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Die Kirche von Wildenwart
Am Rande des Waldes, gleich nachdem das Ziel ihrer Wanderschaft vor ihnen auftauchte, blieben sie stehen. Die kleine, auf dem Hügel gelegene Kirche beherrschte ihre Umgebung mühelos, das Pfarrhaus und erst recht die etwas größere, aber noch tiefer gelegene Schule nahm man zuerst ebenso wenig wahr, wie das in einer Mulde weiter nördlich gelegene Dorf, um vom Schloss, das man auf der anderen Seite hinter den Bäumen nur vermuten konnte, gar nicht zu reden.
Stumm, fast andächtig standen sie da und betrachteten das achteckige, aus der Ferne rund wirkende Gotteshaus. Es war das Haus eines Gottes, der vor Jahrtausenden Mann und Weib erschaffen und ihnen aufgetragen hatte, fruchtbar zu sein. Gott sagte ihnen noch mehr damals, doch der Mann, der gerade mit seinem Weibe über die wohlgeordneten Felder und Wiesen bis hierher gewandert war, wusste nicht mehr so genau, was das war. Auf den Wanderstab gestützt und die Schultern seiner Frau umarmend, betrachtete er die ihn umgebende Landschaft. Es gab in ihm keinen Zweifel, die Menschen hatten weitere Gebote Gottes treu befolgt, hier wuchs fast keine Pflanze, die ihnen nicht genehm wäre, und wenn sie während der Wanderung noch Tieren begegneten, so waren dies nur Kühe, Pferde, Hühner und im Wald ein paar Eichhörnchen gewesen, dem Umstand, für den Menschen nützlich oder zumindest nicht schädlich zu sein, schuldete alles Getier auf Erden sein Leben.
Alles schien also bestens unter dem weißblauen Himmel, und wenn das in den besten Jahren stehende Paar das Gottgewollte auch schon getan hätte, so stünde das gottesfürchtige Land vielleicht wirklich derart mustergültig da, wie manche nicht müde werden zu behaupten, ganz so, als ob zum Glück auf Erden nur liebliche Landschaft und schönes Wetter gehörten.
Plötzlich drang Kindergeschrei zu ihnen herauf, und als ob sie nur darauf gewartet hätten, kam Leben in das Paar. Sie schauten sich an, dann, nach einer Weile, nickte der Mann. Genau genommen nickte er nicht, er schloss nur seine Augen für jenen sprichwörtlichen Augenblick. Ohne Zögern und ohne sich aus seiner Umarmung ganz zu lösen, fasste sie sich mit beiden Händen unter den Rock und zog ihren Slip aus.
Mit einem Lächeln stopfte sie das dünne und mit feinen Spitzen besetzte Stück Baumwolle in die Brusttasche seiner Jacke. Sie arrangierte es in Form einer Tulpe wie ein Einstecktuch, es kümmerte sie offenbar nicht, dass das schon längst nicht mehr der Mode entsprach, das Wissen darüber, wozu Herrensakkos auf der linken Brustseite diese kleinen Taschen aufweisen schien genauso verloren gegangen zu sein wie die Kenntnis darüber, warum an den Ärmelunterseiten Knöpfe angenäht sind.
Ihren Duft mochte er schon immer, aber an Tagen wie diesen mochte er ihn besonders. Schon am Morgen hatte er ihn wahrgenommen und noch bevor sie es ihm sagte gewusst, dass sie bereit war. Er brauchte nichts als seinen Geruchsinn, um zu wissen, wie es um sie stand. Im Laufe der Jahre lernte er ihre Düfte zu unterscheiden, ein tiefer Zug durch die dicht an ihren schlafwarmen Körper gehaltene Nase sagte ihm mehr als alle Wissenschaftler dieser Welt es mit ihren feinen Apparaturen je könnten.
Von ihrem Duft umschmeichelt suchten sie sich den Weg zur Kirche, doch die tobenden Kinder auf dem Sportplatz neben der Schule zwangen sie bald zum Verweilen. Sie haben es noch nie vermocht, an solchen Szenen einfach vorbei zu gehen, und auch jetzt konnte nicht einmal die Gefahr der zugegeben milden, aber manchmal recht heftigen Windstöße des gerade erwachten Frühlings etwas daran ändern. Die Frau konnte den immer wieder hoch flatternden Rock zwar notdürftig nach vorne sichern, doch wenn jemand hinter ihnen gestanden hätte, könnte er ab und zu trotzdem das Aufblitzen der weißen Haut oberhalb der Strümpfe wahrnehmen. Aber es gab keinen Zuschauer, und wenn, dann blieb er verborgen hinter den Gardinen des Pfarrhauses, es stürmte jedenfalls kein wutentbrannter Schwarzberockter heraus, als ein unverschämter, als linder Lufthauch getarnter Windstoß den weiten Rock von unten erfasste und für eine kleine Ewigkeit die beiden von Strapsen umrahmten Monde ihres Hintern entblößte.
