte per Definition sein soll. Sie beschreibt die Hilflosigkeit der Protagonisten angesichts der brutalen Realität für die sie beide keine Erklärung haben. Jeder versucht vorerst, auf seine Weise damit fertigzuwerden. Aoife schaufelt Gräber, klammert sich an Kultur und Menschlichkeit und plant gleichzeitig Nachwuchs für eine verlorene Welt, will nicht so recht wahrhaben, was passiert ist. Er hingegen bevorzugt Kondome, simuliert Stärke durch Ignoranz, schmiert sich Tigerbalm in die Nase, um den Leichengestank zu unterdrücken, trinkt massenhaft Cola, rettet Tiere - wovor eigentlich? - und plant eine Zukunft im fernen Afrika, jenseits aller bösen Technik.
Eine gut profilierte Figurenkonstellation mit tiefgehender Innensicht, nebst gelungener atmosphärischer Bilder, bilden den Schwerpunkt dieser Geschichte, die aus meiner Sicht durchaus so bleiben kann, wie sie sich darstellt. Mir fehlt weder Ursache noch weiterer Fortgang. Es war mir ein Lesevergnügen!

LG, Manuela :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @dotslash

Hab vielen Dank für den Kommentar, der ging recht gäbig runter. :)

Prima Text, eindringlich in seiner Verknappung, echt gut geschrieben.
Danke dir!
die Befreiung der schicksalshaft vernachlässigten Tiere. Bei SK waren es die vor Schmerzen muhenden Kühe mit ihren prall gefüllten Eutern, die niemand mehr gemolken hat. Hier sind es die Schweine, deren Qual gekonnt zwischen den Zeilen angedeutet wird.
Ist ja so eine Sache. Macht man das dann wirklich? In meiner Recherche zur Frage, was geschieht, wenn von heute auf morgen keine Menschen mehr existieren, bin ich darauf gestossen, dass danach noch all die Nutztiere und viele Haustiere sterben werden. Ich fand es bezeichnend, dass die Umwelt auch dann noch Schaden davontragen wird, wenn es uns nicht mehr gibt, auch wegen der Kernkraftwerke. Gleichzeitig wollte ich aber auch eine intakte Natur zeigen, viele Tiere erwähnen. Sie werden uns überleben.
ist ja eher cremig, bin einfach kurz hängen geblieben.
Ah, ich hatte die Farbe im Kopf, nicht die Konsistenz.
Irgendwie stört mich hier die Satz-Abfolge. Vorschlag:
Stattdessen verlasse ich den Park, hole die Axt aus dem Wagen, überquere die Straße und schlage das Schaufenster eines Ladens ein. Keine Kunden, keine Leichen. Scheint geschlossen gewesen zu sein, als es geschah.
Er bricht dort ein, weil er sieht, dass der Laden geschlossen war. Er möchte nicht über Leichen steigen, um sich eine Cola zu holen.
Eine Cola-Dose ist ja eigentlich rot lackiert.
Ach je. Natürlich!

Schöne Rückmeldung, die hat sich gut angefühlt.

