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Die Umpunktleitung

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18.04.2002
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Die Umpunktleitung

Warum stellt hier niemand ein Umleitungsschild auf? Mein Fahrzeug hatte die Straßenabsperrung wahrscheinlich durchtunnelt. Dieses Ereignis erscheint zwar äußerst unwahrscheinlich, vor allem im makroskopischen Bereich, aber irgendwo im Universum musste „Es“ im Laufe der Zeit einmal geschehen. Ich befand mich gewissermaßen im richtigen Moment am fal... nun - halt dort, wo es möglich war, den unerlaubten Ereignispfad zu beschreiten. Jedenfalls gab es kein Hindernis auf dem Weg in die verbotene Richtung.
Eine Deakzelleration war nicht zu spüren. Doch der Geschwindigkeitsmesser zeigte im blassen Grün des Leuchtschirms lediglich Null-Komma-Null an. Seltsamerweise erkannte ich gleich die Lösung des Problems: Geschwindigkeit ergibt sich aus Distanz pro Zeit. Es konnte nicht angehen, dass mein Raumschiff ohne zu bremsen einfach stehen geblieben war, seine träge Masse ist einfach zu groß. Demnach mussten Zeitdifferenzen unbestimmbar geworden sein - ich hatte mich in die Ewigkeit verfahren!
Ewigkeit - wie soll ich da wieder rauskommen? Schließlich will ich nach Hause, meine Freundin, gut gebaut, mit ewig langen Beinen wird nicht ewig auf mich warten. Wenn hier alles ewig andauert, im Sinne von „unveränderbar“, also Abwesenheit von Zerfall - dann „Gute Nacht“! Falls es in dieser Ödnis eine gibt.
Hmm … habe ich eine Sache, die der Unendlichkeit entspricht am Hals, halt nur als Unbegrenztheit der Zeit? Wäre die Geschwindigkeit meines Raumgleiters in diesem Fall Null? Kann ich über etwas nachdenken, das ich räumlich und zeitlich endliches Wesen normalerweise nicht erfahren kann, es sei denn, man hat sich v e r fahren? Sind alle Neuronen in meinem Gehirn hinreichend organisiert, um über meine jetzige Lage nachdenken zu können? Wo sind die Grenzen dieser Ewigkeit, in die ich geraten bin? Soll ich mal raten? Ist sie endlich, jedoch grenzenlos, oder mit unendlicher Grenze?
Vielleicht existiert etwas Endliches, aber kognitiv erscheint dieses Gebilde unbegrenzt? Existiert denn das Unendliche inklusive endlicher Begrenzung? Gibt es unterschiedlich große Ewigkeiten, ähnlich unterschiedlich großen Unendlichkeiten? Wo befinde ich mich jetzt?!
Ich werde mein Gehirn an den Info-Mat-Würfel anschließen, um einige Hinweise zur Beurteilung meiner Situation eingespeichert zu bekommen. Hoffentlich funktioniert das Ding! Neulich hat mir der Apparat das komplette Telefonbuch von Tokio ins Gedächtnis eingespeist, folglich musste ich den ganzen Download löschen. Danach waren noch einige Sitzungen beim Defragmentierungs-Neurologen fällig, bis ich wieder in Ordnung war.
Also los: Ewigkeitsfakten übertragen und mit meinen Gedanken kombinieren ...

1. Ewig-absolute Konstanz, wahrscheinlich außerhalb des Raumschiffs (zum Beispiel ist im All keine Strahlung mehr nachweisbar).
2. Ewig-anthropozentrisch, Fortdauer ohne Ende, herrscht wahrscheinlich im Inneren meines Fahrzeugs. Mein Regenerations-Kontroll-O-Meter zeigt plötzlich positive Werte an, daraus folgt, ich werde zwar älter, aber nicht alt.
W a r n u n g ! Diese Definition beruht auf menschlicher Erfahrung! Das Universum, siehe „Top 1“, macht keine Erfahrung über sich selbst. Der Versuch, das Weltall deshalb in eine Selbsterfahrungsgruppe zu schicken scheiterte, isolierte Sternhaufen sind Reste dieses vergeblichen Vorhabens.
3. Ewig-anthropozentrisch, ewiger Kreislauf. Geburt - Tod - Wiedergeburt, beziehungsweise Urknallsexpansion - Kontraktion - Urknall. Es besteht
das Problem einer Energiezufuhr bei periodischen Vorgängen. Der „Zweite Hauptsatz der Thermodynamik“ verbietet ewig verfügbare Energie... außerdem: Zeit besteht weiterhin, da sie durch vorhandene periodische Vorgänge oder Zerfallsprozesse bestimmt wird.

