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Die Katze und die Sonne
Dumpf und drückend standen Wolken über So-Lor, als die Nacht hereinbrach. Die ehrbaren Bürger waren gerade auf dem Weg zu ihren prächtigen Häusern im Herrschaftsviertel, die Taschen voll klimpernden Geldes, und erreichten sie doch nicht mehr trockenen Fußes, weil in diesem Moment ein Platzregen niederging, der die Rinnsteine glucksen ließ und die Farbe von den frisch gestrichenen Wänden einiger Gebäude spülte. Wohl dem, der mit einer Droschke vorgefahren war.
Weit draußen, in den namenlosen Außenbezirken, die unkontrolliert die Küste entlang und ins Inland wucherten, hatte man ganz andere Sorgen. Armut, fehlende Kanalisation und Kinder, die sich für einen Apfel oder ein Stück Brot verkauften. Und doch musste Brim ein wenig lächeln, als er an die durchnässten Aristokraten und Händler im Herrschaftsviertel dachte. Hier, in der Dunklen Gasse, musste niemand Angst haben, von einem plötzlichen Wolken-bruch überrascht zu werden. Die Dächer der krumm und schief dahingezimmerten Häuser berührten sich über dem schmalen ungepflasterten Weg, als wären sie einmal so errichtet worden—und wer kann das sagen, vielleicht waren sie das auch.
Brim stand hinter der Theke des Gasthauses Zur Abgeschlagenen Hand und lauschte dem Trommeln des Regens. Er hatte nicht viel Kundschaft in dieser Nacht und das war ihm lieb. In jedem Fall niemand von Ruf: Tagelöhner, Diebe, Messerstecher. Das Übliche.
Die große Sanduhr, die zwischen Spirituosen und anderem Gesöff in einem Regal hinter der Theke stand, zeigte, dass es fast zehn war. „Noch Zeit“, dachte Brim. Gedankenverloren schenkte er ein paar Krüge Bier aus. „Ja, noch Zeit.“
Brim kannte sie alle, die Namenlosen, die in diesen Tagen seine Schenke bevölkerten, auch wenn sie fast im Wochentakt wechselten. Er kannte sie, denn er konnte keinen Ärger gebrau-chen, besonders jetzt nicht. Es stand einfach zuviel auf dem Spiel. Vielleicht war etwas schiefgegangen. Aus unerklärlichen Gründen war er ein wenig nervös. Vielleicht…
Ein Tumult im hinteren Teil des Gasthauses riss ihn aus seinen Gedanken. Ein paar schmäch-tige Kerle, alle schon ziemlich betrunken, hatten eine Messerstecherei angefangen, es gab Verletzte und ein paar Krüge waren zu Bruch gegangen.
Es kostete Brim kaum drei Minuten die ganze Bande auf die Straße zu setzen und dafür zu sorgen, dass sie sich so bald nicht wieder blicken lassen würden. Er kehrte hinter die Theke zurück. Das war es nicht, was er mit Ärger meinte.
Der Regen trommelte auf das Dach des Gasthauses Zur Abgeschlagenen Hand, doch Brim hörte es nicht. Sein Blick war starr auf die Eingangstür gerichtet. Seltsam dicker Rauch zog vor seinen Augen vorbei, er hörte den Sand fast fallen im Glas, fast zwölf. Fast zwölf.
Wolkom kam nicht, irgendetwas musste geschehen sein. Brim rieb sich den metallbewährten Stumpf seines linken Arms und bemerkte ärgerlich, dass ein Tropfen Schweiß von seiner Stirn auf die dunkelbraune und zerfurchte Oberfläche der Theke gefallen war. Sein Gesicht spiegelte sich in ihm und er musste erkennen, dass es rot war wie Kama und die Stirn eben-solche Furchen aufwies wie das Holz. Brim wischte den Tropfen weg.
Er musste etwas trinken. Seine Nerven gingen sonst noch mit ihm durch. Natürlich war alles in Ordnung. Wolkom hatte sich nur ein wenig verspätet, auch wenn das eigentlich nicht seine Art war. Vielleicht hatte er irgendjemanden getroffen, einen alten Bekannten. Aber würde er ihn deshalb warten lassen?
