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Don´t mess around with art critics
Señor Bartavi stand in der großen Halle und betrachtete mit ernstem Blick ein Bild. Das tat er nun bereits seit geschlagenen 49 Tagen. Und bis vor Kurzem war er sich relativ sicher gewesen, bald zum inhaltlichen Kern des Kunstwerks durchzubrechen. Zum Wesen dessen, was der Künstler hinter diversen Schichten Farbe vor dem ungeschulten Auge der breiten Masse verborgen hielt. Bartavi hielt sich alleine im Museum auf. Das war einer der vielen Vorzüge, die sein Beruf als Kunstkritiker so mit sich brachte. Dass er bis spät in die Nacht Bilder betrachten konnte. Und da er alleine war, kam auch niemand in die unangenehme Situation, sich zu den markerschütternden Seufzern Bartavis irgendwie verhalten zu müssen.
Die Sache war ernst und es muss Bartavi wirklich hoch angerechnet werden, dass er sich ziemlich wacker hielt. Seine Sicht der Dinge, die zeit seines Lebens auf Vernunft und rational-naturwissenschaftlichen Überzeugungen beruht hatte, war vor wenigen Minuten ohne Vorwarnung krachend in sich zusammengestürzt. Denn für das, was sich soeben erbarmungslos vor ihm offenbart hatte, gab es im Prinzip nur eine einzige angemessene Erklärung. Und die hatte nicht mehr viel mit einem vernunftbasierten Weltbild zu tun, sondern bewegte sich irgendwo zwischen der Rache eines eingeschnappten Gottes oder zumindest einer höheren Macht, die sich in einem schummrigen Hinterzimmer explizit gegen ihn, Señor Salvator Bartavi, verschworen haben musste. Aus Gründen wohlgemerkt, die sich dem leidgeprüften Bartavi momentan nicht einmal ansatzweise erschlossen. Er bewegte den Kopf zur Seite, kniff ein Auge zu und führte jeweils Daumen und Zeigefinger seiner Hände zu einem improvisierten Rahmen zusammen. Dabei wusste er nicht einmal, was das noch bewirken sollte. Eine Veränderung der Perspektive vielleicht? Es blieb beim kläglichen Versuch und Bartavi ließ kraftlos die Schultern hängen. Das führte dazu, den kleinen Mann noch ein wenig kleiner wirken zu lassen, und bildete einen interessanten Kontrast zu dem ausufernden Gemälde, welches sich beinahe übergroß vor ihm auftat. Vermutlich hatte das auch irgendetwas Künstlerisches. Andererseits, was verstand er schon davon? Geschlagen zog sich Bartavi einen Stuhl heran und entzündete eine Zigarette. Eine Freiheit, die er sich trotz absolutem Rauchverbot im Angesicht seiner vollständigen Niederlage zugestand.
Resigniert blies er den Rauch aus und betrachtete die Leinwand. Moderne Kunst. Überschaubare Farbwahl. Klare Linien und geschwungene Formen. Weiß und verschieden nuancierte Blautöne. Interessanter Stil, das mit Sicherheit. Auf jeden Fall das Werk eines Künstlers, der wusste, was er tat. Sicherlich auch schwierig zu lesen. Er nahm einen weiteren Lungenzug, wie um sich zu wappnen, und machte sich daran, einen weiteren mutigen Anlauf zu unternehmen. Dazu stieg er umgedreht auf den Stuhl und blickte durch seine Beine hindurch in Richtung Gemälde. Eine veränderte Perspektive. Und die hatte es in sich. Da war nun leider nichts zu machen. Entmutigt stieg er wieder herab und stand wie verloren in der großen Halle. Das Bild befand sich in einem nahezu perfekten Winkel an der Wand. Die Ausleuchtung entsprach dem hohen Standard des Hauses. Allerdings trübte der Umstand, dass es leider verkehrt herum aufgehängt worden war, merklich den Gesamteindruck. Dass dieser Fehler zum einen durch ihn selbst verursacht und zu allem Überfluss seit mittlerweile 49 Tagen unbemerkt geblieben war, ließ Bartavi an seinen altgedienten Überzeugungen einer gerechten Welt zweifeln. Er hatte das schwere Ding natürlich nicht höchstselbst an der Wand angebracht, aber er hatte die Entgegennahme betreut und die Aufhängung persönlich begutachtet. Spätestens da hätte er als Experte eingreifen müssen. Aber, und hier lag das Problem, er hatte es nicht bemerkt.
„Schlechter Stil“, murmelte Bartavi vor sich hin, meinte damit aber weniger die Leistungen des Künstlers, sondern vielmehr den fragwürdigen Humor jener schicksalsgetriebenen Kräfte, die er hinter diesem Anschlag auf den guten Geschmack vermutete. Ohne den Blick von der Leinwand zu wenden, ließ Bartavi seinen Zigarettenstummel auf den penibel sauberen Boden fallen. Das war ja nun mittlerweile auch schon egal.
Grimmig zündete er sich sofort die nächste Kippe an und betrachtete mit bösem Blick das Bild. Schlecht harmonierende Farbtöne, alles in allem. Überhaupt, an sich langweilig. Überschätzt und überholter Stil. Ein Unfall, das war´s. Ein Unfall in Blau. Selbst für ein modernes Kunstwerk völlig unangemessen hier zu hängen. Und dabei war es im Grunde genommen auch egal wie herum.
