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Die intelligente Seifenblase
Er strich mit seiner Zunge über seine jungen und sommerverwöhnten Lippen und spitzte diese, als wollte er zu einem atemberaubenden Flötensolo ansetzen. Er holte tief Luft, spannte seine Lunge für einen Moment an, kniff die Augen zusammen und bemühte sich, die angestaute Luft sachte und gleichmäßig dosiert entweichen zu lassen. Seine Wangen erröteten, dass alle Marienkäfer im Umkreis neidisch wurden. Gespannt und voller Hoffnung öffnete er seine Augenlieder pathetisch wie Vorhänge großer Theatersäle. Trommelwirbel bitte! Und da war sie: Das Ergebnis seiner Konzentration.
Verzaubert von der neuartigen Konsistenz fokussierte er die Seifenblase, so dass er den Hintergrund und alles um diese nur noch verschwommen sah, erkannte blasse Farben, welche miteinander zu spielen schienen auf der transparenten und pomadigen Oberfläche seiner Kreation.
Angestrengt versuchte der kleine Junge sein plötzlich aufgetretenes Pathos zu unterdrücken und entschied sich für ein zartes Pusten, welches die Seifenblase durch die Sommerluft rollen ließ.
Eine Libelle entkam einer Kollision nur knapp und Ahornblätter schienen die Seifenblase zu tangieren ohne Schaden anzurichten. Sie verlor an Höhe und schien das trockene Gras zu streifen, kam dann jedoch in die Kräfte eines Aufwindes und war wieder in der Spur, wo ihr Wespen Geleitschutz anbaten, indem sie sie umkreisten, sich um sie positionierten und anschließend abdrehten. Anscheinend hatte sie dankend abgelehnt. Ein Luftwirbel erfasste sie und sorgte dafür, dass sie sich einmal um die eigene Achse drehte und eine andere Bahn einschlug. Sie schien an Antrieb zu gewonnen zu haben und passierte den Slalomparcours der Klettergerüststangen mit Bravur. Kleine Hände von spielenden Kindern griffen nach ihr. Nahezu horizontal stieg die Seifenblase weiter nach oben und entkam den Bemühungen der Kinder nur knapp, während eine erstaunte Mutter auf der Parkbank die Gesetze der Physik anzweifelte und anschließend die Zeitung beiseite legte, als die Seifenblase direkt auf sie zusteuerte, und hielt anschließend den Atem an, als diese unter ihr und der Parkbank hinwegtauchte wie Delphine unter Ölteppichen. Die eingeschüchterte Frau hob ihre Beine auf die Bank, als würde eine Meute Mäuse unter ihr herlaufen, besann sich dann ihrer Vernunft, setzte sich wieder aufrecht hin, rümpfte die Nase und rüttelte ihre Zeitung zurecht. Unterdessen schien die Seifenblase wieder auf ihrem ursprünglichen Kurs zu sein und visierte eine Art Ziel an. Sie schnellte ruckartig nach vorne und zerschellte an der Spitze eines Messers, welches von einer haarigen Hand fest und versteift umfasst wurde. Mit dem Zerplatzen der Seifenblase öffnete der kleine Junge und Schöpfer des Flugobjekts erschrocken die Augen und schrie grundlos und zu seinem eigenen Erstaunen, jedoch so laut, dass seine Mutter panisch von der Parkbank aufsprang und zu ihm rannte. Genau in diesem Moment versenkte die haarige Hand das Messer im Eichenholz der Parkbank.