Hey @jimmysalaryman

Das ist ein Text, den man schnell lesen muss und dem man dann keine Fragen stellen darf.
Hehe. Ja, das bringt es auf den Punkt, auch wenn ich denke, dass sich die eine oder andere Frage durchaus beantworten lässt. Ich wollte den Text recht straightforward haben, einer, der in seiner Kürze antippt, dafür halt nicht ganz zugreift.
Warum will Aoife (warum auch dieser Name? Warum darf es nicht Rita sein? Warum immer direkt den Protagonisten so mit bedeutungsschwangerem Hintergrund vollpumpen?) die Menschen begraben? Wie soll das technisch auch gehen? Wenn fast alle tot sind, wie es impliziert wird, dann müssten sie ja nichts anderes tun außer Menschen zu begraben.
Ich dachte mir, dass da einiges an Kritik kommen wird, falls du den Text kommentierst. Das entzündet sich bereits am Namen der Prota, da wird eigentlich schon klar, dass das ein eher programmatischer Text ist, auch mit der bedeutungsshwangeren Geste mit der Schaufel, die zum Himmel zeigt und dann noch die Menschlichkeit. Ich sehe schon, dass das einen Leser wie dich nicht anspricht und nicht überzeugt. Ich weiss auch nicht, ob es mich überzeugt hätte, wenn der Text von einer anderen Person geschrieben worden wäre. Hatte aber Lust darauf.
Menschen zu begraben ist unvernünftig, ja. Aber der Erzähler macht das ja selbst explizit. Der Prota sagt deutlich, dass er denkt, Aoife habe den Verstand verloren. Das ist ja eigentlich die Basis für den ganzen Text, dieser Konflikt. Damit wird alles, was sie in der Folge tun, auch ein bisschen in Frage gestellt, das war zumindest meine Absicht. Dass man sich als Leser irgendwann fragt, ob vielleicht auch der Erzähler den Verstand verloren hat.
Es gibt auch keinen zeitlichen Marker, wie lange ist das her, diese unbenannte Katastrophe?
Ich finde schon. In den ersten Tagen hat man nichts gerochen, jetzt wird es jeden Tag schlimmer. Das verweist auf ein paar wenige Tage.
Nach drei Wochen begräbt man, denke ich, rein schon aus Selbstschutz nicht mehr irgendwelche verwesten Leichenteile.
Ne, ne, vor drei Wochen waren alle noch munter und die beiden haben ein Auto gekauft. Und offenbar ist es relativ unproblematisch, Leichen zu begraben. Natürlich kann man sich anstecken (Diese Sorge äsusert der Erzähler ja auch explizit) Aber der Verwesungsprozess schafft keine zusätzlichen Gefahren, der riecht nur schlecht.
Es dürfte auch gefährlich werden, denn Aas lockt eben auch wilde Tiere an, die sich dann rasch vermehren würden etc.
Nach wenigen Tagen in der Schweiz oder etwas weiter im Osten, wo sie jetzt vielleicht sind, denke ich nicht, dass da Wolfsrudel herumstreunen. Ich habe vor allem an Ratten gedacht, aber die brauchen ja auch ein bisschen Zeit, um sich zu vermehren. Krähen habe ich erwähnt.
Ob das wirklich so wäre, halte ich für unwahrscheinlich. Ich jedenfalls würde es mir nicht zur Aufgabe machen, wildfremde Menschen zu begraben, während ich versuche, zu überleben.
Wie erwähnt, wollte ich die Szenerie so haben, dass es keinen Überlebenskampf gibt. Die müssen nur in die Läden rein und sich Spaghetti und eine Büchse Tomatensauce holen, die sie dann auf ihrem Gaskocher zubereiten. :D Mir ist aber klar, dass das auch ein bisschen erzwungen, eben programmatisch wirkt. Vor allem auch, weil die Prota sich nicht sicher sein können, ob es nicht doch noch Bedrohungen gibt.
Mir sind die Dialoge auch zu ausgestellt, zu hölzern, zu unorganisch, ich habe das Gefühl, die Protagonisten adressieren ihre Ideen direkt an den Leser.
Ja, sehe ich.
Klischeefallen: Wir müssen weitermachen. Das können wir einem Kind nicht antun. Das Leben schenken. Das Überleben hat einen Sinn. Just like the do it in Hollywood. Diese Frage, ist das wirklich die drängendste? Klar kann die mitschwingen, aber die darf doch nie konkret thematisiert werden, das nehme ich den Figuren auch nicht ab,
Auch das.
Inzest?
Wird explizit gemacht, indem Aoife gleich unmittelbar nach ihrer Absichtserklärung sagt, dass es noch andere Menschen geben muss.
Hier wird es dann hundertpro unglaubwürdig. Kenia. Woher weiß er das mit den Atomkraftwerken? Ist das gesichertes Wissen? Würde Irland nicht ausreichen? Oder Island?
Das Internet funktioniert zunächst noch. Ich habe dreissig Sekunden gebraucht, um eine Karte mit allen Kernkraftwerken weltweit zu finden. Kenia ist halt am weitesten entfernt von allen. Ich fands auch lustig, dass die letzten Menschen dorthin fahren, wo die ersten hergekommen sind.
Übers Meer in die Kälte würde ich nicht wollen. Aber ich will das gar nicht so sehr verteidigen (auch wenn ich den grundsätzlichen Plan nicht abwegig finde, ich habe halt auch all die vergangenen Jahre Jodtabletten nach Hause geschickt bekommen). Dass das vielleicht nicht der optimale Plan ist, sollte klar werden, habe ich mir gedacht, man kann das Ende ja auch so lesen, dass sie umkehren. Aoife hat als letztes gesagt, dass sie nach Hause möchte.
Der Text funktioniert in sich, als geschlossene Einheit, dennoch gut. Man liest ihn, er wirft offensichtlich an den Leser gerichtete Fragen auf, er ist auch gut komponiert, aber in weiten Teilen wirkt er unglaubwürdig auf mich und auch zu sehr wie eine Folie, die Fragen sind zu direkt, da oszilliert nichts
Damit kann ich leben. Es ist nicht der anspruchsvollste, tiefgehendste Text, den ich je geschrieben habe. Hoffe ich zumindest.

