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Die roten Schuhe
Sie steht vor der Auslage. Der Blick ist verschleiert und sie verspürt das Besondere des Augenblicks. Das intensive Rot des Leders glänzt im Licht der Straßenbeleuchtung. Nie hat sie ein Paar Schuhe gesehen wie diese. Nein, diesmal täuscht sie sich nicht. Diesmal ist es anders als bei den letzten, die so unendlich bequem aussahen und dann bei jedem Schritt schmerzten und wunde Füße hinterließen. Diese hier vermitteln Anmut. Sie sehen aus als könnten sie müde Beine wieder lässig dahinschreiten lassen. Das ist wichtig, denn ihre Füße sind müde. Zuviele Schuhe hat sie probiert in letzter Zeit. Aber sie passten dann doch nicht, hielten nicht was sie in der Auslage lockend versprachen. Aber jetzt, erkennt sie voll Demut, hat sie das Schicksal zu diesem Geschäft geführt um genau dieses Paar Schuhe zu finden. Es gibt keinen Zweifel. Diesmal macht sie keinen Fehler.
Sie betritt den Laden. Ihr Herz pocht beim ersten Berühren des weichen Leders. Sie probiert die Schuhe an welche sich in ihrer Einzigartigkeit von all den anderen deutlich untescheiden. Wie sie sich anschmiegen an ihre Haut. Sie wärmen. Sie fast umschmeicheln. Lange währte ihre Suche. Manchmal war es eine Suche in tiefer Verzweiflung, dann wieder im sicheren Glauben an das Unaufhaltsame, das da kommen muss.
„Sie haben auf mich gewartet. Wahrscheinlich schon bange nicht gefunden zu werden“ denkt sie tief beglückt und doch verzagt über die unnütz vergeudete Zeit während der langen Momente des Suchens.
Sie kauft die Schuhe im sicheren Wissen um deren Schönheit. Sie behält sie gleich an, denn man soll ja staunen über die Eleganz und die Angepasstheit dieses Meisterwerks. Keiner hat Schuhe wie diese. Nur sie.
Die Menschen rundum scheinen nichts von Schuhen zu verstehen. Sie gehen an den Beinen achtlos vorüber. Ist es tatsächlich möglich, dass man nicht hinsieht, trotz der Farbe die doch Signalwirkung hat. Dieses Rot das doch hindeuten muss auf das nicht Alltägliche dieser Schuhe.
Sie setzt sich unsicher geworden in das Cafe und wartet auf zwei Freundinnen die sie mit ihren Schuhen beeindrucken möchte. Sie kommen. Fast unauffällig schiebt sie ihre Beine in deren Sichtkreis. Neid sollen sie empfinden, beim Anblick dieses Kunstwerks. Diese beiden Frauen würden nie derartiges Glück erleben. Beine und Schuhe welche sich gefunden haben. Zwei Teile die zusammen gehören wie aus einem Stück gemacht.
Es wirkt nicht. Auch durch den dezenten Griff zum Fußkettchen lässt sich der Blick der zwei Frauen am Tisch nicht auf die Schuhe lenken. Kein Neid, nicht einmal ein verstohlener Blick, begierig auf den fremden Besitz gerichtet. Nichts.
Am Nebentisch sitzt eine Frau mit dezentem und doch so lässig verwegenem Schuhwerk von höchster Eleganz. Wie sehr missgönnt man ihr dieses. Der Blick jener Frau, die noch vor kurzem überzeugt gewesen war die herrlichsten Schuhe erstanden zu haben, lässt ihren Blick abwertend zu diesem grellen Rot hinutergleiten. Denn das war jetzt deutlich sichtbar im Licht des Lokals. Die Schuhe waren irgendwie eine Nuance zu grell. Und wenn sie es genau betrachtet, die Absätze, eindeutig zu hoch. Überhaupt kommen ihre Beine nicht so zur Geltung wie sie es durch das Tragen dieser Schuhe eigentlich beabsichtigt hatte. Bei längerem Gehen würden sie bestimmt auch ihre Weichheit verlieren und das Leder Bruchstellen vorweisen.
Nach einer unerfreulichen Plauderei über alle möglichen Schuhe, nur nicht die ihren, verabschiedet sie sich von ihren Freundinnen. So sehr hat sie auf diese Schuhe gezählt. Sie sollten sie herausheben aus der Gewöhnlichkeit der anderen. Sollten ihr den Glanz verleihen den sie selbst nicht hat.
Sie streift die Schuhe ab von deren Exklusivität sie nun nicht mehr überzeugt ist. Sie holt aus der Einkaufstüte die alten Schuhe wieder hervor. Welch weise Voraussicht diese noch nicht entsorgt zu haben. Sie als Sicherheit noch zu behalten für eine Weile, weil man doch nie weiß was kommt. Sie sind nicht unvergleichlich wie gewünscht. Aber sie haben ihr lange und aufmerksam gedient. Sie sind die bessere Lösung bis sie eines Tages ja dann doch jene Schuhe findet nach denen sie sich heimlich verzehrt.
Die roten Schuhe stellt sie seitlich zu dem großen Papierkorb neben der Parkbank – soll sich doch jemand daran erfreuen, der sich nichts Besseres leisten kann. Für ihre besonderen Bedürfnisse muss sie Anderes, Wertvolleres entdecken. Irgendwo in den vielen Geschäften der Straßenflut in dieser großen Stadt warten sie – die Schuhe die sie braucht um sich ganz zu fühlen. Ohne sich noch einmal umzuwenden, ohne einen weiteren Blick zu verschwenden geht sie ihrer Vision entgegen.
Da stehen sie nun die roten Schuhe, verlassen und verkannt und warten ihrerseits auf ein Paar passende Beine die sich wohl fühlen in ihrer Umschmeichelung.
Manchmal soll es schon vorgekommen sein, dass sich Frauen gar nicht mehr trennen wollen von Lieblingsschuhen und sie ein Leben lang behalten. Möglicherweise sind die Füße einer solchen Frau bereits unterwegs zu den Schuhen im Park, ohne damit zu rechnen ihnen gerade heute zu begegnen.
Vielleicht gehen diese Füße aber auch achtlos vorbei an den Schuhen, weil sie einfach lieber baruß laufen und Schuhe als einengend empfinden.