Wie um dem Treiben des Windes Einhalt zu gebieten, legte er eine Hand auf ihren Hintern, doch schon bald spürte die Frau einen leichten Druck, der sie dazu veranlasste, sich halb zu ihm zu drehen. Die Augen suchten und fanden sich, wortlos verstärkte der Mann seinen Druck auf ihrer Hüfte. Mit einem Lächeln glitt ihr Blick wieder von ihm, nur kurz auf dem Einstecktuch verweilend; sie errötete leicht, als ihr bewusst wurde, dass nun auch er bereit war, und dass sie die Ursache für diese Bereitschaft war. Sie gab dem Druck seiner Hand nach und sie verließen den Zaun und begaben sich Hand in Hand auf geraden Wegen dorthin, wo allein die Hoffnung wohnte.
Ein flüchtiger Blick genügte und sie wussten: sie waren allein im Gotteshaus. Allein und zu allem entschlossen. Mit dem Wanderstab verriegelte er schnell die Tür und führte seine Frau weiter in den Kirchenraum hinein. Sobald sie den schützenden Bereich unter dem Chor verließen, wurden ihre Schritte auf wundersame Weise lauter, ihren gummibesohlten Schuhen zum Trotz. Je weiter sie kamen, desto stärker wurde der Klang ihrer Schritte, bald hatte er das Gefühl, da gingen nicht nur sie beide über die beigefarbenen Steinplatten, sondern unendlich viele.
Sie ließen sich jedoch nicht täuschen vom Echo, das sich Kuppel und der glatte Boden zuwarfen, sie hielten nicht ein, bis sie genau die Mitte des Raumes erreichten. Dort, an der Stelle der stärksten Resonanz, blieben sie abrupt stehen und lauschten dem Nachklang noch einen Augenblick. Dann, sich an Händen haltend, sanken sie zu Boden, und als er sich behutsam auf sie legte, war er überrascht, wie feucht sie schon war. Ohne Mühe drang er in sie ein, doch als ihr Aufstöhnen tausendfach verstärkt an sein Ohr drang, hielt er unwillkürlich inne. Mit einem Lächeln umarmte sie ihn, und als ihre Hände dann weiter an seinem Rücken entlang glitten und bald seine Hüften erreichten, um dort seinen Körper an sich zu pressen, dann wusste er wieder, warum er, warum sie beide hier waren.
Gleichwohl zuckte er auch bei seinem nächsten Stoß zusammen, so stark, so mächtig war der Hall im Raum, es bedurfte noch mehrerer Aufforderungen seiner Frau, bis er sich überwand und den Rhythmus fand, den sie beide kannten, und der allein in der Lage war, sie dem Ziel näher zu bringen. Von den fordernden Händen seiner Frau geführt, wurde er langsam mutiger, er holte immer weiter aus, kümmerte sich immer weniger um das laute Klatschen, das seine Stöße begleitete, und das sich bald wie das einst mit Schlegeln durchgeführte Dreschen des Korns, bald wie das beim Flamenco übliche Gegenklatschen anhörte.
Er schloss seine Augen, wollte hören, was auch Gott hören sollte. Immer kräftiger stieß er in sie ein, war plötzlich sogar darauf bedacht, so laut wie möglich sein gottgefälliges Werk zu verrichten, es schien, als wollte er darin seiner Frau nacheifern. Schon bisher hatten ihre, fest in das Fleisch seines Gesäßes gekrallten und ihn zu mehr Tempo zwingenden Hände einen nicht geringen Anteil an seinem Lauterwerden gehabt, nun aber begleitete sie das Auf und Nieder ihres Beckens auch mit lautem Ächzen, jedes Mal, wenn ihr nackter Hintern auf den harten Boden schlug, hörte sich das an wie das Aufschlagen einer nassen Hand auf ebenso nasser Haut.
Doch weder sie noch er hörten dies, denn all das Stoßen, Stöhnen und Klatschen wurde vermischt und verstärkt von der Kuppel zurück auf den Boden geworfen, von wo sie mit neuem, frischem, reinem Klang angereichert, wieder aufstiegen, nur um den Raum vollständig auszufüllen und damit Gott keine Möglichkeit zu geben, sie nicht zu hören. Denn auch wenn Gott sich bisher jahrelang ihren Bitten verweigerte oder nur so tat, als hörte er sie nicht, jetzt musste er sie hören. Er musste sie erhören, wenn nicht hier, in seinem Haus, wo sonst?