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Die Kraft der Gedanken

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17.12.2005
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Anmerkungen zum Text

Ob die tags richtig sind - es ist ja die Polizei involviert, also Krimi? Normale Menschen, also Alltag? SF auf jeden Fall, da es bis heute nicht wissenschaftlich bewiesen ist, dass es so oder so ähnlich funktioniert mit der Energie. Literatur dazu: Hans-Peter-Dürr/Es gibt keine Materie, auch die Wissenschaft spricht nur in Gleichnissen; Anita Moorjani/Heilung im Licht; Osho, Dahlke, Tolle, sadhguru, Veda nach Jan Gonda; Fabian Wollschläger/7 geistige Gesetze-Kybalion, uvm. - am 4.12. veröffentlicht, am 11.12. den Titel geändert, weil die Story bis dahin nur einen Kommentar "kassierte" - vielleicht lag es am Titel. :-)

Die Kraft der Gedanken

„Ist er zurechnungsfähig?“ Hauptkommissar Winevsky schaut über den Brillenrand.
Polizeimeister Ajdin Bulut klappert mit dem Kugelschreiber auf der Schreibunterlage seines Tisches. Er wendet sein Gesicht nicht vom Bildschirm ab, starrt auf das flimmernde Foto. Ein junger Mann, unrasiert, halblange Haare, zerzaust. Für ihn ein Freak.
Winevsky stört die Frisur Ajdins. So sehen Fußballer aus, keine Polizisten. Aber die Haare sind akkurat gepflegt. Selbst seine Schuhe werden jeden Morgen mit einer Bananenschale frisch geputzt, wie er ihm einmal versicherte. Winevsky hatte ihm nicht geglaubt, bis er tatsächlich bei Google den Pflegetipp fand.
„Nicht konkret, Chef.“ Bulut führt dabei den Stift an seine Lippen. „Er macht kein Stress, hat mich nicht vorgeführt, war voll ruhig.“
Wie gerne würde er ihm jetzt sagen, dass es keinen Stress heißt; überhaupt seine Aussprache, aber er sah mittlerweile drüber hinweg.
„Wer war noch dabei?“ Winevsky steht auf, geht ans Fenster. Draußen der Hof ist leer, alle Dienstfahrzeuge sind im Einsatz.
„Die Petzold.“
„Und wo ist sie jetzt?“
„Neb´an, Telefon mit GWUP, da mit der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, fragt, ob der Strebel isch bekannt bei denen.“ Fuchtelt mit dem Kugelschreiber. „Petzold kommt wenn sie isch fertig mit telefoniere.“ Bulut schaut jetzt auf. Seine Augen sind klar, groß und dunkel. Er zwinkert, wendet sich der Tastatur zu.
Die Glastür wird aufgestoßen, Irina Petzold zieht ihre Jacke aus, hängt sie über den schlichten Stuhl neben dem Schreibtisch.
„Puh, der Strebel ist dort bekannt, er wurde schon mehrfach angeschrieben, sich in der Uni Würzburg bei einem Herrn Dr. Rainer Luchs einzufinden. Schriftlich, höflich und unverbindlich. Familienangehörige, Freunde, sogar eine Lehrerin haben sich an das Institut gewendet, weil der Jacob so seltsame Sachen konnte, wie Dr. Luchs es nannte. Aber Fehlanzeige – er ignorierte die Schreiben. Jetzt sieht es ein bisschen anders aus. Die von der BEU wollen zwei Leute schicken, um den Vorgang untersuchen zu lassen. Ich hab ihnen gesagt, dass es nichts zu untersuchen gibt. Es gab ja nicht wirklich einen Schaden.“
"Von wo?" Bulut zieht die Augenbrauen nach oben.
" Beamte von der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung, kurz BEU genannt." Irina erläutert ihre Bemerkung mit einer kreisenden Handbewegung.
Winevsky setzt sich wieder. Blickt die Beamtin unverwandt an. „Wer gab ihnen die Anweisung dazu?“
„Kollege Bulut und ich haben den Bericht online gesetzt. Schau´n sie nach. Und nochmal. Es gibt einen klaren Tatbestand. Strebel behauptet steif und fest, dass er den Zug angehalten hat. Was völlig absurd ist. Aber, was machen wir jetzt? Verhaften? Unserer Einschätzung nach besteht keinerlei Fluchtgefahr. Observieren?“
Sie entfernt den Haargummi, bündelt ihre Haare neu, streift ihn wieder über. Greift sich die Jacke.
„Was jetzt, Chef. Observieren?“
Winevsky nickt. „Sei´n Sie vorsichtig. Ziehen Sie Erkundigungen ein, klopfen Sie mal das Umfeld ab. Irgendjemand muss da was aufgefallen sein. Das kommt nicht von heute auf morgen. Und um die BEU kümmere ich mich. Der Zug wurde angehalten, es gab Verzögerungen im Bahnverkehr. Jemand muss dafür ja grade stehen. Bulut, sie machen keine Extratouren, haben wir uns verstanden?“
„Klar, Chef!“ Der junge Polizeimeister folgt seiner Kollegin, die ihm die Tür aufhält.