Und dieser Trübsinn in Blau sollte dennoch das Ende seiner Karriere bedeuten, das war einigermaßen klar. Das Gespött der Leute würde er werden. Er, der ein gefeiertes Kunstwerk falsch herum aufhängen ließ, um ganze 49 Tage davor herumzuschleichen und nach irgendeinem tieferen Sinn zu suchen. Einem Sinn, den es höchstwahrscheinlich nicht gab. Nicht auszudenken, was die Fachpresse aus dieser Geschichte machen würde. Bartavi schloss die Augen und kämpfte gegen einen plötzlichen Schwindel, der ihn erfasste.
Es war ihm zwar selbst niemals gelungen, in die höchsten Sphären künstlerischer Gestaltung vorzudringen, aber er hatte es immerhin bewerkstelligt, eine respektierte Instanz in Kunstfragen zu werden. Ein Experte, der gerne zurate gezogen wurde und dessen Meinung mitunter aufstrebenden Talenten den letzten Ruck gab. Oder aber dessen stets sachlich formulierte Kritik dafür sorgte, die Unglücklichen zurück in den finsteren Abgrund der Mittelmäßigkeit zu stoßen. Und für diese Position hatte er doch einiges an Blut, Schweiß und Tränen gelassen, zumindest metaphorisch gesprochen. Und nun schickte sich ein Künstler an, dessen Namen er nicht einmal aussprechen konnte, ihn mit seinem Machwerk, das weder auf dem Kopf noch sonst wie irgendeinen Reiz entfalten konnte, vor aller Welt lächerlich zu machen.
Wenn er es nicht besser wüsste, würde er beinahe so weit gehen und behaupten, dass dieses blaue Unwerk nur aus einem einzigen Grund erschaffen worden war. Nämlich um ehrlichen Kunstkritikern wie ihm das Leben schwer zu machen. Mittlerweile ging Bartavi wie ein Tiger in seinem Käfig vor dem Gemälde auf und ab. Dabei rauchte er derart wuterfüllt, dass einem dabei glatt jegliche Lust am Tabakgenuss verloren gehen konnte.
Wusste er es denn überhaupt besser? Was sprach in dieser Welt, in der mittlerweile doch alles mehr oder weniger den Bach herunterzugehen schien, denn überhaupt dagegen anzunehmen, dass irgendwo ein Künstler seiner zur fast vollständigen Bosheit gesteigerten Arroganz nur noch dadurch Ausdruck verleihen konnte, ein derartiges Bild zu erschaffen? Ein Machwerk, das einzig dem Zweck diente, dem edlen Berufsstand des Kunstkritikers einen dicken Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
„Dieses verdammte Schwein!“, zischte Bartavi, sichtlich um Fassung bemüht. Das verschwenderisch aufgetragene Blau schrie ihm beinahe entgegen, dass er seinem Schöpfer auf den Leim gegangen war. Es lachte ihn aus.
Ein Blitzangriff. Eine heimtückische Attacke, die ihn unvermittelt getroffen und quasi mit heruntergelassenen Hosen überrumpelt hatte. Aber den Teufel würde er tun, sich diesem ungerechtfertigten Angriff zu beugen! Dazu brauchte es eindeutig härtere Bandagen!
Dieses Machwerk musste verschwinden. Nicht nur, weil es einen Schatten auf ihn selbst warf, sondern auch deshalb, weil es sich nicht um ein Kunstwerk, sondern um eine Kriegserklärung handelte. Ein Geschoss, welches aus dem Hinterhalt auf ihn abgefeuert worden war. Einzig seinem standhaften Charakter war es zu verdanken, dass er sich überhaupt noch aufrecht hielt. Schwankend zwar, aber ungebrochen.
Bartavi kniff die Augen zusammen. Es hätte ihm bereits vor 49 Tagen auffallen müssen. Diese Aggressivität, die sich hinter den blauen Linien verbarg. Völlig indiskutabel, dass dieser Akt des Unfriedens eine Reaktion seinerseits erforderlich machte. Gab es überhaupt etwas Edleres als den Angegriffenen, der sich mutig und entschlossen zur Wehr setzt? Bartavi bezweifelte es und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Er blieb bei einer Kunstinstallation hängen, die neben einigen verschweißten Werkzeugen auch aus einer Axt bestand. Die Würfel waren gefallen. Es war an der Zeit, Tatsachen zu schaffen und ein deutliches Zeichen an diejenigen zu senden, die meinten, man könne sich über die Kunst lustig machen. Oder über ihn!
Kurz bevor er den Zorn des Gerechten frei entfaltete, musste Bartavi aber für einen Moment in sich gehen. Ihm wurde gewahr, dass er im Begriff war mit einer Axt, die er aus einer künstlerischen Installation zweckentfremdet hatte, ein übergroßes Gemälde zu zerhacken. Zugegebenermaßen war eine derartig rasant verlaufende Eskalation des Abends heute Morgen so noch nicht absehbar gewesen. Dann fiel sein Blick zurück zu seinem blauen Feind und Bartavi schritt zur Tat.
Der nächste Tag war für den Museumsdirektor einer jener Tage, die man rückblickend für den deutlich zu hohen Blutdruck im Alter verantwortlich machen konnte. Irgendwelche Spinner waren in der vergangenen Nacht in das Gebäude eingedrungen und hatten eines seiner wertvollsten Bilder zerstört. Mit einer Axt. Die sie vorher ohne besondere Sensibilität aus einer ebenso kostbaren Kunstinstallation herausgebrochen hatten. Das Bild war, wie konnte es auch anders sein, nur geliehen und der Direktor sah bereits eine Armee von Anwälten, die mit gewetzten Messern auf ihn zustürzten. Außerdem hatte sein Kunstexperte, der allseits bekannte und geschätzte Señor Bartavi ohne Angabe von Gründen und vermutlich einer seiner exzentrischen Launen folgend, seine Kündigung eingereicht. Es gab Tage, da blieb man besser im Bett.