In seinem Kopf begann es sich langsam zu drehen. Er konnte nicht nachdenken, er brauchte etwas zu trinken. Brim wendete sich zu seinem Schnapsregal um und zuckte zusammen. Die Bestätigung.
Sein Herz begann hart und schnell gegen seine Brust zu schlagen. Unwillkürlich umfasste er den Griff des Vata-Dolches, der in einem ledernen Heft an seiner Hüfte steckte und presste sich an die Wand. Seine Hand zitterte: Der gemeinhin fast weiße Sand, in der von Thales, dem Alchemisten, gefertigten Uhr, hatte sich pechschwarz verfärbt: Tödliche Gefahr.
Er hatte es geahnt, aber wirklich damit gerechnet hatte er nicht. Sie waren ihm also auf die Schliche gekommen. Hatte Wolkom einen Fehler gemacht? Oder…
Thales’ Worte fielen ihm wieder ein: „Leg dich nicht mit einem Magier an, Brim. Glaube mir, das ist nicht dein Bereich. Du kannst es vielleicht mit jedem Gladiator des Reiches aufnehmen, aber gegen einen Magier bist du machtlos!
Und ehrlich gesagt, ich denke gar nicht daran, dir dabei zu helfen, auch noch deine zweite Hand einzubüßen—vorrausgesetzt natürlich, es geht glimpflich aus.“, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu.
„Nicht mein Bereich!“, hatte Brim damals geschnaubt und Thales wusste, dass er sich weitere Überzeugungsarbeit sparen konnte. Brim war unbestritten der Herr der Unterwelt von So-Lor und niemals würde er es zulassen, dass irgendjemand ihm diesen Posten streitig machte und wenn es Vulcuus persönlich war.
Nicht aus Zufall hatte der junge Brim mit blutigem Schwert seinen Weg aus den Arenen des Kaiserreichs genommen, hinein in das Dunkel und den Schmutz von tausend verwinkelten Gassen. Nicht aus Zufall auch dort schnell seinen Platz gefunden, unter den Nägeln das Blut seiner Feinde, um ihn her eine Schar mächtiger Freunde und loyaler Mitstreiter.
Schon seit Jahren hatte sich kein Wachmann der Dunklen Gasse auch nur auf 1000 Fuß genähert. Niemand konnte ernsthaft so dumm sein, sich mit Brim oder Einfaust, wie ihn manche nannten, anzulegen. Und doch war jemand so weit gegangen.
Einen großen Teil seines Reichtums häufte Brim damit an, dass er reiche Bürger und ihre Anwesen ausräubern ließ. Ein lukratives Geschäft und zudem noch ziemlich ungefährlich. Das Problem war ja nicht so sehr auf frischer Tat ertappt zu werden. In all den Jahren hatte es kaum einmal einen von Brims Männern erwischt. Vielmehr war es nicht vollkommen auszuschließen, dass bei zu starker Ähnlichkeit der Überfälle letztlich der Aufschrei des Großbürgertums und der Aristokratie so groß sein könnte, dass von höchster Stelle ein Durchsuchungsbefehl für die Dunkle Gasse angeordnet worden wäre. Dann hätte nicht einmal der größte Trumpf, den Brim im Ärmel hatte, noch etwas verrichten können.
Es war nämlich so, dass Brim über Thales und andere noch immer Kontakte zum Kaiserhof unterhielt. Wurde eine bestimmte Person vermisst oder suchte man Aufklärung über gewisse Geschehnisse, so war es oft einfacher und schneller einen Boten mit dem entsprechenden Ersuchen zu Brim zu schicken als die Magier vom Orden des Heiligen Vistul, die Reichsmagier, zu befragen. Im Gegenzug ließ man Brim mit seinem Tun jenseits jeder Gesetzlichkeit gewähren.