Diese Ewigkeit langweilt mich langsam zu Tode, abgesehen davon, dass dank der Ewigkeit kein Tod möglich ist. Wird das den Kältetod gestorbene Universum in aller Zukunft bestehen? Doch was heißt hier Zukunft - gibt es denn noch Zeit, welche vergehen könnte? Wie wird ein Raum-Zeit-Kontinuum durch die „Kältestarre“ beeinflusst? Ohne Zeit kann keine Bewegung existieren, ohne Bewegung kein messbarer Raum. Ist der Raum folglich eine Singularität? Wenn ich schließlich für die Zeit Null annehme, dann dividiere, ergibt sich als Resultat ...

Im selben Moment des Gedankens verschwanden das Raumschiff und der Erzähler. Es blieb nur ein .


Der Punkt: Mathematisch eine Fläche ohne Ausdehnung - erinnerst du dich nicht Jones? Okay - jetzt schau mal schön weiter durchs Teleskop.

 

Witzig geschrieben, sehr gut fand ich dabei:

Zitat:"W a r n u n g ! Diese Definition beruht auf menschlicher Erfahrung! Das Universum bei „Top 1“ macht keine Erfahrung über sich selbst. (Der Versuch, es deshalb in eine Selbsterfahrungsgruppe zu schicken scheiterte, isolierte Sternhaufen sind Reste dieses vergeblichen Vorhabens)."

oder
Zitat: "dann „Gute Nacht“! (Falls es eine hier gibt)."

Nicht passend fand ich allerdings den Einschub "Soll ich mal raten" bei

Zitat: "Wo sind eigentlich die Grenzen dieser Ewigkeit, in die ich geraten bin (soll ich `mal raten?). Ist sie endlich, aber grenzenlos, oder mit unendlicher Grenze? "

Du sagst eigentlich alles mit den beiden umschließenden Sätzen aus. Gut vielleicht soll Witz über die Wortspielerei "geraten - raten" heraus kommen, aber es irritiert nur beim Lesefluß.

Sonst find ich es toll. :bounce:

 

Hallo smily,

das war die schnellste Antwort, die ich jemals erhalten habe. Vielen Dank für die positiven Anmerkungen. Das Witzige soll natürlich nur die Verpackung für die ernsthaften Fragen über Ewigkeit sein (von der Antwort auf diese Frage hängt für uns Menschen doch einiges ab...).
Die Sache mit dem Wortspiel muß ich mir noch überlegen, jedenfalls bin ich froh, daß Du die Story so aufmerksam gelesen hast.

Tschüß... Woltochinon

 

Die ernsthaften Fragen sind mir auch aufgefallen, hab mir immer im Physikunterricht welche gestellt, als wir die Relativitätstheorie behandelten - natürlich nur weil ich aus lauter Unverständnis (was bei dir wohl nicht der Fall ist) anfing zu träumen. Da sind vielleicht komische Ideen aufgekommen.

 

Hallo Woltochinon !

Ich stelle mir vor, wie du durch dein Teleskop hinausschaust in unendliche Weiten oder auch endliche Unendlichkeiten, und dann all diese Nachdenkphasen durchlebst, die Kuriositäten erkennst die sich daraus ergeben. Und erlebe wie du all das eben erst Erkannte schon wieder in Frage stellst und ad absurdum führst.

Weißt du was ich dabei feststelle? Wenn ich deinen Text, der ja wirklich mitunter witzig ist, lese, dann ist es dynamisch und sich manchmal überschlagend, vielleicht sogar das eine oder andere Mal verwirrend weil man in einen schnellen Lesefluss gerät.

Wenn ich dich aber, in diesem denkenden Prozeß gefangen vor meinem geistigen Auge sehe, und um all die Gedanken in deinem Kopf weiß - ist das ein sehr Ruhe verströmendes Bild. Seltsam?

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Hallo, Woltochinon!

Dauerte eine Weile, bis ich deinen neuen Geniestreich verdaut hatte. Nun, meine Neuronen waren ewig nicht organisiert, und meine zwei Hirnhälften unendlich lange nicht zu einer Zusammenarbeit zu bewegen.

