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Die gescheiterte Reise zum Glück

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22.02.2007
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Die gescheiterte Reise zum Glück

Ich werde euch heute die seltsame, ironische, eigentlich ziemlich idiotische und doch auf ihre bescheidene Art so weltbewegende Geschichte von einer Laugenbrezel namens Jorge erzählen. Und das schreibt man J-O-R-G-E, aber es wird spanisch ausgesprochen: Chorche.
Zuerst sollte ich mich aber vorstellen. Mein Name ist Duncan. Ja, das habt ihr richtig erkannt! Duncan heisst der schottische König in William Shakespeares Macbeth: The love that follows us sometime is our trouble, which still we thank as love.
Leider stirbt er früh. Armer Kerl!
Aber kommen wir zur Geschichte, die ich erzählen wollte. Ich hol mir nur schnell ein Bier aus dem Kühlschrank, bin gleich wieder da.

Also, es war einmal eine Laugenbrezel. Sie fühlte sich nur zu drei Dingen hingezogen: Zum Buddhismus, zu einer kleinen, von Grund auf bösen Blattlaus namens Gupf und zu ihrem besten Freund Franz, der ein Flair für Fremdwörter hatte.
Das Geschlecht unseres Protagonisten ist leider nicht geklärt, da eine Laugenbrezel keine Geschlechtsorgane besitzt. Experten sehen in Jorges tiefer Stimmlage den eindeutigen Beweis für seine Männlichkeit, Philologen weisen jedoch auf den Artikel des Wortes Laugenbrezel hin.
Franz pflegte jedem, der danach fragte, zu antworten: „Sui generis ist nicht bis ins letzte Detail hin geklärt.“
Er wusste nicht, dass sui generis ein Genitiv und darum keineswegs als Subjekt eines Satzes verwendbar war; aber da er aus irgendeinem verschnarchten Dorf kam, in dem keiner eine Fremdsprache sprach, geschweige denn Latein, war er noch nie darauf aufmerksam gemacht worden.
Er selbst sprach übrigens kein Latein; er brauchte nur ab und zu ein paar Wörter daraus, weil es seiner Meinung nach sehr professionell klang.
Die Laugenbrezel fühlte sich jedoch ganz klar als Mann und hatte sich deshalb auch schlussendlich auf den Namen Jorge getauft, um weitere Missverständnisse zu vermeiden.

Was Franz auch noch liebte ausser einer hochgestochenen Sprache, war das Reisen. Also packte er eines Tages schnurstracks seinen verstaubten Rucksack, verliess das Schnarchtal und stieg mit seinem Freund Jorge in der Hand – was denn? Habt ihr etwa geglaubt, dass eine Laugenbrezel selber gehen kann? – in den Zug nach Paris ein. Was er nicht wusste: ein blinder Passagier hatte sich in der Butter von Jorge eingeschlichen.

Was für ein Desaster! Ich werde gleich weiter erzählen, hol mir nur mal schnell ein neues Bier.

Nun denn! Als Franz den blinden Passagier entdeckte – wer hätte es anders sein können als der unglaublich bösartige Gupf - , sah er sich zu strikten Massnahmen gezwungen.
„Hätte ich doch meinen Brezel vor der Abfahrt besser untersucht. Ich hätte es wissen müssen!“, dachte Franz.

Nun ja. What`s done is done, kann ich dazu nur sagen und jetzt brauche ich wirklich noch ein Bier.

„And what not has been done, has not been done”, kicherte Jorge. “Genau!”, gluckste Franz.
Franz ging nun aufs Klo und wusch seine Brezel mit Schmierseife, um den blinden Passagier und allfällige weitere unerwüschte Gäste wegzuwaschen. Die bitterböse Blattlaus rettete sich jedoch mit einem wagemutigen Sprung aus der Butter hinaus auf den Wasserhahn. Dort lernte sie eine wahnsinnig erotische Blattläusin kennen und schob gleich mal einen Quickie mit ihr, bevor sie sich wieder ihren kriminellen Taten widmete.
Wenige Sekunden später fuhr der Zug mit Überschallgeschwindigkeit in den Bahnhof von Paris ein.