Dieses „Bündnis“ hatte sich für beide Seiten bereits als äußerst nützlich erwiesen. Für Brim war es die Vorraussetzung seiner Herrschaft in der Dunklen Gasse. Er machte sich jedoch keine Illusionen: In einer Situation, die die innere Ordnung des Reiches gefährden würde, so wie es ein Aufstand von Großbürgertum und Aristokratie zweifellos täte, könnte diese jahrelange Übereinkunft schnell vergessen sein. Aus diesem Grunde benutzten Brims Männer bei ihren Raubzügen die Vorgehensweise anderer, kleinerer Gruppen, um einen auf die Dunkle Gasse gerichteten Verdacht zumindest oberflächlich zu vermeiden. Sie kopierten Barrival, die Diebe von Kuz, Menor, Sangarem und Kuul, und einmal war Hilkim sogar als Mondwächter mit schwarzer Blüte aufgetreten.
Mit dieser Strategie und dem stillen Einverständnis des Kaisers häufte Brim unermesslichen Reichtum in den vergessenen Katakomben unter der Dunklen Gasse an und dies ohne sich zu weit aus dem Bau wagen zu müssen.
Doch nun machte ihm jemand ernsthaft Konkurrenz. Schlimmer noch: Er ließ ihn dabei aus-sehen wie einen kleinen provinzialen Eierdieb. Und das brachte Brim zum Kochen.
Folgendes hatte sich zugetragen: Vor ein paar Monaten war Hilkim zum Haus eines reichen Tuchhändlers geschlichen, der So-Lor für ein paar Tage verlassen hatte. In dunklen Schatten verborgen hatte er unerkannt die Rückseite des Gebäudes erreicht und katzengleich die Fassade erklommen. Ein Fenster im ersten Stock war nur angelehnt. Als er einen Moment innehielt, konnte er die Diener im Erdgeschoss schnarchen hören. Er grinste: Gut, das machte die Sache einfacher. Doch als er nur wenige Augenblicke später das Fenster überwunden hatte und im Schlafgemach des Händlers stand, war ihm das Grinsen auch schon wieder vergangen. Verwüstung. Die schweren Eichentruhen zerschmettert, die Schubladen aus den Ebenholz-kommoden gerissen, Bilder und Vorhänge zerfetzt. Auf allem fand sich dunkelrot und klebrig wie halbgeronnenes Blut Kama, der offenbar in einer Karaffe auf dem umgeworfenen Beistelltisch gestanden hatte.
So barbarisch alles anmutete, Hilkim erkannte schnell, dass hier ein Meister am Werk gewesen sein musste: Er fand nichts, und wirklich nichts, das es gelohnt hätte, es mitzunehmen. Kein goldener Löffel, nicht einmal eine Münze hatte der, der ihm zuvor gekommen war, hinterlassen. So blieb ihm nichts anderes übrig als unverrichteter Dinge ins Gasthaus Zur Abgeschlagenen Hand zurückzukehren und Brim von dem Vorfall zu berichten.
Der Wirt war wütend, wie man ihn selten einmal erlebt hatte. Seine Augen rollten und dicke Adern pulsten schwer an seinen Schläfen. Er schrie und nur mit Mühe und Not gelang es Hilkim, dass er seinen Zorn nicht an Gästen und Mobiliar veräußerte.
Schließlich, nach fast einer halben Stunde, war er soweit beruhigt, dass er sich mit Thales zu Beratungen zurückzog.
Schnell waren sie sich einig, dass für den Vorfall kein Verräter aus den eigenen Reihen verantwortlich sein konnte. Jeder von ihnen hatte über Jahre hinweg seine Loyalität bewiesen und außerdem ließ sich kaum ein Grund finden, warum sie ein solches Katz-und-Maus-Spiel anstellen sollten. Alle standen bei Brim in Lohn und Brot und verdienten nicht schlecht daran. Brims Beziehung zum Kaiserhof schützte sie und niemand konnte ernsthaft glauben, ein solches Vorgehen könnte seine Herrschaft über die Dunkle Gasse gefährden. Brim hatte mehr als nur dieses eine Süppchen am Kochen.
Nichtsdestotrotz war es ein empfindlicher Schlag, den er nicht ungesühnt lassen wollte. „In Ordnung, kein Verräter, wer dann?“ Sein Zorn hatte sich etwas abgekühlt und war in kalten berechnenden Hass umgeschlagen. Thales, dessen jugendliche Stirn feine Runzeln überzogen hatten, antwortete nicht sofort. „Ein Magier vielleicht.“, sagte er vorsichtig, ohne jedoch wirklich Zweifel an dieser Vermutung zu hegen.