„Was is mit Winevsky, wieso muss du und ich da jetzt raus, rumsteh´n und gucken – der macht doch nix!“ Leise summt die Lüftung, der Beamte klopft rhythmisch auf das Armaturenbrett, starrt durch die Frontscheibe. Die Dämmerung hat eingesetzt, die Straßenbeleuchtung flammt auf, Laub wird von vorbeifahrenden Autos aufgewirbelt.
Irina Petzold seufzt. „Wölkchen, mach mal halblang. In einer Stunde ist Feierabend, dann seh´n wir hier eh nichts mehr. Oder, was ist, soll´n wir ihn uns nochmal vorknöpfen? Einfach klingeln und doof fragen? Fällt uns doch leicht, oder?“ Sie haut ihm kumpelhaft auf den Arm.
„Ah, du wieder. Weiß nich´- wenn´s Winevsky erfährt, gibt´s Stress!“ Bulut ist sich unschlüssig. Hört plötzlich mit dem Trommeln auf und deutet durch die Scheibe.
„Da ist der Kerl“, flüstert er. „Der kommt her!“
Jacob Strebel bleibt vor dem Auto stehen, wartet, bis die Beamtin die Tür öffnet und aussteigt. Auf der Beifahrerseite geht die Scheibe nach unten. Aber Irina fordert ihren Mitarbeiter mit einer Handbewegung auf, ebenfalls das Fahrzeug zu verlassen.
„Was soll das werden?“ Jacob spricht leise, er ist wegen des Verkehrs kaum zu hören. „Ich habe ihnen gesagt, um was es geht. Ich möchte erst selbst damit klar kommen. Morgen ist ein Termin mit Frau Doktor Orgé und ihrem Chef vorgesehen. Vielleicht nehme ich auch die Einladung nach Würzburg an. Mal sehen. Ich weiß im Moment selbst nicht weiter. Ich konnte das ja nicht passieren lassen, das mit dem Zug. Ich muss nachdenken.“
Irina hat sich ihm genähert, um ihn besser verstehen zu können. Bulut will sie am Arm zurückhalten, aber sie schüttelt ihn mit einer kaum merklichen Bewegung ab.
„Das hört sich doch gut an. Der Bericht ist ja verfasst, Sie haben unterschrieben, aber mir stellt sich immer noch die Frage - wie haben Sie das gemacht? Ich kann mir das nicht erklären. Es war ja keine Zauberei – oder doch? Herrgott, wieso passiert mir sowas?“
„Es gibt keine Zufälle.“ Ein Lächeln verändert sein ernstes Gesicht, hält aber nicht lange an.
Jacob wendet sich ein wenig ab. „Ich habe ihnen alles gesagt. Bitte lassen Sie mich jetzt zufrieden.“
„Hören Sie, Sie haben einen Zug angehalten, als ein Auto auf den Gleisen stand. Herr Strebel, so etwas ist unmöglich! Das gibt es nicht! Nicht auf dieser Welt! Selbst der Lokführer hat ausgesagt, dass er nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. Die beiden Wagen waren voll besetzt, niemand kam zu Schaden. Die Zeugen an den Schranken sagten aus, der Zug sei einfach stehen geblieben. Fünfunddreißig Zeugen! Als sich der Zug näherte, schrien die Menschen, jeder sah das Unglück kommen, es schien unvermeidlich. Fast zehn Schritte vor dem Auto bleibt der Zug stehen. Aus voller Fahrt auf Stillstand. Jacob Strebel, Sie waren selbst Zeuge und sagten uns, Sie haben den Zug angehalten. Der Zug konnte zwar weiterfahren aber die Vernehmungen dauerten Stunden. Jeder Meter wurde untersucht, es hat bis jetzt Mühe gekostet, die Presse da raus zu halten, aber spätestens morgen wird es über´s Internet in der Welt verbreitet worden sein – und dann?“ Polizeimeisterin Petzold hat sich ereifert, ihr Kollege schüttelt den Kopf.
„Der weiß doch alles, was musst du da jetzt nochmal reden. Vielleicht sagt der bloß, dass er das gemacht hat, dabei war´s was ganz anderes.“ Ajdin möchte das hinter sich lassen. Ihm ist das nicht geheuer, in was er da jetzt reingerutscht ist. Er öffnet die Beifahrertür.
„Komm, Irina – lass uns gehen!“, fordert er sie auf. Er ist müde, es war zu viel für sein Verständnis. Ihm ist ein wenig schwindlig, er will nicht weiter über diese Sache nachdenken. Als er es heute am Mittagstisch seiner Frau erzählte, lächelte sie nur. Sie glaubte ihm kein Wort. Er will nicht als Spinner oder Geschichtenerzähler vor ihr stehen. Nicht er, Ajdin Bulut. Die Sache muss erst in der Zeitung stehen oder in den Nachrichten laufen, das wird sie überzeugen. Der Schwindel nimmt zu und er ist froh, als er im Auto sitzt und die Tür schließen kann. In seinem Kopf verstärkt sich das Gefühl, als bade sein Gehirn in Watte; Gedanken kommen nicht mehr dort an, wo sie verstanden werden können. Da war ein Zug, da sind Menschen, da ist ein junger Mann, ein Auto auf den Gleisen. Stand es wirklich dort? Vielleicht eine Fata Morgana, aber wie kommt er jetzt da drauf? Die Schranken waren unten, das Auto stand doch zwischen ihnen und doch ist nichts passiert. Als seine Kollegin sich neben ihn setzt, wischt er sich mit den Fingern über die Augen, knetet seine Stirn.
„Ajdin, alles klar?“ Irina fasst nach seinem Arm, will, dass er sich ihr zuwendet. „Was ist mit dir?“
„Mir ist kusma hissi, schlecht“, stöhnt er. „Ich glaub mein Kopf platzt.“
Doch plötzlich ist alles vorbei. Er ist ganz sein Name. Ajdin, der Helle, der Klare, der Gebildete. Ungläubig sieht er durch die Frontscheibe, wendet ruckartig das Gesicht seiner Kollegin zu.
„Wo ist er?“ Seine Augen sind geweitet.
„He, du machst mir Angst, Bulut. Sag schon, was ist los, drehst du jetzt durch? Er ist gegangen, lass uns auf´s Revier fahren, Feierabend machen. Morgen wird sicher ein anstrengender Tag. Das war heute nicht alles, da kommt morgen noch was auf uns zu.“
Irina startet den Motor, setzt den Blinker und fädelt sich in den Verkehr ein. Neben ihr sitzt Polizeimeister Bulut und starrt unverwandt nach vorne, aber sein Blick ist nicht bei der Sache. Als sei in ihm etwas, was ihn mehr fesselt als die Realität.

