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Die Umrisse eines Dampfers

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26.08.2002
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Die Umrisse eines Dampfers

Ich buchte die Dampferfahrt spontan bei einem der Dampfschiffkartenverkäufer an den Ufern der Moldau in Prag. Das Schiff hieß Kinatit. Mit blumigen Worten erläuterte ich meinen beiden Begleitern die Idee. Was konnte den Urlaub in der goldenen Stadt, mit Besuch des Schlosses, der Karlsbrücke und den Kafkagassen krönen? Eine Dampferfahrt! Ich sah es schon vor mir: Ein festlich beleuchtetes Schiff, das an einem festlich beleuchteten Ufer vorbeigleitet. An Bord: festliches Essen, von gut gekleideten Obern serviert. Im Saal: schöne Frauen und klassische Musik. Vielleicht Smetanas Moldaumelodie. Tanz und Wein und gute Stimmung.

Zwar war Börni eigentlich nur nach Prag mitgekommen, weil ich ihm erzählt hatte, dass es dort billig Schachliteratur zu kaufen gibt (Börni spielte Schach, sonst nichts), und Michel hatte Angst vor Wasser, aber ich hatte gebucht, bevor sich Widerstand entwickeln konnte. Ich hatte schließlich vier Semester Politik studiert, da lernt man, wie man rechtzeitig irreversible Realitäten schafft.
Am Mittag des nächsten Tages trennten wir uns. Börni suchte nach Schachbüchern, Michel nach Kafkas Grab, und ich wollte mir die Stadt ansehen. Der Treffpunkt zur Dampferfahrt war vereinbart, es war die Kneipe in dem Brückenpfeiler, ganz in der Nähe des Uferabschnitts, an dem die Kinatit laut Buchungsticket liegen sollte. Michel kam als erster (was selten vorkam). Er wollte wissen, ob ich sicher sei, dass man bei einer Dampferfahrt nicht ertrinken konnte. Noch bevor ich antwortete, begann der Wolkenbruch. Von Börni noch keine Spur, aber draußen sah es so aus, als hätte man die Niagarafälle über Prag installiert. Die Sichtweite durch das herabstürzende Wasser betrug zehn Meter. Und es sah nicht so aus, als würde es demnächst aufhören.

„Wir müssen zum Schiff“, sagte ich.
„Wir haben nur einen Regenschirm“, sagte Michel. Er sah so besorgt aus wie damals der Golem, der sich, zum Leben erwacht, zum ersten Mal dort umsah, wo er sich befand.
„Wir müssen trotzdem zum Schiff“, sagte ich.
Wir öffneten die Tür und gingen nach draußen. Der Regenschirm sah nach zehn Sekunden aus wie ein Huhn nach Blitzeinschlag. Wir irrten am Ufer entlang. Einige Schiffe lagen am Kai. Keins der Schiffe hieß auch nur annähernd Kinatit.
Von Börni noch keine Spur.
Ich lief an Bord des erstbesten Kahns und fragte: „Kinatit? Wo ist die Kinatit? “
„Die Kinatit?“, sagte der Matrose. Er blickte mich interessiert an. Er zeigte eine Richtung entlang des Ufers an, eine weitausholende Armbewegung, weit, weit ausholend.
„Wie weit?“, rief ich.
„Ein Kilometer?“, sagte der Matrose und lachte schallend.

Ich schwamm zu Michel zurück. Von Börni noch keine Spur. Ich erklärte kurz die Lage. „Glaubst du, Börni ist in der Lage, die Kinatit allein zu finden?“, fragte ich Michel.
„Börni weiß noch nicht mal, in welcher Stadt wir sind – oder auf welchem Kontinent“, sagte Michel. Mir war klar, dass Michel recht hatte. Wenn Börni nicht am Schachbrett saß, war er ein Fremder auf dieser Welt. Wir hätten ihn nicht allein loslaufen lassen dürfen.
„Dann müssen wir uns trennen“, sagte ich. „Du wartest hier, bis Börni da ist, dann kommt ihr nach. Ich laufe los und halte das Schiff auf!“
Michel nickte, sein Gesicht deutete jedoch an, dass er mit gar nichts mehr einverstanden war. Ich verließ den nicht vorhandenen Schutz des ehemaligen Regenschirms, den Michel immer noch eisern hochhielt, und lief los.