Ja, ein Magier. Doch auch diese Annahme wies ein schwerwiegendes Problem auf: Welcher Magier würde seine Kunst dazu benutzen, solchen Schabernack zu treiben? Kein Ordensmagier, zweifellos. Es kam selten genug vor, dass einer von ihnen die Burgen und Türme verließ, die ihr heiliges Wissen schützten und ihren Geist von allem Weltlichen freihielten. Niemals jedoch würde einer von ihnen seinen Fuß in den Schlamm von So-Lor setzten, wie es Kaitil Dann einmal ausgedrückt hatte.
Wer dann?
„Ein Gefallener.“ Die Antwort lag auf der Hand. Thales hatte als Alchemist selbst viele Jahre im Dienste des Kaiser gestanden, bis er herausfand wie man aus Eisen und Zinn, sowie einigen anderen Zutaten ein Material erschuf, das in seinen physischen Eigenschaften Gold vollkommen glich, nicht jedoch in seinen magischen. Beinah wäre die Wirtschaft So-Lors unter der inflationären Last dieses falschen Goldes zusammengebrochen. Thales war daraufhin unehrenhaft entlassen worden, doch noch immer, mehr als 20 Jahre später, bewunderten ihn dort viele für seine Entdeckung.
Es war also ein Gefallener, der Brim herausforderte. Diese Erkenntnis war ebenso beunruhigend wie nutzlos, denn sie brachte ihn keinen Schritt weiter, wie er darauf reagieren konnte. Zuletzt entschlossen sie sich, einen weiteren Überfall abzuwarten, in der Hoffnung, dass vielleicht alles nur ein Zufall war, wenn auch keiner der beiden wirklich daran glaubte. Und tatsächlich zeigte sich dabei dasselbe Bild: Verwüstung und nicht die Spur eines wertvollen Gegenstandes. Brim war so wütend, dass er in den unterirdischen Katakomben der Schenke einen uralten Faruk-Spiegel zerschlug.
Faruk-Spiegel zeigen jedem Menschen das, was sein ureigenster Wunsch ist. Brim sah darin wie er versuchte, einen Schatten mit dem Umriss eines Magiers, mit seiner unversehrten Hand zu erwürgen.
Nachdem Thales ihn verbunden hatte, entschied sich der ehemalige Gladiator gegen den Rat des Alchemisten dazu, dem diebischen Magier eine Falle zu stellen. Heute Nacht hatte er Hilkim losgeschickt ins Herrschaftsviertel, auf den Weg zu einem neuerlichen Raubzug. Schon Stunden vorher jedoch sollte sich Wolkom auf die Lauer legen, um dem Dieb im rechten Moment zu folgen.
Hilkim war schon lange wieder zurück, doch Wolkom nicht.
In diesem Moment fiel Brim etwas auf. Der Rauch hatte sich inzwischen wie Nebel zu einer undurchsichtigen Wolke verdichtet, er konnte kaum drei Hand weit sehen. Noch immer stand er an die Wand gepresst, die Hand am Griff seines Vata-Dolches. Was war das? Alles drehte sich, schnell und schneller. Und der Geruch … nein, der beißende Gestank.
Da erschrak Brim erneut. Er hatte den Geruch erkannt: Vulcuuskraut. Benommen erinnerte er sich: Es hieß, hätte ein Mensch einmal genug des Rauchs eingeatmet, so würde er unwieder-bringlich seinen Willen verlieren. Ein Magier oder jeder andere hätte dann die Möglichkeit ihn zu kontrollieren, ohne dass der Versehrte etwas dagegen hätte tun können—oder wollen.
Brim stürzte in den Lageraum hinter der Theke und durch eine schwere Eisentür, hinter der eine steile Treppe hinab in die Katakomben führte. Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloss. Am Fuße der Treppe legte er schweratmend eine Verschnaufpause ein. Endlich konnte er wieder frei atmen und das Drehen in seinem Kopf milderte sich ein wenig.
