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Die Puppenspielerin
"Diese ganze Psychoscheiße können Sie sich sonst wohin schieben. Ein runderer Mensch werden? So ein Quatsch! Ich will, dass Sie mich erfolgreich machen, nicht mehr und nicht weniger!" Eigentlich wäre nun der rechte Moment gewesen, den Hörer auf die Gabel zu werfen. Aber ich hatte nur bedeutungsvoll genickt und in Gedanken meinen Stundensatz mit 2.3 multipliziert. Der Sieg des Kommerzes über mein Berufsethos, sei's drum.
Eine Woche nach diesem Telefonat durfte ich Herrn Steinharder zum ersten Mal life erleben. Ich öffnete meinem "Patienten" die Türe, wobei mir sofort der schwarze Jaguar auffiel, dem er entstiegen war. Die Nachbarn würden ihn nicht übersehen können, vielleicht hob das mein Ansehen im Dorf. Oder auch nicht.
Ein etwas untersetzter Mittvierziger stürmte in mein Haus. Der leicht gerötete Kopf vermittelte auch dem medizinischen Laien sofort den Eindruck, es mit einem potentiellen Schlaganfallpatienten zu tun zu haben. Sein fleischiges Gesicht und die etwas knubbelige Nase ließen ihn auf den ersten Blick wie einen gemütlichen Zeitgenossen aussehen, doch die Hektik seiner Bewegungen widersprach dem vehement. In Sekundenschnelle zementierte er den am Telefon entstandenen ersten Eindruck, indem er mich begrüßte und freudestrahlend hinzufügte:
"Ich habe nichts von dem gemacht, das Sie mir angeschafft haben."
"Herr Steinharder, wir hatten eine Vereinbarung."
"Und ich habe ein Unternehmen zu leiten. Ich sitze schließlich nicht den ganzen Tag in einem gemütlichen Landhaus und drehe Däumchen."
Das "im Gegensatz zu Ihnen" hatte er nicht ausgesprochen, er konnte schließlich auch nicht über die wirtschaftlichen Verhältnisse meiner Praxis Bescheid wissen. Dennoch traf mich seine Bemerkung. Während ich ihn in mein Sitzungszimmer führte, stellte ich mir selbst die verbotene Sinnfrage: Was konnte ich diesem Mann vermitteln? Einen Zugang zu seiner eigenen Gefühlswelt? Normale Umgangsformen? Was auch immer ich erreichen wollte, dazu würde ich schweres Geschütz auffahren müssen.
"Herr Steinharder, wieviel ist Ihnen eigentlich eine Sitzung hier wert? Sie müssen eine Stunde Fahrzeit rechnen, mein Honorar, eine Stunde zurück. Wieviel ist das in ihrer Denkweise?"
Er verfiel in ein kurzes Grübeln, vermutlich weil er an der Frage scheiterte, ob er seine Besuche bei mir als Freizeit oder Dienstreise zu verrechnen habe. Ich hakte nach, ohne das Ergebnis seiner Gewinn-Verlust-Rechnung abzuwarten: "Also sehen Sie nun ein, dass wir mit etwas mehr Disziplin ihrerseits unsere Sitzungen effektiver gestalten könnten?" Er antwortete mit einem widerwillig zustimmenden Knurren. "Na bitte, geht doch", dachte ich mir.
"Ich hatte Sie gebeten, schriftlich Ihre Lebensziele zu formulieren. Haben Sie sich wenigstens Gedanken zu dem Thema gemacht?"
"Lebensziele? Sie sind lustig! Da drüben stehen 350 Mann in einer renovierungsbedürftigen Werkshalle und mein Job ist es, ihre Zukunft zu sichern. Familien, menschliche Schicksale, Häuser die abgezahlt werden wollen. Ich stehe in der Verantwortung: Aufträge heranschaffen, austickende Kunden beruhigen, Verantwortliche für die Auftragsvergabe einbalsamieren. Und von Ihnen will ich wissen, wie man so etwas richtig macht. So, dass etwas rauskommt, dabei. Verstehen Sie? Effektivität im Umgang mit Menschen. Ich dachte, das hätte ich schon am Telefon klargestellt."