„Is´doch Müll!“ Ajdin knallt den leeren Kaffeebecher auf den Tisch, wischt mit der Hand abwertend über den Bildschirm. „Wieso hab ich da unterschrieben, so´n Dreck wo der erzählt hat!“ Er sucht nach Kommentaren von Kollegen, öffnet soziale Medien, googelt. Nichts. „Wieso is´ da nix, hat der mich vorgeführt, Bruder!“, Ajdin wirkt genervt.
Winevsky sieht ihn fragend an.
„Ja, Bulut, tatsächlich ungewöhnlich. Da geht was vor. Um zehn sind die von der BEU da, zwei Mann. Strebel kommt auch. Frau Dr. Orgé ebenfalls. Sie kennen sie, arbeitet in der Klapse. Haben Sie und Petzold gestern noch was rausgekriegt?“
In dem Moment steht die Polizeimeisterin in der Tür.
„Guten Morgen! Habt ihr schon gesehen, oder besser, nicht gesehen? Nichts in der Presse, nichts im Internet. Ich glaub´s ja nicht.“
„Haben sie beide gestern noch was in Erfahrung bringen können?“ Winevsky hebt fragend den Kopf.
„Er kam auf uns zu, als wir in seiner Straße im Auto saßen. Wir waren ein bisschen unschlüssig, was wir da eigentlich wollten. Es gab ein kurzes Gespräch, keine Neuigkeiten. Bulut ging es nicht gut, ihm wurde schwindlig; wir sind kurz darauf zurück gefahren. Strebel sprach von einem Treffen, das hier um zehn stattfinden soll. Sind wir auch dabei?“
„Nein, ich denke, es wird nicht notwendig sein, aber stehen sie zur Verfügung, falls es Unklarheiten gibt.“

