Die rote Wand
Er hat ein neues Haus gekauft. Die Wände sind weiß. Aber eine Wand will er rot haben.
Viele Leute, würden die Wand einfach streichen oder es in Auftrag geben. Er nicht. Er steht vor der weißen Wand und ärgert sich darüber, dass sie nicht rot ist.
Er versucht sich abzulenken. Spielt am PC. Trifft sich mit Freunden. Stürzt sich in die Arbeit.
Doch wann immer er nach Hause kommt: Die Wand ist immer noch weiß. Diese Tatsache drückt seine Stimmung. Er versucht die Wand nicht zu beachten, aber dennoch. Sie ist da. Und sie ist weiß.
Seine Familie, Freunde und Bekannten fangen an zu merken das etwas nicht stimmt. Sie fragen ihn und er, froh sich beschweren zu können, berichtet von seinem Problem.
Er weiß allerdings, dass er der Grund dafür ist, warum die Wand immer noch weiß ist. Diese Blöße kann er sich aber vor niemandem geben. Sogar vor sich selbst versucht er diese Blöße zu verstecken.
Sich selbst sagt er immer wieder: „Ich hatte so viel Arbeit! Danach war ich zu müde. Ich komme nicht dazu.“
Seiner Familie, Freunden und Bekannten erzählt er jedoch eine andere Version.
Dort beschuldigt er: „Ich habe extra Handwerker engagiert. Du weißt ja ich habe immer so viel zu tun. Alles haben sie gemacht. Aber diese eine Wand haben sie einfach nicht so gemacht wie ich das wollte. Jetzt habe ich das Problem.“
Verständnis macht sich breit. Er wird gehätschelt, mit Worten getröstet. Er bekommt seinen Zuspruch. Sie sehen ihn.
Der Zuspruch bestätigt ihm, was er schon lange von sich weiß. Er kann nichts dafür. Egal was er macht, andere machen ihm immer das Leben schwer. Da gibt er extra Geld für Facharbeiter aus und die bereiten ihm nur Probleme. Er hat vor lauter Arbeit keine Zeit sich mit den Arbeitern auseinander zu setzen. Eigentlich ist das auch unter seiner Würde. Er hat kein einfaches Leben.
Er bleibt bei der Version.
Die Wand ist weiß.
Er hat keine Leute, die an seinem Leben teilnehmen. Das geht nicht. Sie wären zu nah an ihm dran. Es ist ihm wichtig, wie andere ihn sehen. Es ist ihm noch wichtiger das andere ihn so sehen, wie er sich zeigt.
Am Wochenende trifft er sich mit seinen besten Freunden. Er hilft ihnen ständig. Er leiht ihnen Geld. Bezahlt die Wochenendpartys. Also bezeichnen sie ihn als einen ihrer besten Freunde. Das gefällt ihm. Er erzählt zwischen Kaviar und Champagner von seinem Problem mit den Handwerkern. Während der Kellner ihm die Rechnung bringt, trösten seine Freunde ihn. Sie sagen: „Ach lass dich davon nicht runterziehen. Trink noch einen, dann wird’s besser!“
Das sieht er ein. Er bezahlt und trinkt. Seine Freunde lachen und klopfen ihm auf die Schulter.
Ja! Das ist besser. Es gefällt ihm.
Die Wand ist weiß.
Manchmal trifft er sich unter der Woche mit anderen Freunden. Sie haben Probleme mit ihren Autos. Das ist sein Beruf. Er berät sie. Bei einem Geschäftsessen das er bezahlt, steht er ihnen mit Rat zur Seite. Er kennt die Lücken und Hintertüren, weiß wie man Dinge formuliert. Natürlich macht er das als Freundschaftsdienst. Er hat viele Freunde.
Sie sind nicht unhöflich. Sie erkundigen sich nach seinem Leben. Sie hören ihn aber nicht sehr deutlich während sie das laute Brot kauen. Auch ihnen erzählt er von seinem Problem mit den Handwerkern.
Seine Freunde sind nicht betrunken und sie sind satt. Sie zeigen Verständnis aber fragen ihn, warum er nicht einfach andere Handwerker beauftragt.
Diese Frage passt nicht in seine Version. Er muss schnell umdenken. Bloß keine Blöße. Das ist schwach.
„Das geht nicht“ sagt er also schnell. „Ich habe schon alles versucht. Aber da wo ich wohne, gibt es einfach keine anderen Handwerker. Keiner fährt soweit raus!“
Seine Freunde wissen nicht wo er wohnt. Sie zeigen Verständnis. Klopfen ihm auf die Schultern. „Du kannst dich immer bei uns melden, wenn du was brauchst.“ Sagen sie ihm.
Das gefällt ihm. Es ist schön so viele Freunde zu haben auf die man sich verlassen kann. Er bezahlt und fährt nach Hause. Dort sitzt er vor seiner weißen Wand. Das macht ihn wütend. Er geht wieder raus und trifft sich wieder mit seinen Freunden. Sie kommen zahlreich und nachdem er bezahlt hat, fährt er betrunken wieder nach Hause. Er hat ein schnelles Auto und fährt der Polizei die ihn anhalten will einfach davon. Sie kriegen ihn nicht. Er ist eben besser, schneller, stärker.
Wieder zu Hause torkelt er ins Bett. Er ist zu betrunken um Wände zu sehen.
Als er am nächsten Tag wach wird strahlt die Sonne durchs Fenster. Sie strahlt die weiße Wand an. Sie leuchtet regelrecht.