Willkommen in der Psychodienstleistungsgesellschaft. Normalerweise wussten meine Patienten nicht, was sie wollten. Dieses Exemplar verkörperte das genaue Gegenteil. Und ich wusste, dass mir das auch nicht Recht war.
Wir machten uns an die Arbeit. Es kam in meinem Beruf selten vor, dass ich den tröstlichen Gedanken eines tickenden Gebührenzählers heranziehen musste, bis endlich eine Sitzung vergangen war. Herr Steinharder verkörperte die Inkarnation eines derartigen Ausnahmefalls, eine halbe Ewigkeit verging, bis ich ihn endlich hinausbegleiten durfte. Ich schloss die Tür und atmete erst einmal tief durch. Draußen hörte ich einen gehetzten Jaguar davonstürmen. Nun brauchte ich erst einmal Abstand. Ich nahm die Jacke von der Garderobe und trat hinaus ins Tiefblau eines unschuldigen Spätherbstnachmittags.
"Herr Dr. Fehlberg, der Herr da mit dem Sportwagen, war der bei Ihnen?"
Meine kopftuchbewehrte Nachbarin hatte mich abgepasst und deutete mit dem Besenstil auf die Hühner, die aufgeregt im Hof herumliefen. Es hätte nur noch gefehlt, den lauwarmen Kadaver eines plattgefahrenen Beispielexemplars von ihr unter die Nase gehalten zu bekommen.
"Ja, wieso?"
"Dann bringen Sie ihrer Kundschaft doch bitte bei, in Wohngebieten wie normale Menschen zu fahren!"
Sie hatte die Worte "Kundschaft" und "normale Menschen" betont, höhnisch in die Länge gezogen.
"Ja, natürlich, es tut mir leid ... Einen schönen Tag noch Frau Verler." Mich für etwas zu entschuldigen, war mir noch nie leicht gefallen, vielleicht sollte ich eine passende Fortbildung besuchen.
Das Blau des Himmels hatte seine Unschuld verloren, als ich endlich auf den freien Feldern stand. Ich atmete im Takte meiner Schritte bewusst ein und wieder aus. Diese Landschaft hatte etwas von Weite und Freiheit, zumindest so lange man nicht in Richtung des Dorfes sah. Der Geruch von Silos und Misthaufen, das Ritual der Kehrwoche waren irgendwo in den Tiefen des Unterbewusstseins verschwunden, zumindest so lange, bis die Kälte des Abends mich zurücktreiben würde in mein Zuhause. Mein schlauer Schachzug, den Immobilienpreisen der Großstadt ein Schnäppchen geschlagen zu haben, hatte seine Schattenseiten. Und der heraufdämmernde Winter ließ die Schatten länger werden. Oder wie Steinharder es formulieren würde, ich sollte darüber nachdenken, einen Plan B zu formulieren.
Ich umklammerte das Lenkrad, so kam ich nicht in die Verlegenheit, die Hand auf Claudias Knie zu legen. Wir hatten das Autoradio ausgeschaltet und schwiegen. Seltsam, dachte ich mir, Claudia war die einzige Frau, mit der zusammen man so prima schweigen konnte. Auch dass wir eine tiefgehende Krise durchlebten, änderte daran nichts. Durch das offene Fenster schlich sich der Duft frisch aufgebrochener Ackerschollen, die Straße war kurvig und eingesperrt zwischen zwei Reihen depressiver Alleebäume, die angefangen hatten, ihr Laub an den Wind zu verschenken. Während ich vordergründig damit beschäftigt war, den Wagen auf der Fahrbahn zu halten zu halten, spielte ich gedanklich mit ganz anderen Optionen: Ein winziger Fahrfehler, eine falsche Bewegung beider Hände für einen Sekundenbruchteil und unser Leben würde sich radikal zu verändern.
"An was denkst du gerade?"
"An Nichts", antwortete ich und bewunderte Claudia in ihrer unzerstörbaren Ruhe. Zwei Handbreit nach rechts ...
"Jürgen, so geht das nicht weiter mit dir!"
