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Die Nacht des Chamäleon

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19.08.2003
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Die Nacht des Chamäleon

Die Nacht des Chamäleon
(Der erste freie Tag)

Seit dem Ende des Balkankrieges arbeiteten sie in Kroatien und hatten jeder für sich nach nun sechs Wochen ihren ersten freien Tag so richtig genossen. Sehr überraschend, hatte sie ihn zum Abendessen in das alte Fischrestaurant am Hafen eingeladen. Sie, die als Chefin stets darauf achtete Distanz zu ihren Mitarbeitern zu wahren und ihre Zeit mit der Stoppuhr zu verwalten schien, hatte eine unglaubliche Verwandlung durchgemacht. Nichts an diesem Abend erinnerte an die stets unterkühlt auftretende Diplomingenieurin mit diesem einschüchternden Chefsound in der Stimme.
Locker plauderte sie drauflos, scherzte und trank Rotwein. Sie war erfrischend wie eine Kühle Brise. Auch optisch hatte sie sich verändert. Die Kostümträgerin war in Jeans und einer feuerroten Bluse erschienen, deren obere zwei Knöpfe geöffnet, den Blick auf eine Gemme an einem Goldkettchen und mehr freigaben. Ihr schwarzes Harr, bisher stets streng nach hinten in einem Bauernzopf zusammengefasst, trug sie offen.
Er war Industriemeister und begeistert, erfuhr, dass sie das berufliche Weiterkommen einer Beziehung vorziehe, sich aber durchaus für später eine Familie mit Kindern vorstellen könne. Auch er war Single. Er nahm an, dass sie im gleichen Alter sein musste wie er. Erst jetzt hatte er sich Gedanken darüber gemacht, hatte doch ihr ihm bekanntes Gouvernanten-Outfit eine Bestimmung ihres Alters nahezu unmöglich gemacht.
Der Inhaber des Restaurants hatte die Bedienung an ihrem Tisch persönlich übernommen und nicht mit Komplimenten gespart. Sie genoss die allgemeine Bewunderung mehr und mehr, und mit jedem weiteren Glas Wein wurden die Gesprächsthemen immer persönlicher. Das unausweichliche ‚Du’ kam und der Entschluss, den folgenden Tag für einen gemeinsamen Ausflug nach Dubrovnik zu nutzen. Sie verließen das Lokal und begaben sich auf den Weg zurück zu ihrer Pension.

Es hatte zwischenzeitlich ein kurzes, heftiges Gewitter gegeben. Die Luft, die sie jetzt tief einatmete, war frisch und roch noch etwas nach feuchter Erde und Meer. Unerwartet hakte sie sich bei ihm ein. Es war still. Nur ein leichtes Plätschern vom Strand her war zu hören. Der volle Mond zauberte einen silbernen Weg auf die spiegelglatte Adria hinüber zur Halbinsel Peljesac.
„Ich verstehe es immer noch nicht,“ sagte sie leise, „warum dieser Krieg? Die Menschen können hier leben wie im Paradies.“
Er drückte ihren Arm fester an seinen Körper. Eine Geste des Verstehens, vielleicht geschah es aus Angst, sie könnte ihn wieder loslassen.
Sie schlenderten an der brechend vollen Pino Bar vorbei und hatten fast ihre Pension erreicht, als sie ihn plötzlich herumzog.
„Es ist noch zu früh zum Schlafen, lass uns noch etwas unternehmen,“ sagte sie mit verschmitztem Ausdruck im Gesicht.
„Aber nicht in die Pino Bar,“ antwortete er entrüstet und zog sie zurück in Richtung Pension. Sie drängte ihn erneut herum und er nutzte ihren Schwung für eine Drehung in die ursprüngliche Richtung.
„Wir gehen jetzt zu dir und trinken noch einen Kaffee,“ platzte es aus ihm heraus.
Sie blieb abrupt stehen und sah ihn mit großen Augen an.
„Scheiße,“ dachte er, „das war’s dann wohl für heute, das war zu viel“ und zog innerlich den Kopf ein.
„Darf es auch etwas anderes sein als Kaffee?“, reagierte sie augenblicklich. Ein verblüfftes, fast stotterndes Ja war seine Antwort. Wieder verstärkte er den Druck seines Ellenbogens, dem sie sich mit sanfter Gewallt entzog, feste seine Hand ergriff und losrannte. Nach ein paar Metern, die er hinter ihr her stolperte, blieb sie plötzlich stehen, drehte sich zu ihm. Langsam legte sie beide Arme um seinen Hals. Leicht berührten sich ihre Lippen, und wieder rannte sie los.
Außer Atem kamen sie in der Pension vor ihrer Zimmertür an. Vergeblich versuchte er den Schlüssel ins Schloss zu stecken und die Tür zu öffnen. Schmunzelnd beobachtete sie ihn. Er sah kurz auf, dann wieder ungläubig zum Schloss und wieder zu ihr.
Indem er sein Kinn auf die Brust fallen ließ, bat er in übertrieben unterwürfigem Ton: „Würden Sie die Güte besitzen, Madame, uns einzulassen, ich vermute mein Schlüssel passt nicht auf ihre Zimmertür.“
Sie legte die eine Hand hinter seinen Kopf, zog ihn sanft an ihr Gesicht, und wieder hauchte sie einen Kuss auf seine Lippen. Mit der anderen Hand suchte sie die seine und ließ ihren Schlüssel hineingleiten.
In seinem Kopf tobte das Chaos. Im Zimmer angekommen wandte sie sich von ihm ab in Richtung Bad, öffnete ihre Bluse und sagte wie selbstverständlich: „Du solltest dich auch ausziehen, wenn du mir den Rücken waschen möchtest.“