Sein Bruder ist heute zu Besuch in der Stadt. Sein Bruder wohnt weit weg und sie sehen sich deshalb nur selten.
Er seufzt und zieht sich an. Sein 800€ teures Parfüm verdeckt alle Spuren der letzten Nacht. Um nicht gleich von der Polizei erkannt zu werden, nimmt er eins seiner anderen Autos und fährt zu dem Treffpunkt zu seinem Bruder.
Sein Bruder ist 4 Jahre jünger als er. Er sieht ihn nicht als ebenbürtig. Sein Bruder hat einen Job mit festen Arbeitszeiten und er verdient nur 4000€. Sein Bruder kann also gar nicht wissen was ein hartes Leben ist und wie viel Arbeit das erfordert. Deshalb hat sein Bruder auch so wenig Freunde und verbringt die meiste Zeit mit seiner Frau und seinen Kindern.
Sein Bruder zeigt ihm Fotos von seinen Kindern. Schnell will er ihm etwas Geld für die Kinder in die Hand drücken. „Als Onkel muss ich mich doch kümmern.“ Sagt er.
Sein Bruder lächelt und nimmt das Geld nicht an. Stattdessen fragt er nach seinem Leben.
Das überfordert ihn. Irritiert steckt er das Geld wieder weg. Unhöflicher Bruder, denkt er sich.
Schließlich erzählt er seinem Bruder jedoch von seinem Problem mit den Handwerkern. Er ist genervt, als er mit berichten fertig ist. Dieses Problem hält schon so lange an und hat sich noch immer nicht gelöst. Das geht an die Nieren. Genauso wie der Rest Alkohol.
Er wartet auf das Verständnis und den Schulterklopfer. Beides kommt nicht. Sein Bruder beginnt vorsichtig: „Das ist ärgerlich. Es ist schade, dass kein Verlass auf manche Menschen ist. Aber warum streichst du die Wand nicht einfach selber rot? Ich habe etwas Zeit. Wenn du möchtest, fahren wir zum Baumarkt, holen Farbe und machen das schnell.“
Er ist schockiert. Versteht denn sein Bruder gar nicht wie sehr ihn das mitnimmt? Sein Bruder war immer schon einfältig und naiv. Glaubt er denn, dass er das nicht schon längst gemacht hätte, wenn das so einfach wäre?
Sein Bruder hat noch viel zu lernen.
Er hat Kopfschmerzen. Das Aspirin liegt noch im anderen Auto. Er sagt seinem Bruder, dass er jetzt los muss. Er hat noch einen wichtigen Geschäftstermin.
Nachdem er das Essen für seine Freunde bei dem wichtigen Geschäftstermin bezahlt hat, fährt er nach Hause. Sie haben ihm Verständnis gegeben und auf die Schulter geklopft.
Nach diesem anstrengenden Tag geht er gleich ins Bett.
Die Wand ist weiß.
Am nächsten Morgen wird er von den Sonnenstrahlen auf der weißen Wand verhöhnt. Er ist wütend und schlägt ein Loch in die Wand. Dann weint er.
Über den Tag kommen ihn viele Bekannte besuchen. Er weiß nicht was sie von ihm wollen. Immer fragen sie, wie es ihm geht und denken sie müssten ihm Hilfe anbieten. Das nervt ihn. Er hasst es diskutieren zu müssen. Sie verschwenden seine Zeit. Keiner kann verstehen was bei ihm los ist. Und er braucht auch keine Hilfe. Immerhin ist er besser, schneller, stärker.
Seine Bekannten wissen nicht, dass die Wand noch weiß ist. Sie wissen nur, dass er immer mehr Parfüm benutzt. Sie können es nicht wissen, denn er lässt sie immer an der Tür stehen. Er öffnet die Tür immer nur einen Spalt. Das ist praktische für ihn. So kann er immer sagen, er müsse jetzt zu einem Termin und die Tür einfach wieder schließen.
Hinter der Tür ist er allein mit der weißen Wand.
Schließlich hält er es nicht mehr aus. Er sieht ein, dass es so nicht weitergehen kann. Die weiße Wand ruiniert noch sein Leben.
Er verkauft das Haus wieder. Deutlich unter Wert. Schließlich bedeutet ihm Geld nichts. Das wissen alle. Er will einfach nur das Haus loswerden.
Als Käufer findet sich ein junges Elternpaar. Sie freuen sich über den niedrigen Kaufpreis. Glücklich gehen sie mit ihrer kleinen Tochter auf dem Arm durch die Räume. Planen schon. Sind begeistert davon, dass es so schön hell ist in dem Haus. „Das wirkt freundlich und macht gute Laune.“
Wie naiv sie sind, denkt er sich und lacht sich ins Fäustchen. Er weiß ja, dass er ihnen nur eine Bruchbude unterjubelt. Er geht als Gewinner raus. Das ist in seinem Leben immer so.
Das junge Elternpaar zieht gleich ein. Mit viel Liebe richten sie das Haus ein. Hängen rote Vorhänge auf. Der Vater, streicht die Wand rot, während die Mutter ein schnelles Essen kocht. Sie sind müde, nach so viel Arbeit. Aber glücklich. Sie sind zu Hause.
Er zieht einfach in eines seiner anderen Häuser. Da ist es nicht so hell. Das ist gut so. Nach dem Wochenende ist er sowieso sehr Lichtempfindlich.
Bevor er zu einem Geschäftsessen geht sprüht er sich schnell noch mit Parfüm ein.
Seine Wände sind weiß.