"Warum?", antworte ich und nahm den Fuß vom Gas.
"Du kommst geschäftlich auf keinen grünen Zweig. Irgendetwas musst du ändern. Wenn du sowieso aus der Wohnung ausziehst ..."
"Danke, für deine konstruktiven Tipps. Vor allem meine Praxis mit dem Ausziehen zu verknüpfen, ist echt super!" Ich schaltete herunter und ließ die Kupplung zu schnell kommen. Der Wagen machte einen kleinen Bocksprung.
"Jürgen ich meine es ernst."
"Ja, ich weiß. Schließlich kannten wir uns eine Weile lang recht gut."
Wieder Schweigen, diesmal aber nicht von der harmonischen Sorte. Ein erneuter Beweis, dass unser Modellversuch 'weiter gute Freunde bleiben' nicht funktionieren würde. Claudia verströmte weiterhin zu viel des Zaubers, auch wenn sie einfach nur neben mir saß. Ihr Lächeln, die Anmut, mit der sie sich bewegte, wie sie es verstand, ihren Liebreiz zu präsentieren, seitenweise hätte ich Begründungen liefern können, dass sie die Frau meines Lebens war. Vergebene Liebesmühe, es war vorbei.
"Ich verabscheue Leute, die ihren Hintern nicht hochbekommen. Einfach nichts fertigbringen, aus persönlicher Bequemlichkeit. Sich in ihrem eigenen Selbstmitleid ersäufen, verstehen Sie?" Ich nickte müde. Verabscheute ich solche Leute? Eine jener Fragen, die ich besser unbeantwortet lassen wollte.
"Herr Steinharder, es geht hier um Sie. Darf ich Sie daran erinnern, dass wir an Ihrer Wirkung arbeiten wollten. Und Sie kennen den Spruch 'Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.' Denken Sie denn, dass Sie mit dieser Aggressivität wirklich weiter kommen?"
"Haben Sie schon mal vor einer Horde aufgebrachter Monteure gestanden und versucht, ihnen schonend beizubringen, dass sie zwei Stunden mehr pro Woche arbeiten müssen. Ohne Lohnausgleich natürlich. Meinen Sie, da kommt man auf die verständnisvolle Tour weiter?"
"Der Ton macht die Musik. Konfrontation ist nicht alles. Und wenn es so wäre, warum kommen Sie dann noch zu mir? Dann wäre Ihnen ja offensichtlich nichts mehr beizubringen". Ich hatte mich sichtlich aufgeregt und ärgerte mich im gleichen Moment über mein unprofessionelles Auftreten.
Herr Steinharder lächelte mich an: "Sie sind ja von Fleisch und Blut. So gefallen Sie mir!"
"Ich habe den Keller ausgeräumt und da noch ein paar Sachen gefunden. Kann ich 'reinkommen?" Sie stand mit einer Kiste in den Händen am Gartentor, die tief stehende Sonne brach sich in ihrem Haar und schenkte ihr für Sekundenbruchteile einen rotblonden Heiligenschein. Es war ihr schüchternes Lächeln, ein zerbrechlich wirkende Unsicherheit, die ihr bei allen männlichen Wesen dieser Welt Tür und Tor geöffnet hätte.
"Claudia? Ich dachte, du wolltest nicht ... natürlich, komm rein."
"Schön hast du es hier."
"Danke."
Wir standen nebeneinander wie zwei unglücklich verliebte Siebzehnjährige und schwiegen. Claudia stellte die Kiste ab und sah sich um.
"Die Bilder ... von dir?" Ich nickte. "Du fotografierst also wieder?"
"Ich habe Zeit und jede Menge Landschaft vor der Haustür."
"Tolle Aufnahme, das Winterbild."
"Willst du vielleicht einen Kaffee? Kuchen gibt es leider gerade keinen, Junggesellenhaushalt eben."
"Nein, danke ich muss gleich weiter. Ich kam nur zufällig vorbei, du liegst auf dem Weg sozusagen."
"Willst du mir nicht noch kurz sagen, wie es dir geht?"
"Gut. Ich habe alles im Griff. Und jemanden kennengelernt. Er könnte eine Therapie vertragen."
