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Die Tauben und die Türken
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Die Tauben und die Türken.
Es war vor fast genau sechs Wochen.
Die Sommerferien hatten gerade begonnen, und Evchen war am Tag zuvor mit der katholischen Jugendgruppe nach Oberbayern gefahren.
Ich kam schwer bepackt vom Markt. Aus meinem Einkaufskorb duftete es nach Knoblauch und Oliven, also war es ein Mittwoch.
Knoblauchzehen, so groß wie Pflaumen, kaufe ich mittwochs bei Ali auf dem Wochenmarkt, denn er ist nur an diesem Tag da.
Mein Schlüssel steckte schon im Schloss, da ging gegenüber die Wohnungstür auf.
Oh nein, ich würde es nicht mehr schaffen!
Frau Schmitt, ihres Zeichens allwissende Nachbarin, stand mit einem großen Schritt bereits neben mir.
“Haben Sie schon gehört, wer oben einzieht?”
Ihr Kopf machte eine ruckartige Bewegung nach rechts oben und dabei verdrehte sie die Augen in die gleiche Richtung.
“Keine Ahnung, Frau Schmitt, aber Sie sagen es mir jetzt sicher, oder?”
Offensichtlich spitze Bemerkungen prallten an ihrer geblümten Kittelschürze ab.
“Türken, Frau Hoffmann, Türken!”
Frau Schmitt stieß die Worte zischend hervor, wobei ihre ergrauten
Locken vor Empörung zitterten. Ihr Blick forderte zum Duell. Ich hatte nur den Wunsch, so schnell wie möglich in meine Wohnung zu gelangen, bückte mich und nahm die Taschen hoch.
“Ist doch in Ordnung. Die Wohnung steht seit einem Jahr leer und ist schön groß. Außerdem: Was erwarten Sie denn? Wir leben schließlich im Ruhrpott, schon vergessen?”
Frau Schmitt schnaubte.
“Jetzt machen Sie aber mal `nen Punkt! In diesem Haus haben bis jetzt immer nur Deutsche gewohnt! Mein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er so etwas wüsste! Meine Großeltern waren 1904 die ersten Mieter, bis in die Siebziger war das hier ein respektabler Stadtteil und...”
Ich kannte diese Tiraden und hatte sie alle gründlich satt.
“Ja, ja, ich weiß. Doch wir haben jetzt 2008 und die Zeiten haben sich verändert. Wir wohnen doch freiwillig hier, nicht wahr? Weil die Wohnungen groß und preiswert sind. Außerdem leben im Norden der Stadt nun mal die meisten ausländischen Mitbürger, das ist doch nicht erst seit gestern so!”
Frau Schmitt stemmte die Hände in die breiten Hüften.
“Wollen Sie damit sagen, dass wir Deutsche das Feld räumen sollen?
Es sind doch viel zu viele Ausländer hier! Die Türken nehmen uns noch die letzten Arbeitsplätze weg und vermehren sich schlimmer als die Tauben!”
Je höher mein Wutpegel stieg, desto tiefer senkten sich meine Einkaufstaschen wieder.
“Nur, dass sie ihren Dreck nicht von der Dachrinne auf die Strasse
fallen lassen, wie? Wollen Sie damit sagen, dass alle Türken schmuddelig sind und stinken?”
Wir standen uns jetzt gegenüber und ich fühlte mich kampfbereit, obwohl mir klar war, wie unnütz ich meine Energie verschwendete. Egal! Frau Schmitt schaffte es immer wieder, mich auf die Palme zu bringen.
“Das habe ich noch nie gesagt, Frau Hoffmann! Passen Sie mal gut auf Ihre Zunge auf!”
“Hören Sie doch auf! Ihre Ausländerfeindlichkeit ist im ganzen Viertel bekannt!”
“Glauben Sie denn, ich bin die Einzige, die so denkt?”
“Ganz bestimmt nicht! Es gibt eine Menge ewig Gestrige, da bin ich mir sicher!”
“Ich habe gar nichts gegen Ausländer, solange sie unter sich bleiben.
Die Frauen können doch alle kein Deutsch, das muss man sich mal vorstellen. Leben seit dreißig Jahren hier und sprechen nur Türkisch.”