Es war, als hätte man mich in den Fluss geworfen. Ich war sofort patschnass. Das Wasser am Ufer reichte bis zu den Knöcheln, ich kam kaum vorwärts. Es schüttete, dass mir die Kiemen wuchsen. Schemenhaft sah ich nach einer knappen halben Stunde die Umrisse eines Dampfers vor mir. Die Kinatit. Sie lag einsam im Unwetter.
Ich watete an Bord und traf auf den Käptn. Er blickte düster über sein menschenleeres Schiff.
„Ich habe gebucht“, sagte ich ihm. „Für heute. Mit Abendessen. Und Musik.“
Er schaute an mir hoch und runter. Er sah aus wie Raimund Harmsdorf im letzten Teil des Seewolfs.
„Bist du der Einzige?“, herrschte er mich an.
„Nein“, sagte ich. „Es kommen noch zwei.“
„Dann fahre ich nicht“, sagte Harmsdorf. „Ich kann nicht fahren mit so wenig Kundschaft.“

Ich bestand darauf und wir verhandelten. Das Verhandlungsergebnis sah so aus: Wir würden fahren, aber nicht die drei Stunden, die ich gebucht hatte, sondern nur eineinhalb. Ich ging auf die Toilette und entwässerte meine Unterwäsche, wobei ich die Moldaumelodie summte. Als ich nach draußen blickte, sah ich Börni und Michel, wie sie an der Kinatit vorbei ins tschechische Nirwana irrten. Ich rief ihnen zu und winkte. Wir begaben uns ins Bordrestaurant. Wir waren die einzigen Gäste; der Raum war kaum beleuchtet, wie in einer Gruft; der Kellner kam misslaunig herangeschlurft, und wir bestellten belegte Brote, denn warme Küche hätte sich kaum gelohnt. Der Dampfer legte ab und begann, einen wirren Kurs auf dem regengepeitschten Fluss zu fahren.

Börni war unzufrieden mit der Situation. Während wir aßen, begann er zu nörgeln.
Für die halbe Fahrt wollte er auch nur die Hälfte seines Beitrags zahlen. Ich sagte ihm, er solle die Fresse halten, während ich meine Dampferfahrt genoss. Wenn er wolle, könne er ja selbst die Verhandlungen mit dem Seewolf wiederaufnehmen. Börni war beleidigt und sprach nie wieder ein Wort. Michel hielt den Stress nicht aus und zündete sich eine Kippe an. Sein Blick durchs Fenster, besorgt.
Wir beobachten draußen zahlreiche festliche Dampfer, die Steuerbord und Backbord an uns vorbeifuhren. Sie waren hell beleuchtet, wir sahen durch die Fenster gutgekleidete Frauen und Männer, die aßen oder tanzten oder uns zuwinkten. Es schien auch auf den anderen Schiffen nicht zu regnen ... aber ich versuchte, diesen Eindruck zu verdrängen. Dann durchlief ein Stoß unser geliebtes Dampferschiff. Börnis Kopf knallte gegen die Scheibe. Michel krallte sich am Tisch fest.
„Was war das?“, fragte er.

Ich wusste es auch nicht, stellte aber fest, dass der Kellner sich eilig eine Schwimmweste anlegte. Gleich darauf begann irgendein alarmierendes Bimmeln durch’s Schiff zu dringen. Dann stürzte der Käpt’n polternd herein und rief: „Alle Mann an Deck! Wir sinken!“
„Was?“, rief ich. „Wie kann das sein? Wie können wir auf der Moldau sinken?“
„Ein Eisberg hat uns gerammt“, rief der Käpt’n.
Michel sprang auf: „Was? Was hat er gesagt? Was hat er da gesagt?“
„Ein Eisberg?“, rief ich.
„Das ist uns schon öfter passiert!“, mischte sich der Kellner ein. „Obwohl es hier Eisberge noch nicht einmal gibt! Deshalb fährt auch keiner mehr mit uns.“
„Wir müssen Schwimmwesten für sie finden“, sagte der Käpt’n zum Kellner. „Wir haben zu wenig Rettungsboote!“
„Was hat er gesagt?“, fragte Michel.
„Zu wenig Rettungsboote?“, rief ich. „Aber wir sind doch nur zu fünft!“
„Und wir haben kein einziges Rettungsboot“, antwortete der Käpt’n.
„Was? Was hat er gesagt?“, rief Michel.
„Wir haben keine zusätzlichen Schwimmwesten, Käpt’n“, sagte der Kellner.
Das Boot neigte sich, das Geschirr begann sich auf den Tischen zu bewegen und über die Kanten zu gleiten. Der Käpt’n schnürte an seinen Schwimmflügeln. Er reichte uns drei Bücher und nickte mir zu.
„Seite 63“, sagte er. Dann wandte er sich an den Kellner: „Wir müssen von Bord!“
„Halt!“, schrie ich. „Was ist auf Seite 63?“
„Das Lied!“, rief der Käptn, lief nach draußen und sprang zusammen mit seinem Mannschaftskollegen über Bord. Blitze durchzuckten den Nachthimmel.
Das Boot hatte schon stark Schlagseite. Ich reichte Michl ein Buch, und auch Börni. Ich schlug auf, Seite 63. Das war es. Ich wusste, dass es richtig war. Ich dachte an schöne Frauen und klassische Musik. Während die Kinatit in den Fluten sank, sangen wir, die Gesangbücher in der Hand. Wir sangen: ‚Näher, näher mein Gott zu dir’.