Ihre Haut war samtig weich, fest und braun. Zögernd berührte er mit ausgespreizten Fingern fast ängstlich ihre Schultern. Wie entschuldigend verfolgte er mit seinen Fingerspitzen die Wassertropfen, die ihren Rücken hinunterperlten.
„Etwas Duschgel solltest du schon nehmen,“ lachte sie, indem sie ihren Kopf in den Nacken warf. Und er nahm das Duschgel. Und seine Hände glitten von ihrem Hals den Rücken hinab bis zu den Hüften und wieder zurück. Wieder an den Hüften angelangt, wurde sein Griff fester. Sie reckte sich.
„Das tut gut,“ vernahm er.
Zaghaft schoben sich seine Hände nach vorne. Mit dem rechten Zeigefinger streichelte er ihren Bauchnabel. Während seine linke Hand langsam abwärts tastete, spürte er ihre Hände oben auf seinen Oberschenkeln. Ihre Finger gruben sich wild und fest in sein Fleisch.

Der Ventilator surrte. Die Sonne war nicht einmal hinter den Bergen hervorgekommen und trotz des Gewitters am Abend zuvor war es schon wieder stickig warm. Sie hatte das hellgraue Seidenkostüm gewählt und im Hinausgehen durch einen kurzen Blick in den Spiegel den korrekten Sitz des Zopfes überprüft. Die Tür hatte sie noch nicht hinter sich zugezogen, als sie plötzlich umkehrte und am Schreibtisch ein paar Worte auf einen Zettel kritzelte: ‚Das mit dem Ausflug muss ich verschieben – schalte den Ventilator aus, wenn du gehst!’

 

hallo jadro,

kansnt du dir einen begossenen pudel vorstellen? so sitze ich ungefähr vor deiner geschichte. was ist denn da passiert? eine liebenwürdige story, die sich schön langsam - und erwartungsgemäß - steigert. und am anderen morgen haut sie plötzlich ab. es könnte folgendes eingetreten sein:

- er war ihr nicht gut genug im bett, sie hat nicht den mut, es ihm zu sagen und haut ab

- ihr drang nach LEBEN war über die lange zeit des einsatzes so sehr zurückgestaut, dass einer allein nicht genügt; sie hat nachholbedarf. immerhin hat sie sich ein zwar nicht farbenfrohes kleid angezogen, aber immerhin nicht ihre uniform

- die pflicht ruft - sie konnte sich einen zweiten freien tag nicht gestatten und ging zurück an die arbeit. warum aber dann NICHT die uniform?