Das war in der Tat ein wunder Punkt. Ich versuchte einzulenken.
“Das trifft doch nur auf die alten Frauen zu, oder? Die jungen Frauen sprechen alle gut Deutsch.”
Frau Schmitt verbuchte die Runde offensichtlich auf ihr Konto.
“Na ja, gut deutsch ist übertrieben. Seien Sie doch ehrlich: Die meisten Türken sprechen weder Deutsch noch Türkisch richtig.”
Ich fühlte mich ertappt. Diese Gedanken waren mir selbst nicht fremd.
“Ja, da ist sicher noch viel zu tun, doch das war auch von Anfang an ein Versäumnis der Politik, eine Fehleinschätzung.“
Frau Schmitt holte bereits wieder tief Luft, doch ich kam ihr zuvor.
“Wie heißt die Familie denn?”
Sie zog die Mundwinkel kurz nach unten.
“Kücük, glaube ich.”
Ich gab mich betont erfreut.
“Ach wie nett. Das bedeutet: Klein.”
Frau Schmitt grinste schadenfroh und verbuchte auch diese Runde für sich.
“Na, klein werden sie bestimmt nicht sein! Sicher haben sie mindestens sechs Kinder. Aber wir werden ja sehen, ob sie auch mal den Taubendreck vom Bürgersteig schrubben, nicht wahr?”
Ich bemühte mich vergeblich um ein überlegenes Lächeln und wir trennten uns mit einem vorläufigen Waffenstillstand.
Gestern war der erste Schultag und ich stand noch am Herd, als Evchen aufgeregt in die Diele stürmte und rief:
“Mama, stell dir vor, was passiert ist! Du kommst im Leben nicht darauf, wer nächste Woche hier einzieht!”
Ich sah ihre hochroten Wangen und lachte. Jetzt wurde es spannend!
“Wer denn?” Ich musste seltsamerweise an Frau Schmitt denken, wieso eigentlich?
“Semra zieht hier ein! Meine allerbeste Freundin Semra!”
Evchen strahlte, ich auch. Semra war ein Volltreffer! Gar kein hinterwäldlerisches Türkenkind mit fünf Röcken und bestickten
Pantöffelchen! Da würde Frau Schmitt sich aber schämen!
Nachmittags klingelte es. Vor der Tür stand Frau Kücük. Sie trug ein blaues Jeanskleid und ein weißes Kopftuch. Ihre braunen Augen
lächelten, als sie mir die Hand gab und dabei ein Tablett mit duftendem Honiggebäck überreichte.
Beim Tee in unserem Wohnzimmer erzählte sie mir in fehlerfreiem Deutsch, dass ihr Mann Dachdecker sei und nach dem Einzug gern ein Taubengitter an unserer Regenrinne anbringen würde. Ob ich etwas dagegen hätte. Frau Schmitt von gegenüber sei jedenfalls sehr erfreut. Eine nette ältere Dame übrigens, so ganz ohne Vorurteile. Bemerkenswert in dieser Altersgruppe! Sie habe sich sogar schon die neue Moschee angesehen, wirklich toll!
Ich nickte zu allem mit trockenem Mund und dem sicheren Gefühl, dass Frau Schmitt wieder eine Runde gewonnen hatte.
Dann sagte Frau Kücük noch, wie sehr Semra sich freue, jetzt mit ihrer Schulfreundin in einem Haus zu wohnen. Das wäre doch prima für unsere beiden Einzelkinder!
Sicher, sicher. Wie konnte ich das Nicken bloß abstellen?
Heute morgen war Frau Schmitt wieder schneller ins Treppenhaus gehuscht, als ich in meine Wohnung. Sie tippte mir auf die Schulter, feixte und kniff schelmisch ein Auge zu.
“Nett, die Frau Kücük, so gar nicht türkisch. Ich wette, dass sie das Kopftuch auch nicht mehr lange trägt und dann können wir mal darüber reden, ob sie nicht „Klein“ auf das Klingelschild schreiben. Es wäre doch gelacht, wenn wir das nicht schaffen, was?“
Sieg nach Punkten für Frau Schmitt.