Sie lachte und so plötzlich wie sie in meine Einöde hereingeschneit war, verschwand sie auch wieder. Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, darüber nachzugrübeln zu wem sie gefahren sein könnte.
"Sie in ihrer verdammten Selbstsicherheit! Wenn Sie alles wissen und können, ein Selbstbewusstsein haben, wie ein junger Gott, warum kommen Sie dann eigentlich noch zu mir?"
Angeschrien zu werden gehörte zum Standardrepertoire, aber Kunden anzuschreien, war ein Novum und kein guter Stil. Ich war ausgetickt.
"Sie können ja richtig menschlich sein."
Langsam fand ich meine Fassung wieder. "Herr Steinharder, so kommen wir nicht weiter. Entweder sie halten sich an meine Spielregeln, oder wir lassen es. Einverstanden?"
"Ich hatte mal eine Diskussion mit unseren Betriebsräten. Einer von ihnen war neu gewählt worden. So ein junger Zweizentnerbursche, Industriemechaniker, musste sich am Anfang seiner Karriere erst einmal profilieren. Es ging um das übliche, die Pausenzeitregelungen."
"Was hat das jetzt bitte mit unserem Thema zu tun?"
"Stellen Sie sich vor: Drei Mann gegen Sie. Wenn jeder eine Brechstange in den Händen hätte, eine Sache auf Leben und Tod. Und Sie hätten als einzelner Bürospargel verdammt schlechte Karten. Aber wir saßen am Verhandlungstisch. Unbewaffnet. Seltsam, was diese Kleinigkeit ausmacht, oder?"
Ich begann zu begreifen. Das war es also, Steinharder war Spieler. Hasardeur. Er liebte es zu pokern, sich gezielt in ausweglose Situationen hineinzumanövrieren. Ich war ein weiteres Experiment in der Reihe seiner Abenteuer.
"Ich konnte meinen Standpunkt durchsetzen. Musste nicht einmal sonderlich tief in die Kiste der Grausamkeiten greifen."
Er grinste mich an. Das Unverschämte war, dass dieses Selbstbewusstsein echt zu sein schien. Es musste doch irgendeinen Knackpunkt geben. Ich startete einen letzten Versuch:
"Leben Sie eigentlich in einer Beziehung?" Seine Antwort kam einen kurzen Moment zu spät: "Ja, wieso fragen sie?"
"Nur so. Ich versuche mein Bild abzurunden."
Seine göttergleiche Sicherheit schmolz dahin wie die letzten Schneereste im anstürmenden Frühling. Steinharder welkte dahin, ließ die Schultern hängen. Für Sekunden saß vor mir ein alternder Mann, leicht übergewichtig und mit Geheimratsecken. Siegfrieds Lindenblatt, ich hatte es entdeckt. Doch sein Gegenangriff erfolgte ebenso prompt wie schonungslos:
"Das geht Sie einen Scheißdreck an."
"Das hier habe ich in meiner Notensammlung gefunden. Willst du es zurück?" Claudia hielt mir das Heftchen hin. Ich zögerte, es zu ergreifen. Lieder für Klavier und Bariton, wo auch immer die Sammlung bliebe, keiner von uns beiden würde etwas damit anfangen können.
"Kann ich dir etwas zu trinken anbieten, oder bist du wieder auf der Durchreise?"
"Eigentlich habe ich es eilig, aber vielleicht auf ein Mineralwasser ..."
"Oder ein Glas Orangensaft, ein Bier oder einen Wein?"
"Jürgen, nein, bitte, nur ein Wasser." Ich machte mich auf den weg und fand sie in Betrachtung eines meiner Bilder wieder. "Schön", kommentierte sie und deutete auf die Landschaftsaufnahme mit den Strohballen. Eines meiner schlechteren Werke.
"Wie geht es dir?" Ihr Ausdruck wirkte einen Hauch zu geschäftsmäßig, als sie antwortete:
"Gut. Und dir?"
