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Die gescheiterte Reise zum Glück
Ich werde euch heute die seltsame, ironische, eigentlich ziemlich idiotische und doch auf ihre bescheidene Art so weltbewegende Geschichte von einer Laugenbrezel namens Jorge erzählen. Und das schreibt man J-O-R-G-E, aber es wird spanisch ausgesprochen: Chorche.
Zuerst sollte ich mich aber vorstellen. Mein Name ist Duncan. Ja, das habt ihr richtig erkannt! Duncan heisst der schottische König in William Shakespeares Macbeth: The love that follows us sometime is our trouble, which still we thank as love.
Leider stirbt er früh. Armer Kerl!
Aber kommen wir zur Geschichte, die ich erzählen wollte. Ich hol mir nur schnell ein Bier aus dem Kühlschrank, bin gleich wieder da.
Also, es war einmal eine Laugenbrezel. Sie fühlte sich nur zu drei Dingen hingezogen: Zum Buddhismus, zu einer kleinen, von Grund auf bösen Blattlaus namens Gupf und zu ihrem besten Freund Franz, der ein Flair für Fremdwörter hatte.
Das Geschlecht unseres Protagonisten ist leider nicht geklärt, da eine Laugenbrezel keine Geschlechtsorgane besitzt. Experten sehen in Jorges tiefer Stimmlage den eindeutigen Beweis für seine Männlichkeit, Philologen weisen jedoch auf den Artikel des Wortes Laugenbrezel hin.
Franz pflegte jedem, der danach fragte, zu antworten: „Sui generis ist nicht bis ins letzte Detail hin geklärt.“
Er wusste nicht, dass sui generis ein Genitiv und darum keineswegs als Subjekt eines Satzes verwendbar war; aber da er aus irgendeinem verschnarchten Dorf kam, in dem keiner eine Fremdsprache sprach, geschweige denn Latein, war er noch nie darauf aufmerksam gemacht worden.
Er selbst sprach übrigens kein Latein; er brauchte nur ab und zu ein paar Wörter daraus, weil es seiner Meinung nach sehr professionell klang.
Die Laugenbrezel fühlte sich jedoch ganz klar als Mann und hatte sich deshalb auch schlussendlich auf den Namen Jorge getauft, um weitere Missverständnisse zu vermeiden.
Was Franz auch noch liebte ausser einer hochgestochenen Sprache, war das Reisen. Also packte er eines Tages schnurstracks seinen verstaubten Rucksack, verliess das Schnarchtal und stieg mit seinem Freund Jorge in der Hand – was denn? Habt ihr etwa geglaubt, dass eine Laugenbrezel selber gehen kann? – in den Zug nach Paris ein. Was er nicht wusste: ein blinder Passagier hatte sich in der Butter von Jorge eingeschlichen.
Was für ein Desaster! Ich werde gleich weiter erzählen, hol mir nur mal schnell ein neues Bier.
Nun denn! Als Franz den blinden Passagier entdeckte – wer hätte es anders sein können als der unglaublich bösartige Gupf - , sah er sich zu strikten Massnahmen gezwungen.
„Hätte ich doch meinen Brezel vor der Abfahrt besser untersucht. Ich hätte es wissen müssen!“, dachte Franz.
Nun ja. What`s done is done, kann ich dazu nur sagen und jetzt brauche ich wirklich noch ein Bier.
„And what not has been done, has not been done”, kicherte Jorge. “Genau!”, gluckste Franz.
Franz ging nun aufs Klo und wusch seine Brezel mit Schmierseife, um den blinden Passagier und allfällige weitere unerwüschte Gäste wegzuwaschen. Die bitterböse Blattlaus rettete sich jedoch mit einem wagemutigen Sprung aus der Butter hinaus auf den Wasserhahn. Dort lernte sie eine wahnsinnig erotische Blattläusin kennen und schob gleich mal einen Quickie mit ihr, bevor sie sich wieder ihren kriminellen Taten widmete.
Wenige Sekunden später fuhr der Zug mit Überschallgeschwindigkeit in den Bahnhof von Paris ein.
Franz hiefte seinen Koffer und seine Brezel, die um zwei Blattläuse reicher geworden war, aus dem Zug. Das erste, was er sah, war eine Musikgruppe. Sie spielten irgendetwas Volkstümliches und sie spielten es nicht besonders gut. Zwischendurch tranken sie einen Schluck Kamillentee. „Mi amor, me faltas taaantooooooo!“, trällerte der Sänger ins Mikrophon.
„Seltsam, ich dachte immer in Paris reden sie Französisch“, sagte Jorge enttäuscht. „Ich hatte mich so gefreut, meine Kenntnisse aufbessern zu können!“
„Aber Jorge, was kümmerst du dich um diese zweifellos bolivianische Folkloregruppe. Sie behändigen sich übrigens der spanischen Sprache und der Text, der eben gesungen wurde, bedeutet: Ich vermisse dich mein Schatz.“
Jorge schluchzte leise auf. Er musste an seine Freundin denken, die letztens von Franz verspiesen worden war, als diesen einen plötzlichen Anfall von Heisshunger auf Brezel überfallen hatte. Seit diesem Vorfall traute Jorge ihm nicht mehr so sehr wie früher.
„Natürlich ist die offizielle Landessprache hier in Paris Französisch, und abgesehen davon hast du überhaupt keine Französischkenntnisse!“, sagte Franz zu Jorge. „Und jetzt lass uns endlich Mona Lisa besichtigen gehen.“
"Bonjour", sagte Jorge trotzig.