 

Hallo FlicFlac,

irgendwie kann ich mich mit diesem Plot nicht so recht unter dem Aspekt der Satire anfreunden. Gewiss wirst du dir dabei was gedacht haben, was du als Autor kritisieren wolltest, aber mir ist deine Intention leider verschlossen geblieben. Den Fehler suche ich dennoch erstmal (und ausnahmsweise :D ) bei mir, denn ich bin grad privat etwas abgelenkt und hab vermutlich den Blick nicht ganz frei.
Dass Kinatit, rückwärts Titanik heißt, das hab ich wohl vermerkt, aber worum geht es in diesem Plot denn nun?
Einfach nur darum, dass du die zweite fiktive Fahrt der Titanic nacherzählen wolltest? Wozu?

Aus meiner Sicht gehört diese Story eher in die Humorabteilung, auch, wenn es nicht so ganz meinen Humor trifft. Nur da sind die Geschmäcker ja verschieden.

Was mir gut gefallen hat, an deiner Darstellung ist, dass du Spannung aufbaust, ich musste geradezu die Geschichte bis zum Ende lesen und wollte auch dringend wissen, was denn nun weiter passiert.
Auch, wenn es dir gelungen ist, die drei Gestalten vor meinem Auge entstehen zu lassen, so hat mir doch noch ein wenig mehr an Charakterfarbe an ihnen gefehlt. So war ich nur in der Lage mir drei Klischees vorzustellen, aber ich vermute sogar, dass du es extra so gewollt hast.

Lieben Gruß
lakita

 

Hi FlicFlac,

irgendwie kann ich mich mit diesem Plot nicht so recht unter dem Aspekt der Satire anfreunden. Gewiss wirst du dir dabei was gedacht haben, was du als Autor kritisieren wolltest, aber mir ist deine Intention leider verschlossen geblieben.

Dass Kinatit, rückwärts Titanik heißt, das hab ich wohl vermerkt, aber worum geht es in diesem Plot denn nun?
Einfach nur darum, dass du die zweite fiktive Fahrt der Titanic nacherzählen wolltest? Wozu?

Ich kann mich Lakitas Kritik nahtlos anschließen. Auch mir erschließt sich die Thematik nicht? Was ist das Thema deiner Satire? Du lässt mich als Leser ziemlich ratlos zurück.

Dafür, dass der eigentlich Kern ja die Bootsfahrt ist, ist mir das Vorgeplänkel zu lang. Da würde ich noch mal kürzen.

Nett geschrieben ist deine Geschichte, aber für eine Satire fehlt mir auf jeden Fall die Schärfe, für die Abteilung Humor der Witz.

lg neukerchemer

 

Danke euch beiden!

Nun, eigentlich ist es eine Realsatire - denn (bis auf den Untergang) - habe ich das ganz genau so erlebt ;-))

Sollte ich das Ding komplett in die Tonne klopfen? Hm?

LG,
Flic

 

In die Tonne kloppen würde ich die Story nicht gleicht. Es ist meiner Ansicht nach nur überhaupt keine Satire.

In der Rubrik Alltag oder Humor könnte ich sie mir schon vorstellen, aber auch dort würde sie mich nur mäßig unterhalten. Das liegt daran, dass in der Gesichte nicht sonderlich viel passiert.

lg neukerchemer

 

In die Tonne klopfen? Nö !!! Wenn schon, dann artgerecht im Meer verklappen. :D

Ok, Spass beiseite. Entscheide dich, ob du ne Humorstory draus machen willst, dazu hätte der Plot das Zeug.

Inspirierende Grüße
lakita

 

Okay, nochmal danke euch beiden ;-))

Dann lasst es uns nach "Humor" verschieben, ich werde es dann von dort aus weiterbearbeiten ;-))

LG,
Flic

 

Aus Satire direkt und ohne Umwege, quasi sofort nach Humor verschoben.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, und ich fands sogar stellenweise recht amüsant. Sicherlich keine Schenkelklopfer enthalten, aber Humor ist drin. Kein Zweifel. Wie gesagt, stellenweise.
Der Wortwitz mit dem Schiffsnamen wird durch den Titel zu schnell klar. Das mit dem Eisberg ist mir zu arg. Wo soll denn der bitteschön in Prag herkommen. too much fiction. Dafür gibts in Prag viele prachtvolle Brückenpfeiler, gegen die ein Schiff knallen kann.