Franz hiefte seinen Koffer und seine Brezel, die um zwei Blattläuse reicher geworden war, aus dem Zug. Das erste, was er sah, war eine Musikgruppe. Sie spielten irgendetwas Volkstümliches und sie spielten es nicht besonders gut. Zwischendurch tranken sie einen Schluck Kamillentee. „Mi amor, me faltas taaantooooooo!“, trällerte der Sänger ins Mikrophon.
„Seltsam, ich dachte immer in Paris reden sie Französisch“, sagte Jorge enttäuscht. „Ich hatte mich so gefreut, meine Kenntnisse aufbessern zu können!“
„Aber Jorge, was kümmerst du dich um diese zweifellos bolivianische Folkloregruppe. Sie behändigen sich übrigens der spanischen Sprache und der Text, der eben gesungen wurde, bedeutet: Ich vermisse dich mein Schatz.“
Jorge schluchzte leise auf. Er musste an seine Freundin denken, die letztens von Franz verspiesen worden war, als diesen einen plötzlichen Anfall von Heisshunger auf Brezel überfallen hatte. Seit diesem Vorfall traute Jorge ihm nicht mehr so sehr wie früher.
„Natürlich ist die offizielle Landessprache hier in Paris Französisch, und abgesehen davon hast du überhaupt keine Französischkenntnisse!“, sagte Franz zu Jorge. „Und jetzt lass uns endlich Mona Lisa besichtigen gehen.“
"Bonjour", sagte Jorge trotzig.

Beim Louvre angekommen sahen sie nur eine lange Schlange von Menschen. „Na toll!“, maulte Jorge. „Auch noch anstehen!“
„Was beklagst du dich? DU musst doch nicht stehen!“, sagte Franz und die bösartigste aller bösartigen Blattläuse lachte schadenfroh aus der Brezel heraus, natürlich so leise, dass niemand sie hörte. Die Blattläusin verliebte sich immer mehr. Sie fand Bad Boys unheimlich sexy.
Jorge aber war nicht mehr aus seiner schlechten Laune herauszuholen. „Du brauchst mich nicht immer zu kritisieren, Franz. Immerhin hast du meine Freundin umgebracht!“
„Fängst du schon wieder damit an? Es war keine Absicht, ja? Und nun hör endlich auf zu quengeln!“

Ja, so war er, der Franz. Er verstand Jorge nicht. Noch nicht. He jests at scars that never felt a wound. Wenn ihr kurz entschuldigt, hol ich mir noch ein Gläschen Vodka.

Franz und seine Begleiter betraten also nach langem Warten den Louvre. Als Erstes erblickte Franz Mona Lisa. Sofort bezaubert von ihrem geheimnisvollen Lächeln trat er näher an sie heran und beseitigte alle im Weg stehenden Personen mit ein paar Kung-Fu-Griffen.
„Common tu t` appelles?“, hörte er sie wispern, während sie ihm zuzwinkerte.
„François“, antwortete er, gebannt von ihrer Schönheit.
„C` est un joli nom!“
„Toi t` es jolie aussi!“
Sie lächelte nur.
„Franz, du träumst!“, sagte Jorge. „Es ist heiss hier drin, lass uns endlich weitergehen!“
„Ich muss sie haben!“ rief Franz.
„Bitte?“
„Mona Lisa! Ich muss sie haben, für mich allein, niemand soll sie je wieder anschauen, niemand soll von ihrem Lächeln berührt werden, niemand soll ihr Liebe schenken, ausser mir!“
„Aber Franz, wie willst du einem Gemälde Liebe schenken, meinst du nicht, das wird etwas schwierig?“
„Wir fliegen sofort nach Tokio.“
Und nach einem letzten Blick zu seiner Angebetenen stürmte er aus dem Louvre.

Wie Franz sich in dem Moment fühlte, ist für Aussenstehende vielleicht schwer nachvollziehbar. Wie fühlt sich ein Liebender, der nie zuvor verliebt war? Ich glaube, der gute alte William hat es seinerzeit am Besten beschrieben: I must hear from thee every day in the hour. For in a minute there are many days.

„Franz, was hast du vor?“, fragte Jorge.
„Ich muss meine Finanzen aufbessern. Und das geht am Schnellsten an der Börse in Tokio. Frauen sind teuer.“
„Wieso gerade in Tokio?“
„Stell jetzt bitte keine dummen Fragen! Erstens ist es schön dort und zweitens wollte ich schon immer mal nach Tokio!“
„Wurde dort nicht der internationale Währungsfonds gegründet?“
„Unsinn! Tu bloss nicht so, als hättest du Ahnung von sowas!“

Nun war es aber so, dass Franz selber keine Ahnung von solchen Dingen hatte. Ihr seht schon, es kann nicht gut enden. Für kleine Träumer wie Franz ist die Welt einfach viel zu gross. Ich weiss ja nicht, wie es euch geht, aber ich finde diese Tatsache furchtbar deprimierend. Prost!

