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Die Fretschneks warten schon
„Marie, sorg` dafür, dass der Bengel ruhig an seinem Platz sitzt!“ Der alte Mann löffelte missmutig seine Suppe, während er diese Worte vor sich hin brummte. Die angesprochene junge Frau blickte panisch vom Herd herüber und wies ihren Sohn zurecht.
„Ron, setz dich ordentlich hin und benimm dich, Großvater mag das nicht, dass weißt du doch.“ Sie drehte sich wieder ihren Kochtöpfen zu, in der Hoffnung, dass nunmehr der Konflikt erledigt sei, mit dem was nun kam hatte sie nicht gerechnet.
„Ma, ich mag nicht mehr. Kann ich nicht schon raus? Die Fretschneks warten schon und...“
„Du bleibst hier sitzen und isst deine Suppe wie jeder ordentliche Mensch hier. – Und raus gehst du schon gar nicht, zumindest nicht wenn ich in diesen vier Wänden hier noch irgendetwas zu melden habe, und das hoffe ich ja wohl,“ fügte der alte Mann mit einer Genugtuung ausdrü-ckenden Stimme an. „Wer zahlt denn den ganzen Luxus hier überhaupt, hast du dir das in letzter Zeit mal vor Augen geführt, Marie?“ Seiner so angesprochenen Tochter schossen unvermittelt Tränen in die Augen.
„Vater, lass den Jungen doch raus, es ist seine einzige Freude. Was soll er denn hier drinnen schon groß machen?“
„Zu meiner Zeit hat man kein Kind bei einem solchen Wetter nach draußen geschickt,“ entgegnete der alte Mann starrsinnig. „Es ist so diesig, dass man die Hand vor Augen kaum sieht und dann diese Schne-ckenviecher, hast du keine Angst, dass er sich irgendwelche Krankheiten holt? – Zu meiner Zeit haben wir draußen mit Kühen gespielt und...“
„Die Fretschneks sind keine Schnecken, Opa,“ warf der Enkel ein. „Schnecken sind Weichtiere, so steht es in dem Buch über terranische Biologie, was du mir geschenkt hast. Fretschneks sind...“
„Du solltest vielleicht wirklich mehr lesen und nicht verleugnen, wo deine Wurzeln liegen,“ unterbrach ihn der Großvater rüde. „Terra ist ein wunderbarer Planet, saftige grüne Wiesen, das Sonnenlicht, dass sich seinen Weg durch die Wolken bricht...“
„Erzähl` dem Kind keine Märchen, Vater,“ unterbrach ihn jetzt die Tochter, die sich wieder gefasst hatte. „Er lebt hier und dass, was da draußen los ist ist seine Realität. Er ist hier geboren, vergiss das nicht.“
Die Gesichtsfarbe des alten Mannes wechselte langsam zu einem dunkelrot hin. „Märchen! Du erinnerst dich wohl gar nicht mehr an deine Kindheit auf Terra? Etwas schöneres gibt es ja wohl nicht! Warum sind wir nur hierher gekommen?“ Sein Blick wanderte zu dem einzigen Fens-ter des Raumes, durch das ein fahles, unwirkliches Licht hereinfiel. „Mit-tagszeit, höchster Sonnenstand! Und was ist hier? Nebel, nur Nebel, die Menschen werden krank und sterben daran, warum sind wir nur hierher gekommen?“ flüsterte er die letzten Worte.
„Du bist hierher gekommen, weil du auf der Erde keine Arbeit mehr hattest und sie dir für hier einen gut bezahlten Job versprochen hatten,“ bemerkte die Tochter trocken. „Mutter und ich wurden nicht gefragt. – Und jetzt machst du Ron Vorwürfe, weil er seine Heimat liebt, was soll das?“
„Heimat? Unsere Heimat ist noch immer die Erde,“ der alte Mann wurde von einem Hustenanfall unterbrochen. „Dieser Planet hier macht uns kaputt. Deine Mutter und dein Mann sind daran gestorben, hast du das vergessen? – Wie kann man diesen Planeten hier lieben?“
„Haben wir eine Wahl, Vater?“ fuhr es aus ihr heraus. „Deine Rente reicht gerade mal für diese Unterkunft hier, ich kriege keinen Job und eine Rückkehr zur Erde ist ohnehin ausgeschlossen, oder meinst du deine alte Firma zahlt uns das Ticket? – Das war eine Einbahnstraße Vater, und das wusstest du damals auch schon!“ Sie wandte sich zu ihrem Sohn der die Unterhaltung mit großen Augen verfolgt hatte. „Geh nach draußen, Ron. Die Fretschneks warten schon.“