Die beiden Beamten vom BEU verspäten sich. Jacob Strebel unterhält sich leise mit der Parapsychologin Ev Orgé. Winevsky versucht das ausgedruckte Protokoll zu sortieren, liest einige Zeilen, schüttelt den Kopf, schiebt die Blätter hintereinander, um sie kurze Zeit später wieder neu zu ordnen.
Als die beiden eintreten, stellen sie sich kurz vor. Herr Miso und Herr Kass. Letzterer ist groß, Brillenträger und haarlos. Er ergreift als erster das Wort: „Gestern ging uns das Protokoll zu, wir haben es mehrfach gelesen, aber wir haben es nicht verstanden. Nahverkehrszug 14B24 wurde um 14:47 MEZ vor dem Bahnübergang Ludwigshafenerstraße gestoppt. Er fuhr siebenunddreißig Kilometer in der Stunde und hielt von einer Sekunde auf die andere an. Das ist technisch nicht möglich. Es ist auch ausgeschlossen, dass keine Passagiere zu Schaden kamen. Hier steht, es gab fünfunddreißig Zeugen, die den Vorgang so oder so ähnlich schilderten. Eine Schranke wurde fünfzehn Minuten später wieder geöffnet, das Auto mit Kennzeichen KN soundso konnte sich entfernen - nach Aufnahme der Personalien des Fahrzeughalters. Der Zug setzte mit allen Passagieren und einer viertel Stunde Verspätung seine Fahrt fort. Zugführer und ein Großteil der Passagiere wurden flüchtig vom gerufenen Notarzt Seifried untersucht, alle ohne Beeinträchtigungen oder Anzeichen eines Schocks. Sie wussten einfach nicht, was passiert war. Man ließ sie vorerst in diesem Glauben. Und Sie, Herr Strebel, Herr Jacob Strebel, wollen den Zusammenprall zwischen dem Zug und dem Wagen verhindert haben. Mehr steht hier nicht. Weitere Angaben wollen Sie erst nach Rücksprache mit einer Psychologin machen. Parapsychologin. Sie ziehen auch in Betracht, sich auf parapsychische Fähigkeiten an der Uni Würzburg untersuchen zu lassen. Wollen oder können Sie das präzisieren oder genauer erklären, wie Sie das angestellt haben wollen?“
Kass und Polizeihauptkommissar Winevsky schieben gleichzeitig ihre Brillen etwas nach unten und sehen über den Rand.
Jacob nestelt an einem Bund seines Pullovers. Frau Orgé nickt ihm zu, als habe er auf ihren Zuspruch gewartet.
„Es ist sehr einfach. Jedes Material hat eine spezifische Dichte. Die darin enthaltene Energie steht im Verhältnis zur Dichte. Die geringste Dichte hat Wasserstoff, die höchste Dichte Osmium. Es gibt auch…“, aber Herr Miso unterbricht ihn mit schnarrender Stimme.
„Das können wir nachlesen, Herr Strebel. Uns interessiert, wie Sie das gemacht haben.“
Jacob atmet durch, wirkt jetzt selbstsicherer.
„In der Schule hatte ich meine ersten Erlebnisse, konnte mir das aber nicht erklären. Es kam auch zufällig und ich hatte jahrelang Angst davor, dass es wieder passiert. Ich war baden mit Freunden, wir saßen am Wasser, als ein Freund zu ertrinken drohte. Er war weit hinaus geschwommen und ich sah, wie er plötzlich untertauchte und mit den Armen ruderte. Nicht wie jemand, der freiwillig taucht. Ich sah auch, wie er nach Luft rang, als ich die Energie des Wassers wie einen Lichtteppich vor mir sah. Alles war erleuchtet, dichtere Gegenstände heller, die Luft blasser und alles hing zusammen, sogar meine Gedanken waren wie Lichterketten, die ich in andere Fäden einspann und so konnte ich das Wasser unter meinem Freund so dicht weben, dass es ihn mühelos trug. Es war ganz einfach und ich erschrak, sah mich um, aber niemand nahm Notiz von mir oder schien etwas zu bemerken. Als mein Freund wieder bei uns war, schilderte er kurz sein Erlebnis, dass er fast ertrunken sei, aber plötzlich wurde das Wasser unter ihm sehr fest und habe ihn getragen. War wohl ein Schutzengel, sagte er lachend, aber ganz glaubte er nicht daran.