Im Flugzeug angekommen mussten sie leider feststellen, dass die bolivianische Folkloregruppe mit dabei war. Sie war als Touristenattraktion bestellt worden.
Franz hatte zum Glück Ohrenstöpsel dabei, womit die Sache für ihn erledigt war. Die fiese Blattlaus Gupf jedoch wurde fuchsteufelswild. Sie unterbrach die Knutscherei mit ihrer Angebetenen und rannte auf den Sänger zu, wobei sie beinahe von einem unachtsamen Passagier zertreten wurde. Mit einem Sprung landete sie auf dem Kopf des Sängers und biss ihn mit aller Kraft, wieder und wieder. Schliesslich verliessen sie jedoch ihre Kräfte und sie schlich - ohne vom Sänger in irgendeiner Form bemerkt worden zu sein – zurück in ihr Liebesnest.
An der Börse angekommen tat Franz, als wäre er Makler, und konnte dadurch sehr viel Geld verdienen. Gupf jedoch verpfiff ihn an die Blattlauspolizei. So wurde Franz gestellt und sein ganzes Vermögen wurde ihm weggenommen. Missmutig sagte er: „O, I am fortune` s fool.“
Da schrie Jorge auf: „Franz, sieh mal, unser Erzähler!“ Dieser schwankte bereits beträchtlich.
„Er ist betrunken!“, sagte Franz.
„Ich bin nicht betrunken! Ihr jungen Taugenichtse habt doch noch gar keine Ahnung vom wirklichen Leben! Life is a tale, told by an idiot, full of fury and sound, signifying nothing.“
Und er fiel auf die Sofalehne.
„Na sowas!“, staunte die Blattläusin. „Dass man sich so betrinken kann!“
„Müssen wir auch mal machen, honey!“, sagte die Blattlaus.
„Dass der uns einfach so umkippt“, meinte Jorge.
„Ja“, sagte Franz. „Also das finde ich total endoplasmatisch!“
Und obwohl keiner dieses Wort verstand, wussten alle, was er meinte.

 

Hallo Klaus!
Danke für die Kritik! Du hast recht, dass es in meiner Geschichte nicht allzuviel passiert, aber das finde ich auch nicht so wichtig. Ob lustig oder nicht ist wohl Geschmackssache.
Das Bier holen versandet eigentlcih nicht. Der Erzähler ist schliesslich am Schluss betrunken.

gruss merettschen

 

Hallo, merettschen!

Deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Die Art, wie die Figuren (fast) ständig in Shakespeare-Zitaten sprechen, der Erzähler, der immer betrunkener wird und am Ende auftaucht, Franz´ Schlusssatz, dass er das alles total endoplasmatisch finde... - sie ist wirklich lustig!

Liebe Grüße,
Iris

 

Bemerkung: Klaus ist nicht irgendein imaginärer Freund von mir, wie das jetzt erscheinen mag, sondern er hat seinen Beitrag offenbar (aus welchem Grund auch immer) zurückgezogen.

@Iris82: Freut mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat! :)

 

Hallo merettschen,

ach, ich weiß nicht: Ein bisschen absurd das Ganze. Den Anfang fand ich sehr klug geschrieben, von der Mitte weg hat es sich gezogen. Kürzer wäre die Geschichte besser. Sicher kommen die Witze besser rüber, wenn man das eine oder andere Bier getrunken hat. ;)

Fritz

 

hallo berg!
Wenn das so ist schlag ich vor, beim Lesen einfach mit dem Erzähler mitzutrinken ... ;)

 

Hallo merettschen!

Und das schreibt man J-O-R-G-E, aber es wird spanisch ausgesprochen: Chorche
Eine spanischnamige Laugenbrezel! Will sich da jemand meine Stimme erschleichen? ;)

Textkram muss sein:

William Shakespeare` s Macbeth
William Shakespeares

Jorge` s tiefer Stimmlage
Jorges

What` s done is done
What's done is done (der Apostroph ist rechts neben dem ä)

„Mi amor, te olvido taaantooooooo!“,
"Meine Liebe, ich vergesse dich so sehr"? Nun, vielleicht ist das genauso Absicht wie Franz' falsche Übersetzung. Aber ich wollt's mal erwähnt haben :P

Common tu t` appelle?“,
Doch eher: Comment t'appelles-tu? Andererseits ist sie ja Italienerin, da lass ich auch fehlerhaftes Französisch durchgehen.