Ein guter Kommentar, der die Drawbacks meiner Konzeption aufzeigt. Danke dir sehr dafür!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @zigga

Danke dir sehr für deinen Kommentar.

Er wirkt auf mich noch zu undurchdacht, zu raw. Das Setting der Postapokalypse ist reizvoll, als Schreiber wie als Leser, aber hier gibt es zu viele Details, die mir nicht ganz zu Ende gedacht schienen im Anbetracht des Szenarios der Postapokalypse, des Überlebenskampfes.
Hm. Da wird gleich deutlich, dass du das ganz anders gelesen hast, als ich das haben wollte.
Dein Szenario ist ja bereits in Woche 3.
Nein. Vor drei Wochen haben sie ein Auto gekauft. Aus den Aussagen über die Geruchsentwicklung kann man m.E. ableiten, dass es wenige Tage her ist.
Beispielsweise das Begraben der Leichen. Das wirkt für mich unlogisch - deine Prots fahren also quer durchs Land, überall liegen Tote und die Frau hat sich nichts anderes in den Kopf gesetzt, als überall Halt zu machen und Tote zu begraben. Und besonders: Kinder. Der Mann schüttelt den Kopf und lässt sie machen, beobachtet Bienen derweil. Da stimmt für mein Menschengefühl etwas nicht.
Aber das ist doch das Thema des Textes, dachte ich mir. Er sagt ja, sie habe den Verstand verloren, weil sie Leichen begräbt. Und sie wirft ihm vor, dass er untätig herumsteht. Also die Figuren sehen das ja, was du hier sagst. Dass du das irrationale Verhalten der Protas - das als solches sogar explizit gemacht wird - als Argument gegen den Text nimmst, das geht doch nicht! Ich musste gleich an Jim und Joe denken, die in der Silversternacht in einen eiskalten Fluss steigen wollen. Hab ich da kritisiert, dass das ganz schön unvernünftig und der Text deshalb undurchdacht ist? :D Ich sehe den Punkt schon, das ist nicht ganz dasselbe. Ich denke, dass das Setting triggert, man fragt sich, was man selbst tun würde und sieht nicht so gelassen dabei zu, wie andere das Falsche tun.
Lebt meine Tante und Onkel noch? Was ist mit den Freunden?
Das ist im Text angesprochen, sie fahren zu den Eltern, zur Schwester. Den Rest kann man sich denken, habe ich mir gedacht. Eine wichtige Rolle spielt das Internet. Wenn es ab Zeitpunkt x weltweit keine einzigen Eintrag mehr gibt, keine Nachricht, niemand, der fragt, was ist geschehen, einfach nichts, dann muss man wohl schon damit rechnen, dass nicht viele überlebt haben. Aber ja, ich habe mir überlegt, noch eine Passage zu schreiben, in der erzählt wird, wie sie sich verschanzen, Verwandte und Freunde anrufen etc. Vielleicht sollte ich das tun. Ich habe es nicht gemacht, weil ich den Fokus des Textes nicht dort haben wollte.
Viele Lebensmittel sind vergammelt, die sie noch erbeuten hätten können. Sie müssten seit langem im Kaloriendefizit sein.
Sehe ich nicht so. Ich glaube, mit exklusivem Zugriff auf den Laden, in dem ich normalerweise einkaufe, könnte ich jahrelang überleben. Ich habe extra die Ananasbüchse in den Text aufgenommen. Irgendwann verfallen dann schon auch der Reis usw. und die Büchsen, aber in den ersten paar Monaten bis zwei Jahre sehe ich da kein Problem. Vitamintabletten hat es auch unendlich viele dort.