Glücklich, noch Herr seines eigenen Willens zu sein, gab er sich für einen Augenblick der Überlegung hin, wie er Thales wohl diesmal für die Rettung seines Lebens entlohnen könnte. In diesem Moment berührte ihn etwas an der Schulter. Brim fuhr herum, seinen Dolch gezogen, bereit den tödlichen Stoß auszuführen … „Ganz ruhig, Brim.“ Brim begriff zunächst nichts, außer, dass sich sein Gegenüber offenbar nicht mit ihm duellieren wollte. Dann erkannte er ihn: Es war Wolkom. Groß und schlank, das lange dunkle Haar im Nacken zu einem Schwanz gebunden, lächelte er Brim schief an. „Warum so außer Atem, mein Lieber? Mir scheint, du bist ein wenig aus der Übung.“ „Wolkom!“ Brims Tonfall war eine Mischung aus Überraschung und Ärger. „Wo bist du so lange gewesen?“ Das Lächeln auf Wolkoms Gesicht wurde noch breiter. „Ich habe deinen Auftrag erledigt, was sonst? Mach dir mal keine Sorgen, es ist weniger schlimm, als du und Thales befürchtet haben. Das ganze Problem lässt sich auf einfache Weise beseitigen.“ „Aha.“ Mehr fiel Brim dazu nicht ein. Es beunruhigte ihn ein wenig, dass Wolkom in Rätseln sprach.
Letzterer suchte seinen Blick, bevor er weitersprach. „Ja, Brim, in der Tat. Ich habe es getan.“ Im selben Augenblick riss Wolkom einen blitzenden Gegenstand aus einer seiner Manteltaschen und richtete ihn auf Brim. Als der sah, wie das Ding in Sekundenbruchteilen zu einem stattlichen Säbel heranwuchs, der nur aus Licht zu bestehen schien, ließ er vor Überraschung seinen Dolch fallen.
Wolkom ging sofort zum Angriff über und nur durch Glück gelang es Brim, den ersten Hieben auszuweichen. Das gleißende Licht brannte in seinen Augen und es war ihm unmöglich den Blick genau auf die Klinge zu richten. Er taumelte rückwärts und rückwärts, immer weiter den dunklen Gang entlang. „Verräter“, dachte Brim. „Mieser, kleiner Verräter.“ Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, auf so banale Weise ums Leben zu kommen. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft.
Wolkoms Streiche kamen ihm näher und näher und er roch, wie die Haare auf seinem Unterarm, den sein Gegner nur um Millimeter verfehlt hatte, zu kokeln begannen. Doch als der ihn im nächsten Augenblick einmal deutlich verfehlte, reagierte Brim blitzschnell, wich ein paar Schritte zurück und riss mit ungeheurer Kraft eine zwei Meter lange Eisenstange aus der Wand, die eigentlich die Jahrhunderte alte Konstruktion stützen sollte. Sofort zeigten sich feine Risse, doch keiner der beiden Kontrahenten achtete darauf.
Endlich wieder bewaffnet witterte Brim seine Chance. Er führte die massive Stange über den Kopf und wollte sie gerade auf Wolkoms Schädel niedersausen lassen, als die Klinge aus Licht das Metall etwa auf halber Länge berührte und zerschnitt, sodass der Teil, der Wolkom niederstrecken sollte, hinter ihm unverrichteter Dinge und klirrend auf den Steinboden schlug. Mit dem Mut des Verlorenen stürzte sich Brim dem Feind entgegen, doch ein paar Hiebe der magischen Waffe genügten, um die Eisenstange auf Ellenlänge zu verkürzen. Wieder blieb Brim nichts anderes übrig als zurückzuweichen. Doch da stieß er mit dem Rücken an die Wand am Ende des Tunnels.
„Das Ende“, dachte er. Und tatsächlich erhob sein Gegner die gleißende Klinge ein letztes Mal gegen ihn. Brim sah alles verlangsamt, sah das dunkle Licht in den Augen seines Mörders, das gleißend weiße Licht der Waffe, die sich unaufhaltsam seinem Gesicht näherte und hob unwillkürlich den versehrten Arm zum Schutz gegen den Angriff. Die heiße Klinge und der metallbewährte Stumpf seines linken Arms trafen sich in der Luft. Zischend verdampfte die Oberfläche des Eisens, doch die Klinge verfehlte Brims Gesicht und Schulter. Das Eisen jedoch traf Wolkom hart an der Schläfe und hinterließ dort ein rotes Brandmal als er zu Boden ging: Die Raubkatze, die über eine strahlende Sonne springt.