- das chameleon ist bekanntlich ein tier, das seine farbe immer den jeweiligen erfordernissen anpasst. haben sich für sie die erfordernisse geändert? angst vor einer gemeinsamen zukunft? denn allein war sie ja eine selbstsichere frau mit "chefsound" in der stimme (der ausdruck gefällt mir sehr gut!)


bin auf deine erläuterung gespannt!
gruß
ernst

 

Hallo Ernst!
Auch ich stand zunächst recht fassungslos da, nachdem ich vom Ergebnis der beschriebenen Nacht erfahren hatte. Immerhin war ich damals der Wirt, der die beiden (höchstpersönlich) bedient hatte. Zu Georg (ich nenne ihn mal so) habe ich noch heute freundschaftlichen Kontakt.
Er hatte sich gleich zu Beginn in ‚Petra’, seine Chefin, verlieb. Da er von der Aussichtslosigkeit einer Verbindung überzeugt war (immerhin war sie auch die Erbin der Firma für die beide arbeiteten), hatte er ebenso auf Abstand geachtet wie sie. Dennoch war schnell offensichtlich, dass von beiden Seiten Gefühle im Spiel waren, die bei einem normalen Arbeitsverhältnis nicht vorkommen.

Soweit ich das beurteilen kann, trifft lediglich der letzte Punkt in Deinem Beitrag zu.
Petra ist an diesem Morgen nicht ins Büro gefahren, darum keine ‚Uniform’. Auch hat sie sich nicht an diesem zweiten, freien Tag an den Strand gelegt (es hätte die Gefahr bestanden, dass er sie gesucht und gefunden hätte). Nein, sie ist nach Split gefahren und hat diese Stadt besichtigt.
Ich glaube die Wahl des grauen Kostüms drückt zweierlei aus:

1. Sie war noch nicht bereit für eine feste Beziehung (wollte sich aber auch nicht auf ein Techtelmechtel mit einem Untergebenen einlassen, was nicht verborgen geblieben wäre)
2. Da sie auch in ihrer Freizeit dunkle Kostüme getragen hatte, sehe ich das graue als eine Art Kompromiss, für mich ein Zeichen, dass sie mit Georgs ‚Leistung’ durchaus zufrieden war und sich in sehr positiver Stimmung befand.

PS. Petra hat inzwischen zwei gescheiterte Ehen hinter sich und lebt wieder alleine in Deutschland, Georg ist mit einer Kroatin verheiratet, lebt auch dort in Kroatien und arbeitet weiter für seine Firma

Gruß
Jochen

 

Hallo Jadro!

Es ist zwar jetzt schon ein paar Tage her, aber trotzdem noch alles Gute zum Geburtstag! :)

Hm, was Du gern aus Deiner Geschichte herausgelesen haben möchtest, funktioniert irgendwie nicht so richtig. Meiner Meinung nach deshalb, weil man sich erwartet, daß die Geschichte im weiteren Verlauf irgendetwas mit dem Balkankrieg zu tun haben müßte – aber Fehlanzeige. Die Geschichte könnte genausogut woanders spielen, daher verwirrt der Balkankrieg etwas. Zumindest mich.

Ich würde daher das Erlebnis der beiden vor einen nicht ablenkenden Hintergrund stellen und die Gefühle noch ein wenig herausarbeiten, sodaß mehr herauskommt, daß sie nicht in der Lage ist, zu ihm zu stehen (aus erzieherischen oder welchen Gründen auch immer).
Kennst Du die Situation, wenn man sich überlegt, was die Eltern wohl zu dem neuen Freund/zur neuen Freundin sagen werden? Ist man entsprechend erzogen, passiert es, daß man sich jemanden sucht, der der Traumpartner in den Augen der Eltern wäre, und dem, den man wirklich liebt, gibt man aus jenen Gründen keine Chance. Da werden die Introjekte am sichtbarsten. – Ähnlich glaube ich, ist es bei Deiner Protagonistin. Sie kann nicht über diesen Schatten springen.

Allerdings kommt das alles noch nicht so richtig rüber, auch nicht die Sache mit dem grauen Kleid :susp:, da solltest Du noch ein bisschen feilen, dann könnte es eine Geschichte werden, die mir gut gefällt. ;)
Ich persönlich würde das alles aus Sicht der Chefin schreiben, dann geht das etwas leichter.