Der Mensch ist auch nicht so human, dass er alle begraben will. Da macht derText sich was vor, finde ich.
Da wird es nochmal sehr deutlich. Ich wollte einen Text über Aoife und den Erzähler schreiben und nicht über "den Menschen".
Du könntest beschreiben, dass sie das ein oder zweimal tut bei Verwandten und Freunden oder ihrem eigenen Sohn, das würde die Tragik rüberbringen.
Wiederum hatte ich da einfach einen anderen Fokus. Mir ging es nicht um diese Tragik.
Aber nicht in der Quantität. Und der Mann - was ist das eigentlich für ein Mensch? :D Also, dass er ihr dabei nicht hilft oder sie abbringen will in der Situation. Dadurch gefährdet sie nicht nur sich selbst, sondern gleichermaßen ihn. Also, für mich passt das leider in der Ausführung nicht.
Aber das ist doch das Thema des Textes, dachte ich. Dass er passiv bleibt, dass er kommentiert, aber nicht handelt.
Ich meine, haben die keine Atomkraftwerke in oder um Kenia?
Nein.
Das ist auch ein gewisses Halbwissen deines Prots, falls er kein Atomphysiker oder Journalist in dem Gebiet oder so ist, aber sich deswegen auf so eine extrem gefährliche Reise machen, so schnell?
Steht im Internet, das ja noch funktioniert. Ich hatte das im Nu recherchiert.
Zentraler, erster Satz - dafür ist er mir zu unpräzise. Wie gräbt sie? Mit Händen oder einer Schaufel? In was gräbt sie - Sand, Erde, in einem Silo gefüllt mit Tierfutter? Könnte alles sein. Da ergibt sich bei mir an zentraler Stelle kein Bild vor Augen, ich würde das präzisieren: Aoife rammt die Schaufel in die Erde.
Das sehe ich anders. Ich wollte im ersten Satz nicht alles verraten. Ich mag umständliche, überpräzise erste Sätze nicht besonders, aber das ist Geschmackssache.
Finde ich redundant. Man könnte sagen, Figurenzeichnung, aber irgendwo wirkt es auf mich auch nicht im Notfallmodus der Mann, wenn er Blümchen und Bienen beobachtet
Ja, Figurenzeichnung, die zum Kern des Textes führen sollte.
Das muss man erst mal aufgeknackt bekommen!
Soo schwierig ist das nicht, oder?
Wie finden sie dorthin? Es gibt ja keine Navis mehr.
Wie haben die Menschen vor der Erfindung des Naivs je irgendwohin gefunden? Ah ja, Landkarten! :D

Also, verzeihe mir die harte Kritik,
Kein Problem. Ich hab dafür hart verteidigt. Ich denke, der Text hat dich auf dem falschen Fuss erwischt. Aber ich sehe natürlich schon auch die Schwächen des Textes, insofern hast du mich ebenfalls auf dem falschen Fuss erwischt. Ich müsste da wohl sorgfältiger anzeigen, in welche Richtung ich mit dem Text will. Was ich daraus ziehe ist, dass man wirklich sehr sauber arbeiten muss, wenn man so ein generisches Setting wählt, und dass man sich in solchen Fällen vor bestimmten Dingen (Freunde anrufen, wie sieht die Versorgungslage genau aus, wie lange ist es genau her) schreibend nicht drücken sollte.