Beim Louvre angekommen sahen sie nur eine lange Schlange von Menschen. „Na toll!“, maulte Jorge. „Auch noch anstehen!“
„Was beklagst du dich? DU musst doch nicht stehen!“, sagte Franz und die bösartigste aller bösartigen Blattläuse lachte schadenfroh aus der Brezel heraus, natürlich so leise, dass niemand sie hörte. Die Blattläusin verliebte sich immer mehr. Sie fand Bad Boys unheimlich sexy.
Jorge aber war nicht mehr aus seiner schlechten Laune herauszuholen. „Du brauchst mich nicht immer zu kritisieren, Franz. Immerhin hast du meine Freundin umgebracht!“
„Fängst du schon wieder damit an? Es war keine Absicht, ja? Und nun hör endlich auf zu quengeln!“
Ja, so war er, der Franz. Er verstand Jorge nicht. Noch nicht. He jests at scars that never felt a wound. Wenn ihr kurz entschuldigt, hol ich mir noch ein Gläschen Vodka.
Franz und seine Begleiter betraten also nach langem Warten den Louvre. Als Erstes erblickte Franz Mona Lisa. Sofort bezaubert von ihrem geheimnisvollen Lächeln trat er näher an sie heran und beseitigte alle im Weg stehenden Personen mit ein paar Kung-Fu-Griffen.
„Common tu t` appelles?“, hörte er sie wispern, während sie ihm zuzwinkerte.
„François“, antwortete er, gebannt von ihrer Schönheit.
„C` est un joli nom!“
„Toi t` es jolie aussi!“
Sie lächelte nur.
„Franz, du träumst!“, sagte Jorge. „Es ist heiss hier drin, lass uns endlich weitergehen!“
„Ich muss sie haben!“ rief Franz.
„Bitte?“
„Mona Lisa! Ich muss sie haben, für mich allein, niemand soll sie je wieder anschauen, niemand soll von ihrem Lächeln berührt werden, niemand soll ihr Liebe schenken, ausser mir!“
„Aber Franz, wie willst du einem Gemälde Liebe schenken, meinst du nicht, das wird etwas schwierig?“
„Wir fliegen sofort nach Tokio.“
Und nach einem letzten Blick zu seiner Angebetenen stürmte er aus dem Louvre.
Wie Franz sich in dem Moment fühlte, ist für Aussenstehende vielleicht schwer nachvollziehbar. Wie fühlt sich ein Liebender, der nie zuvor verliebt war? Ich glaube, der gute alte William hat es seinerzeit am Besten beschrieben: I must hear from thee every day in the hour. For in a minute there are many days.
„Franz, was hast du vor?“, fragte Jorge.
„Ich muss meine Finanzen aufbessern. Und das geht am Schnellsten an der Börse in Tokio. Frauen sind teuer.“
„Wieso gerade in Tokio?“
„Stell jetzt bitte keine dummen Fragen! Erstens ist es schön dort und zweitens wollte ich schon immer mal nach Tokio!“
„Wurde dort nicht der internationale Währungsfonds gegründet?“
„Unsinn! Tu bloss nicht so, als hättest du Ahnung von sowas!“
Nun war es aber so, dass Franz selber keine Ahnung von solchen Dingen hatte. Ihr seht schon, es kann nicht gut enden. Für kleine Träumer wie Franz ist die Welt einfach viel zu gross. Ich weiss ja nicht, wie es euch geht, aber ich finde diese Tatsache furchtbar deprimierend. Prost!
Im Flugzeug angekommen mussten sie leider feststellen, dass die bolivianische Folkloregruppe mit dabei war. Sie war als Touristenattraktion bestellt worden.
Franz hatte zum Glück Ohrenstöpsel dabei, womit die Sache für ihn erledigt war. Die fiese Blattlaus Gupf jedoch wurde fuchsteufelswild. Sie unterbrach die Knutscherei mit ihrer Angebetenen und rannte auf den Sänger zu, wobei sie beinahe von einem unachtsamen Passagier zertreten wurde. Mit einem Sprung landete sie auf dem Kopf des Sängers und biss ihn mit aller Kraft, wieder und wieder. Schliesslich verliessen sie jedoch ihre Kräfte und sie schlich - ohne vom Sänger in irgendeiner Form bemerkt worden zu sein – zurück in ihr Liebesnest.
An der Börse angekommen tat Franz, als wäre er Makler, und konnte dadurch sehr viel Geld verdienen. Gupf jedoch verpfiff ihn an die Blattlauspolizei. So wurde Franz gestellt und sein ganzes Vermögen wurde ihm weggenommen. Missmutig sagte er: „O, I am fortune` s fool.“
Da schrie Jorge auf: „Franz, sieh mal, unser Erzähler!“ Dieser schwankte bereits beträchtlich.
„Er ist betrunken!“, sagte Franz.
„Ich bin nicht betrunken! Ihr jungen Taugenichtse habt doch noch gar keine Ahnung vom wirklichen Leben! Life is a tale, told by an idiot, full of fury and sound, signifying nothing.“
Und er fiel auf die Sofalehne.
„Na sowas!“, staunte die Blattläusin. „Dass man sich so betrinken kann!“
„Müssen wir auch mal machen, honey!“, sagte die Blattlaus.
„Dass der uns einfach so umkippt“, meinte Jorge.
„Ja“, sagte Franz. „Also das finde ich total endoplasmatisch!“
Und obwohl keiner dieses Wort verstand, wussten alle, was er meinte.