„C` est un jolie nom!“
C'est un joli nom ;)

„Toi t` est jolie aussi
t'es

„O, I am fortune` s fool.“
fortune's

(Ich weiß, ich bin kleinlich, aber ich bin auch die Aufgabenstellerin, daher darf ich das. ;))

So, zum Inhalt:
Ich fand es insgesamt gut zu lesen, wobei mir einige Stellen besser gefallen haben als andere. Die Blattlausepisoden zwischendurch sind witzig, Franz könnte noch ein paar mehr Fremdwörter raushauen. Bonuspunkte gibt es natürlich für die reichliche Verwendung von Shakespeare-Zitaten. Und für das Ende, denn der betrunkene Erzähler hat mir besonders gefallen. Klar, dass bei so einem Typen nur eine solche Geschichte erzählt werden kann.

Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Hallo Malinche!

Eine spanischnamige Laugenbrezel! Will sich da jemand meine Stimme erschleichen?
Na klar! Hab ich eben mal in dein Gehirn reingeschlichen.

Waren ein paar blöde Fehler drin, hab ein paar korrigiert. Allerdings finde ich *schäm* den korrekten Apostroph immer noch nicht, auch nicht rechts neben dem ä.
Und wegen dem "Common tu t`appelles?"
Bin mir fast sicher, dass man das so sagt. Wenn nicht tut` s mir leid. Ich lern irgendwie zu viele Sprachen gleichzeitig. Hab nicht mehr so den Überblick. Das Spanische war übrigens keine Absicht.

Jedenfalls danke für die Kritik, die ich gar nicht als kleinlich empfunden habe ...
gruss merettschen

 

Insgesamt hat mir die Geschichte recht gut gefallen.
Ich fand sie allerdings etwas in die Länge gezogen, so dass man sich teilweise doch ein wenig bemühen musste, um dabei zu bleiben.
Sehr positiv fand ich hingegen die Einschübe mit der Blattlaus. Definitiv die besten Momente der Geschichte, haben mich zum Lachen gebracht. Auch die Idee, den Erzähler am Ende mit einzubeziehen, hat mir gefallen.

 

Moin merettschen,

Die Geschichte hat mir leider nicht ganz so gut gefallen. Irgendwie zieht es sich ab dem Louvre ein wenig und der Plot macht ziemlich wilde Sprünge. Wirkt beinahe so, als hättest du die einzelnen Vorgaben einzeln abgehakt.
Das Ende hat mir nicht ganz gezündet, was allerdings eine reine Geschmacksfrage ist. Gefallen hat mir dabei allerdings, wie du es durch das ständige Bierholen (was den Text lebendig macht) eingeleitet hast. Robert Rankin macht sowas öfter mal und irgendwie musste ich beim Lesen am Ende an seine Texte denken und hab unwillkürlich verglichen. Soll man nicht machen, ich weiß... ;)

Sprachlich fand ichs gut, ein paar schöne Ideen waren auch drin (toll die Stelle, an der die Laus dem Typen in den Kopf beisst). Insgesamt hats mich aber irgendwie nicht so ganz mitgerissen...

Duncan heisst der schottische König in William Shakespeares Macbeth: The love that follows us sometime is our trouble, which still we thank as love.
Duncan heisst auch der Kerl aus den Highlander-Filmen: There can be only one ;)
Irgendwie find ich das mit den Zitaten nicht so ganz homogen, wirkt etwas gekünstelt auf mich.
Es war einmal eine Laugenbrezel.
Hier würde ich die Todsünde begehen und einen Absatz mit einem Füllwort beginnen: Also, es war einmal eine Brezel. Wirkt dynamischer, find ich.

 

Hallo CoolyBri und gnoebel!
Danke für die guten Meinungen!
@gnoebel: Ja, ich hatte etwas Mühe mit den vielen Vorgaben, deshalb ist die Handlung wohl zu sprunghaft geworden. Fand`s aber spannend, das mal auszuprobieren, also eine Geschichte, die nicht allein durch meine Ideen entsteht, zu schreiben.
Das Also habe ich eingebaut. Mir ist beim Durchlesen auch aufgefallen, dass die Stelle holprig klingt, ich hatte aber keine Idee, wie ich das ändern könnte. Danke!
Der Gott der Literatur vergebe mir die Todsünde,
merettschen

 

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