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Die schwarze Königin (Feb 08)
Dort kommt sie. Erhaben, mit gemäßigtem Schritt gleitet die schwarze Königin durch den dämmerigen Gang, ihre tintenschwarzen Haare umfließen ihr bleiches Gesicht. Die Wände, eben noch angenehm kühl gegen die Hitze draußen, wirken wie dunkles Eis, und sie stößt kleine Dampfwölkchen in die Luft bei jedem Atemzug. Mich fröstelt in meinem dünnen Sommerkleid, mein schmaler Körper zittert. Doch dies ist die Gelegenheit, ich muss sie nutzen. Sie ist allein, ohne ihre Schar von wehrhaften Kreaturen, wenn nicht jetzt, wann dann ...? Jetzt ist der Augenblick, für den ich geboren bin, ich bin die Auserwählte. Ich muss den rechten Zauber sprechen, damit alles ein Ende hat: der Krieg, das Leid, nur ich kann sie verwandeln, sie vor dem Zauber retten.
Ich muss mich eilen, denn wie die Legende sagt, erstarrt mein Denken in ihrer Gegenwart. Meinen Leib erfasst ein Schütteln, meine Lippen gefrieren in ihrer Anwesenheit. Im Geiste sehe ich meine kleinen Schwestern, die wartend in der Küche hocken, kein Spiel zu spielen wagen, bange den Weg zu unserer Hütte im Blick. Die mir Mut wünschen, jeder Gedanke eine wärmende Wolke, eine Hilfe, das rechte Wort zu finden. Schon hüllt mich Frost ein, meine Gedanken erlahmen. Was muss ich sagen? Ich setze meine ganze Kraft ein zu einem einzigen Gedanken.
Endlich verlasse ich den Schutz der dunklen Mauer, trete ihr in den Weg und spreche: „NALC NIEDD NUUD BRITS.“ Der Zauber ergießt sich, die Welt erstarrt wie eine Blase, und ich sehe Begebenheiten meines Lebens. Sie umkreisen mich, laden mich ein, zuzuschauen, sie noch einmal zu erleben.
Ich streife durch das Land, verstecke mich in dem verlassenen, vom Krieg verbrannten Hof. Ein trockener Knapp ist alles, was mir von dem Laib an Wegzehrung geblieben ist, dazu eine Handvoll Beeren, ein Becher Wasser aus dem nahen Bach. Doch ich darf nicht länger rasten, muss weiter durch den düsteren Wald hinauf zur Burg. Die Häscher der schwarzen Königin sind wieder mit ihrer Kutsche unterwegs; sie suchen Dienerinnen, und ich will dabei sein. Meine kleinen Schwestern haben mir das braune Haar geschwärzt, und ich habe mich die Haut mit Asche eingerieben, sie schimmert fahl.
In dem düsteren Burghof stehen die Mädchen und flüstern, und zwischen ihnen wandeln die Gnome und beäugen das frische Fleisch, schnüffeln misstrauisch. Einer sieht aus wie der andere, Brüder in Antlitz und Gesinnung, ungeboren, durch Zauberwerk gezeugt.
Auch ich werde, wie alle, ausgewählt, um die grausame Königin zu unterhalten oder für ihr Wohl zu sorgen. Für eine ungewisse Zeit natürlich, denn lange kann niemand sie zufrieden stellen, und keine wird das schwere Tor wieder von der anderen Seite erblicken dürfen.
Die Musikanten sind auf dem Kirchplatz. Sie haben keine fröhlichen Weisen mitgebracht, spielen nicht zum Tanz auf. Sie sind auf der Flucht, und nur ein Lied geben sie zum Besten. Ängstlich betrachtet einer die Zuhörer, zögert, bevor sie sich sicher genug fühlen. Sie haben nur dieses eine Lied.