Dann habe ich das heimlich beobachtet. Wie Hummeln fliegen, Energien benutzen, die sie tragen. Überhaupt viele Lebewesen diese Energie nutzen. Es überstieg meine Vorstellungen, wie gesagt, ich hatte Angst und zog mich fortan zurück. Mir wurde auch bewusst, dass es keine Zufälle gibt und selbst wenn nur ein Atom verschoben wird, ändert sich das Weltgeschehen.“
Diesmal unterbricht ihn Kass. „Was wollen Sie uns damit andeuten? Dass Sie den Zug mit diesem Märchen angehalten haben? Kommen Sie, lassen Sie sich was Besseres einfallen. Frau Dr. Orgé, können Sie uns was sagen über den Geisteszustand von Herrn Strebel?“
Wisnevsky lässt sich gegen die Lehne fallen, streckt die Beine aus und verschränkt die Arme vor der Brust. Er ahnt, dass dies eine lange Besprechung werden wird. Gut, dass er vorab darum gebeten hatte, das Gespräch aufzeichnen zu dürfen.
„Was Herr Strebel hier äußert, ist vielleicht vergleichbar mit dem uralten Wissen der Veda, für unsere westliche Kultur kaum nachvollziehbar, geschweige denn verständlich. Einige Christen sprechen diese Eigenschaften Jesus zu, als er Kranke heilte, aber das sind nur Theorien. Bisher wurden diese Fähigkeiten bei keinem Menschen so ausgeprägt beobachtet. Es gibt auch Aufzeichnungen über Menschen mit Nahtoderfahrungen, die ähnliche Phänomene schildern, aber keiner konnte, nachdem er wieder unter den Lebenden weilte, diese Erkenntnisse anwenden.
Vielleicht helfen ihnen alte Redensarten weiter. Der Glaube versetzt Berge. Das Gleichnis vom Senfkorn, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, Gedanken sind der Ursprung von Taten und so weiter. All das hat offensichtlich stattgefunden. Ich habe noch nie davon gehört, dass es in westlichen Ländern so etwas gibt. Ich las das Buch einer Krebskranken, die durch Organversagen mehrere Minuten Herzstillstand erlitt und nach ihrer Rettung ohne ärztliche Hilfe innerhalb weniger Wochen vollkommen genas. Ein Inder lebt anscheinend seit siebzig Jahren nur vom Licht, ohne Essen und Trinken, anscheinend sogar 2003 wissenschaftlich untersucht und bestätigt. Phänomene, die uns eventuell einen Hinweis geben könnten auf die vorliegende Situation, aber, mein Gott. Ich bin gerade selbst überfordert.“
Dumpf dringt der Verkehr durch die geschlossenen Fenster. Der Himmel hat sich zugezogen, es sieht nach Regen aus. Irgendwo in einer Jackentasche klingelt vergeblich ein Handy.
„Herr Strebel? Deckt sich das Gesagte von Frau Dr. Orgé mit ihrem…“, Winevskys Zeigefinger zeichnet mehrere Kreise in die Luft. „Mit ihrem Vorgehen?“
„Ungefähr. Ich las viele Bücher über meine Gabe, halte mich seit Jahre bedeckt und vermeide, damit auffällig zu werden oder wende sie nur sehr versteckt an. Ich habe auch Angst, sie könnte Situationen auslösen, die ich nicht mehr kontrollieren kann. Ich weiß nichts über die Folgen, nur so viel, dass Energie niemals verloren geht, nur verschoben wird. Im Kybalion, der ägyptischen Lehre über die hermetischen Gesetze ist es sehr gut und sehr einfach beschrieben. Ich las es immer wieder, manchmal täglich. Auf einmal wurde es mir klar, schlagartig. Dabei ist es ganz einfach. Aber das Wichtigste dabei war, dass ich aufhörte zu denken.
Bewusstsein ist All. Also das Bewusstsein ist in allem, als Energie und die Energie ist das, was alles zusammenhält, Materie an sich bindet und…“, und wieder ist es Misos Stimme, die ihn unterbricht und wie ein rostiges Türgelenk klingt.