"Es geht. Das erste Jahr hatte ich mir leichter vorgestellt." Ich sah ihr dabei in die Augen und traf auf die graublau sanfte Melancholie, die mich fünf Jahre zuvor in jenen Strudel der Verliebtheit hineingezogen hatte. Wir schwiegen. Der bessere Weg zu sagen, dass wir beide nicht hundertprozentig glücklich waren. Als die Stille unerträglich wurde, war es Claudia, die den Faden wieder aufnahm:
"Wir waren noch nicht lange zusammen, da haben wir einmal über Partnerschaft diskutiert. Erinnerst du dich? Dass jeder sich gerne den Wunschpartner zusammenstellen würde, die guten Eigenschaften seiner vergangenen Beziehungen einfach zusammenpacken in einer Person."
Ich hatte verstanden. Claudia wollte offenbar meine Nachfolge regeln.
"Ich werfe Ihnen diesen Haufen Geld nicht vor die Füße, damit Sie an meiner Psyche herumfummeln. Hier geht es ums Geschäft." Steinharder hatte sich sichtlich erregt, der Rotton seines Gesichtes war eine Stufe abgedunkelt. Blutdruck 250 zu 180, dachte ich mir, wir waren also wieder am Anfang unserer Reise angekommen.
"Nächsten Montag habe ich dieses Treffen mit den Herrn von KDF. Verdammt nochmal, ich brauche Ansatzpunkte." Ich beobachtete seine Hände, mit denen er während der Tiraden nervös gestikulierte. Mir fiel auf, dass er keinen Ehering trug.
"Stellen Sie sich vor, sie würden mit ihrer Frau so reden. Was würde passieren?"
"Mit meiner Frau? Ich bin nicht ... worauf wollen Sie hinaus?"
"Dann nehmen wir ihre Partnerin, Geliebte, Gespielin, was auch immer. Wie würde sie reagieren, wenn Sie in solchem Ton mit ihr reden?"
"Ach wissen sie, die Dinge liegen nicht so einfach." Sein Redefluss stockte, da war sie wieder, eine schwer fassbare Unsicherheit. Diesmal würde ich die Schlacht gewinnen.
"Alles Gute zum Geburtstag, Jürgen!" Es gibt Geschenke, die sind keine. Ich hatte den Hörer abgenommen und mit einer Terminabsage gerechnet. Doch es war Claudia. Sie hielt sich an unsere Abmachung, nicht mehr unangemeldet bei mir vorbeizukommen. "Ich wollte dich fragen, was du heute Abend vorhast?"
"Das übliche. Ich warte noch auf einen Patienten, dann gehe ich wohl etwas an die frische Luft. Heute Abend? Eine Flasche Rotwein aufmachen und Mozarts Requiem anhören, danach vielleicht fernsehen."
"Als Alternative könnten wir in der Stadt essen gehen. Ich lade dich ein. Geburtstagsüberraschung!"
"Claudia, ich weiß nicht, ob ... und was sagt dein Freund dazu?"
"Mein Freund? Na sagen wir mal lockere Beziehung, außerdem ist er auf Geschäftsreise." Die neckische Selbstverständlichkeit mit welcher sie ihr Vorhaben verfolgte, ließ mir keine Wahl. Ich kapitulierte.
"Wenn Sie alles wegrechnen, die Umsatzentwicklung der Firma, den Respekt ihrer Mitarbeiter, ihr Haus, ihr Auto, ihr Bankkonto: Was bleibt dann noch übrig von Herrn Siegfried Steinharder?" Mein Kunde versank in sprachlosem Grübeln, das so untypisch für sein Wesen war. Schließlich deutete er auf seine Armbanduhr.
"Ich muss heute früher weg. Der Flieger geht um halb fünf. Ein wichtiger Termin morgen, Barcelona."
Ich nickte verstehend und verständnisvoll. Um wichtige Kunden musste man sich aktiv bemühen, Regel Nummer eins, das hatte auch ich aus seiner Welt mitgenommen. Ich begleitete ihn zur Tür. Und während er lautstark seinen Jaguar aus dem Dorf trieb, setzte ich die einzelnen Stücke des entstandenen Mosaiks zusammen. Er sei auf Geschäftsreise, hatte Claudia gesagt.