Wolkom blieb bewegungslos liegen. In diesem Moment fiel alle Spannung ab von Brim und er bemerkte, dass seine Beine zitterten. Ein weiteres Mal dem Tod entronnen. Er wischte sich den Schweiß aus der Stirn und betrachtete das, was er einmal für einen Freund gehalten hatte. Freund!
In diesem Moment hörte Brim Schritte. „Brim?“ Thales Stimme hallte den dunklen Gang entlang. „Hier drüben.“, antwortete er matt. Der Alchemist trat in hastigem Schritt aus der Dunkelheit in das helle Licht der magischen Waffe, die noch immer am Boden glühte. Bei Wol-koms Anblick blieb er abrupt stehen. Er schaute zu Brim, der an der Wand lehnte und verstand. Er kniete nieder neben dem Liegenden, befühlte seinen Puls, besah sich die Wunde am Kopf und öffnete seine Lider. Dann sagte er tonlos: „Vulcuuskraut“.
Brim schnappte nach Luft. „Es gibt eine Behandlung, aber die ist schwierig und du hast ihn ja ziemlich übel zugerichtet. Ich schlage vor, dass ich hier bleibe.“, sagte er zu Brim. „—Und du gehst einmal hoch und schaust, was sich mitunter so in deiner Schenke herumtreibt.“, fügte er in ernstem Ton hinzu.
Brim tat wie ihm geheißen, auch wenn er nicht verstand, worauf Thales hinauswollte. Als er die Theke erreicht hatte, erkannte er, dass die Schenke fast leer war. Die Sanduhr zeigte wieder ihr gewöhnliches Weiß. Drei Männer standen dicht beieinander im hinteren Teil des Raums und kehrten ihm den Rücken zu. Es waren Hilkim, Lareem Anezares und Od. Als sie Brims Schritte hörten, drehten sie sich um und traten ein wenig auseinander. Da sah er, dass auf dem Teil des Bodens, den die drei vorher verdeckt hatte, ein Mann lag. Ein langer Bolzen stak in seinem Rücken und er bewegte sich nicht. Es war offensichtlich, dass er tot war.
Der Mann trug die Kleidung eines Tagelöhners, doch sein Bart war sauber gestutzt und er hatte einen golden Ring am Zeigefinger der rechten Hand. Brim konnte sich nicht erinnern, ihn jemals zuvor gesehen zu haben.
Neben dem Mann lag ein zerbrochenes Räucherglas, aus dem es noch immer ein wenig dampfte. Brim erkannte deutlich die Überreste des dunkelgrünen Krauts mit den länglichen, spitz zulaufenden Blättern.
Wortlos drehte Brim den Mann mit dem Fuß auf die Seite. Der Armbrustbolzen hatte die Brust durchschlagen und die Wunde blutete noch immer. Da fiel etwas aus dem Innern seines Mantels auf den Boden. Sie sahen es. Erkannten, was es war. Und wichen erschrocken zurück.
Die schwarze Blüte. Sie leuchtete wie eine kleine schwarze Sonne und alles um sie her schien plötzlich in dunkle Schatten getaucht. Sie mussten sie anstarren und doch war es fast unmöglich den Anblick zu ertragen.
Ein Gegner mit dem keiner von ihnen gerechnet hatte. Ein Gegner mit dem niemand rechnen wollte. Niemand wagte zu atmen. Es war vollkommen still. Doch man konnte den einen furchtbaren Gedanken aus allen ihren Gesichtern lesen: Mondwächter.
So standen sie, und vielleicht war es eine Stunde lang, stumm und starr, bis Thales zu ihnen trat und ihren Anblick teilte. Auch er sah hinab auf die Blüte, einen Ausdruck von Bestürzung im Gesicht, dann sagte er mit einem ungewohnten Zittern in dem ihm eigenen Galgenhumor: „Immerhin. Jetzt wissen wir, dass sie nicht unbesiegbar sind.“
Und ja, das stimmte.