War auch schon mal dort, noch im Kalten Krieg, als es in den Prager Restaurants umfangreiche Speisekarten gab, aber nix zu essen. Als wir vor der Bedienung mit dem Finger auf die verschiedenen Spezialitäten der Karte deuteten, schüttelte sie nur den Kopf und deutete mit dem Daumen rückwärts über die Schulter in den Raum. Alle haben das Gleiche gegessen. Irgendsoeine Fleischsuppe. Wir dann auch. Wir haben dann für allgemeine Heiterkeit gesorgt, als wir nach einem Nachtisch fragten. Aber: die Bedienung hat gezwinkert und kam eine halbe Stunde später mit drei Schälchen Pflaumenkompott für drei Wessie-Touristen zurück. Pflaumenkompott!!! Unter den neidischen Blicken der anderen Gäste verzehrten wir etwas verschämt die in Zuckerwasser eingelegten Pflaumen. Und dann ...

ach, ich bin etwas abgeschweift.

Vielen Dank für die Geschichte, schon wegen der netten Erinnerungen!

Grüße,
nictita
(nic...tita - klingelt was?)

P.S. Wenn schon der Bezug auf den Seewolf: der gute Mann hieß übrigens Harmstorf mit haddem "d".

 

Hallo Nictita,

Prag- und Seereisenerfahrener ;-) !

Schön, dass die Story wenigstens ien wenig amüsiert. Wie gesagt, sie IST passiert (bis auf den Untergang).

Das mit dem Eisberg ist mir zu arg. Wo soll denn der bitteschön in Prag herkommen.

Ein bisschen Wahnsinn musste schon rein. Denn wie schon andere sagten, bis dahin ist ja nicht soo viel passiert in der Story ;-)

Nic-tita - *lool* genau!

LG,
Flic

 

Hallo, FlicFlac.

Mich hat die Geschichte irgendwie nicht zu packen gekriegt. Vermutlich weil mein Pragbesuch zwar regenlos war, ich aber Temperaturen von minus 10 Grad Celsius damit assoziiere. Die Figuren bleiben mir auch zu fremd, ich kann mich weder mit dem Erzähler noch mit dem Schachnerd, noch mit dem Aquaphobiker in irgendeiner Form kurzschließen.

Seltsamerweise fand ich den Teil, der erfunden war, also alles unterhalb des

"Was war das?", fragte er.

ziemlich witzig. Da ging es dann endlich zur Sache.

Für die Tonne ist es also definitiv nicht.

Gruß
bvw

 

Moin FilcFlac,

Mir hat die Geschichte ganz gut gefallen.
Im Gegensatz zu allen anderen Menschen auf der Welt, war ich noch nie in Prag, weswegen ich den Text unvoreingenommen lesen konnte, weil er mich an nichts erinnert hat :D

Der erste Teil ist vielleicht insgesamt etwas lang geraten, aber spätestens wenn die Dampferfahrt losgeht, macht der Text richtig Spaß. Also, unterhaltsam wars auch vorher schon, aber dann halt richtig.

Er wollte wissen, ob ich sicher sei, dass man nicht ertrinken konnte bei einer Dampferfahrt.
Die Idee ist gut, aber der Gag geht etwas unter (hihi). Du hast vorher schon gesagt, daß er wasserscheu ist, weswegen das hier nicht mehr wirkt, weil es quasi nur noch eine Wiederholung ist. Mein Vorschlag wäre, daß du die Wasserscheuheitigkeit entweder vorher nicht erwähnst oder an dieser Stelle nen kurzen Dialog einbaust.
Dialoge sind nämlich immer witzig.
Ich rief ihnen zu und winkte und wir begaben uns ins Bordrestaurant.
Hier könntest du vielleicht auch noch ein wenig Ausführlichkeit einbauen.
Das ist uns schon öfter passiert!“, mischte sich der Kellner ein. „Obwohl es hier Eisberge noch nicht einmal gibt! Deshalb fährt auch keiner mehr mit uns!"
:thumbsup:

 

Danke, BrudervomWeber, danke gnoebel!

Ich werd mal schauen wie und wo ich kürzen kann. Wie gesgt, die Geschichte hat sich so EREIGNET, im Jahr 1993 (bis auf den Schluss natürlich). UNd daher habe ich ALLES erzählt, aber wenn das eher langweilt, sollt es raus ;-)

LG,
FLIC

 
Zuletzt bearbeitet:

Überarbeitet und vor allem stark

gekürzt
...

 

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