Die Reise
Sobald es dunkel wurde versammelten sie sich am Fluss. Die Gestrandeten, die Überflüssigen, die Unerwünschten. Sie wärmten sich am Feuer und rieben sich die Hände über den Flammen. Und sie erzählten von ihren Reisen, die so unterschiedlich waren wie die verwitterten Gestalten selber, die im flackernden Licht fast gespensterhaft wirkten.
Da war der alte Berber, der eigentlich längst in Rente sein sollte. Aber Berber kennen keine Rente und so würde er immer weiter reisen. Die kühlen Nächte machten ihm klar, dass es bald wieder an der Zeit war, Richtung Süden zu ziehen. Er würde seine Runden drehen, bis eines Tages eine ganz andere Reise beginnen würde.
Neben ihm die schmächtige 15jährige Punkerin mit dem tapsigen Hundekind. Mit 13 Jahren hatte sie ihre Reise begonnen. Noch nicht stark genug, sich zu wehren, hatte sie dennoch beschlossen,. dass es genug sei und sich auf den Weg gemacht. Keine große Reise in Schritten gemessen, aber riesig, was die Entfernung vom alten Leben betraf.
Dann der Transsexuelle. Als Mädchen geboren und doch zeitlebens eher Mann gewesen. Nirgends dazugehörig, immer am falschen Platz, hatte er sich eines Tages aus der Welt der Frauen davongemacht und doch die Welt der Männer nicht erreicht. Seine Reise würde erst enden, wenn er erkannt haben würde, dass man nicht einteilen konnte in Männer und Frauen, dass man sich nicht zugehörig fühlen konnte zu genormten Figuren, die kein eigenes Leben hatten. Aber davon war er noch weit entfernt, er würde noch lange reisen und suchen müssen, um anstatt einer Frau oder eines Mannes sich selbst zu finden.
Zwischen ihnen die kräftige schwarze Frau, früher als Soldatin über Berge und durch Täler gezogen, um zu töten. Dann als sie nicht mehr töten , aber auch nicht selbst Opfer werden wollte, musste sie die Reise ins Leben antreten. Auch auf dieser Reise, zu Fuß durch die Wüste und im morschen Schiff über das Meer, begleitete sie der Tod. Jetzt war sie gestrandet, dem Tod davongelaufen, aber auch sie noch nicht im Leben angekommen. Zu viele Erinnerungen waren noch in ihr und hielten sie gefangen in der Vergangenheit.
Dann und wann stellten sich frisch gewaschene, sauber gekleidete und gut genährte Zuhörer dazwischen. Man wusste nicht, waren sie kurz davor ihre eigene Reise zu beginnen und suchten nach erfahrenen Begleitern oder trieb sie nur die Neugier ans Feuer, so als wollten sie einmal durch das kleine Guckloch ihrer Sicherheit ins Abenteuer sehen ohne irgendetwas zu riskieren.
So versammelten sie sich Abend für Abend am Fluss, der sie mit seinem ruhigen Dahinfließen im abendlichen Feuerschein glauben machte, am Ziel ihrer Reise angekommen zu sein. Und manchmal gaben sie sich dem Anschein hin, glaubten eine Nacht lang, wirklich angekommen zu sein, und spürten doch spätestens beim Aufgehen der Sonne, dass sie sich getäuscht hatten. Dass die Reise noch lange nicht zuende war, vielleicht niemals enden würde.