„Herr Strebel, wollen Sie uns mit so esoterischem Querdenkerblödsinn weismachen, dass Sie damit Züge stoppen können? Ich bitte Sie, wir von der BEU haben uns schon viele Ausreden anhören müssen, warum Züge entgleist sind, Signale nicht beachtet oder Schranken nicht geschlossen wurden. Ich bitte Sie, warum ausgerechnet Sie und von mir aus nicht ein indischer Guru, der sowas zustande bringt? Uri Geller war auch ein Scharlatan, die Schamanen am Amazonas wurden auch entlarvt mit ihren Tumoroperationen und Copperfield hat auch nur gezaubert. Und jetzt ein Jacob Strebel aus Stockach, der Gott spielen kann.“ Wobei ihm ein gequältes Lächeln über das Gesicht huscht.
Wisnevsky richtet sich wieder auf, stützt die Ellenbogen auf den Tisch, faltet seine Hände wie zum Gebet.
„Herr Strebel, wie, glauben Sie, sollen wir damit umgehen? Wir können nicht ermessen, ob Sie eine Gefahr darstellen. Wäre es ihnen möglich, mit ihrer, sagen wir, Kraft, auch in den Luftverkehr einzugreifen? Einsperren hat ja sicher keinen Zweck, da ihnen jedes Schloss kein Hindernis wäre. Was machen wir mit ihnen?“
Die Frage hängt wie verbrauchte Luft im Raum. Kass erhebt sich. „Zigarettenpause – ich muss erst mal nachdenken.“
„Herr Kass, bitte, ich muss gleich zum nächsten Termin.“ Frau Orgé hat ihre Hand gehoben. „Lassen sie uns das hier vorläufig zu Ende bringen.“
Herr Kass setzt sich widerwillig mit einem unterdrückten Knurren und an Jacob gewendet fährt sie fort: “Herr Strebel, Sie sprachen davon, nach Würzburg zur GWUP zu fahren. Ich würde gerne mitkommen. Es interessiert mich außerordentlich. Was machen wir mit den Herren Miso und Herr Kass, mit der örtlichen Polizei, den Zeugen, der Presse – es wird Kreise ziehen. Große Kreise.“
Ihre Stimme ist gegen Schluss leiser geworden, als sinniere sie für sich selbst über dieses Thema.
„Ich lösche den Vorgang in ihren Erinnerungen. Sie sind nicht in ihrem Kopf gespeichert, es ist ganz einfach. Den Vorgang selbst kann ich nicht ungeschehen machen, da müsste ich in die zeitliche Abfolge eingreifen und das kann ich ihnen nicht erklären, weil es ja die Zeit nicht gibt.“
Winevsky entfährt ein Stöhnen, er schlägt sich hörbar die Hand vor die Stirn.
„Strebel, hören Sie auf, uns mit solchen Hirngespinsten zu unterhalten. Ich will das nicht mehr hören, auch wenn ich das jetzt aushalten muss. Wie gehen wir vor, wie regeln wir das. Vernünftig, wenn´s geht! Was für ein Krampf!“
Er schüttelt den Kopf und sieht alle im Raum mitleidsheischend an.
Diesmal strahlt Jacob eine Kraft aus, die keine Widerrede zulässt. Selbst Frau Orgé wirkt überrascht. Kann es sein, dass dieser junge Mann, der erst ein bisschen schüchtern und ratlos wirkte, innerhalb kürzester Zeit eine so augenscheinliche Zielstrebigkeit erreicht? Sie spürt ein Frösteln über ihre Arme huschen, das sich aber kurz danach in eine wohlige Wärme verwandelt. Macht er das? Sie sucht in seinen Augen nach einer Geschäftigkeit, aber sein Blick wandert langsam von einem zum anderen.
„Ich versichere hier allen Anwesenden, dass dieses Bewusstsein auch Licht oder Liebe genannt wird und immer das Bestreben hat, vollkommen zu sein. Es ist auch immer Heilung, niemals Schmerz. Bitte machen sie sich keine Gedanken über die Folgen. Es wird keine geben. Ich fahre nach Würzburg zu Herrn Bartoschek, der hat schon über dreißig Psi-Tests gemacht, vornehmlich mit Wünschelrutengängern und angeblichen Wahrsagern. Machen sie sich keine Sorgen wegen des Vorfalls mit dem Zug. Wenn sie hier raus gehen, werden sie die Zusammenhänge vergessen haben.“

