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Die Hoffnung lebt auch im dunklen Zimmer
Die Bettdecke berührte den Boden. Das Kopfkissen lag auf dem Boden und daneben waren viele weißen Blätter zu sehen, die mit jeglichen Notizen versehen waren. Oftmals wurde ein Wort durchgestrichen. Es gab dem Leser den Eindruck, als ob der Schreiber zwanghaft nach dem richtigen Wort gesucht hätte und es nach mehreren Versuchen fand.
Ein Sonnenstrahl erhellte das eher zur Dunkelheit neigende Zimmer. Die Jalousien waren bis zur Hälfte nach unten gelassen worden und schienen lange Zeit nicht berührt worden zu sein. Der Lärm der Straße war in der Ferne zu hören.
Das Zimmer hatte seine Lebendigkeit verloren und machte der Melancholie Platz, die das Zimmer beherrschte. Unterschiedliche Möbel, meistens in dunklen Farben, standen nicht in Harmonie zueinander und deuteten ebenso wenig auf einen bestimmten Geschmack hin.
Georg kehrte mit einer Zeitung zurück. Jeden Morgen vollzog er den Gang zum Briefkasten. Seine Schultern neigten zum Boden, wie die eines Kindes, das unzufrieden war. "Keine aufmunternde Nachricht auf diesem scheußlichen Blatt", sagte er sich mit dem Blick auf die Zeitung. Georg besaß eigentlich ein ruhiges Gemüt und regte sich nicht sehr schnell auf. Die letzten Wochen brachten ihn jedoch sehr stark durcheinander.
Er war Journalist und arbeitete für eine Zeitung, die nicht sehr bekannt war. Die Arbeit in der Redaktion war sehr anstrengend und hektisch. Sie war aber nicht der Grund, weshalb Georg an diesem Morgen gereizt war.
Die letzte Nacht hatte er nicht geschlafen. Georg war damit beschäftigt einen Brief zu schreiben. Durch das Zimmer ging er hin und her und überlegte eine Weile. Als ob er eine komplizierte Aufgabe zu lösen versuchte. Irgendwann setzte sich Georg auf den Boden. Im Laufe der Nacht nahm die Müdigkeit so stark zu, dass er auf dem Boden einschlief. Die Bettdecke zog er ein wenig von seinem Schlafplatz herunter, nachdem er in der Nacht kurz wach wurde. Auf dem Boden zu schlafen war für ihn ein ungewöhnlicher Zustand. Ohne seinen Schlafanzug ging Georg selten ins Bett. So verging eine Nacht in seinem Leben, die ihn viel Kraft kostete.
Das Leben an diesem Ort schien sich für eine Weile seiner Schönheit entledigt zu haben. Das war der Eindruck, der entstand, sobald man sich des Zimmers gewahr wurde. Neben der Melancholie war etwas anderes im Zimmer, das zu spüren war. Es war aber nicht sichtbar. Die Bücher an der Wand belebten das Zimmer und machten es attraktiver. An einer Ecke des Zimmers machte eine Couch auf sich aufmerksam, die es ermöglichte in die weite Welt der Schriftsteller einzutauchen. Georg lebte schon seit einiger Zeit in diesem Zimmer, das seinem Geschmack entsprach. Hier verbrachte er die meiste Zeit, sofern er nicht arbeitete. Von Geselligkeit war bei ihm nicht die Rede, denn diese fand er in den Büchern. Sobald er ein Buch las, kehrte er auch in die Zeit zurück, die zwischen den Zeilen intensiv geschildert wurde. Die Bücher waren für Georg nicht nur aus Seiten bestehende, gebundene Ausgaben. Sie waren Weggefährten und die Einsamkeit bekämpfende Gegenmittel. Die weißen Blätter auf dem Boden fielen sofort ins Auge, weil ihr Platz normalerweise der Schreibtisch war. Die Blätter könnten nicht vom Tisch herunter gefallen sein, da sie wohlgeordnet auf dem Boden lagen.
