Don und Sancho
Meine beiden Mitbewohner Bimmel und Bommel (die Namen wurden vom Autor geändert) hatten unser gemeinsames Heim bereits am Vorabend für die kommenden zehn Tage verlassen.
Es war am Weihnachtsmorgen. Ich stand auf und mein schleppender Schritt führte mich direkt zum stillen Örtchen. Ich öffnete die Tür und stand plötzlich vor einem Rätsel. Links neben der sanitären Anlage begrüßte mich das gewohnte Bild, das Fenster mit dem 3-lagigen Toilettenpapier und dem Kaktus auf der Fensterbank sowie die WG-Klobürste darunter. Sie hatte, wie ich zugeben muss, bereits ihre besten Tage hinter sich. Rechts, also auf der gegenüberliegenden Seite, stand zu meiner Verwirrung eine nagelneue, noch original verpackte, bereits fertig montierte Klobürste. Ein kleines Etikett auf der Folie verriet den schwedischen Hersteller. So stand ich in der Tür, das Gesicht zu einem Satzzeichen geformt, dass nach Antworten verlangt. Die Fragen schlugen zu tausenden auf mein morgendliches Gemüt nieder. Wo kam die zweite Bürste her? Hatte ich die Bescherung verpasst? Und, was wollte Knecht Ruprecht mir damit sagen? Würden sich die beiden Bürsten vertragen? Oder kommt es vielleicht zu Kompetenzgerangel? Bevor noch mehr Fragen dieser Art mich vergessen ließen, weshalb ich eigentlich hier war, beschloss ich den beiden Toilettenreinigungshilfen Namen zu geben, da dies wohl bei dem Hersteller in Schweden so üblich ist. Als ich sie da so stehen sah, dachte ich sofort an Don für das alte und Sancho für das neue Exemplar, wie Don Quichotte und Sancho Pansa. Nachdem ich erledigt hatte, weshalb ich eigentlich hier war, wünschte ich Don und Sancho noch einen schönen Tag.
So begrüßte ich in den kommenden Tagen Don und Sancho mit einem guten Morgen und verabschiedete sie mit einem Abendgruß. Ich gewöhnte mich sehr schnell an Don und Sancho. Die beiden waren zwar anfangs nicht wirklich redselige Gesellen, dafür standen sie stets im Achtung, wie kleine Wachsoldaten und salutierten neben dem Abort. Der alte Don war stets zum Dienst bereit, reinigte die Klosettschüssel und unterrichtete den jungen und noch unerfahrenen Sancho in dieser Kunst. Die beiden vertrugen sich wunderbar und von Kompetenzgerangel gab es keine Spur. Es waren schöne Zeiten, als wir zu dritt dem stillen Örtchen etwas Leben einhauchten. Gemeinsam philosophierten wir über dünnen Stuhl, das Zugverhalten von WC-Enten oder über das Paarungsverhalten von Grundschulmöbeln.
Aber eines Tages, es war bereits Januar, sprang ich morgens gegen eins langsam aus dem Bett, schleppte mich frohen Schrittes über den Flur, begrüßte die eben angereisten Bimmel und Bommel mit einem freundlichen Murren im neuen Jahr und startete zielstrebig schleichend zu Don und Sancho. Ich riss in meiner morgendlichen Trägheit die Tür auf und erblickte zu meinem Erschrecken nur noch einen kleinen Wachmann. In Tränen aufgelöst stand er vor mir. Er schluchzte vor sich hin. Ich benötigte drei Entspannungsspülungen und vier sanfte Entkrampfungsschläge gegen die Innenwand der Keramik, um den alten Don zu beruhigen. Er schnäuzte ein letztes Mal in das 3-lagige Toilettenpapier bevor er endlich erzählte, was mit dem jungen Sancho geschehen war. In der Silvesternacht war Sancho wegen des Feuerwerks völlig aus dem Häuschen. Nie zuvor habe er dergleichen gesehen. Ja eigentlich habe er noch gar nichts von der Welt gesehen, sie nur aus den Geschichten des alten Don gekannt. So beschloss der junge Sancho sich die Hörner abzustoßen, Abenteuer zu erleben und dem Leben auf der Straße zu frönen. Sancho hatte seine sieben Sachen gepackt, das heißt, die Folienverpackung, das Herstelleretikett, ein paar Blatt 3-lagiges und machte sich aus dem Staub.
Außer einer Postkarte aus Schweden hatte ich nie wieder etwas von ihm gehört. Er schrieb, er habe in seiner Geburtsfabrik einen Lebensabschnittsgefährten namens Erik gefunden. Erik sei ein Toiletten-Papier-Halter und sie hätten den kleinen Lars, einen verwaisten Salzstreuer adoptiert und zusammen wollen sie alt werden. Dies war gleichzeitig sein Coming out. Er wollte Don nicht ins Gesicht sagen, dass er homosexuell war.
Don brauchte noch lange, um darüber hinweg zu kommen. Er hatte Sancho wie den Sohn behandelt, den er nie hatte. Ich glaube, der alte Don wird nie wieder ganz der alte sein. Um Dons Gefühle nicht noch weiter zu verletzen, habe ich gegenüber Bimmel und Bommel nichts von dieser Geschichte erwähnt.
Diese Geschichte ist frei erfunden. Parallelen zu real existierenden Klobürsten streitet der Autor kategorisch ab und weist gegenteilige Anschuldigungen heftigst zurück.