Hab vielen Dank für den Kommentar, lieber zigga!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Klamm

der Text ist gut geschrieben. Er hat einen guten Flow und die einzelnen Teile greifen gut ineinander. Dass du die wörtliche Rede nicht extra markierst, sondern sie sich einfach in den Text einfügt hat definitiv einen Anteil daran.
Danke dir! Ich habe vor ein paar Jahren damit begonnen, in gewissen Texten die wörtliche Rede nicht mehr zu markieren. Ich denke, wenn es klappt, dann wird der Text dadurch organischer, das Gewebe dichter.
Mit diesem Szenario einer Postapokalypse hadere ich ein bisschen. Vielleicht liegt das nur an den Medien, die ich so konsumiere, aber dazu habe ich schon extrem viel gelesen/gesehen.
Ja, das habe ich befürchtet. Ich kenne nicht so viele Vorlagen, halt ein wenig Hollywood und The Road. Dachte aber, dass mein Ansatz eine gewisse Frische versprüht, weil es nicht um das nackte Überleben geht.
Wäre nicht beispielsweise eine Reise nach Island ungefährlicher?
Der Erzähler hat es gerne warm und besitzt keine Erfahrung in der Navigation übers Meer. :D
Ich verstehe den Sinn hinter dieser Aussage, aber ich tue mich schwer damit. Störende Objekte aus einem Bild zu entfernen hat ja nichts mit der Menge an Pixeln zu tun, sondern nur mit der Farbe der vorhandenen Pixel.
Ja, ich sehe den Punkt. Werde ich bei einer allfälligen Überarbeitung einpflegen.

Danke dir für die Rückmeldung!

Hey @CoK

Der Hund hat dich schon viel früher gehört. Wie lange ist er schon eingesperrt? Ist er nicht schon halb verhungert und matt?
Ja, aber jetzt hört er, dass jemand die Treppen hochsteigt und bellt noch lauter. Ein paar Tage. Ja. Ich denke, die Energie reicht noch.
Wo kommt die Dose auf einmal her?
Aus dem Laden, in den er eingestiegen ist.
Vielleicht: er liegt jetzt auf dem Parkplatz vor unserem Haus.
Ja, der Begriff "ruht" ist ein wenig gewagt. Wollte das langweilige Liegen vermeiden und fand die Anklänge an "Hier ruht xy" ganz hübsch.
Im Zorn hat Gott mit den Fingern geschnappt, uns beide nicht im Blick gehabt.
So hast du die Verdopplung weg. Uns nicht im Blick gehabt, würde auch reichen.
Guter Punkt. Werde ich bei einer Überarbeitung ändern.
Für mich widerspricht sich hart und bequem!
Ich finde, das geht schon.
Es ist eine „verrückte“ Welt geworden, in der „verrückte” Reaktionen vorstellbar sind. Der Wunsch, der Frau ein Kind zu bekommen, erinnert mich an das Zitat, das Martin Luther zugeschrieben wird: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbaum pflanzen.“
Sehr schönes Zitat, das gut auf den Punkt bringt, was mich beim Schreiben unter anderem umgetrieben hat.

Hab vielen Dank für diesen Kommentar!

@Peeperkorn

Allerdings ist der Text weder Fisch noch Vogel.
Er will schon Fisch sein. Blöd nur, dass er dazu verleitet, ihn als Vogel zu lesen.
Müsste es nicht an vielen Orten brennen? Es war ja Essenszeit, die beiden am Kochen. Es werden viele Herdplatten nicht mehr ausgeschaltet worden sein…
Ah ja, guter Einwand. Hab ich überhaupt nicht daran gedacht!