Eine Kurzgeschichte über die Zeit. Anthropozentrisches Denken durch Umleitung auf den Punkt gebracht.
Friedmann´sche Modelle, Quantenmechanik - ob kombiniert mit allgemeiner Relativitätstheorie und Umschärferelation - oder auch nicht, Theorien über imaginäre und reale Zeit, werden uns keine Gewissheit bringen.
Die Wahrnehmung des Menschen in Bezug auf Zeit und Raum ist subjektiv und stark eingeschränkt.

P.S.: Die Dummheit der Menschen ist unendlich und grenzenlos.


Liebe Grüße
Antonia

 

Hallo smily,

es wäre doch toll, wenn ich einige Deiner aus dem Physikunterricht resultierenden Ideen in einer Deiner Kurzgeschichten nachvollziehen könnte!

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo schnee.eule,

es freut mich, wenn du dich so in meine Gedankenwelt hineinversetzen kannst. Ich bin auch immer wieder erstaunt darüber, was sich wohl in meinem Kopf abspielt und diese Geschichten entstehen läßt. Meistens schreibe ich sie in einem Zug, schon fertig gegliedert. Es ist wie ein intellektuelles Spiel und ich finde es immer wieder spannend, wenn Leser daran teilnehmen. Diesen Dualismus zwischen Erzähltempo und Ruhe im Staunen, den Du beschreibst, habe ich nicht erwartet. Ich konnte mich der Unfassbarkeit des Themas nur nähern, indem ich alles mit Humor vermischte... vieles kann man nur so ertragen...

Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Antonia,

ich werde eine Weile brauchen, bis ich dein Lob „Geniestreich“ verdaut habe. Vielen Dank!
Du hast angeblich unorganisierte Gehirnhälften? Dein jetziger Scharfsinn soll also nur ein Sparprogramm sein? Was passiert dann, wenn Du auf Turbo - Booster schaltest?
Bei Deiner Anmerkung über die Dummheit der Menschen wußte ich nicht ob ich lachen sollte, oder mich in Verzweiflung stürzen. Aber es scheint wirklich so, als ob wir Menschen nur sehr begrenzte Erkenntnismöglichkeiten haben. Deshalb dividiert sich mein Abenteurer auch aus der Welt, die er nicht erfassen kann.

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Hallo, Siegbert!

Die spielerische Verknüpfung von Wissen mit gutem Schreibstil und witzigen Komponenten hat mich einfach begeistert. Deine KG lädt den Leser ein, an einer Reise durch Raum und Zeit teilzunehmen, deren Ziel ein weiterer Schritt in Richtung Erkenntnis ist.
Zitat (einer meiner Lieblingssätze): Vielleicht ist etwas endlich, aber kognitiv erscheint es grenzenlos.

Unvorstellbares wird duch Überlegung greifbarer.

Was passiert, wenn ich mein Hirnchen auf Turbo-Booster schalte? Dann bekomme ich Migräne und schrecklichen Hunger. Deshalb lasse ich das lieber bleiben.

Stichwort Dummheit der Menschen: Richtig. Deine künstliche Person tut gut daran, sich zu verkrümeln. Sollte sie die Absicht haben, aufgrund ihrer längeren Haltbarkeit gewonnene Erkenntnisse an unsere Spezies weiterzugeben, läuft sie Gefahr, Schaden zu nehmen. Verfahrensweise mit Unbekanntem: umlegen, zerlegen, dann erst überlegen.


Liebe Grüße
Antonia

 

Hallo Antonia,

„vielleicht ist etwas endlich, aber kognitiv erscheint es grenzenlos“ soll auch bedeuten: Selbst in einer endlichen Welt gibt es für den Geist unendliche Entdeckungsmöglichkeiten, andererseits „erscheint“ vieles nur grenzenlos, in Wirklichkeit sind wir nur schon mit dem Endlichen überfordert.
Du bist ja im Moment ziemlich sauer (?), schließe ich aus der Feststellung „umlegen, zerlegen, dann erst überlegen“. hoffentlich hat das keinen persönlichen Hintergrund...

Alles Gute,

tschüß... Siegbert

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, Siegbert!

