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Die Zuflucht

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02.04.2004
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Die Zuflucht

Genüsslich grub sich ihre Hand tiefer und tiefer in den leuchtend weißen Sand, jedes noch so kleine Muschelstück wahrnehmend. Ein angenehmes, vertrautes Kribbeln durchfuhr erst ihre Hand, dann ihren Arm und erfasste schließlich ihren ganzen Körper, und endlich, zum ersten mal seit Monaten, war die junge Frau wieder in der Lage, sich völlig zu entspannen, fallen zu lassen. Gerade eben war die Sonne erst blutrot aufgegangen, hatte sie mit sanften Strahlen wach gekitzelt und schließlich, nach einem kurzen Blick auf die heilenden Wunden ihres Ehemanns, aus der kleinen Bambushütte hinaus zum Strand gelockt.
„Endlich…“ flüsterte sie immer wieder, die Schönheit des Moments, die Einsamkeit genießend. Endlich konnte sie sich sicher fühlen und die Augen schließen ohne wachsam bleiben zu müssen, endlich wieder an sich selbst denken und sich an Dingen freuen, die in der letzten Zeit vor Aufregung unbemerkt an ihr vorbeigezogen waren.
Ihr lächelndes Gesicht, halb von Sand bedeckt, zeigte für ihr Alter ungewöhnlich tiefe Falten und in ihrem Blick konnte man trotz ihrer Zufriedenheit erkennen, dass diese Augen zu viel Unvergessliches gesehen hatten, um jemals wieder ihren ursprünglichen naiven Glanz, in den sich ihr Mann so verliebt hatte, zurück zu gewinnen. In die Weiten des unschuldig blauen Himmels starrend, versteinerte sich ihr Blick plötzlich. Die schrecklichen Bilder der verstümmelten Menschen, die um Hilfe flehten, die Leichen ihrer Eltern, Geschwister, die maskierten Männer, die grölend über die Frauen und Kinder ihres Dorfes herfielen, sie alle waren wieder da, ließen sich keinen Moment länger unterdrücken.
„Nein…“ die Falten auf ihrer Stirn wurden noch tiefer. „Nein…“ Mit schnellen Bewegungen sprang sie auf, schüttelte den Sand von ihrem Körper ab und rannte auf die Wellen zu, als flüchte sie vor der Erinnerung. Sie warf sich in die Fluten und würde erst aufhören zu schwimmen, tauchen, gegen den Ozean und sich selbst zu kämpfen, wenn ihre Kraft erschöpft wäre.

Nur wenige Meter entfernt bewegte sich eine kleine Gruppe in Tarnfarben gekleideter Männer mit stampfenden Schritten auf die unscheinbare Hütte, die sich in einem Wald von Palmen zu verstecken versuchte, zu. Der älteste von ihnen schmiss laut schreiend die klapprige Tür auf und lächelte zufrieden, als schließlich alle um das Bett des jungen Mannes herumstanden. „Endlich…“ sagte er ruhig, bevor er sein Maschinengewehr auf die Stirn des wachen Mannes richtete.

Wie gut diese Abkühlung ihr doch getan hatte…entkräftet schleppte sie sich aus dem Wasser zurück an den Strand. Die Bilder waren wieder in ihrer Vergangenheit verschwunden. Es war Zeit, den Verband ihres Geliebten zu wechseln, und so begab sie sich noch tropfend auf den Weg zur Hütte.
Sie öffnete die Tür, starrte einen Moment lang auf die Blutlache, die mittlerweile durch alle Laken gekrochen war, und schloss sie wieder, ohne eine Regung. Benommen begann sie, sich von der Hütte zu entfernen, doch ihre Beine wollten sie nach wenigen Metern nicht mehr tragen.
Sie fiel in den Sand, grub ihre Hände tiefer und tiefer hinein. Der Schmerz, den die tausend Schnitte der winzigen aber scharfen Muschelstücke jetzt bewirkten, war wundervoll, aber kaum befriedigend.
Leere erfüllte ihr Herz und sie hoffte, die maskierten Männer, deren heftige Schritte den Boden beben ließen, das Gelände noch einmal zu durchsuchen, würden sie finden. Bald würde sich das Salzwasser, das noch immer auf ihrer Brust perlte, mit dunkelrotem Blut vermischen.
„Endlich…“ flüsterte sie, und sie durfte gehen.

 

Hallo peanutmonster,

eine m. E. ziemlich gelungene Kurzgeschichte, gut geschrieben. Anfangs denkt man beim Lesen noch an Urlaub am Strand, doch schon bald wird klar, dass dem ganz und gar nicht so ist, dass sich deine Protagonistin diesen Ort ausgesucht hat, um die Vergangenheit zu verarbeiten, ihre Zufluchtsstätte, und das hast du dem Leser empfindsam näher gebracht. Die Flucht in die Fluten und die scharfen Muschelstücke, mit denen sie sich selbst Schmerzen zufügt, helfen ihr wohl dabei.