Ein paar Kleinigkeiten noch:

»Sie, die als Chefin stets darauf achtete Distanz zu ihren Mitarbeitern«
– darauf achtete, Distanz

»Sie war erfrischend wie eine Kühle Brise.«
– eine kühle Brise

»Ihr schwarzes Harr,«
– Haar

»Er war Industriemeister und begeistert, erfuhr, dass sie das berufliche Weiterkommen einer Beziehung vorziehe,«
– der Satz klingt zu sehr berichtartig in meinen Ohren, versuche allgemein (hier besonders) mehr zu zeigen, laß sie miteinander reden

»Es hatte zwischenzeitlich ein kurzes, heftiges Gewitter gegeben.«
– abgesehen davon, daß ich »zwischenzeitlich« für kein so tolles Wort halte, könntest Du z.B. schreiben: Die Straßen waren nass, es musste inzwischen geregnet haben. Sie atmete tief ein. Die Luft war frisch und roch nach feuchter Erde und Meer. Verträumt hakte sie sich bei ihm ein.

»Sie schlenderten an der brechend vollen Pino Bar vorbei«
– »brechend vollen« finde ich nicht sehr schön, wie wärs mit »zum Bersten vollen«?

»„Scheiße,“ dachte er, „das war’s dann wohl für heute, das war zu viel“ und zog innerlich den Kopf ein.
„Darf es auch etwas anderes sein als Kaffee?“, reagierte sie augenblicklich.«
– bei dem langen Satz, den er dazwischen denkt, kann die Reaktion nicht so augenblicklich gewesen sein ;)

»Wieder verstärkte er den Druck seines Ellenbogens,«
– Bahnhof :confused:

»dem sie sich mit sanfter Gewallt entzog,«
– Gewalt

»Und er nahm das Duschgel. Und seine Hände glitten von ihrem Hals den Rücken hinab bis zu den Hüften und wieder zurück.«
– die beiden Satzanfangs-Und würde ich streichen


Liebe Grüße,
Susi :)

 
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Hallo Jadro,
von der Idee her gefällt mir deine Geschichte gut. Aber irgendwie läßt sie mich unzufrieden zurück. Wie soll ich es sagen? Ich denke du könntest mehr aus der Geschichte rausholen. Sie endet so gar nicht wie sie angefangen hat. Am Anfang kann man sich gut in die Prot`s einfinden, doch zum Schluß fehlt die Ausführlichkeit. Es fehlen die Gedanken und Gefühle zur Szene finde ich.
Aufgefallen ist mir auch, dass sie wie selbstverständlich sagt:

„Du solltest dich auch ausziehen, wenn du mir den Rücken waschen möchtest.“
Zu abrupt und kein Spannungsbogen. Warum soll er ihr den Rücken waschen, der Aufbau bis dahin fehlt. Seine Verlegenheit könntest du noch mehr beschreiben, ihre eventuelle Unsicherheit. Auf jeden Fall würde ich die Szene noch weiter ausbauen, um auch deutlich zu machen, dass es nicht nur ein One-Night-Stand ist. Dann kommt auch das Ende deutlicher zum Ausdruck und auch das solltest du mehr ausschmücken mit den ganzen Gefühlen und Zweifeln.
Ich hoffe ich konnte dir deutlich machen, was ich meine.
Ach ja, und das was Häferl sagt über den Krieg ist meiner Meinung nach richtig. Wenn du es als Kontrast einbauen willst, dann solltest du auch das deutlicher machen, indem du es immer wieder einflechtest in Form von Dialogen oder Gedanken.
Ach ja habe noch etwas vergessen. Deine Überschrift finde ich gut, aber der Zusatz ist meiner Meinung nach überflüssig.
Glg
carrie

 

Hallo Susi, hallo carrie,
da ist nun eine meiner ersten Geschichten bei Kg.de aus der Versenkung aufgetaucht, in der sie wohl besser geblieben wäre. Ihr habt mit Eurer Kritik recht. Diese Geschichte ist einem Zyklus von Texten entnommen, den ich während des Balkankrieges in Kroatien geschrieben habe und so alleine für sich nicht stehen kann.
Danke für Eure Beiträge und den Anstoß dazu, diese Geschichte noch einmal zu bearbeiten, was ich nun machen werde.

Lieben Gruß

Jochen
(Jadro)

 

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