Vielen Dank für deine Erklärung! So sehe ich das auch. Bei meinen Überlegungen zu deiner KG ist mir aufgefallen, dass meine Vorstellung vom Universum jetzt eine klarere Form angenommen hat. Endlich, aber grenzenlos, oder unendlich ohne Grenze? Ich tendiere zum grenzenlosen, doch in sich abgeschlossenen Modell.

Stichwort: künstliche Person. So bezeichnete sich ein Androide in einem meiner Lieblingsfilme (Alien II) selbst. Mein Hinweis bezog sich lediglich auf die Methodik der Menschen bei der Untersuchung von Unbekanntem. War nur eine überflüssige Bemerkung von mir - also bitte ersatzlos streichen.


Viele liebe Grüße
Angelika

 

Hallo Woltochinon,

leider streiken meine kleine Neuronchen gerade n wenig.
Eine Lüge, wäre es wenn ich das alles verstanden hätte. Es war lustig zu lesen.
Aber frag ´ mich bitte nicht, ob ich irgendwo so etwas wie einen Logikfehler finde.
Jedenfalls ist mir hier noch niemand mit soviel Phantasie begegnet. Der Schreibstil ist auch sehr gut, und aussergewöhnlich fliessend-gut, für so einen Stoff.

Wenn ich gut drauf bin, werde ich ab und zu mal so was lesen von dir, wenn ich gut drauf bin!

Wir haben morgen 8.00 uhr und schon ist wieder ein Drittel meiner Energie verbraucht Herr Einstein-Popper-Woltochinon

Liebsten gruß Arche

 

Hallo Archetyp,

ich hoffe, daß Du bald (oft, immer) gut drauf bist! Hundert Prozent nachprüfbare Logik kann die Geschichte nicht bieten, dafür läßt sie zu vieles offen (auch Türen für die Phantasie des Lesers). Die angesprochenen Gedankengänge des P. haben aber einen realen Hintergrund.
Herzlichen Dank für das gute Phantasie- Zeugnis!
Übrigens ... wie hast Du das geahnt ... ich habe wirklich schon daran gedacht etwas Popper in eine meine Geschichten einzubauen, gewissermaßen als extra Pep.

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Hallo Archetyp,

ein kleiner Nachtrag: Du muß nicht mit dem Lesen meiner Stories warten bis Du wieder gut drauf bist, ich habe doch bei der "Challenge" gelobt, daß meine nächste Philo- Geschichte in normaler Sprache und ohne Naturwissenschaft geschrieben ist.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Antonia,

so überflüssig finde ich deine Bemerkung nicht. Weil die von Dir beschriebene `Erkenntnisfindungs- Methode´ einige Grenzen hat, sich z.B. nicht auf das Erfassen der Unendlichkeit anwenden läßt.
Wenn Sachverhalte durch diese Geschichte klarer werden, bin ich recht froh. Der Anlaß zu diesem Text war nämlich, daß in einer der Kritiken recht oberflächlich über Unendlichkeit geschrieben wurde.

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Hallo Woltochinon,
das ist doch mal eine originelle, witzige Philosophiegeschichte mit SF-Elementen und voller physikalischer Anspielungen! Die ist es wert, wieder mal ausgegraben zu werden! Ich bin begeistert, wieviele Ideen du hier lustig verarbeitest und am Schluss kommt noch eine überraschende Wende! Das einzige, was ich kritisieren könnte ist, dass der Text zu kompakt ist, ein Knaller nach dem anderen. Ich hoffe, dass ich alles verstanden haben, z. B. die Anspielung auf den Tunneleffekt in der Quantenphysik, auch eine Kugeloberfläche (z. B. die der Erde) ist endlich, aber grenzenlos etc. Aber ich weiß nicht, ob das für alle verstänlich ist. Na ja, kann es nie sein.
Gruß tamara

 

Hallo tamara,

„Das einzige, was ich kritisieren könnte ist, dass der Text zu kompakt (ist)“ - ja, das ist so eine Krankheit von mir. Entschuldigend kann ich nur sagen, dass mein Prot. wirklich Stress hat und die Gedanken nur so durch seinen Kopf jagen...
Andererseits finde ich es gut, wenn man viel in einem Text entdecken kann. Ich mache mir dann eine Liste, damit ich nicht selbst vergesse, was da alles angedeutet ist. Ich glaube, Du bist die Erste, die die Kugeloberfläche erwähnt.

Freue mich über dein Lob!

LG,

tschüß... Woltochinon

 

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