Lieber @kiroly

vielleicht auch ein gewisses philosophisches Interesse (hat sich in der Stadtbücherei "Kurze Zusammenfassung zu Sokrates" ausgeliehen, aber eher überflogen als elaboriert durchgelesen)
Haha, da musste ich lachen. Erzähler sind nicht Autoren, aber für einen Augenblick fühlte ich mich schon recht angegriffen, da ich solche Zusammenfassungen (Philosophische Lehrmittel) schreibe. :D
Der aus seiner Erfahrung einen Schluss für sein Handeln zieht. Ich glaube, er müsste anders sprechen: "Wir haben Kopenhagen südlich umfahren." Oder: "Wir fuhren in die Berge." Oder: Er erwähnt das gar nicht. Warum? Weil sein Leben jetzt keine Stabilitäten kennt. Er muss auf das Reagieren, was passiert. Jeder Tag ist irgendwie anders. Jede Situation ist irgendwie anders. Es gibt keine Sicherheiten, es gibt nur: Reagieren im Jetzt und Reagieren für Gleich.
Aber ich glaube: Letztere Detailsicht entspräche der Wahrnehmung deines Protas eher. "Städte meiden wir" , so denke ich als Leser, wenn ich mir paar Stichworte zur postapokalyptischen Welt mache. Solche Verallgemeinerungen könnte man vermeiden.
Hm. Ich habe da anders überlegt (falls überhaupt). Er reagiert auf die Unsicherheiten, indem er Pläne fasst, Prinzipien formuliert. Also die Wahrnehmung ist sehr konkret, die Pläne sind allgemein. Manchmal kreuzt sich das dann, wenn ihm zum Beispiel einfällt, dass die Brücke über den Bosporus blockiert sein muss.
Vielleicht wäre das das Thema deines Textes: Präapokalyptische Denkreste in der Postapokalypse.
Ach, das hat geschmerzt. Weil wir uns doch unter deinen und meinen Texten immer so gut verstanden haben. Und weil ich dachte, das sei das Thema des Textes. :D
Die Beziehung zu Aiofe. Wer ist Aioife, warum ist sie deinem Protagonisten wichtig, warum bleibt die Beziehung paternalistisch - der Protagonist, der sich um Aiofe kümmert. McCarthy hat eine Vater-Sohn-Beziehung geschrieben, hier ist das Verhältnis dem Leser sofort klar, der Vater in seiner Vaterrolle. Aber in deinem Text wird der Grund der Beziehung nicht verdeutlicht.
Ich wollte eben gerade diese Eindeutigkeit nicht. Ich denke, dass The Road auch deshalb anspricht, weil es diese klare Beziehung gibt, das einzig Gute in einer gewalttätigen Welt. Meine Absicht war es, die Beziehung gerade nicht als Grundierung zu gestalten, sondern in den Fokus zu stellen. Die ist eben nicht fest, die ist bereits durch die unterschiedlichen Haltungen zur Kinderfrage erschüttert und das zieht sich jetzt weiter. Grund der Beziehung? Die sind halt ein Paar.
Das wird sprachlich eine Kreisquadratur, der Leser sollte über den subjektiven Bericht den Einfluss Aiofes auf den Protagonisten spüren, aber der Protagonist bleibt in seiner altruistischen, paternalistischen Rolle gefangen. Ist der Protagonist in der Lage, seine Überforderung mit der Situation zuzugeben? Kann er das? Belügt er sich selbst?
Ja, das war eigentlich die Idee. Schade, dass das so gar nicht gelungen zu sein scheint.

Danke dir sehr für diese Rückmeldung, lieber kiroly. Ich habe mich sehr gefreut, wieder einmal von dir zu lesen. In meinen Augen bist du eine grosse Bereicherung für dieses Forum. Wenn ich hier etwas knapp und patzig geantwortet habe, dann hat das nichts mit dir zu tun, sondern mit meinem aktuellen Energielevel. Ich will die Kommentare aber möglichst bald beantworten, sodass der Text endlich in die Tiefen des Forums absinken darf.

Hey @Katta

Dein Kommentar hat mich sehr gefreut. Ich habe ihn sehr gerne gelesen. :D Einfach, weil es mir in Erinnerung gebracht hat, dass es zumindest möglich ist, den Text erstens so zu lesen, wie ich ihn angelegt haben wollte, und ihn dazu auch noch zu mögen.

