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Die Nacht des Chamäleon
Die Nacht des Chamäleon
(Der erste freie Tag)
Seit dem Ende des Balkankrieges arbeiteten sie in Kroatien und hatten jeder für sich nach nun sechs Wochen ihren ersten freien Tag so richtig genossen. Sehr überraschend, hatte sie ihn zum Abendessen in das alte Fischrestaurant am Hafen eingeladen. Sie, die als Chefin stets darauf achtete Distanz zu ihren Mitarbeitern zu wahren und ihre Zeit mit der Stoppuhr zu verwalten schien, hatte eine unglaubliche Verwandlung durchgemacht. Nichts an diesem Abend erinnerte an die stets unterkühlt auftretende Diplomingenieurin mit diesem einschüchternden Chefsound in der Stimme.
Locker plauderte sie drauflos, scherzte und trank Rotwein. Sie war erfrischend wie eine Kühle Brise. Auch optisch hatte sie sich verändert. Die Kostümträgerin war in Jeans und einer feuerroten Bluse erschienen, deren obere zwei Knöpfe geöffnet, den Blick auf eine Gemme an einem Goldkettchen und mehr freigaben. Ihr schwarzes Harr, bisher stets streng nach hinten in einem Bauernzopf zusammengefasst, trug sie offen.
Er war Industriemeister und begeistert, erfuhr, dass sie das berufliche Weiterkommen einer Beziehung vorziehe, sich aber durchaus für später eine Familie mit Kindern vorstellen könne. Auch er war Single. Er nahm an, dass sie im gleichen Alter sein musste wie er. Erst jetzt hatte er sich Gedanken darüber gemacht, hatte doch ihr ihm bekanntes Gouvernanten-Outfit eine Bestimmung ihres Alters nahezu unmöglich gemacht.
Der Inhaber des Restaurants hatte die Bedienung an ihrem Tisch persönlich übernommen und nicht mit Komplimenten gespart. Sie genoss die allgemeine Bewunderung mehr und mehr, und mit jedem weiteren Glas Wein wurden die Gesprächsthemen immer persönlicher. Das unausweichliche ‚Du’ kam und der Entschluss, den folgenden Tag für einen gemeinsamen Ausflug nach Dubrovnik zu nutzen. Sie verließen das Lokal und begaben sich auf den Weg zurück zu ihrer Pension.
Es hatte zwischenzeitlich ein kurzes, heftiges Gewitter gegeben. Die Luft, die sie jetzt tief einatmete, war frisch und roch noch etwas nach feuchter Erde und Meer. Unerwartet hakte sie sich bei ihm ein. Es war still. Nur ein leichtes Plätschern vom Strand her war zu hören. Der volle Mond zauberte einen silbernen Weg auf die spiegelglatte Adria hinüber zur Halbinsel Peljesac.
„Ich verstehe es immer noch nicht,“ sagte sie leise, „warum dieser Krieg? Die Menschen können hier leben wie im Paradies.“
Er drückte ihren Arm fester an seinen Körper. Eine Geste des Verstehens, vielleicht geschah es aus Angst, sie könnte ihn wieder loslassen.
Sie schlenderten an der brechend vollen Pino Bar vorbei und hatten fast ihre Pension erreicht, als sie ihn plötzlich herumzog.
„Es ist noch zu früh zum Schlafen, lass uns noch etwas unternehmen,“ sagte sie mit verschmitztem Ausdruck im Gesicht.
„Aber nicht in die Pino Bar,“ antwortete er entrüstet und zog sie zurück in Richtung Pension. Sie drängte ihn erneut herum und er nutzte ihren Schwung für eine Drehung in die ursprüngliche Richtung.
„Wir gehen jetzt zu dir und trinken noch einen Kaffee,“ platzte es aus ihm heraus.
Sie blieb abrupt stehen und sah ihn mit großen Augen an.
„Scheiße,“ dachte er, „das war’s dann wohl für heute, das war zu viel“ und zog innerlich den Kopf ein.
„Darf es auch etwas anderes sein als Kaffee?“, reagierte sie augenblicklich. Ein verblüfftes, fast stotterndes Ja war seine Antwort. Wieder verstärkte er den Druck seines Ellenbogens, dem sie sich mit sanfter Gewallt entzog, feste seine Hand ergriff und losrannte. Nach ein paar Metern, die er hinter ihr her stolperte, blieb sie plötzlich stehen, drehte sich zu ihm. Langsam legte sie beide Arme um seinen Hals. Leicht berührten sich ihre Lippen, und wieder rannte sie los.
Außer Atem kamen sie in der Pension vor ihrer Zimmertür an. Vergeblich versuchte er den Schlüssel ins Schloss zu stecken und die Tür zu öffnen. Schmunzelnd beobachtete sie ihn. Er sah kurz auf, dann wieder ungläubig zum Schloss und wieder zu ihr.
Indem er sein Kinn auf die Brust fallen ließ, bat er in übertrieben unterwürfigem Ton: „Würden Sie die Güte besitzen, Madame, uns einzulassen, ich vermute mein Schlüssel passt nicht auf ihre Zimmertür.“
Sie legte die eine Hand hinter seinen Kopf, zog ihn sanft an ihr Gesicht, und wieder hauchte sie einen Kuss auf seine Lippen. Mit der anderen Hand suchte sie die seine und ließ ihren Schlüssel hineingleiten.
In seinem Kopf tobte das Chaos. Im Zimmer angekommen wandte sie sich von ihm ab in Richtung Bad, öffnete ihre Bluse und sagte wie selbstverständlich: „Du solltest dich auch ausziehen, wenn du mir den Rücken waschen möchtest.“
Ihre Haut war samtig weich, fest und braun. Zögernd berührte er mit ausgespreizten Fingern fast ängstlich ihre Schultern. Wie entschuldigend verfolgte er mit seinen Fingerspitzen die Wassertropfen, die ihren Rücken hinunterperlten.
„Etwas Duschgel solltest du schon nehmen,“ lachte sie, indem sie ihren Kopf in den Nacken warf. Und er nahm das Duschgel. Und seine Hände glitten von ihrem Hals den Rücken hinab bis zu den Hüften und wieder zurück. Wieder an den Hüften angelangt, wurde sein Griff fester. Sie reckte sich.
„Das tut gut,“ vernahm er.
Zaghaft schoben sich seine Hände nach vorne. Mit dem rechten Zeigefinger streichelte er ihren Bauchnabel. Während seine linke Hand langsam abwärts tastete, spürte er ihre Hände oben auf seinen Oberschenkeln. Ihre Finger gruben sich wild und fest in sein Fleisch.
Der Ventilator surrte. Die Sonne war nicht einmal hinter den Bergen hervorgekommen und trotz des Gewitters am Abend zuvor war es schon wieder stickig warm. Sie hatte das hellgraue Seidenkostüm gewählt und im Hinausgehen durch einen kurzen Blick in den Spiegel den korrekten Sitz des Zopfes überprüft. Die Tür hatte sie noch nicht hinter sich zugezogen, als sie plötzlich umkehrte und am Schreibtisch ein paar Worte auf einen Zettel kritzelte: ‚Das mit dem Ausflug muss ich verschieben – schalte den Ventilator aus, wenn du gehst!’