Auf einem dieser Blätter standen diese Zeilen:
"Meine Liebe war selten flüchtig, sondern von dauerhafter Wirkung. Dies konnte ich dir jedoch nicht deutlich zum Ausdruck bringen. Teilweise lag es an mir, weil es meine erste Beziehung mit einer Frau war. Es war so ähnlich, als ob ich in ein See geworfen wäre ,um das Schwimmen eigenständig zu lernen. Nicht anders war es auch zur Zeit unserer ersten Zusammenkunft. Ich war ängstlich und unsicher, hinsichtlich unserer Beziehung. War ich dazu bereit oder noch nicht dafür gewachsen? Die Liebe war für mich etwas Neues und gleichzeitig etwas Unfassbares. Gerade deswegen machte es mir vielleicht Angst. Unfassbar, unsichtbar, in freier Luft sich bewegend, um zwei Menschen für die Ewigkeit zu verbinden, Gibt es eine ewige Treue? Ist es nicht ein großes Versprechen, welches zu halten nicht ewig in unserer Macht liegt? Die Liebe, so undurchsichtig aber gleichzeitig von gewaltiger Wirkung. Gedanken solcher Art über die Liebe rasten mir durch den Kopf und hinderten mich, einen ruhigen Kopf im Alltag zu bewahren. Es kam noch dazu, dass du einst sagtest: "du hast ein großes Problem mit dir selbst. Wenn du dich davon nicht loslöst wird es unserer gemeinsamen Katastrophe beitragen. Sei Herr deiner Selbst." Ich erwiderte dir, dass ich versuchen würde mich von meinen inneren Konflikten loszulösen. Nicht wenig bereitete es mir Kopfschmerzen, als du von meiner Problematik gesprochen hattest. Gleichzeitig waren deine Aussagen wie ein Spiegel, indem ich mich selbst anschauen konnte und meinen inneren Konflikt wirklich sah.
Denn damals schätzte ich mich als Mensch und fand all meine Kraft bei dir. Genau das schien aber das Problem zu sein, welches du mir zu erklären versuchtest, als du sagtest, dass ich Herr meiner Selbst sein sollte. Du hattest Recht, denn ich schätzte mich als Mensch nur in Zeiten, wo du an meiner Seite warst. Ich war nur dann ganzheitlich, sobald ich deine Schulter an meiner zu spüren bekam.
Nun sitze ich hier auf dem Boden meines Zimmers und schreibe diesen Brief. Ich werde ihn nicht abschicken. Er dient nur dazu, meine Gedanken zu sammeln und sie in eine geordnete Form zu bringen. Während ich schreibe spüre ich meinen Puls. Seit deinem Weggang sind zwei Monate vergangen und ich versuche mir meine Zukunft auszumalen. Natürlich warst du für mich eine Bereicherung aber letztendlich sollte ich jetzt nicht die Schultern zum Boden sinken lassen. Das Leben geht weiter, wird ja immer gesagt. Tatsächlich geht das Leben weiter. Alles auf dieser Erde blüht wieder auf trotz schrecklicher Naturkatastrophen.
Ein Baum schlägt kräftigere Wurzeln je mehr es vom starken Wind hin und her gerüttelt wird. Warum sollte der Mensch denn anders auf eine Katastrophe reagieren. Zu den Sternen sich empor zu schwingen, um aufzublühen und sich zu entfalten, sollte dem Menschen auch nach einer Katastrophe möglich sein."
Diese Zeilen waren auf einemder Blätter zu lesen, die auf dem Boden lagen. Georg offenbarte in aller Ehrlichkeit seinen inneren Konflikt. Er machte nicht den Eindruck in Depression zu versinken, obwohl er sich von einer Frau getrennt hatte, die er einst liebte. Trotz der unglücklichen Trennung war die Hoffnung zu spüren, die durch die Zeilen schimmerte. Georg räumte mit der alten Regel auf in schrecklichen Zeiten im Kummer zu versinken. Selbst in melancholischen Zeiten schöpferisch zu sein, zeigte er mit jedem neuen Tag. Der unglaubliche Kampf Georgs, der unermüdlichen Versuches das richtige Wort zu finden suchte, um seinem Brief eine Ganzheit und Schönheit zu verschaffen. Nicht anders war auch die Atmosphäre in dem Zimmer, welches auf den ersten Blick Düsterkeit ausstrahlte. Die Tatsache, dass die Melancholie fast jeden Winkel des Zimmers erreicht hatte, bestätigte noch lange nicht, dass die Hoffnung hier nicht präsent war. Der Sonnenstrahl machte auf sich aufmerksam und sagte, dass das Leben weiter ging. Die Bücher an der Wand machten die Einsamkeit erträglicher und der Lärm der Straße deutete daraufhin, dass das Leben dort draußen dahinströmte, wie ein ewiger Fluss. Bei all diesen Einzelheiten schaffte es Georg ebenso seine Hoffnung stets zu bewahren, um dahin zu fließen und im Meer der Schönheit aufzugehen.