Sie will noch immer ein Kind. Das fällt mir wirklich schwer zu glauben an der Stelle. Er könnte auch sagen: Geht nicht, wir haben den Kindersitz zurückgelassen. Irgendwie abstrus. Ich mag die Stelle grundsätzlich, also dass das Thema Kinder da noch mal angeschnitten wird (bei walking dead gabs glaub ich nie kondome ;-)), aber momentan wirkt die im Text für mich noch etwas wie ein Fremdkörper, noch nicht rund und nicht organisch eingebettet.
Ja, das ist ein gewichtiger Einwand. Es hat sich schon beim Schreiben nicht rund angefühlt, ich wusste, jetzt presse ich ein Ende herbei. Das wäre einer der hauptsächlichen Ansatzpunkte bei einer allfälligen Überarbeitung, die ich augenblicklich aber nicht angehen mag.
Und was ich einfach nicht verstehe: Vier mal vier.
4x4 für Allradantrieb. Ich kann selbst nicht fahren und sitze selten in einem Auto. Aber das sagt man doch so?

Liebe @Manuela K.

Eine gut profilierte Figurenkonstellation mit tiefgehender Innensicht, nebst gelungener atmosphärischer Bilder, bilden den Schwerpunkt dieser Geschichte, die aus meiner Sicht durchaus so bleiben kann, wie sie sich darstellt. Mir fehlt weder Ursache noch weiterer Fortgang. Es war mir ein Lesevergnügen!
Ganz herzlichen Dank für diese Rückmeldung. Das erlaubt es mir irgendwie auch, den Text - zusammen mit den kritischen Einwänden - mal einfach zur Seite zu legen und die Sache gut sein zu lassen. Vielleicht werde ich ihn irgendwann mal wieder angehen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.

So, das war's. Es war mir eine Freude. Danke euch allen!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Ich tippe auf Peeperkorn.

Hat mir gut gefallen, der Text. Ich hatte ihn ein Mal angelesen, als die Maske noch drauf war – da bin ich auch über 'Aoife' gestolpert und hatte sofort Isegrims im Kopf, heheh. Der ist auch ein Fan spezieller Namen, sagt mir mein Gefühl. Ich finde auch, dass der Text Fahrt aufnimmt ab etwa dem ersten Viertel. Die Beerdigungen sind natürlich sehr bildstark. Du verzichtest anfangs auch darauf, sie zu benennen, steigst in medias res ein. Das finde ich gut, aber ich denke, es könnte zuträglich sein, das mit ein zwei Absätzen praktisch, haptisch, sensorisch zu erläutern. Das bietet sich ja auch total an. Erde aufwühlen (sie riechen und fühlen); das Gewicht der Körper; der Dreck, der dann doch unter den Nägeln hängt; der Schweiß; Gerüche, die sich mischen, so etwas.

Gestern wollte mir ein Terrier, den ich befreit hatte, an die Kehle springen.

Da hätte ich gerne erfahren, wie er das aufgelöst/abgewehrt hat.

Städte meiden wir, auch wenn dort die Chance am größten wäre, jemanden anzutreffen. Unser Ziel ist die Türkei und danach Afrika, Kenia vielleicht, wo es warm und die Entfernung zu Atomkraftwerken maximal ist. Die meisten werden sich abschalten, doch es wird auch zu Kernschmelzen kommen. Ob sich unsere Strategie auszahlen wird, kann ich nicht sagen, aber wir müssen es versuchen. Kenia – die zwei Silben haben einen tröstlichen Klang.

Konnte ich seltsam gut fühlen :D keine Ahnung wie, aber es hat in seiner Fiktion bei mir total gut funktioniert.

Ich vermute, dass sie die Leichen von Kindern sieht, doch als ich mich neben sie stelle, sind da nur Bücher. Stilvoll Wohnen. Kochen mit Ayurveda. Gärten gestalten.

Starker Kontrast.

Nur ein Experiment oder die Anlage für einen neuen Roman (oder beides?). Ich finde, das funktioniert bis hier hin gut. Kann Jimmys Bedenken verstehen, was Anspruch/Leseflow etc. angeht. Stichwort: Willing suspension of disbelief. Wenn man da nicht alles ganz auf den Prüfstand stellt und bereit ist, einfach mal ein wenig 'durchzulesen', dann hält die Fiktion dem Unglauben (zumindest in meinem Fall) gut stand.

Ganz viele Grüße!
Carlo

 

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