Ein Sänger singt die traurige Mär, während Drehleier, Fiedel und Flöte ihr Leid klagen. Immer wieder erklingt der gleiche Reim, doch niemand kann ihn glauben. Einst war sie gut? Die Herrscherin, die alle fürchten, die unberührt bleibt von dem Hunger ihres Volkes? Die das Land hat ausbluten lassen im Krieg um Schätze, die ungenutzt in Truhen ruhen? Die Königin, die aus reiner Bosheit die Weisen des Landes versammelt hat, damit diese sich neue Strafen ausdenken, für jede Unachtsamkeit eines Untertanen, nur zu ihrer Belustigung? Die Umstehenden schütteln ihre Köpfe, nur ich nicke schweigsam und seufze.
„Es ist an der Zeit, deine Reise anzutreten.“ Die Alte zieht das Backbrett aus dem riesigen Ofen und begutachtet die knusprige Oberfläche des Brotlaibes. „Wenn es ausgekühlt ist, wirst du genug wissen.“
Sie setzt sich auf eine Bank im Hof, und ich hocke mich vor sie auf einen Holzstapel. „Du hast mir soviel beigebracht, Großmutter, weise Wörter in der geheimen Sprache, und jetzt will ich meine Pflicht tun.“
„Du warst gelehrig, doch eines musst du noch lernen.“ Sie schnalzt mit der Zunge auf. „Du kannst sie verschonen. Du brauchst ihr nichts zuleide zu tun, auch wenn sie nicht mehr die ist, die sie war. Erlöse sie, beende den Zauber!“
„Ja, das will ich.“ Ich schlucke. „Ich bin die Älteste, die Auserwählte, und ich werde es für uns alle wagen: für meine kleinen Schwestern, für dich und für das ganze Land. Ich werde sie befreien.“
„Dann will ich dir das Wort der Verwandlung sagen, und sie wird wieder sein, was sie einst war.“ Wehmütig blickt sie in die Ferne. Dann winkt sie mich ganz nah heran und flüstert mir etwas ins Ohr. „Tled naw revies. Das ist das Wort, dass die Veränderung bringt. Vergiss es nicht.“
Ich freue mich. Die Frauen aus dem Dorf haben mir ein Fest bereitet; nun blute ich auch, nun gehöre ich zu ihnen. Wir sitzen in der Abendsonne am Weiher, das Wasser glitzert, und Frösche schnappen nach Mücken.
Meine Mutter ist die schönste von allen, und voller Stolz auf mich, ihre Älteste. Sie lässt ihre Hand ins Wasser gleiten, und wir beide folgen mit den Blicken einer wunderschönen, bunt schillernden Libelle.
„Au!“, stöhnt meine Mutter plötzlich auf, irgendetwas hat mich gebissen.“ Sie zuckt zurück, und dicke, schwarze Tropfen rinnen aus ihrem Finger. Ihre Haut erbleicht, ihr Haar verdunkelt sich.
„Mutter, was ist mit dir?“ Bestürzt will ich helfen, doch meine Mutter wehrt ab. Als würden sie Blut verlieren, werden ihre Lippen schmal und bläulich.
„Ich bin zu Höherem berufen. Blaues Blut zu blauem Blut. Ich muss fort.“ Die Frau steht auf, ihr Blick ist kalt und verächtlich. In der Nähe hört man Pferdegetrappel, als ob eine Kutsche gewartet hätte.
„Was bedrückt dich, Großmutter?“ Ich schaue hoch, während ich mit der Alten Kräuter sammele. „Hast du wieder Vorahnungen?“
Wir stehen oben auf dem Hügel und lassen unsere Blicke über das Land schweifen. Bauern bei der Ernte auf ihren fruchtbaren Feldern, Handwerker arbeiten vor den Häusern, kleine Kinder spielen dazwischen.
„Das Böse nimmt seinen Lauf.“ Die Stimme der Alten zittert ein wenig. „Ich habe in die kommende Zeit geschaut. Gnomenhafte Gestalten. Vielfache Zwillingsbrüder. Sie könnten dir gefährlich werden.“
„Mir? Was soll ich tun?“
„Ich weiß noch nicht. Aber behalte dieses Wort für immer im Gedächtnis. Es ist machtvoll, zu wem du es auch sprichst. Es löscht eine ganze Sippe aus.“ Und sie flüstert mir ins Ohr: „Nalc niedd nuud brits.“