 

Hallihallo,

Bitte schön.:) Ich hoffe, dass ich etwas helfen konnte. Das waren meine Gedanken und Inspirationen zu deinem Text. Keep up the good work!

 

Hallo @FlicFlac,

danke für´s Lesen, den Kommentar und die Anmerkungen - und ein bisschen bin ich auch froh, dass ein Leser der Story etwas abgewinnen konnte; okay, mit Einschränkungen, denen ich bei der Überarbeitung auf alle Fälle ins Auge sehen werde.

Würde er das den Beamten so - 'literarisch' - beschreiben, selbst wenn er nicht nur ein moderner Schamane, sondern noch dazu ein Romancier wäre?
Nun ja, der Junge ist nun mal "anders" ... und mir wurde schon oft nachgesagt, dass ich mich im richtigen Leben auch so ausdrücken würde, auch mit dem Hinweis, ich käme mir wohl besonders schlau vor - ich mache es nicht absichtlich, aber mir gefällt es, sich so auszudrücken. Da "rutsche" ich dann gerne auch in so eine Ausdrucksweise - mal sehen, wie ich das "entschärfen" kann.
... als bade sein Gehirn in Watte. Ja, jetzt, wo´s 2x angemerkt ist, muss ich wohl was anderes finden, um sein Gefühl auszudrücken. Wie nennt man das, wenn man denken will und kommt auf keinen grünen Zweig? ... als krieche sein Gehirn im Nebel? Ist aber nicht das gleiche ... als zünde er einen Gedanken, den er aber zeitverzögert versteht? Wie soll ich so etwas "beschreiben", in Worte fassen?
Kein Ende? Nun, er macht es in all deren Gedanken ungeschehen, die ihm auf die Schliche kommen oder ihm Unannehmlichkeiten bereiten könnten. Er selbst will sich aber untersuchen lassen, warum ihm diese "Fähigkeit" so leicht fällt. Was mach ich jetzt, wenn das kein Ende sein soll? Nun, eine Überarbeitung steht auf alle Fälle an - danke nochmal und beste Grüße - Detlev

 

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