Einerseits hat deine Protagonistin ja Glück gehabt, dass sie sich gerade in der Zeit in die Fluten gestürzt hat, als die Männer kamen, wenn ich das richtig verstanden habe, andererseits will sie am Ende aber von den Männern mit dem Maschinengewehr gefunden werden, da sie selbst ihr Schicksal nicht mehr aushält. Oder?

Ein Wort scheint dabei eine zentrale Rolle in deinem Text zu spielen: "Endlich...".
Endlich... konnte sich deine Protagonistin sicher fühlen (erster Absatz).
Endlich... tötete der Soldat den verletzten Mann (zweiter Absatz).
Endlich... durfte deine Protagonistin gehen (dritter Absatz) – aber wohin? Kamen die Männer zurück und haben sie auch erschossen? Diese Frage blieb für mich noch offen. Bin gespannt auf dein Statement zu meinen Gedanken zur Geschichte.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hi Michael!
Erstmal 1000 Dank für's Lesen! Hatte dies für meine beste Geschichte so far gehalten, aber mit feedback is ja net so prall... :(
Die Gefühle der Protagonistin hast du gut erfasst. Und ich dachte es war klar, dass sie am Ende auch durch die Männer stirbt, also erlöst wird...Sie sieht keinen Sinn mehr im Leben, hat schon alle Kraft verbraucht.
Wenn es allerdings nicht ganz klar ist, macht es die story für den Leser vielleicht noch interessanter, oder? Dann sieht's nach open ending aus...
Wo du schon das "endlich" erwähnst: irgendwie kommt es mir im nachhinein übertrieben vor, ich könnt jetzt nichtmal einen Grund nennen, warum ich es ständig benutzt hab... :confused:
Aber wurscht, danke für die nette Kritik! :rotfl:

LG
Peanutmonster :shy:

 

Hallo peanutmonster,

ich fand das Ende eigentlich schon ziemlich eindeutig, ichh denke, es wird klar, dass die Protagonistin darauf wartet, "endlich" :D erlöst zu werden.

Aber eine schöne Geschichte mit schönen Bildern, wie ich finde.

Liebe Grüße,
gori

 

Hallo Peanutmonster!

Wie versprochen kriegst du endlich mal ne Kritik zu dieser ja doch schon etwas älteren Geschichte.

Beginnen wir mit dem unangenehmen Teil, der technischen Analyse zur Fehlerfindung:

grub sich ihre Hand
und
durchfuhr erst ihre Hand
Wiederholung!

hatte sie mit sanften Strahlen wach gekitzelt und schließlich, nach einem kurzen Blick auf die heilenden Wunden ihres Ehemanns, aus der kleinen Bambushütte hinaus zum Strand gelockt
Das klingt, als habe die Sonne erst einen BLick auf die Wunden ihres Mannes geworfen!

„Endlich…“ flüsterte sie
Da fehlt glaub ich ein Komma.
Insgesamt sind noch einige Kommafehler drin, aber da will ich nicht so kleinlich sein.

schmiss laut schreiend die klapprige Tür auf
Das klingt nicht schön. "Aufschmeißen" kann man so nicht sagen, oder?

und sie hoffte, die maskierten Männer, deren heftige Schritte den Boden beben ließen, das Gelände noch einmal zu durchsuchen
Da stimmt was mit der Grammatik nicht.

„Endlich…“ flüsterte sie, und sie durfte gehen.
Das kommt ein bisschen plötzlich und du hast nicht erwähnt, dass die Männer tatsächlich zurückkommen. Ist daher etwas seltsam, dass sie plötzlich stirbt (so fass ich das Ende mal auf).

Außerdem ist noch ein Logikfehler drin: Die Männer sind doch maskiert. Wie kann man dann sagen, dass es der Älteste war, der in der Hütte spricht, oder dass er lächelt?

Ansonsten eine nette, sehr kurze Geschichte. Sie glaubt in Sicherheit zu sein und dann - wamm! Aus der Traum. Der Mann tot, Verlust des Lebenswillens, passiver Selbstmord.
Nicht ganz neue, aber immer wieder schöne Idee und nachvollziehbar umgesetzt. Du gibst keine Hintergrundinformationen, aber man kann sich die dahinterstehende Geschichte schön ausmalen; ein Bürgerkrieg zum Beispiel.
Stilistisch noch etwas verbesserungswürdig, aber ich denke, dass sich das im Laufe des letzten Jahres bereits geändert hat.

Insgesamt gern gelesen. Gute Arbeit!


Grüße,
Seth Rock

 

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